Müller Zeitdiagnosen Flashcards
Einleitung
Hans-Peter Müller beschreibt soziologische Zeitdiagnosen als den Versuch, Grundzüge einer Epoche, einer Gesellschaft, einer Kultur oder eines Charakters hervorzuheben und dadurch diese zu verstehen. Im Zuge des Entwurfs einer Zeitdiagnose werden üblicherweise diese charakterisierenden Begriffe entwickelt, um vorherrschende Prinzipien hervorzuheben.
Konstitutive Funktion
Soziologische Zeitdiagnosen tragen zur gesellschaftlichen Orientierung bei, indem sie „begriffliche Klassifikationen zur Selbstbeschreibung von Gesellschaften“ bereitstellen. Indem sie auf Fragen wie „Wann, wie, wo lebst du?“ antworten, können sie die der gesellschaftlichen Erfahrungen anleiten und leisten.
Kognitive Funktion
Die kognitive Funktion besteht darin, den Begriffen der konstitutiven Funktion einen theoretischen
Rahmen zu geben. So sollen soziologische Zeitdiagnosen Theorien der Gesellschaft entwickeln, die sich historisch-empirisch analysieren lassen und damit auf empirischer Evidenz, und nicht rein ideologischer Überzeugung, basieren.
Expressive Funktion
Die expressive Funktion soziologischer Zeitdiagnosen ergibt sich, wenn Zeitdiagnosen den „Zeitgeist“ mit wenigen Begriffen ausdrücken und auf den Punkt bringen.
Evaluative Funktion
Gemäß der evaluativen Funktion wirken soziologische Zeitdiagnosen nicht nur beschreibend, sondern auch normativ. Dies geschieht, indem mit ihrer Hilfe Epochen, Gesellschaften, Kulturen oder Charaktere anhand bestimmter Ideale gemessen werden (von denen sie oft abweichen). Die soziologische Zeitdiagnose verweist damit auf „die Notwendigkeit der Kurskorrektur“. Aus diesen jeweiligen beschreibenden und evaluativen Aufgaben ergeben sich auch nach Müller drei Arten von Problemen:
Problem der Adäquanz
Das Problem stellt sich durch die Frage, ob die zur Beschreibung einer Epoche, Kultur oder Gesellschaft genutzten Begriffe angemessen sind, „um den Gegenstand voll und ganz zu erfassen“. Begriffe können überdehnt werden, indem zu viele Phänomene darunter zusammengefasst werden, oder in die andere Richtung auch unterbestimmt werden.
Problem des modischen Zeitgeistes und der Ideologie
Das Problem äußert sich in mangelnder Sorgfalt in der Analyse und Theoriebildung. Laut Müller passiert das vor allem aus zwei Gründen: Entweder wird von dürftigen empirischen Studien übergeneralisiert zur Diagnose von aufgrund der Evidenz nicht zu rechtfertigenden Trends. Dem entgegengesetzt finden sich Diagnosen, die vor allem auf „ausufernder Theoriebildung“ und nicht ausreichender historisch-empirischer Analyse beruhen. An diesen überstrapazierten Theoriegebäude wird dann oft aus ideologischen Gründen festgehalten.
Problem des Normativen
Aus der evaluativen Funktion soziologischer Zeitdiagnosen ergibt sich dieses Problem. Da solche Diagnosen nicht nur eine Kritik enthalten, sondern oft auch normative Alternativen vorschlagen, würden die Grenzen zwischen Soziologie und Sozialphilosophie verschwimmen. Die Debatte, ob und inwiefern es für Soziologen zulässig ist, jenseits rein deskriptiven „Wirklichkeitsurteilen“ auch moralische „Werturteile“ abzugeben, hat laut Müller in der Soziologie eine lange Tradition.
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