Teil II Deskriptive Entscheidungstheorie 4 Rationalitätsgefährdende Motive des Menschen Flashcards
Attributionstheorie
Die Frage, wie Menschen typischerweise die Ursachen für Erfolg oder Misserfolg zuweisen (attribuieren), wird im Rahmen der Attributionstheorie behandelt.
situative Attribution
Wenn der Erfolg
auf nicht-beeinfussbare Komponenten des Handelnden, also auf Glück bzw. Pech zurückgeführt wird, spricht man von situativer Attribution
dispositionale Attribution
Wird das Ergebnis auf die Fähigkeiten des Handelnden zurückgeführt, liegt eine dispositionale Attribution vor. Hierbei ist
zusätzlich zu unterscheiden, ob die eigene oder eine dritte Person als Handelnde betrachtet wird.
selbstwertdienlichen Attribution
Zunächst soll die Ursachenzuschreibung im Hinblick auf Handlungen der eigenen Person behandelt werden. Diesbezüglich ist speziell in individualistischen (westlichen) Kulturen bekannt, dass Menschen gerne in einer Art und Weise attribuieren, die den eigenen
Selbstwert stützt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer selbstwertdienlichen Attribution. Dies bedeutet, für positive Ergebnisse sieht man die eigenen Fähigkeiten
oder Eigenschaften als verantwortlich an (dispositionale Attribution), während bei negativen Ergebnissen die (unglücklichen) situativen Gegebenheiten vorgeschoben werden (situative Attribution).1
Für den ostasiatischen Kulturkreis gilt dieser Zusammenhang interessanterweise nicht, was vermutlich daran liegt, dass aufgrund der sozialen Erziehung der
Selbstwert des Einzelnen einen weniger hohen Stellenwert im Vergleich zum Wert der
Gruppe hat
Kognitionen
Individuen besitzen ein Bedürfnis nach einem konsistenten System von Meinungs-, Glaubens- und Wissenseinheiten. Diese Einheiten werden, da sie allgemeine Bewusstseinsprozesse darstellen, auch als Kognitionen bezeichnet. Auf diesen Erkenntnissen baut die im Folgenden beschriebene kognitive Dissonanztheorie auf.
Hypothesen
Hypothesen sind insofern von „normalen“
Kognitionen abzugrenzen, als dass sie nicht externe Informationen oder reale Beobachtungen
widerspiegeln, sondern subjektive Handlungs- und Erkenntnisentscheidungen.
Beispiel einer Hypothese
Um diesen abstrakten Sachverhalt zu erläutern, sei als Beispiel ein Kind in der Weihnachtszeit herangezogen. Eine Kognition, die auf einer realen Beobachtung basiert, wäre
z. B.: „Meine Mutter hat gesagt, dass das Christkind die Weihnachtsgeschenke bringt.“
Eine mögliche (subjektive) Hypothese des noch naiven Kindes wäre in diesem Zusammenhang: „Ich glaube meiner Mutter.“ Da Hypothesen, wie oben erwähnt, immer im Zusammenhang mit Handlungs- oder Erkenntnisentscheidungen gesehen werden, wäre es
für das Verständnis der Dissonanztheorie genauer und besser, die Hypothese wie folgt zu
formulieren: „Ich habe mich dazu entschlossen, davon auszugehen, dass die Aussage meiner Mutter wahr ist.“ Ein Kognitionensystem, welches nur aus diesen beiden Kognitionen bestehen würde, wäre konsistent. Erwischt das Kind seine Eltern jedoch dabei, wie sie die
Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen, entsteht mit dieser dritten Kognition eine
Inkonsistenz. So ist es nicht möglich, dass alle drei Kognitionen gemeinsam richtig sind.
Kernaussage der kognitiven Dissonanztheorie
Es ist die Kernaussage der kognitiven Dissonanztheorie, dass jeder Mensch versucht,
entsprechende Inkonsistenzen im Kognitionensystem durch Änderung von Kognitionen
möglichst schnell zu beseitigen, da diese als unangenehm empfunden werden. Hierbei gilt
das Prinzip der Einfachheit und Effzienz, d. h., es werden die Kognitionen verändert, bei
denen die Änderungsresistenz am geringsten ist, oder mit anderen Worten, bei denen es am
einfachsten geht. Die Änderungsresistenz ist unter anderem dann hoch, wenn die – bezogen auf eine Hypothese – dissonante Kognition hinsichtlich mehrerer anderer stabiler Hypothesen als konsonante Kognition anzusehen ist. Eine Umdeutung dieser Kognition
würde dann nämlich zu neuen Inkonsistenzen führen. Ähnliches gilt auch bei der Suche
nach neuen Kognitionen. Der Mensch sucht insbesondere nach solchen Kognitionen, die
zu allen seinen Hypothesen in einem konsistenten Verhältnis stehen.
Wann geht man von einer Dissonanz aus?
So geht man nur dann von einer Dissonanz aus, wenn eine Inkonsistenz durch eine Menge von
Kognitionen gegeben ist, die mindestens eine Hypothese enthält, d. h., ohne eine Handlungs- oder Erkenntnisentscheidung gibt es keine Dissonanz.
Commitment
Ein Commitment liegt vor, wenn man „emotional an der getroffenen Entscheidung hängt“ oder – mit anderen Worten – eine Selbstverpfichtung besteht. Ist dies nicht gegeben, so liegt auch keine Dissonanz vor. Je stärker man jedoch an der Entscheidung hängt, d. h., je höher das Commitment ist, desto höher wird die Dissonanzstärke.
Somit gilt dem Commitment ein besonderes Augenmerk bei der Beschäftigung mit Dissonanzen.
Von welchen Faktoren hängt das Commitment einer Entscheidung ab?
Entscheidungsfreiheit, irreversible Kosten, Verantwortung und Normabweichung.
Entscheidungsfreiheit
Aus der Forschung zur Dissonanztheorie ist bekannt, dass Dissonanzen nur dann entstehen können, wenn das Individuum seine Entscheidung freiwillig trifft, d. h. sich aus einer
Menge von mindestens zwei Entscheidungsalternativen ohne Zwänge eine aussucht. Dies
ist leicht einsichtig. Erhält man beispielsweise von seinem Chef die eindeutige Weisung,
eine bestimmte Handlung durchzuführen, liegt keine Selbstverpfichtung vor, man hängt
emotional nicht an der Entscheidung. Wenn die Aktion dann einen unglücklichen Ausgang
fndet, hat dies der Chef zu verantworten.
Eine Dissonanz in der Psyche des Mitarbeiters könnte nur dann entstehen, wenn sich
dieser den Weisungen ohne Sanktionen widersetzen darf bzw. sogar soll und er deren
schlechte Konsequenzen absehen kann. In diesem Fall besteht Entscheidungsfreiheit, und
deshalb trägt der Mitarbeiter die Verantwortung für seine Handlungsentscheidung auch
mit. Hiermit wird deutlich, dass die Bedingung der Entscheidungsfreiheit und der Verantwortung sehr eng verknüpft sind.
Verantwortung
Im Hinblick auf eine Verantwortungszuweisung kann unterschieden werden, ob die Verantwortung gegenüber sich selbst oder gegenüber anderen gemeint ist. Grundsätzlich
steigt in beiden Fällen das Commitment für eine Entscheidung mit der Verantwortung.
Hierbei kommt es darauf an, wie diese jeweils wahrgenommen wird.
Betrachten wir zunächst die Verantwortung, die man in seiner Person für die Ergebnisse
des eigenen Handelns wahrnimmt. Eine wesentliche Voraussetzung, dass es überhaupt zu
einer Verantwortungszuschreibung kommt, besteht darin, dass die Konsequenzen des
Handelns in gewisser Weise vorhersehbar gewesen sein müssen. Dies bedeutet, es muss
zumindest retrospektiv erkennbar sein, dass man eine Entwicklung hätte absehen können.
Andernfalls fällt es Individuen grundsätzlich leicht, die Verantwortung abzulehnen
fundamentaler Attributionsfehler
Wie bereits gezeigt wurde, besagt dieser, dass Beobachter
von Handlungsergebnissen diese Ergebnisse meist auf die Eigenschaften bzw. Fähigkeiten
der Handelnden und nicht auf situative Komponenten zurückführen. Im Hinblick auf eine
Verantwortungszuweisung bedeutet dies, dass Individuen, falls mit ihren Entscheidungen
die Belange Dritter berührt werden, davon ausgehen können, dass ihnen von diesen Dritten (vorschnell) die Verantwortung zugewiesen wird. Dies gilt selbst dann, wenn sie objektiv für ein Ergebnis, das sich aufgrund nicht zu verantwortender situativer Komponenten eingestellt hat, keine Schuld tragen.
Irreversible Kosten der Entscheidung bzw. Kosten der Entscheidungsrevision
Eine wesentliche Komponente für das Commitment einer Entscheidung stellen die Kosten
dar, die im Zusammenhang mit der Entscheidung entstanden sind und zugleich nicht mehr
rückgängig gemacht werden können. Diese Kosten begründen ebenso wie die Kosten, die
erst anfallen, wenn die Entscheidung tatsächlich revidiert wird, ein hohes Commitment.
Irreversible Kosten können reale oder psychologische sein. Reale Kosten entstehen beispielsweise, wenn ein Marktforschungsinstitut beauftragt wurde, die Erfolgschancen eines neuen Produkts zu ermitteln. Wenn es sich im Anschluss an die teure Marktanalyse dann darum dreht, ob das Produkt wirklich an den Markt gebracht wird, ist das Commitment in
dieser Entscheidung sehr hoch.
psychologische Kosten
Von psychologischen Kosten kann beispielsweise gesprochen werden, wenn man sich
sehr intensiv und lange Zeit kognitiv mit einer bestimmten Entscheidungssituation auseinandergesetzt hat, bis man letztlich zu einer Entscheidung gekommen ist. Der viele Gehirnschmalz, der in den Entscheidungsprozess investiert wurde, erhöht nicht selten das
Commitment noch stärker als reale Kosten oder die Opportunitätskosten aus vernachlässigten Tätigkeiten.
tentative Entscheidung
Insbesondere vor dem Hintergrund des letztgenannten Aspekts wird verständlich, dass eine dissonanzverantwortliche Hypothese nicht zwingend eine tatsächliche Entscheidung darstellen muss, sondern schon die feste, gedanklich formulierte Absicht für diese Entscheidung
ausreicht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer tentativen Entscheidung
Normabweichung
Ein letzter Punkt, der ebenfalls zu einer Vergrößerung des Commitments führt, ist der
Grad der Normabweichung. Handlungen, die als völlig normal betrachtet werden, führen
zu einer weit geringeren Selbstverpfichtung als Handlungen, die erheblich vom „Normalen“ abweichen.
Dies ist leicht einsehbar. Das Durch- oder Fortführen des Normalen stellt nichts dar,
was mit der eigenen Person verknüpft ist. Schließlich ist es normal, weil fast alle so handeln würden. Normabweichungen gibt es jedoch immer nur von wenigen. Dies ist logisch,
andernfalls wäre es keine Normabweichung. Wenn man sich also zu etwas deutlich Normabweichendem entschließt, steht die eigene Person in einer besonderen Beziehung zu dieser Entscheidung, es besteht eine hohe Selbstverpfichtung bzw. ein hohes Commitment.