Teil II Deskriptive Entscheidungstheorie 3 Narrow Thinking und Heuristiken Flashcards

1
Q

Narrow Thinking

A

Menschen bewegen sich in ihren
Gedanken und Überlegungen nur in einem engen Umfeld um das, was ihnen mit wenig
Ressourceneinsatz zur Verfügung steht. Wir verstehen Narrow Thinking als einen Sammelbegriff für viele einzelne Phänomene, von denen wir die wichtigsten in diesem Kapitel vorstellen werden. Alle in diesem Kapitel vorgestellten Verhaltensschwächen sind also
typische Muster eines eng eingeschränkten Denkens, in dem die Entscheidungsqualität
durch kognitive Beschränkungen häufg beeinträchtigt wird oder zumindest eine hohe Gefahr besteht, dass es zu einer Beeinträchtigung kommt.

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2
Q

Heuristiken

A

praktisch-analytische Methoden verstanden, durch welche mit geringem Aufwand schnell eine gute Lösung gefunden werden kann. Diese Lösung
muss aber nicht die bestmögliche sein. Zur Anwendung kommen Heuristiken immer dann, wenn das Finden der optimalen Lösung entweder unmöglich ist oder nicht praktikabel erscheint.

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3
Q

Traveling-Salesman-Problem

A

Ein Beispiel ist das Traveling-Salesman-Problem, bei dem eine optimale
Reihenfolge aller Orte zu fnden ist, die ein Handlungsreisender (oder auch z. B. ein Paketdienst) zu besuchen hat. Die optimale Lösung ist die insgesamt kürzeste bzw. schnellste Rundreise. Bei einer großen Anzahl von Orten bzw. Lieferadressen wird das Auffnden der optimalen Lösung dieses Problems durch die vielen kombinatorischen Möglichkeiten so
rechenaufwändig, dass hier in der Praxis häufg eben nur heuristische Algorithmen angewendet werden. Der Handlungsreisende ist dann vielleicht ein paar Minuten länger unterwegs, dafür müssen aber nicht Milliarden von Rechenoperationen auf Hochleistungsrechnern durchgeführt werden.

In diesem Beispiel handelt es sich um eine bewusste Entscheidung für eine Anwendung
einer Heuristik, von der bekannt ist, dass die gefundene Lösung der Optimallösung zumindest nahekommt.

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4
Q

Heuristik in der deskriptiven Entscheidungstheorie

A

In der deskriptiven Entscheidungstheorie verbindet man mit dem Begriff der Heuristik etwas anderes, und zwar die typischen Informationsverarbeitungsabläufe, die ein Mensch unbewusst (!) anwendet, weil er aufgrund seiner kognitiven Limitationen mehr oder weniger automatisch zu einer ressourcensparenden „Methodik“ gelenkt wird. Es gibt dann keine in System 2 bewusst überlegte Entscheidung für die angewendete Heuristik, vielmehr greift das System 1 auf die Heuristik zurück, und zwar ohne Kontrolle des Entscheiders. Bei solchen Heuristiken spricht man in der Forschung von sogenannten Urteilsheuristiken. Schon sehr früh haben die Forscher Tversky und Kahneman (1974) mit der Verfügbarkeits-, Verankerungs- und Repräsentativitätsheuristik drei grundlegende Beschreibungsversuche unternommen, um solche Urteilsheuristiken konkreter zu fassen.

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5
Q

Bias,

A

eine systematische Verzerrung

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6
Q

Debiasing-Methoden

A

. Jede Urteilsheuristik
geht hierbei mit einer systematischen Verzerrung, d. h. einem Bias, einher. Kennt man
diesen Bias, so lässt sich mit geeigneten und bewusst eingesetzten Debiasing-Methoden
dieser Verzerrung entgegenwirken und eine hohe Qualität eines refektierten Entscheidungsprozesses herbeiführen

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7
Q

mentales Modell der Entscheidungssituation

A

Dieses Modell wird gespeist durch gesammelte Erfahrungen der Person, durch den Bildungsstand aber auch durch grundlegende Werte, Normen und Einstellungen, die aktuelle
Gefühlslage und die Persönlichkeit. Rein biologisch kann das Modell sogar von der Beschaffenheit der Sinnesorgane abhängen, ebenso haben die kognitiven Limitationen des
Gedächtnisses, die letztlich für das Narrow Thinking verantwortlich sind, und die neuronale Struktur einen wichtigen Einfuss auf die genaue Ausgestaltung des mentalen Modells.

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8
Q

zwei Arten von Narrow Thinking

A

Wie in Abb. 3.1 dargestellt, gibt es somit zwei Arten von Narrow Thinking. Die erste Art ist die aufgrund kognitiver Limitationen zu eng gedachte bzw. zu vereinfachende Modellierung von Informationen im mentalen Entscheidungsmodell und die zweite Art sind die beschriebenen Heuristiken, die auf diesem mentalen Modell aufbauen und zu einem Urteil bzw. zu einer Entscheidung führen.

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9
Q

m Abschn. 2.3 wurden mit den Ausführungen zur Funktionsweise des Gedächtnisses die
Grundlagen gelegt, um in diesem Abschnitt die daraus resultierenden Verhaltenseffekte
des Narrow Thinking erläutern zu können. Wichtig festzuhalten sind die beiden folgenden
abgeleiteten Erkenntnisse:

A
  1. Die Verfügbarkeit von Gedächtnisinhalten hängt von der Aktualität, Anschaulichkeit, Auffälligkeit, Aufmerksamkeit und Frequenz ab.
  2. Mit der Aktivierung eines Knotens im Gedächtnis werden tendenziell auch die Informationen aus den verbundenen Knoten indirekt mitaktiviert und sind somit leichter (assoziativ) verfügbar

Mit diesen beiden Punkten lassen sich einige, das menschliche Entscheidungsverhalten
verzerrende Effekte ableiten, die wir alle unter den Oberbegriff Verfügbarkeitseffekte fassen wollen.

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10
Q

Varianten von Verfügbarkeitseffekten

A

Direkter Einfluss:
Overreaction
Narrative Bias
Primacy Effekt

Indirekter Einfluss über andere Knoten:
Priming-Effekt

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11
Q

Overreaction

A

Overreaction beschreibt das Phänomen, dass der Mensch im Rahmen eines Narrow Thinking verstärkt nur auf die leicht verfügbaren Informationen zugreift und andere, nicht
notwendigerweise weniger wichtige unberücksichtigt lässt. Aus der Tatsache, dass somit
nicht alle Informationen bzw. Aspekte gleichmäßig beleuchtet werden, ergeben sich also
Verzerrungen in der Bewertung von Sachverhalten mit entsprechenden Konsequenzen für
das Verhalten. Oder etwas genauer und einfacher formuliert: Informationen, die aktuell,
anschaulich und lebendig präsentiert wurden sowie aufmerksam und häufg aufgenommen
wurden, werden vom Menschen überbewertet und führen zu einer Überreaktion.

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12
Q

Beispiel für eine Overreaction

A

Ein Beispiel hierfür sind die Börsen, wenn auf auffällige und sehr lebendig dargestellte
Informationen reagiert wird, beispielsweise auf unerwartete Neuigkeiten über Fusionen
oder große Versicherungsschäden. Die Abb. 3.3 zeigt den Verlauf der Aktie der Münchener
Rückversicherung im September 2001, als das World Trade Center von Terroristen attackiert wurde.

Man sieht den starken Kursverfall des Wertes um den Zeitpunkt des Attentats am 11.
September 2001. Durch die nachfolgende Erholung wird jedoch deutlich, dass hier offenbar eine Überreaktion des Marktes vorgelegen hat. Diese Überreaktion ist hierbei nicht
verwunderlich, da alle wesentlichen Determinanten der Verfügbarkeit erfüllt waren: Die
Schäden wurden sehr anschaulich und auffällig in den Medien präsentiert, permanent wiederholt, und Aktualität war natürlich auch gegeben.

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13
Q

Narrative Bias

A

Während beim Phänomen der Overreaction auf fast alle Determinanten der Verfügbarkeit Bezug genommen wurde, beschränkt sich der Narrative Bias nur auf eine Determinante, und zwar die Anschaulichkeit. Unter einem Narrative Bias versteht man die Neigung von Menschen, Sachverhalte überproportional stark zu gewichten, wenn diese nicht in abstrakter Form, sondern in Form von kleinen Geschichten oder Erzählungen vermittelt werden.

Die psychologische Begründung zu diesem Effekt fällt leicht. Geschichten sind nun
mal viel anschaulicher für den Menschen und führen zu einer deutlich höheren kognitiven Verfügbarkeit als nackte Zahlen. Die Anschaulichkeit und hohe Verfügbarkeit einer Geschichte folgt hierbei im besonderen Maße daraus, dass es sich eben nicht nur um einen einzelnen Sachverhalt handelt, den man sich merken muss. Vielmehr ist eine Geschichte deshalb so leicht aufzunehmen und zu behalten, weil sie ein in sich schlüssiges, konsistentes und vor allen Dingen zusammenhängendes Gebilde von Informationen darstellt, das ähnlich wie ein Netz nicht zusammenbricht, nur wenn ein Faden darin gerissen ist.

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14
Q

Narrative Bias Beispiel

A

Wenn Sie beispielsweise ein Kollege von einer Geschäftsidee überzeugen möchte, indem er anekdotisch von einer ähnlich
gelagerten Erfolgsstory berichtet, so setzt er den Narrative Bias für seine Überzeugungsarbeit – vielleicht sogar bewusst – ein. Möglicherweise ist er aber vorher auch selbst auf den
Narrative Bias hereingefallen, wenn ihm selbst entsprechende Geschichten zugetragen
wurden. Oder der wegen Mord Angeklagte vor Gericht versucht seine Haut zu retten, indem er nicht nur knapp aussagt, dass er nicht der vermeintliche Täter ist, sondern in einer umfänglichen, in sich konsistenten Geschichte eine andere Wahrheit erfndet. Entsprechendes gilt für einen Studierenden, der nach einer vergessenen Prüfungsanmeldung gegenüber dem Prüfungsausschuss ein sehr kreatives, umfängliches und in sich schlüssiges Argumentationsbeiwerk liefern muss, damit er doch noch die Klausur mitschreiben darf.

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15
Q

Primacy-Effekt

A

Aus einer Abfolge von vielen Silben wird die zuerst genannte Silbe am besten
behalten, weil diese aufgrund der zuerst noch sehr konzentrierten Merkarbeit schon in das
Langzeitgedächtnis gebracht wurde und dort noch gut verfügbar ist. Insofern ist auch der
Primacy-Effekt eine Variante eines Verfügbarkeitseffektes, weil die erste Silbe noch die
höchste Aufmerksamkeit genießt, die ja für die Verfügbarkeit mit verantwortlich ist. Bei
den späteren Silben lassen die Aufmerksamkeit und die Aufnahmebereitschaft langsam
nach, sodass diese Silben nicht mehr verfügbar sind.

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16
Q

Primacy Effekt Beispiel

A

In dieser Studie sollte eine hypothetische Person namens Steve durch zwei unterschiedliche Gruppen von Versuchspersonen bewertet werden. Der Gruppe A wurde Steve
vorgestellt als „intelligent, feißig, impulsiv, kritisch, eigensinnig und neidisch“, der Vergleichsgruppe B als „neidisch, eigensinnig, kritisch, impulsiv, feißig und intelligent“. Es
wurden also dieselben Eigenschaften genannt, jedoch in umgekehrter Reihenfolge. Letztendlich bewertete Gruppe A Steve deutlich besser als Gruppe B. Dieses Ergebnis zeigt die
mit dem Primacy-Effekt verbundene Beobachtung, dass die zuerst genannten Eigenschaften verfügbarer sind und den Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess stärker beeinfussen als die späteren.

Diesen Effekt können Unternehmen in der Formulierung von Ad-hoc-Meldungen ausnutzen, in denen ein positiver und ein negativer Aspekt zu übermitteln ist. Wer eine möglichst vorteilhafte Aufnahme der Nachricht wünscht, sollte immer mit dem positiven Aspekt anfangen. Zwar bleibt auch der zuletzt genannte Aspekt für eine kurze Zeit noch sehr
gut im Gedächtnis (Recency-Effekt), allerdings bezieht sich dies – wie schon in
Abschn. 2.3 erläutert – auf das Arbeitsgedächtnis. Nach wenigen Sekunden dominiert das
zuerst Genannte in der Verfügbarkeit wieder das Zweitgenannte.

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17
Q

Priming Effekte

A

Priming-Effekte sind ebenfalls Varianten eines Verfügbarkeitseffektes mit der Besonderheit, dass nicht die direkten Wirkungen von Determinanten der Verfügbarkeit betrachtet werden, sondern die indirekten, durch Assoziation hervorgerufenen Effekte. Man kann dies an dem sogenannten Donald-Experiment gut erläutern. (auch Smiley und Florida Experimenten aus Kapitel 1)

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18
Q

Donald-Experiment

A

In der Studie wurde eine Gruppe von Versuchspersonen durch entsprechende Vorexperimente dazu gebracht, sich mit verschiedenen positiven Eigenschaftswörtern (unternehmungslustig, selbstsicher, selbstständig und beharrlich) zu beschäftigen bzw. sich diese zu merken. Einer Vergleichsgruppe wurden in entsprechender Weise negative Eigenschaften (leichtsinnig, eingebildet, eigenbrötlerisch und stur) nahegebracht. Anschließend mussten beide Gruppen eine hypothetische Person Donald beurteilen, die sich durch einige besondere Verhaltensweisen auszeichnete. Hierbei zeigte sich, dass Donald als Fallschirmspringer von der ersten Gruppe als unternehmungslustig eingestuft wurde, während die zweite Gruppe im Fallschirmspringen
eher ein leichtsinniges Verhalten sah. Zugleich wurde beispielsweise die Tatsache, dass Donald an seine Fähigkeiten glaubt, von der ersten Gruppe als selbstsicher und von der zweiten als eingebildet eingestuft.

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19
Q

Bedeutung der Priming Effekte für Kapitalmärkte

A

Eine sehr große Bedeutung haben Priming-Effekte für die Kapitalmärkte. Denn hier
werden die Marktteilnehmer täglich mit Informationen bombardiert, und die Auswirkungen dieser Informationen hängen in ganz entscheidendem Umfang davon ab, wie die Informationen interpretiert werden.8
In der euphorischen Haussezeit wird eine Nachricht,
dass sich ein Unternehmen an einem anderen beteiligt, meist als positive Nachricht aufgenommen und entsprechend honoriert, denn eine Beteiligung ist ein Indiz für das Streben
nach Expansion, Größe sowie ggfs. nach Marktführerschaft. In einer Baissephase mit entsprechend schlechter Stimmungslage bzw. höherer Grundaktivierung von negativen (börsenbezogenen) Knoten wird dieselbe Information weit schlechter aufgenommen. Sehr
schnell stehen die negativen Aspekte der Beteiligung viel stärker im Vordergrund, z. B. die
möglicherweise zu hohen Kosten, Unsicherheiten in der Umsetzung von Synergien oder
Zweifel an dem Geschäftsmodell des Beteiligungsunternehmens. Dies bedeutet nichts anderes, als dass Priming in einer Hausse die Hausse unterstützt und in einer Baisse die
Baisse. Hieraus resultieren lang gezogene Marktzyklen, die die Börse in der Vergangenheit immer wieder gesehen hat.

20
Q

(Adjustment

A

Menschen tendieren dazu, sich bei Schätzungen oder in der Verwertung von Informationen zunächst an einem ersten Ursprungs- oder Richtwert zu orientieren (Anchoring) und
anschließend diesen Wert (den Anker) unter Berücksichtigung weiterer Informationen
oder mittels einer genaueren Analyse durch eine Verschiebung in Richtung des wahren
Wertes anzupassen (Adjustment). An diesem Vorgehen wäre nichts zu beanstanden, wenn
der Anpassungsprozess jeweils ausreichend durchgeführt würde. Empirische Untersuchungen belegen jedoch, dass der Anpassungsprozess regelmäßig zu knapp ausfällt und
deshalb der Anker ein zu großes Gewicht erhält.

21
Q

Experimet zur Verdeutlichung von Anchoring

A

befragten in
einem Versuch Probanden, wie hoch sie den prozentualen Anteil der afrikanischen Staaten
an den Vereinten Nationen schätzen. Dazu wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt. In einem ersten Schritt wurde für jede Gruppe eine Zufallszahl zwischen 0 und 100 mit Hilfe
eines Glücksrades ermittelt. Für die erste Gruppe ergab sich ein Wert von 10, für die
zweite Gruppe ein Wert von 65. Nun mussten die Versuchspersonen angeben, ob ihre
Schätzung über oder unter der Zufallszahl lag. In einem weiteren Schritt wurden die Teilnehmer des Experiments nach der konkreten Zahl befragt. Hierbei zeigte sich, dass die
vom Glücksrad zufällig ermittelte Zahl eine deutliche Auswirkung auf das Resultat hatte.
In der ersten Gruppe, bei der die Zufallszahl 10 lautete, betrug die durchschnittliche Schätzung des Anteils der afrikanischen Staaten an den Vereinten Nationen 25 %. In der anderen
Gruppe, für die zuvor ein Zufallswert von 65 ermittelt wurde, lagen die mittleren Schätzungen mit 45 % bemerkenswert höher als bei der ersten Gruppe. Offensichtlich hatte die
im ersten Schritt ermittelte Zufallszahl einen Einfuss als Ankerwert auf die Schätzung der
Probanden. Die richtige Zahl liegt im Übrigen genau in der Mitte, d. h. bei 35 %.

Warum es zu diesem Verankerungseffekt kommt, ist leicht nachvollziehbar, wenn man
sich die Funktionsweise des Gedächtnisses wieder als Netzwerk von Kanten und Knoten
vorstellt. Die Prozentzahl, die im ersten Schritt in den einzelnen Gruppen genannt wurde,
ist zwar eine Zufallszahl, aber es ist zu Beginn die einzige Zahl, die überhaupt in Verbindung mit der Fragestellung gebracht wird. Somit wird also eine Kante zwischen dem Knoten für die Zahl 10 bzw. 65 und dem Knoten für die Fragestellung aufgebaut, die den nachfolgenden Informationsverarbeitungsprozess dann logischerweise beeinfusst.

Die Frage, wie stark diese Verankerung ausfällt bzw. wie stark diese verbindende Kante
ausgeprägt ist, hängt hierbei davon ab, wie plausibel der Anker ist. Fragt man beispielsweise – dem obigen Versuchsdesign folgend – Probanden in einem ersten Schritt, ob sie glauben, dass der Kölner Dom höher oder niedriger ist als 1 Meter, und in einem zweiten
Schritt nach ihrer Schätzung der Domhöhe, so wird sich in dem zweiten Schritt keine Verzerrung der Schätzung in Richtung des extrem niedrigen Ankers einstellen. Das Maß von 1 Meter ist schlicht und einfach zu unplausibel, als dass eine Verbindung durch eine
Kante zustande kommt.9
Hieraus folgt im Übrigen auch, dass mit der Unsicherheit des Urteilenden in der jeweiligen Fragestellung auch der Einfuss des Verankerungseffekts wächst. Deshalb funktionierte das Experiment mit der Fragestellung nach dem Anteil der afrikanischen Staaten an der UN auch so gut. Hier waren sich die Probanden sehr unsicher, sowohl 10 % also auch 65 % waren Zahlen, die nicht von vornherein ausgeschlossen werden konnten.
Aus diesem grundlegenden Wirkungszusammenhang des Verankerungseffekts erwachsen eine Reihe von möglichen Urteilsverzerrungen, die im Folgenden skizziert werden.

22
Q

Der Status Quo Bias

A

Der natürlichste Anker, den es gibt, ist jedoch der Status Quo, also die Situation, in der man sich befndet. Wer beispielsweise Aktienkurse prognostiziert, hat als Anker den aktuellen Kurs. Wer Handelsumsätze oder Rentabilitäten eines Unternehmens in der Zukunft einschätzen möchte, hat ebenfalls als Anker die aktuellen Zahlen. Diese Verankerung am Bestehenden führt dazu, dass Prognosen häufg zu eng an diesem Status Quo liegen. Deutlich wird dies insbesondere, wenn Wahrscheinlichkeiten extremer Abweichungen von den aktuellen Gegebenheiten erfragt werden. Empirische Untersuchungen zeigen, dass diese Wahrscheinlichkeiten meist zu gering sind, also die Befragten zu sehr am Status Quo verhaftet sind.10
Diese Neigung des Menschen, am Bestehenden festzuhalten, ist wahrscheinlich die gravierendste Konsequenz aus der Verankerungsheuristik. Allerdings gibt es noch weitere spezielle Konstellationen von Urteilsverzerrungen, die im Folgenden aufgeführt werden.

23
Q

Verankerung bei schneller Hochrechnung

A

Bei einem Experiment mit Studierenden, die in zwei Gruppen eingeteilt wurden, mussten
diese spontan, d. h. innerhalb von fünf Sekunden, das Ergebnis einer Rechenaufgabe
schätzen. Die erste Gruppe musste das Ergebnis der Aufgabe
1× ×234 × ×5 6 ×××7 8 = ?
schätzen, die andere das Resultat der Aufgabe
8××× 7 6 543 × × × ×2 1 = ?.
Die erste Gruppe kam im Durchschnitt auf einen Wert von 512, die zweite Gruppe, die
die absteigende Zahlenreihe erhalten hatte, auf einen wesentlich höheren Wert von 2250.
Die Erklärung dieses Ergebnisses fällt im Lichte der Verankerungsheuristik einfach. So ist
davon auszugehen, dass sich die Studierenden in fünf Sekunden nur an den ersten Zahlen
des Terms orientiert haben. Dabei konnten sie schnell ersehen, dass es sich bei der Rechnung um eine Multiplikationsaufgabe handelte, wobei offenbar nur die ersten Faktoren
tatsächlich miteinander multipliziert und der Rest der Schätzung – aufbauend auf dem
bisherigen Ergebnis – hochgerechnet wurde. Da mit „1 × 2 × 3 × 4 × …“ bei der ersten
Gruppe ein wesentlich niedrigerer Anker gesetzt wurde als mit „8 × 7 × 6 × 5 × …“ , ist es
leicht verständlich, dass die zweite Gruppe zu einem höheren Schätzwert gekommen ist.
Des Weiteren ist an dem Ergebnis noch interessant, dass beide Schätzwerte geringer
ausfallen als das tatsächliche Produkt, welches sich auf 40.320 beläuft. Dies wiederum ist
ein deutliches Indiz für einen zu schwach ausgeprägten Anpassungsprozess, wie er typisch
für die Verankerungsheuristik ist. So reichte selbst in der zweiten Gruppe, die mit einem
hohen Wert für den Anker startete, die Anpassung nicht aus, um dem wahren Wert auch
nur nahe zu kommen.

24
Q

Verankerung in der Wahrscheinlichkeitsschätzung
zusammengesetzter Ereignisse

A

In der Schätzung von Wahrscheinlichkeiten führt die Verankerungsheuristik zu zwei
erwähnenswerten Effekten, wenn zusammengesetzte Ereignisse betrachtet werden.
Der erste Effekt betrifft die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass von mehreren
unwahrscheinlichen Ereignissen mindestens eines eintritt. Gehen Sie z. B. einmal davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres mindestens einen schweren Verkehrsunfall zu erleiden, mit 0,1 % beziffert werden kann. Wie hoch schätzen
Sie die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 50 Jahren (mindestens) einen solchen Unfall zu erleiden? Die meisten Menschen unterschätzen diese Wahrscheinlichkeit, so
liegt der tatsächliche Wert immerhin bei 1 − 0,99950 ≈ 5 %.11 Der Grund für diese
Unterschätzung ist darin zu sehen, dass mit der Wahrscheinlichkeit von 0,1 % zunächst ein Anker gesetzt wird, der nur unzureichend an den richtigen Wert angepasst wird.
Das Pendant zu diesem Effekt betrifft die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit,
dass mehrere sehr wahrscheinliche Ereignisse gemeinsam auftreten. Zur Erläuterung
müssen wir lediglich das obige Beispiel umkehren und anstelle des Ereignisses
„schwerer Verkehrsunfall in einem Jahr“ das Ereignis „ein Jahr ohne schweren Verkehrsunfall“ betrachten. Die Wahrscheinlichkeit beläuft sich für letztgenanntes Ereignis als Negation des ersten logischerweise auf 100 % − 0,1 % = 99,9 %. Schätzt man
nun die Wahrscheinlichkeit, dass man 50 Jahre ohne schweren Verkehrsunfall auskommt, dann ist genau die Situation angesprochen, dass mehrere sehr wahrscheinliche Ereignisse gemeinsam auftreten. Analog zu obiger Berechnung ergibt sich für die
Wahrscheinlichkeit dieser Situation ein Wert von ungefähr 100 % − 5 % = 95 %. Diesen Wert überschätzen jedoch die meisten Individuen, was nur allzu verständlich ist,
berücksichtigt man, dass sie in der obigen Komplementärsituation die korrekten 5 %
eher unterschätzen. Inhaltlich sind die beiden Effekte somit kongruent. Im ersten Fall
wird ein niedriger Anker (0,1 %) gesetzt, der nicht ausreichend nach oben korrigiert
wird; im zweiten Fall ist der Anker hoch (99,9 %), wobei dieser nicht ausreichend
nach unten angeglichen wird.
Ein psychologisches Experiment bestätigt diesen Effekt noch einmal auf sehr anschauliche Weise.12 Betrachten Sie hierzu die drei unten angegebenen Wetten mit jeweils unterschiedlichen Gewinnwahrscheinlichkeiten:

Wette 1: Ziehung einer roten Murmel aus einer Urne, die je zur Hälfte mit roten und
weißen Murmeln gefüllt ist.
Wette 2: Sieben hintereinander folgende Ziehungen von roten Murmeln, wobei
nach jeder Ziehung die Murmel wieder in die Urne zurückgelegt werden muss.
Das Verhältnis der roten zu den weißen Murmeln beträgt 9:1.
Wette 3: Ziehung von mindestens einer roten Murmel in sieben Versuchen aus einer
Mischung von 10 % roten und 90 % weißen Murmeln. Nach jeder Ziehung ist die
Murmel wieder in die Urne zurückzulegen.
Rechnet man zunächst die korrekten Wahrscheinlichkeiten aus, so ergibt sich für die
Wette 1 eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 50 %, für die Wette 2 von 0,97
= 48 % und für
die Wette 3 von 1 – 0,97
= 52 %. Ein rationaler Entscheider müsste somit die Wette 3 gegenüber Wette 1 und die Wette 1 gegenüber Wette 2 präferieren.
Tatsächlich entscheiden sich die meisten der Befragten genau umgekehrt. Sie ziehen
zum einen die Wette 2 gegenüber der Wette 1 vor, gleichfalls präferieren sie Wette 1 gegenüber Wette 3. Die Erklärung liegt auf der Hand: Bei der Wette 2 handelt es sich um eine
Situation, in der mehrere wahrscheinliche Ereignisse gemeinsam auftreten, sodass es zu
einer Überschätzung der Gewinnwahrscheinlichkeit kommt. In der Wette 3 hingegen wird
die Wahrscheinlichkeit unterschätzt, weil der Fall betrachtet wird, dass von mehreren unwahrscheinlichen Ereignissen mindestens eines eintritt.

25
Q

Das Preference-Reversal-Phänomen

A

Ebenfalls mit der Verankerungsheuristik ist das sogenannte Preference-Reversal-Phänomen zu erklären. Hierzu betrachte man die folgenden beiden Lotterien:
c Lotterie A: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 % erhält man einen Gewinn
von 1700 €
Lotterie B: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 97 % erhält man einen Gewinn
von 450 €.
In einer empirischen Studie wurden diese Lotterien Spielern in Spielkasinos von Las
Vegas vorgestellt und unterschiedliche Befragungen durchgeführt.13 Fragten die Forscher danach, welche Lotterie die Versuchspersonen in einem direkten Vergleich vorziehen würden, antworteten die meisten Versuchspersonen mit Lotterie B. Die Forscher
erfragten zusätzlich für jede Lotterie das sogenannte Sicherheitsäquivalent, also den sicheren Betrag, den ein Versuchsteilnehmer gleichwertig zu einer Lotterie ansieht.
Hierbei zeigte sich, dass die meisten Versuchspersonen der Lotterie A ein höheres Sicherheitsäquivalent (z. B. 450 €) zuwiesen als der Lotterie B (z. B. 430 €). Die Inkonsistenz dieser Bewertung erkennt man, wenn man die Bewertung noch einmal zusammenfasst: 430 € sind genauso gut wie Lotterie B, Lotterie B ist besser als Lotterie A
und Lotterie A ist genauso gut wie 450 €. Unterstellt man Transitivität in der Bewertung, müssten auch 430 € gegenüber 450 € präferiert werden. Weil Letzteres offensichtlich nicht gilt, verletzten die Versuchsteilnehmer eine grundlegende Rationalitätsbedingung.

26
Q

Compatibility-Effekt

A

Diese Irrationalität lässt sich nicht ohne den Compatibility-Effekt erklären.14 Durch die
unterschiedliche Fragetechnik wird die Aufmerksamkeit der Befragten jeweils auf unterschiedliche Skalen gelenkt. Diese zunächst vorgenommene Fokussierung auf eine mit der
Frage kompatible Skala führt bei der Abfrage nach Sicherheitsäquivalenten dazu, dass sich
die Individuen zunächst die unterschiedlichen Geldbeträge der Lotterien ansehen. Hierdurch entsteht eine Verankerung, d. h. ein großer Vorteil für die Lotterie A. Da der anschließende Anpassungsprozess über die geringere Wahrscheinlichkeit von A gemäß der
Verankerungsheuristik zu gering ausfällt, bleibt es bei der Präferenz für A. Im direkten
Vergleich schauen Individuen jedoch zunächst darauf, mit welcher Lotterie sie eher etwas
gewinnen können, d. h. auf die Wahrscheinlichkeit. Der hierdurch initiierte Verankerungsprozess führt in gleicher Argumentation zu einer Präferenz für B.

27
Q

Repräsentativitätsheuristik

A

Somit beschreibt der Begriff Repräsentativitätsheuristik im Grunde genommen die
Neigung des Menschen, zu schnell in ein Schema-Denken zu verfallen

28
Q

Repräsentativität Beipsiel

A

Ganz allgemein gesprochen drückt Repräsentativität eine bestimmte Beziehung eines
Objektes zu einer Objektklasse aus. So ist ein Objekt repräsentativ für die Objektklasse,
falls eine hohe Ähnlichkeit dieses Objektes zu typischen oder vielen Vertretern der Objektklasse wahrgenommen wird.15 Betrachten wir beispielsweise eine Folge von 6 Würfen mit
einem Spielwürfel, z. B. 245364. Diese Folge ist repräsentativ für eine Würfelfolge, da sie

sehr ähnlich zu vielen anderen möglichen Würfelfolgen aussieht. Oder sehen Sie einen
großen Unterschied zur Folge 245164 oder 243564? Man muss schon sehr genau vergleichen, ob und wie sich diese Folgen unterscheiden. Anders verhält es sich mit der Folge
666666, denn man erkennt sehr leicht, wenn man diese Folge modifziert, z. B. in 666566.
Die Folge 666666 ist demnach nicht repräsentativ für die Menge aller möglichen Würfelfolgen.
Mit der Defnition des Begriffs Schema als Aussage über eine Gesamtheit von Objekten
(Objektklasse) lässt sich Repräsentativität noch etwas einfacher beschreiben. Eine hohe
Repräsentativität ist dann gegeben, wenn eine Beobachtung gut „in ein Schema passt“,
eine niedrige Repräsentativität entsprechend, wenn kein passendes Schema gefunden bzw.
aktiviert werden kann. Bezogen auf die Würfelfolgen wäre ein passendes Schema beispielsweise: „Eine zufällige Würfelfolge enthält mehrere Zahlen zwischen 1 und 6, und
zwar durcheinander“. Die Würfelfolge 245364 passt in dieses Schema, die Würfelfolge
666666 nicht.

29
Q

Überschätzen der Wahrscheinlichkeit von
repräsentativen Ereignissen

A

Eine wesentliche Erkenntnis zur Repräsentativitätsheuristik ist es, dass Menschen die
Wahrscheinlichkeit von repräsentativen Ereignissen meist überschätzen. Nehmen wir das
Würfelbeispiel: Wenn Sie einige Bekannte befragen, welche der beiden Würfelfolgen
245364 oder 666666 diese für wahrscheinlicher halten, was werden Sie zu hören bekommen? Sicherlich werden Sie von manch schlauen Köpfen unmittelbar die richtige Antwort
hören, und zwar dass selbstverständlich beide Folgen gleichwahrscheinlich sind mit einer
Wahrscheinlichkeit von 1/6 × 1/6 × 1/6 × 1/6 × 1/6 × 1/6. Nicht wenige werden aber auch
dabei sein, die der ersten Würfelfolge eine höhere Wahrscheinlichkeit beimessen. Schließlich handelt es sich hierbei um eine offenbar sehr typische (repräsentative) Abfolge. Keiner wird Ihnen jedoch sagen, dass die Folge 666666 wahrscheinlicher ist. In diesem Beispiel führt also die Repräsentativität zu einer systematischen Verzerrung.
Dieser beschriebene Effekt hat weitere Konsequenzen. Stellen Sie sich bei einem Besuch im Spielkasino vor, dass in den letzten 10 Ausspielungen am Roulette-Tisch die
Farbe Schwarz ausgespielt wurde. Viele Spieler neigen dann dazu, in dieser Situation auf
Rot zu setzen.17 Warum? Sie vergleichen die beiden Folgen „11-mal Schwarz“ vs. „10-mal
Schwarz und einmal Rot“ und stellen in diesem Vergleich fest, dass die zweite Folge als

30
Q

Gamblers Fallacy

A

Unter der Prämisse, dass es im Kasino mit rechten Dingen zugeht, sagt die Wahrscheinlichkeitsrechnung jedoch ganz eindeutig, dass in der nächsten Ausspielung (bzw. auch in
allen weiteren) die Farben Schwarz und Rot immer gleichwahrscheinlich sind. Die höhere
Repräsentativität der zweiten Abfolge sorgt also für eine Verzerrung in der Wahrscheinlichkeitsschätzung, die auch als Gamblers Fallacy bezeichnet wird.

31
Q

Conjunction Fallacy

A

Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Conjunction Fallacy, die den Menschen dazu
bringt, grundlegende Wahrscheinlichkeitsaxiome zu verletzen. So ist aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung bekannt, dass die gemeinsame Wahrscheinlichkeit zweier Ereignisse
nie größer sein kann als die Wahrscheinlichkeit jedes einzelnen Ereignisses. Falls die
Wahrscheinlichkeit für Regen am nächsten Tag mit 40 % und für den angekündigten Besuch der Schwiegermutter mit 80 % anzusetzen ist, kann das Ereignis „Schwiegermutter
kommt im Regen“ nie eine höhere Wahrscheinlichkeit als 40 % besitzen. Dies ist unmittelbar einleuchtend. Umso mehr verwundert es, dass viele Menschen diesen grundlegenden Zusammenhang schlicht und einfach übersehen. Sie tun dies, wenn das gemeinsame
Ereignis eine höhere Repräsentativität besitzt als eines der Einzelereignisse, wie es das
folgende Beispiel veranschaulicht

32
Q

Linda Experiment

A

Linda ist 31 Jahre alt, sehr intelligent, und nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie hat
Philosophie studiert. Als Studentin hat sie sich intensiv mit Fragen sozialer Gerechtigkeit und Diskriminierung auseinandergesetzt. Außerdem hat sie an AntiKernkraft-Demonstrationen teilgenommen.

Danach wurden die Versuchspersonen nach Wahrscheinlichkeiten für weitere Eigenschaften befragt. So wurden unter anderem die beiden Aussagen

  1. Linda ist Bankangestellte.
  2. Linda ist Bankangestellte und aktiv in der Frauenbewegung

präsentiert, wobei die Mehrheit der Versuchspersonen (ca. 90 %) die zweite Aussage
für wahrscheinlicher hielt. Hierbei ist der Repräsentativitätsheuristik folgend davon auszugehen, dass den Personen bei der zweiten Aussage schnell ein Schema der Art: „Wer
Philosophie studiert und sich mit sozialen Fragen und Diskriminierung beschäftigt, kann
auch durchaus in einer Frauenbewegung aktiv sein“ einfel, sodass diese zweite Aussage
über Linda als repräsentativer wahrgenommen wurde als die erste.
Allgemein neigen also Menschen dazu, die Repräsentativität von Ereignissen als wichtige Maßgröße für die Wahrscheinlichkeit anzusehen. Sie erachten repräsentative Ereignisse für wahrscheinlich und setzen sich in unverzeihlicher Weise durch ein schematisches
Denken über weitere Rahmenbedingungen, wie z. B. Wahrscheinlichkeitsaxiome, hinweg.
Zu Beginn dieses Abschnitts zur Repräsentativitätsheuristik wurde davon gesprochen,
dass Menschen zu schnell etwas für wahr halten, wenn es plausibel ist. Genau dies ist
hiermit gemeint. Plausibilität ist einer der größten Feinde der Wahrheit.

33
Q

Conditional Probability Fallacy

A

die Neigung des Menschen, bei
bedingten, hohen Wahrscheinlichkeiten durchaus schon einmal Bedingung und Ereignis
zu vertauschen.

34
Q

Beispiel für Conditional Probability Fallacy

A

Nach einer Zeitungsmeldung hat ein US-amerikanischer Arzt 90 Frauen aus einer
„Hochrisikogruppe“ vorsorglich die Brust amputiert, da 93 % der Brustkrebsfälle
aus der Hochrisikogruppe stammen. Hierbei ist er offensichtlich davon ausgegangen,
dass mit der Zugehörigkeit zur Hochrisikogruppe eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Brustkrebs ausbricht.:

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung zeigt uns jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Unter
der Annahme, dass die Häufgkeit für Brustkrebs in der Gesamtpopulation der amerikanischen Frauen bei p(Bk) = 7,5 % (A-priori-Wahrscheinlichkeit) liegt und der Anteil der
Hochrisikogruppe an der bezeichneten Population p(Hr) = 57 % beträgt, gilt nach dem
Bayes-Theorem20::

p Bk Hr p Bk p Hr Bk
p Hr |
| ( ) = ( )⋅ ( )
( ) = ⋅ = 0 075 0 933
0 57
12 3 , ,
, , %
Das bedeutet, dass Patientinnen aus der Hochrisikogruppe nur ein Risiko von 12,3 % haben, um an Brustkrebs zu erkranken. Dieses Risiko ist wohl eher zu gering, um vorsorglich
zu amputieren.
Die Erklärung dieser Falle wird verständlich, wenn man das für den Arzt verfügbare
Schema „Wer Brustkrebs hat, ist typischerweise in der Hochrisikogruppe“ berücksichtigt.
Jede Patientin aus der Hochrisikogruppe „passt“ natürlich in dieses Schema, das Schema
wird also schnell aktiviert und gemäß der Heuristik eine hohe Wahrscheinlichkeit für
Brustkrebs hergeleitet. Dass durch dieses enge Denken in Schemata bzw. Ähnlichkeiten
(als das der Repräsentativitätsheuristik zugrunde liegende Konzept) Bedingung und Ereignis vertauscht werden, fällt in gleicher Weise unter den Tisch, wie in der Gamblers Fallacy
und in der Conjunction Fallacy die betrachteten Basiswahrscheinlichkeiten.

35
Q

Scheinkorrelation

A

noch eine Variante der Repräsentativitätsheuristik, in der die Verzerrung insofern noch gravierender wird, als dass
Menschen aufgrund des Denkens in Schemata sogar dazu neigen, Zusammenhänge wahrzunehmen, die als solche gar nicht vorhanden sind. Beschränkt man sich zunächst auf die
Wahrnehmung von empirischen Abhängigkeiten, so kann in diesem Zusammenhang auch
von Scheinkorrelationen gesprochen werden

36
Q

Beispiel für Scheinkorrelationen

A

Zur Erläuterung zunächst ein Beispiel: In der Einschätzung des HIV-Risikos für lesbische Frauen tendieren viele Leute dazu, von einem vergleichsweise hohen Risiko auszugehen.21 Tatsächlich liegt die HIV-Infektionsrate bei lesbischen Frauen jedoch niedriger
als bei männlichen Homosexuellen, sie ist sogar niedriger als bei allen männlichen und
weiblichen Heterosexuellen. Eine Begründung für diese Fehleinschätzung kann im Rahmen der Repräsentativitätsheuristik wie folgt gegeben werden: Menschen haben zwei
Schemata im Kopf: „Homosexuelle besitzen ein hohes HIV-Infektionsrisiko“ und „Lesbische Frauen sind Homosexuelle“. Beide Schemata sind für sich gesehen objektiv richtig,
die Schlussfolgerung, bei lesbischen Frauen von einem hohen Infektionsrisiko auszugehen, ist jedoch nicht möglich.

37
Q

Überschätzung von Kausalbeziehungen

A

Menschen neigen dazu, beobachtete empirische Zusammenhänge insbesondere dann vorschnell als kausale Zusammenhänge zu interpretieren, wenn diese Zusammenhänge gut in
ein Schema passen. Narrow Thinking zeigt sich hierbei in dem Punkt, dass es für den
Menschen schlichtweg einfacher ist, einen gut passenden Zusammenhang als konsistente
Geschichte zu akzeptieren, als Ressourcen aufzuwenden, um sich Alternativhypothesen
über die Gründe für den betrachteten Zusammenhang zu machen

38
Q

Beispiel der Überschätzung von Kausalbeziehungen

A

Man stelle sich hierzu zwei Analysten vor, die täglich eine kurzfristige Prognose
über die Entwicklung des Dollarkurses abgeben. Diese beiden Analysten wurden
von einem Kunden nur zwei Tage beobachtet, in diesen beiden Tagen machte der
Analyst 1 immer (d. h. zwei) richtige Prognosen, der Analyst 2 lag zweimal falsch.
Bei der nun anstehenden Prognose schenkt der Kunde dem Analysten 1 erheblich
mehr Glauben, aber warum?

Die richtigen bzw. falschen Prognosen führen schnell zur Etablierung von Schemata:
„Analyst 1 bringt (typischerweise) richtige Prognosen“ und „Analyst 2 bringt (typischerweise) falsche Prognosen“. Als Folge der Repräsentativitätsheuristik wird der Kunde dem
Analysten 1 somit eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit für die nächste Prognose
beimessen. Das heißt, der Kunde geht davon aus, dass das in der Vergangenheit gebildete
Schema in die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Dies wiederum ist letztlich nichts
anderes als die Unterstellung, dass der Analyst 1 besser ist als der Analyst 2. Es ist somit
aus einem empirischen Zusammenhang ein kausaler abgeleitet worden.
In diesem Beispiel lässt sich nicht bestreiten, dass der Analyst 1 möglicherweise wirklich besser ist als der Analyst 2. So zeigt sich ja schließlich die Qualität eines Analysten
insbesondere darin, dass seine Prognosen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eintreffen,
und zweimal hatte er ja schon Recht. Tatsächlich kann aber auch Analyst 2 der bessere sein
und lediglich Pech gehabt haben, während der Analyst 1 zwei Zufallstreffer gelandet hat.
3.4 Repräsentativitätsheuristiken
68
Man muss sich in diesem Zusammenhang bewusst machen, dass in dieser Situation zwei
Beobachtungen kaum etwas aussagen. Zum einen ist den Worten von André Kostolany
folgend ein Analyst schon wirklich sehr gut, wenn er in 51 % seiner Prognosen richtigliegt. Hieraus müssen wir folgern, dass Prognosen viel mit Glück zu tun haben. Zum
anderen gilt, dass bei einer ausreichend großen Zahl von Analysten allein nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung einige dabei sein werden, die auch über einen längeren Zeitraum immer Recht hatten. Um diese letzte Aussage besser zu verstehen, noch ein
Beispiel:
c Stellen Sie sich bitte eine Menge von tausend Kindern in einem sehr großen Kindergarten vor, die täglich mit einem Münzwurf die Entwicklung des Dax für den nächsten Tag prognostizieren. Kommt „Kopf“, steigt der Dax, erscheint „Zahl“, so wird er
fallen. Nun gibt es die Regel, dass ein Kind, das einmal falsch lag, nicht mehr mitmachen darf. Das heißt, an jedem Tag werden der Wahrscheinlichkeitsrechnung folgend ca. die Hälfte der Kinder falsch liegen und ausfallen. Nach einiger Zeit wird
noch ein Kind übrig bleiben, das immer richtiglag. Was glauben Sie: Würde eine
Fondsgesellschaft dieses „Wunderkind“ einstellen?
Die Antwort dürfte leichtfallen: sicherlich nicht! Denn in diesem Fall ist es offensichtlich und bedarf keiner ressourcenschluckenden Überlegung, dass es nicht die Fähigkeiten
des Kindes sein können, die den großen Erfolg des Siegerkindes erklären.

39
Q

Mental Accounting

A

Wenn Menschen Projekte durchführen, neigen sie zur Schonung von Informationsverarbeitungskapazitäten dazu, sich in ihrem mentalen Modell der Entscheidungssituation nur
auf die Auswirkungen dieses Projektes zu konzentrieren und Wechselwirkungen mit anderen Projekten weitestgehend zu vernachlässigen. Die Auswirkungen des Projektes werden
isoliert in einem eigenen mentalen Konto verbucht.

40
Q

Beispiel für Mental Accounting

A

Situation A: Sie haben eine Eintrittskarte für ein Konzert zum Preis von 100 € erworben. Vor dem Konzerthaus angekommen, bemerken Sie, dass Sie Ihre Karte
3 Narrow Thinking und Heuristiken
69
verloren haben. An der Abendkasse gibt es noch gleichwertige Karten. Kaufen
Sie eine neue Karte?
Situation B: Sie haben sich an der Abendkasse eine Eintrittskarte für 100 € reservieren lassen. Dort angekommen, stellen Sie fest, dass Sie 100 € aus Ihrem Portemonnaie verloren haben. Kaufen Sie die Karte, wenn Sie noch genügend Geld
dabeihaben?

Rein ökonomisch betrachtet sind beide Fälle identisch. In beiden Situationen stellen
Sie an der Abendkasse einen Verlust in Höhe von 100 € fest und es muss entschieden
werden, ob Sie erneut einen Betrag von 100 € aufwenden, um das Konzert zu hören.
Empirische Untersuchungen belegen, dass die Mehrheit der Befragten im ersten Fall
von einem Konzertbesuch absieht, im zweiten Fall jedoch die reservierten Konzertkarten einlöst.22
Diese Verhaltensinkonsistenz lässt sich leicht erklären: Die Entscheider führen in beiden Situationen mentale Konten, nämlich ein „Konzertkonto“ und ein „sonstiges Geldkonto“. Durch den Besuch des Konzertes erhält man einen positiven Wert durch Freude,
Unterhaltung, Kunstgenuss etc., der auf dem Konzertkonto (während des Konzerts) verbucht wird. Diesem Wert steht der Preis der Konzertkarte entgegen. In der ersten Situation
ist dieser Preis schon auf dem Konzertkonto verbucht, wenn man an der Abendkasse steht.
Der Kauf einer zweiten Karte würde dieses Konto weiter belasten, sodass dem Konzertbesuch ein Preis von 200 € gegenübersteht. Manch einem mag dies zu viel für ein Konzert
erscheinen, sodass die Kaufzurückhaltung bei den Befragten erklärt ist. In der zweiten
Situation wurde der Verlust der 100 € auf einem anderen Konto, dem Geldkonto, verbucht.
Diese Verringerung des Kontostands mag zwar ärgerlich sein, beeinfusst aber nicht das
kontenspezifsche Denken im Konzertkonto. Warum sollte man in der zweiten Situation
also nicht in das Konzert gehen?
Man erkennt an diesem Beispiel, dass durch das separate Führen zweier Konten ohne
Berücksichtigung von Abhängigkeiten das Entscheidungsverhalten in einer ökonomisch
eindeutigen Situation beeinfussbar wird.
Durch Mental Accounting werden Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Konten
nicht berücksichtigt. Bei Engagements in Wertpapieren kann dies unter anderem zu dem
Effekt führen, dass Risiken falsch bewertet werden. Dieser Zusammenhang soll an einem
kleinen Beispiel verdeutlicht werden

41
Q

Overconfidence

A

Unter Overconfdence wird
die Neigung von Menschen verstanden, bestimmte eigene Fähigkeiten systematisch zu
überschätzen.
Die psychologischen Gründe für eine Overconfdence liegen allerdings nur zum Teil im
kognitiven Bereich des Narrow Thinking. Ebenso ist das Kontrollmotiv des Menschen, auf
das im nächsten Kapitel näher eingegangen wird, gleichfalls verantwortlich dafür, dass es
zu dieser Überschätzung kommt.

42
Q

Drei Varianten von Overconfidence

A

Overestimation beschreibt die Überschätzung der eigenen Fähigkeit, Leistung oder
Kontrolle. Wenn ein Student beispielsweise meint, er würde in der Klausur zur Entscheidungslehre sicherlich mindestens eine 2 erreichen, dies aber nicht schafft, liegt eine Overestimation vor.

  • Overplacement betrifft die Überschätzung im Vergleich zu anderen, man spricht deshalb auch vom „better than average“-Effekt. Wenn der Studierende beispielsweise der Meinung ist, dass er sicherlich unter den besten 10 % in der Klausur ist, dies aber nicht
    erreicht, liegt ein Overplacement vor.
  • Overprecision (oder Miscalibration) bezieht sich auf die Angabe von Konfdenzintervallen bei einer numerischen Schätzung. Eine Studentin könnte beispielsweise sagen, dass sie zu 90 % sicher sei, eine Note zwischen 2 und 3 zu erzielen. Overprecision liegt
    dann vor, wenn das Konfdenzintervall zu eng oder die Wahrscheinlichkeit zu hoch
    angegeben wird.
43
Q

“What You See Is All There Is“

A

WYSIATI steht für die Erkenntnis, dass
sich die Urteile von Menschen aus einem im Kopf gezeichneten, subjektiven Bild ableiten,
wobei nicht berücksichtigt wird, dass dieses mentale Abbild der Entscheidungssituation
nur ein kleiner Ausschnitt der Realität ist und dass zugleich die umfassten Bildbestandteile
möglicherweise nicht fundiert abgesichert sind. Vielmehr zählen nur der Gesamteindruck
und die Konsistenz des Bildes. Man kann also eine gewisse Parallele zum Narrative Bias
erkennen, bei dem ebenfalls aus der Konsistenz einer Geschichte eine Überbewertung
abgeleitet wird.
WYSIATI führt dann zur Overconfdence, wenn sich die Menschen zu sehr auf die
Argumente und Belege fokussieren, die das gewünschte Erfolgsszenario unterstützen.
Dann entsteht ein konsistentes Bild des Erfolgs, welches aber eben nur ein Ausschnitt einer umfassenden Einschätzung ist.

44
Q

Over-/Underestimation und Over-/Underplacement

A

Betrachtet der Entscheider eine einfache Aufgabe, so wird er diese Aufgabe grundsätzlich gut lösen können, d. h., sein Ergebnis wird recht gut sein. Im Zuge der Regressivität
wählt er aber eine Einschätzung, die etwas näher an einem durchschnittlichen Wert liegt.
Die Folge ist Underestimation. Bei einer schwierigen Aufgabe ergibt sich der gegenteilige
Effekt. Die Grundannahme hierbei ist, dass bei einer schwierigen Aufgabe eher mit einem
schlechten Ergebnis zu rechnen ist und die Regressivität somit eine Verschiebung nach
oben bewirkt. Die Folge ist Overestimation

45
Q

Overprecision

A

Overprecision lässt sich vergleichsweise einfach durch WYSIATI erklären. Die anfangs
genannte Studentin mit ihrer 90-prozentigen Einschätzung, eine Note zwischen 2 und 3 zu
erhalten, hat nämlich ein Bild im Kopf, welches genau die diesbezüglichen Argumente für
eine wahrscheinliche Note zwischen 2 und 3 liefert. Eine Aufgabe hatte sie zwar aus Zeitgründen nicht mehr geschafft, bei den anderen Aufgaben denkt sie aber, die richtigen
Antworten gegeben zu haben. Die vielen kleinen Stolpersteine, die von den Klausurstellern eingebaut wurden, sind ihr aufgrund von WYSIATI aber nicht bewusst. Insofern sorgt
WYSIATI dafür, dass sie es zu wenig in Erwägung zieht, dass die vermeintlich richtigen
Antworten doch nicht so ganz richtig sind. Insofern fällt die von ihr angegebene Wahrscheinlichkeit zu hoch aus.
Um Overprecision in Studien nachzuweisen, muss gezeigt werden, dass die angegebene Wahrscheinlichkeit zu hoch bzw. das Intervall zu gering gewählt wurde. Aber wie ist
das möglich? Zur Erläuterung wollen wir an dieser Stelle einfach mal ein entsprechendes
Experiment nachspielen:
c Überlegen Sie doch einmal, auf wie viel Kilometer Sie die Länge des Flusses Colorado schätzen. Hierbei genügt es, ein Intervall anzugeben, zum Beispiel könnten Sie
sagen: „Ich schätze, dass die Länge zwischen 4000 km und 5000 km beträgt.“ Nun
würden Sie befragt, wie sicher Sie sich ihrer Antwort sind. Nehmen wir an, Sie würden sagen: „Zu 90 % bin ich mir sicher“.
Woran lässt sich jetzt feststellen, ob Sie diese Zahl 90 % richtig angesetzt haben, oder
möglicherweise zu niedrig oder zu hoch? Dies ist zunächst schwer zu sagen, denn Wahrscheinlichkeiten lassen sich grundsätzlich schwierig bestätigen. Wer beispielsweise die
Wahrscheinlichkeit für die Würfelfolge 111111 (korrekterweise) auf ca. 0,002 % schätzt,
wird nicht deshalb Unrecht haben, wenn die nächste Würfelfolge, die er wirft, genau diese
Konstellation zeigt. In diesem Fall ist lediglich ein sehr unwahrscheinliches Ereignis eingetreten. Wahrscheinlichkeiten lassen sich deshalb nur dann überprüfen, wenn sehr viele
Ereignisse überprüft und dann Häufgkeiten verglichen werden.
Genauso lassen sich auch Aussagen der obigen Form überprüfen. Man benötigt lediglich eine große Anzahl von Versuchspersonen und muss jeweils überprüfen, ob von allen
Befragten, die sich ihrer Aussage beispielsweise zu 90 % sicher waren, auch tatsächlich
90 % dieser Befragten Recht hatten. Ist dies der Fall, haben sich die Versuchspersonen im
Durchschnitt richtig eingeschätzt, liegt die Zahl darunter (darüber), haben sich die Versuchspersonen überschätzt (unterschätzt).
Die Forscher Lichtenstein et al. (1982) sowie Griffn und Tversky (1992) haben entsprechende Untersuchungen durchgeführt und festgestellt, dass sich bei Fragen, die ähnlich schwer wie die obige Colorado-Frage sind, eine systematische Overprecision einstellt. Die Ergebnisse der beiden Untersuchungen zeigt die folgende Abbildung (Abb. 3.5).