Integrative Wirtschaftsethik Flashcards
Was ist Sachzwangargumentation?
Es wäre sinnvoll, gerecht, moralisch richtig etc. X zu tun, aber wir sind gezwungen den
Markt-, Wettbewerbs-, Standort- und Kostenargumenten zu folgen.
Anerkennung des Reflexionsstopps vor dem normativen Gehalt ökonomischer
Argumente.
Hier beim Sachzwangargument:
1. Der gedachte Vorrang von Markt-, Wettbewerbs-, Standort- und
Kostenargumenten impliziert Werturteile (normativer Gehalt!):
nämlich, dass Effizienz und Wohlstand für bestimmte Gruppen, niedrige Preise etc.
wichtiger sind als alles andere.
2. Zwang suggeriert Alternativlosigkeit => keine Handlungsfreiheit – und das in einer
Demokratie und Marktwirtschaft?
3. Ob die Entscheidungen zu höherer Wohlfahrt führen, wird behauptet, kann aber
empirisch nicht bewiesen werden.
=> marktmetaphysische Gemeinwohlfiktion.
Wir als Gesellschaft sollten uns fragen, was wir wirklich wollen, uns klar machen, welche
Werte uns wichtiger sind als andere und demokratisch entscheiden.
Normativer Gehalt häufig z.B.: Wettbewerbsfähigkeit, hohe Gewinne und niedrige Preise sind
wichtiger als Schädigung der Allgemeinheit und nachhaltige Ökosysteme.
Woher kommt die Akzeptanz dieses Sachzwangdenkens?
Aus Ideen des Altliberalismus: Die Marktwirtschaft ist eine natürliche Wirtschaftsordnung,
die sich von alleine aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit zu der jetzigen Form entwickelt hat
=> Da sie sich durchgesetzt hat, muss sie auch gut sein.
Kritik:
• Sein-Sollen-Fehlschluss
• Die Marktwirtschaft ist eine politisch und institutionell errichtete
Wirtschaftsordnung, daher nicht natürlich.
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Der Staat garantiert mit Institutionen und Gesetzen einen geordneten Markt:
• offene Märkte und Wettbewerb (u.a. Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur)
• Sicherung der Eigentumsrechte
• Vertrags- und Haftungsrecht
• internationale Freihandelsabkommen und -gesetze (u. a. WTO)
Integrative Wirtschaftsethik (IW)
Integrative Wirtschaftsethik im Sinne einer Integration von Ethik und Ökonomik,
- weder: Ethik als Korrektiv für zu viel ökonomische Rationalität.
- noch: Anwendung der ökonomischen Methodik auf die Ethik.
=> Überwindung der Zwei-Welten (Ethik, Ökonomik)-Konzeption.
Begründung des republikanischen Liberalismus
Alternative zum Altliberalismus: Ordoliberalismus (A. Rüstow, W. Röpke)
=> greift Integrative Wirtschaftsethik auf und fordert:
Primat der politischen Ethik vor der ökonomischen Logik des Marktes.
Einbettung des marktwirtschaftlichen Systems in eine höhere Gesamtordnung, die nicht
auf Angebot und Nachfrage, Preisen und Wettbewerb beruht, sondern sich an ethischen
Gesichtspunkten der Lebensdienlichkeit orientiert.
Aufgabe der politischen Institutionen:
1. Gewährung subjektiver Bürger- und Wirtschaftsbürgerrechte
2. Rechnungsnormen (Internalisierung aller externer Effekte, Preiskorrekturen)
3. Randnormen (Setzung humanitärer, soziale und ökologischer Grenzwerte, z.B.
maximale Arbeitszeiten, Emissionsgrenzwerte, Existenzminimumsicherung …)
Ordoliberalismus und Integrative Wirtschaftsethik
Diese höhere Gesamtordnung bildet die normative Grundlage für die konkrete
Ausgestaltung der Marktwirtschaft => Einbettung der marktwirtschaftlichen
Institutionen in eine moralische Gesamtordnung.
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1. Politische Rahmenordnung
(moralisch begründet)
2. Ökonomische Subsystem
Marktwirtschaft
Abgrenzung zum Neoliberalismus => Konzept des Besitzbürgers (Bourgeois)
• eigennutzmaximierende Individuen (HO) ohne jegliche Tugendzumutung.
• Bürger definieren sich nur durch ihre privaten Rechtsansprüche und Interessen und
sind sich wechselseitig gleichgültig.
• Jedes Individuum ist ein ungebundenes Selbst, dessen soziale Einbindung (auch in
den Moralkodex) nicht konstitutiv für die Identitätsbildung ist.
Soziale Interaktion
• findet nur statt, wenn sie individuell nützlich erscheint
• dann in Form eines Tauschvertrags (Kauf/Verkauf von Gütern, Arbeit, Finanzanlagen)
oder Gesellschaftsvertrags (Institutionen zur Auflösung von sozialen Dilemmata).
Integrative Wirtschaftsethik: Konzept des Staatsbürgers (Citoyen) des
modernen republikanischen Liberalismus
• Vorstellung von selbstinteressierten und moralischen Individuen (Tugendethik)
• ethische Vernunft reflektiert und kontrolliert das Eigeninteresse.
Anerkennung, dass Menschen soziale Wesen sind
• z.B. auch konditioniert durch einen Moralkodex.
• Staatsbürger agieren mit anderen durch Bürgerrechte und -pflichten.
• Begegnen sich z.B. im Diskurs
Aber jedes Individuum ist auch zur selbstkritischen Reflexion und autonomen
Selbstbestimmung fähig => Wirtschaftsbürgerkonzept
Integrative Wirtschaftsethik - Grundkonzeption:
• Marktwirtschaft wird als Systemsteuerung prinzipiell als notwendig erachtet
(Koordinationskapazität, Effizienz) → funktionale Prämisse.
• Marktwirtschaftliche System mit Charakter eines Subsystems in einem Gesamtsystem
der Koordination aller sozialen Interaktionen einer Gesellschaft → normative
Prämisse.
Implikationen:
• Einerseits: Marktsteuerung erhält begrenzte und kontrollierte Lenkungs- und
Anreizfunktion (wenn zweckdienlich und moralisch verantwortbar).
• Andererseits: Primat der Politik vor der Logik des Marktes.
Integrative Wirtschaftsethik als Diskursethik
Die Integrative Wirtschaftsethik ist u. a. eine Diskursethik im weiteren Sinn.
Die institutionelle Rahmenordnung ist lediglich der Ort der Moralimplementierung.
Ort der Moralbegründung ist die unbegrenzte Öffentlichkeit aller mündigen Bürger =>
öffentlicher Diskurs
Primäre institutionenökonomische Aufgabe der Politik: Diskurse etablieren.
Aufgabe der Diskurse u.a.:
Ökonomische Sachlogik aus dem sozialen
Vakuum herausholen.
Diskursethik im weiteren Sinn (nicht im strengen Sinn)
1. Alle zwanglosen (politisch-ökonomischen) Verständigungsprozesse unter mündigen
Bürgern. z.B.
• Internationale Konferenzen: Klimagipfel, UNO
• Diskussionen von Unternehmern mit Konsumenten,
Gewerkschaftlern und Naturschützern
• Wirtschaftsethikvorlesungen
• Fernsehdiskussionen
2. Diskussionen, die in demokratischen Wahlen
münden.
Einstimmigkeit wird nicht gefordert!
Sinnfrage vs Legitimationsfrage
Welche Werte sind zu erzeugen? vs. Für wen sind welche Werte zu erzeugen?
=> lebenspraktische sinnvolles Wirtschaften vs => gesellschaftlich legitimes Wirtschaften
Wie wollen wir in Zukunft leben? vs. Wie sollen wir zusammenleben?
=> kulturelle Motive, attraktive Lebensform vs. (soziale Regeln)
Ist unser Wirtschaften uns selbst zuträglich (Individuell)? vs. Ist unser Wirtschaften gegenüber allen (Lebewesen) vertretbar?
=> gutes Leben vs. => gerechtes und nachhaltiges Zusammenleben
Primat der Lebenswelt vor dem Eigensinn des ökonomischen Systems. vs. Primat der Politik vor der Logik des Marktes.
Sozialökonomische Rationalität
Kritik der reinen ökonomischen Rationalität
Zunächst: Normativität als Fundament der ökonomischen Rationalität.
Überprüfung dieser Normativität
• in der Theorie und
• in der Praxis (v.a. Überprüfung der Sachzwangargumenten, siehe oben)
=> Grundsätzliche Nicht-Akzeptanz irgendeiner Sachlogik (z.B.
Gewinnmaximierung). Überprüfung im Einzelfall.
=> Frage, wem die ökonomische Rationalität dient.
=> Diskussion von Verteilungsfragen.
=> Allgemeine Ökonomismuskritik.
Neues Konzept der IW: Sozialökonomische Rationalität (Theorie)
Die sozialökonomische Rationalität ist global umzusetzen:
„Wer den globalen Markt will, der soll vernünftigerweise auch eine vitalpolitisch
orientierte Global Governance mit weltweiten Menschenrechts-, Demokratie-, Sozialund Umweltstandards befürworten.“ (Ulrich 2011, 163)
Weltordnung mit sich wechselseitig in Schach haltenden Regulierungsinstanzen und
Regelsystemen (keine Weltregierung, kein Weltstaat).
Z.B. neue Steuerungs- und Kontrollfunktionen (z.B. hinsichtlich ökologischer Standards,
Arbeitsstandards, Einkommensstandards usw.) könnten an bestehende internationale
Organisationen übertragen werden,z.B. ILO, WTO oder UNO.
Die UNCTAD (UN Conference on Trade and Development) könnte ein Dachverband
werden.
Vorlesung Wirtschaftsethik WS
Orte der Moral
Wirtschaftsbürgerethik (Individualethik, Tugendethik siehe 9.6.) Umsetzung einer Tugendethik • im Konsum • als Unternehmer, als • Arbeitnehmer • als Kapitalanleger usw. \+ Bereitschaft zur Gestaltung und aktiven Teilnahme an Diskursen
Ordnungsethik/ Institutionenethik Diskurse, national und international, unter Einbeziehung Sinn- und Legitimationsfragen sowie sozialökonomischer Rationalität Konkreter u.a.: 1. Gewährung subjektiver Bürger- und Wirtschaftsbürgerrechte (siehe 9.7.) 2. Rechnungsnormen: Internalisierung externer Effekte, Preiskorrekturen 3. Randnormen: Setzung humanitärer, soziale und ökologischer Grenzwerte, z.B. max. Arbeitszeiten, Emissionsgrenzwerte, Existenzminimumsicherung
Wirtschaftsbürgerethik (Tugendethik)
Bürgertugend nach der Integrativen Wirtschaftsethik:
Definition Wirtschaftsbürger:
• Alle, die am volkswirtschaftlichen Konsum- und Produktionsprozess beteiligt sind
(„Wirtschaftssubjekt“) und
• Alle, die mitverantwortlich Anteil nehmen an einem guten und gerechten
Zusammenleben in einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger
(„moralische Person“)
Minimale, unabdingbare individualethische Ansprüche, ohne die eine wohlgeordnete
Gesellschaft nicht zu haben ist.
Minimalansprüche an die republikanische Bürgertugend:
1. Reflexionsbereitschaft
2. Verständigungsbereitschaft
3. Kompromissbereitschaft
4. Legitimationsbereitschaft, d.h. die Bereitschaft das individuelle Handeln vorbehaltlos
einer öffentlichen/gesellschaftlichen Angemessenheitsprüfung zu unterziehen.
Wo ist der Wirtschaftsbürger aktiv? Auf der Ebene der kritischen Öffentlichkeit und im Rahmen politischer Prozesse => Diskurse • Mitverantwortung für gute und gerechte Verfassung • Aktive Mitgestaltung und Ausgestaltung politischer und ökonomischer Institutionen • Aktive Teilhabe des einzelnen an einer Bürgergesellschaft.
Auf der Ebene des Berufs- und Privatlebens d.h. auch • als Arbeitnehmer • als Kapitalanleger • als Konsument • als Unternehmer Verzicht auf strikte private Eigennutzmaxmierung • Tugendethik
Wieso gilt der Verzicht auf strikte private Eigennutzmaximierung?
• Bereitschaft der Unterordnung privater Interessen unter die Verfassung und die
Gesetze.
• Auch alle anderen konkurrierenden Wertgesichtspunkte dürften sonst
ungeprüft dem Eigennutzen nachgeordnet werden.
• Handlungsabsichten und Handlungen sollen dahingehend überprüft werden,
ob die praktischen Folgen allen Betroffenen gegenüber verantwortbar sind,
unabhängig davon, ob alle Ansprüche geltend gemacht werden oder nicht.
=> Moralische Pflicht zur autonomen Selbstbegrenzung des privaten
wirtschaftlichen Vorteils-, Nutzen- oder Erfolgsstrebens.
Im Sinne genereller Reziprozität ist diese Selbstbegrenzung wiederum die
tragende moralische Grundlage individueller Handlungsfreiheit.
Wirtschaftsbürgerrechte
Wirtschaftsbürgerrechte
sind zusätzliche Grundrechte (zu allgemeinen Grund- und Bürgerrechten),
die die Bürger befähigen, ihren unbedingten gleichen Bürgerstatus auch als
ungleich ausgestaltete Wirtschaftsbürger zu bewahren.
Rechte:
• unabhängig von wirtschaftlichem Erfolg oder Misserfolg
• auch bei Arbeitslosigkeit
• auch bei Insolvenz
• auch bei Überschuldung
• auch bei Krankheit
• ….
Im Detail institutionell über Diskurse und politische Prozesse zu bestimmen.
Warum reichen die allgemeinen Grundrechte nicht aus?
Warum werden zusätzliche Wirtschaftsbürgerrechte gefordert? Allgemein:
Zwei Freiheitskonzeptionen
Negative Freiheitskonzeption: Grundrechte als „Abwehrrechte“: • Recht auf Achtung der Menschenwürde • Recht auf körperliche Unversehrtheit • Recht auf Nicht-Diskriminierung • und vieles mehr
Positive Freiheitskonzeption als reale Freiheit: • Handlungsoptionen erkennen und nutzen können • Über bestimmte Befähigungen, materielle Mittel und Chancen zur Selbstbehauptung verfügen zu können • Bedingung: vernünftig vertretbar!
Wirtschaftsbürgerrechte: Stärkung der positiven Freiheitsrechte:
• Einerseits: Der Freiheit im Markt dienen Rechte auf die Integration in die
Marktwirtschaft („einsteigen können“)
=> Fairer Zugang zu Fähigkeiten, Ressourcen, also zu Bildung und Wissen, zu Kapital,
Kredit und Erwerbsarbeit.
• Andererseits: Der Freiheit vom Markt dienen Rechte auf die wenigstens partielle
Emanzipation aus den Sachzwängen des Marktes (=> „aussteigen können“)
=> Faire Chance auf ein selbstbestimmtes und kultiviertes Leben, das sich nicht
restlos dem Leistungs- und Anpassungsdruck unterwerfen muss.
Es geht um die Befähigungen aller Menschen zur selbstverantwortlichen Befriedigung
ihrer Bedürfnisse im Sinne ihres Lebensentwurfs, vernünftig vertrebar!
Konkrete Ausgestaltung der Wirtschaftsbürgerrechte/Vorschlag IW:
- Liste von Grundbefähigkeiten (siehe nächste Folie)
- Begrenzte Systembeteiligungsrechte:
a) Recht auf Privateigentum (prinzipiell, nicht unbegrenzt)
b) Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen und/oder Recht auf Arbeit
Liste der Grundbefähigungen nach der IW
• Recht auf Erziehung und Bildung
• Recht auf unverletzliche Identität und angemessene Partizipation an
Entscheidungsprozessen im Wirtschaftsleben (z.B. Mitbestimmung am Arbeitsplatz)
• Recht auf soziale Integration (Beziehungen zu anderen)
• Recht auf Rechtsschutz und fairen Prozess
• Recht auf angemessene soziale Unterstützung für Familien
• Recht auf Teilnahme an der öffentlichen Kommunikation
• Recht auf Berufsbildung, Arbeit, faire Arbeitsbedingungen, angemessenen Lohn
• Recht auf selbständiges Unternehmertum, Privateigentum, Kredit
• Recht auf Existenzsicherung und soziale Betreuung in Notlagen
Wie lautet die Konzeption des republikanischen Liberalismus?
Der Markt (bzw. die Wirtschaft) soll Teilsystem einer politischen und ethischen
Rahmenordnung sein, d.h. es soll ein Primat der Politik vor der Logik des Marktes
geben. Institutionell wird das politische System durch die moralischen Vorstellungen
der Staatsbürger geprägt. Die höhere Gesamtordnung bildet die normative Grundlage
für die konkrete Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Auf diese Weise sind die marktwirtschaftlichen Institutionen in eine moralische Gesamtordnung eingebettet.
Der Bürger ist ein Staatsbürger, der mit anderen durch Bürgerrechte und –pflichten
agiert. Staatsbürger haben eine ordnungspolitische Mitverantwortung (d.h. sie liegt
nicht nur bei den gewählten Politikern). Staatsbürger sollten über wirtschaftliche und
gesellschaftliche Fragen Diskurse in Gang setzen, sich über Medien informieren, mit
anderen diskutieren usw. Das heißt, Staatsbürger begegnen sich nicht nur in
Unternehmen, im Supermarkt oder vor der Wahlurne. Sie begegnen sich in der
Diskussion, bei Bürgerversammlungen, bei Demonstrationen, Unterschriftaktionen
(Petitionen) oder in Internetdiskussionen. Die ideale Gesellschafts- und
Wirtschaftsordnung wird im Diskurs der Staatsbürger entwickelt und nicht (allein)
von den Unternehmern oder mächtigen Politikern (oder diktatorisch) vorgegeben.
Diese Vorstellung basiert auf selbstinteressierten und moralischen Individuen, die
einer Bürgertugend folgen, und zwar im Diskurs und in der Ausübung aller wirtschaftlicher Funktionen (ihrer Funktion als Wirtschaftsbürger, d.h. als Konsument,
Kapitalanleger, Unternehmer, Arbeitnehmer). Minimale Bürgertugenden sind:
Reflektionsbereitschaft, Verständigungsbereitschaft, Kompromissbereitschaft und
Legitimationsbereitschaft (d.h. es gelten hier nicht die Aristotelischen Tugenden!).
Realität:
Wir haben faktisch eher ein Primat der Wirtschaft vor einer ethisch orientierten
Politik. Allerdings finden sich auch viele ethische Aspekte in politischen Maßnahmen.
Nicht alle Menschen in Deutschland engagieren sich politisch und nicht alle
orientieren sich an den genannten Tugenden.
Es wird weitgehend eher die Vorstellung einer Institutionen- als einer
Individualethik vertreten.
Wie sollen Konflikte gelöst werden, in denen z.B. die Gesundheit der
Menschen gegen die Interessen der Wirtschaft steht, oder in denen die Achtung
der Menschenwürde in Entwicklungsländern gegen die wirtschaftlichen
Interessen in Industrieländern gerichtet ist?
Die IW fordert hier eine vitalpolitisch orientierte Global Governance mit weltweiten
Arbeitsrechts- und Menschenrechtsstandards. Das heißt diese Konflikte sollen in
internationalen Diskursen, an denen Repräsentanten aller direkt und indirekt, heute
und in der Zukunft Betroffenen, geklärt werden. In internationalen Organisationen,
wie der UN oder der WTO, soll dann auf der Basis internationaler Gesetze eine neue
globale politische Rahmenordnung geschaffen werden. Diese Organisationen sollen
auch dafür legitimiert werden, Kontroll- und Sanktionsfunktionen auszuüben.
Realität: Wir haben eine nationale Rahmenordnung (Grundgesetz) und auch eine
internationale Rahmenordnung (Völkerrecht, UN-Menschenrechte, ILO, WTO usw.).
sowie einen Global Compact (siehe Aufgabe 4). Die Umsetzung der Grundidee
nationaler Diskurse ist vorhanden (siehe auch aktuelle Klimagipfel), aber
Einigungen sind schwer erreichbar, u.a. weil rein nationale Interessen und
wirtschaftliche Interessengruppen die Diskurse stark beeinflussen
Welche Aufgaben sollen die politischen und wirtschaftlichen Institutionen
haben?
Die marktwirtschaftlichen Institutionen sollen in eine moralisch fundierte politische
Gesamtordnung eingebettet werden. Dabei ist die institutionelle Rahmenordnung
lediglich der Ort der Moralimplementierung.
Der Ort der Moralbegründung ist der Diskurs (hier verstanden als politische
Prozesse). D.h. die IW vertritt eine Diskursethik.
Die höhere moralisch fundierte Gesamtordnung soll sich an dem ethischen Leitbild
der Lebensdienlichkeit orientieren.
Die Ausgestaltung der Institutionen umfasst drei Aufgabenbereiche:
1. Gewährung subjektiver Bürger- und Wirtschaftsbürgerrechte. Letzteres sind
zusätzliche Grundrechte (zusätzlich zu den allgemeinen Bürgerrechten), die die
Bürger befähigen, ihren unbedingten gleichen Bürgerstatus auch als ungleich
ausgestaltete Wirtschaftsbürger zu bewahren, z.B. Recht auf Einkommen und/oder
Recht auf Arbeit, Recht auf Mitbestimmung am Arbeitsplatz oder Recht auf
Kredit
(Hintergrund der Gewährung dieser Rechte ist, dass der Ansatz der IW auch ein
Befähigungsansatz ist, der hier aber nicht weiter ausgeführt wird, weil er im
Zentrum des nachfolgenden Ansatzes von Amartya Sen steht.)
2. Setzung von Rechnungsnormen: Internalisierung aller externer Effekte,
Preiskorrekturen in Form von Höchst- oder Mindestpreisen.
3. Setzung von Randnormen: Setzung humanitärer, soziale und ökologischer
Grenzwerte, z.B. maximale Arbeitszeiten, Emissionsgrenzwerte, Existenzminimumsicherung.
Realität:
In Deutschland sind umfangreiche Bürgerrechte im Grundgesetz verankert, die aber
auch verletzt werden, z.B. finden immer noch Diskriminierungen statt. Die
geforderten Wirtschaftsbürgerrechte sind noch nicht alle umgesetzt, z.B. existiert in
Deutschland kein Recht auf Kredit und kein Recht auf ein bedingungsloses
Grundeinkommen.
Der Staat internalisiert viele negative externe Effekte (und auch einige positive
externe Effekte, z.B. F&E durch Subventionen), z.B. des Autoverkehrs durch die
Mineralölsteuer. Aber nicht alle externen Effekte werden internalisiert, z.B. wird
Kerosin gar nicht besteuert und damit werden die negativen externen Effekte des
Flugverkehrs nicht internalisiert. Außerdem ist es fragwürdig, ob die Internalisierung
externer Effekte in dem Umfang stattfindet, die ein Wohlfahrtsoptimum erfordern
würde.
Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von Randnormen, wie z.B. maximale
Arbeitszeiten oder Emissionsgrenzen, aber oft sind die Kontrollen lasch (siehe
Dieselabgasaffäre) oder die Randnormen werden so gesetzt, dass die Industrie diese
leicht einhalten kann. Randnormen orientieren sich daher oft noch zu wenig an der
Gesundheit der Bevölkerung. Gesetzesentwürfe werden teilweise z.B. von Lobbyisten
geschrieben und so eins zu eins übernommen (faktischer Vorrang der Wirtschaft vor
der Ethik der Politik).
Welche Aufgaben sollen die Wirtschaftsbürger haben?
Die Wirtschaftsbürgerethik ist die Individualethik der IW. Unter der Individualethik versteht die IW minimale, unabdingbare Ansprüche, ohne die eine wohlgeordnete Gesellschaft nicht zu haben ist.
Das bedeutet, dass jeder Mensch immer auch moralische Verantwortung trägt, u.a.,
aber nicht nur, wenn die Institutionenethik versagt. Dahinter steht die Vorstellung
eines nicht eigennutzmaximierenden, sondern selbstinteressierten, sozialen und
moralischen Individuums, das in der Lage ist, autonom moralische Entscheidungen
zu treffen, d.h. auch unabhängig von den herrschenden Institutionen.
Die Wirtschaftsbürgerethik der IW umfasst wiederum zwei Aspekte:
1) Moralische Mitverantwortung für die politische und ökonomische Rahmenordnung, die sich in einer aktiven politischen Teilnahme äußert: dem
Herbeiführen und der Partizipation an Diskursen.
2) Individualethisches Verhalten im Berufs- und Privatleben im Sinne einer
Bürgertugendethik
Minimalansprüche an die republikanische Bürgertugend sind:
1. Reflektionsbereitschaft, hier z.B. über das eigene Konsumverhalten oder das
eigene Verhalten beim Verpacken von Geschenken
2. Verständigungsbereitschaft bei den politischen Diskursen (siehe unter I. unten)
3. Kompromissbereitschaft in den politischen Diskursen (siehe unter I. unten)
4. Legitimationsbereitschaft, d.h. die Bereitschaft das individuelle Handeln
vorbehaltlos einer öffentlichen/gesellschaftlichen Angemessenheitsprüfung zu
unterziehen. (Hier geht es auch um die Legitimität gegenüber allen Menschen heute
und in der Zukunft und gegenüber anderen Lebewesen auf der Erde.)
Realität:
Nicht alle Individuen sehen es so, dass sie eine ordnungspolitische Mitverantwortung
haben und nicht alle Individuen orientieren sich an den Bürgertugenden oder haben
überhaupt die Vorstellung, dass sie sich über die Gesetze hinaus – vor allem im
wirtschaftlichen Bereich – moralisch verhalten sollen.
Angenommen, es wurde ein effektives gesamtwirtschaftliches Müllvermeidungskonzept entwickelt (reduzierte umweltfreundliche Verpackungen, essbare
Verpackungen, Kunde verpackt selbst, etc.). Gehen Sie weiter davon aus, dass die
Ausführung dieses Konzepts neben positiven ökologischen Effekten (reduzierter
CO2-Ausstoß, Artenschutz, Gewässerschutz, etc.) auch zu einer Reduktion der
privaten Konsumausgaben um 5% führen würde. Das Konzept wird dem
Arbeitgeberverband unterbreitet, der mit der Begründung ablehnt, dass dadurch
Verpackungsunternehmen und Müllverbrennungsanlagen insolvent bzw. unrentabel
und Tausende Menschen arbeitslos werden würden, was weder den Unternehmen
noch den Arbeitnehmern zumutbar sei.
a) Erläutern Sie zu diesem Fall die Position der Integrativen Wirtschaftsethik:
i) Wie nennt die IW die in der Aufgabenstellung vorgebrachte Argumentation
des Arbeitgeberverbandes, wodurch ist diese Argumentation generell gekennzeichnet?
Die obige Argumentation stellt aus Sicht der IW eine sogenannte Sachzwangargumentation dar. Diese besteht darin, dass moralische, sinnvolle, lebensdienliche
(also auch ökologisch nachhaltige) Lösungen verworfen werden, weil es sonst zu
unerwünschten Produktions- und Beschäftigungs- (und Gewinn-)entwicklungen
kommt. Die IW kritisiert diese Argumentation als marktmetaphysische
Gemeinwohlfiktion. D.h. es wird behauptet, dass die Wohlfahrt ohne ökologische
Lösungen höher wäre, aber eine wissenschaftliche fundierte Berechnung des Gesamtnutzens kann nicht vorgelegt werden.
Aus Sicht der IW impliziert eine derartige Argumentation auch einen Reflektionsstopp vor dem normativen Gehalt der Grundprinzipien der Marktwirtschaft. Dieser
Reflexionsstopp ist aufzulösen, indem in Diskursen über Alternativen nachgedacht
wird, die ggf. auch bestimmte Prinzipien der Marktwirtschaft einschränken.
ii) Was versteht die IW unter dem Primat der Politik vor der Logik des
Marktes?
Damit ist gemeint, dass der Markt bzw. das marktwirtschaftliche System den
Charakter eines Subsystems in einem moralisch fundierten politischen System
einnehmen soll. Politische Entscheidungen haben Vorrang vor den allgemeinen
marktwirtschaftlichen Prinzipien des Wettbewerbs und der freien Preisbildung auf
Märkten. Unter anderem soll die Politik zuerst Randnormen definieren, auf deren
Basis Unternehmen produzieren und auf Märkten interagieren können.
Angenommen, es wurde ein effektives gesamtwirtschaftliches Müllvermeidungskonzept entwickelt (reduzierte umweltfreundliche Verpackungen, essbare
Verpackungen, Kunde verpackt selbst, etc.). Gehen Sie weiter davon aus, dass die
Ausführung dieses Konzepts neben positiven ökologischen Effekten (reduzierter
CO2-Ausstoß, Artenschutz, Gewässerschutz, etc.) auch zu einer Reduktion der
privaten Konsumausgaben um 5% führen würde. Das Konzept wird dem
Arbeitgeberverband unterbreitet, der mit der Begründung ablehnt, dass dadurch
Verpackungsunternehmen und Müllverbrennungsanlagen insolvent bzw. unrentabel
und Tausende Menschen arbeitslos werden würden, was weder den Unternehmen
noch den Arbeitnehmern zumutbar sei.
b) Welche Alternative würde die IW in dem oben genannten Fall zur
Entscheidung des Arbeitgeberverbandes fordern, d.h. wie sollte nach der IW das
oben geschilderte Problem gelöst werden? Gehen Sie dabei auf die
Institutionenethik und die Individualethik (Wirtschaftsbürgerethik) der IW ein.
Nach der IW sollte es zunächst zu einem politischen, öffentlichen Diskurs über das
Müllvermeidungskonzept kommen. In diesem zwanglosen Verständigungsprozess
unter mündigen Bürgern soll mit allen direkt und indirekt, heute und in der Zukunft
Beteiligten und Betroffenen (ggf. mittels Repräsentanten) über den Vorschlag
diskutiert und politisch entschieden werden. Dieser Diskurs ist bereits ein Ort der
Moral. Politiker, Unternehmen und alle Wirtschaftsbürger haben aufgrund ihrer
ordnungspolitischen Mitverantwortung die moralische Pflicht, diesen Diskurs
einzuberufen und teilzunehmen. Da Unternehmen im internationalen Wettbewerb
stehen, ist dieser Diskurs idealerweise auf internationaler Ebene, z.B. der UNO oder
WTO zu führen. Die IW vertritt daher eine Diskursethik, allerdings im weiteren Sinn
(Einstimmigkeit wird nicht gefordert, Kompromisse werden zugelassen).
Diskurse beschreiben ein Verfahren, sind aber ergebnisoffen, so dass nur vermutet
werden kann, was als Ergebnis resultiert. Es könnte z.B. resultieren, dass die
gesamten inländischen Unternehmen zu dem Müllvermeidungskonzept verpflichtet
werden, so dass im Inland Wettbewerbsnachteile entfallen und gleichzeitig in internationalen Handelsabkommen darauf eingewirkt wird, dass stark verpackte Produkte
mit Strafzöllen belegt werden können. Da Kompromisse denkbar sind, könnten großzügige Abfindungen und zusätzliche Bildungsangebote für die negativ betroffenen
Arbeitnehmer und Unternehmer beschlossen werden.
In den Diskursen wird die konkrete Ausgestaltung der Institutionen festgelegt. Auf
den obigen Fall bezogen: umfasst drei Aufgabenbereiche:
1. Gewährung subjektiver Bürger- und Wirtschaftsbürgerrechte.
Hier wäre z.B. die Forderung nach einer Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens die Arbeitslosigkeit oder die Durchsetzung des
Menschenrechts auf Arbeit relevant.
2. Setzung von Rechnungsnormen
Hier z.B. Internalisierung der mit dem Plastikmüll verbundenen externen
Effekten, wie z.B. geringere Artenvielfalt, Gesundheitsschäden bei den Bürgern
(Plastik ist im Blut nachweisbar), der Verschmutzung von Trinkwasser durch
folgende Maßnahmen der Internalisierung (Beispiele): Besteuerung von
Plastikmüll, Verbot bestimmter Plastikverpackungen.
3. Setzung von Randnormen
Hier könnten z.B. über die Setzung ökologischer Grenzwerte Plastikverpackungen vollständig verboten werden