Ethik des Mitgefühls Flashcards
a) In ethischen Ansätzen (in dieser Aufgabe werden nur deontologische und
teleologische behandelt) geht es nicht nur darum, bestimmte ethische
Grundsätze abzuleiten, sondern auch bestimmte Menschenbilder zu vermitteln.
Vergleichen Sie die (normativen) Menschenbilder in den folgenden ethischen
Ansätzen:
i. dem Ansatz von Kant
ii. der Diskursethik
iii. dem klassischen Handlungsutilitarismus (Bentham)
iv. dem Ansatz von Peter Singer (Präferenzutilitarismus)
v. dem Ansatz von Rawls (Vertragstheorie)
vi. der Ethik des Mitgefühls
i) Das Menschenbild von Kant entspricht ein an dem guten Willen orientierter Vernunftmensch, der sich gerade nicht durch Gefühle, Neigungen und Interessen leiten lässt. Bei Kant wird deutlich, dass moralisches Handeln also durchaus ein Handeln gegen die eigenen Interessen sein kann. Primäres Handlungskriterium sollte die Vernunft sein, unabhängig von den zu erwartenden Konsequenzen für einen selbst (die nach Kant sowieso unsicher sind). Das Menschenbild nach Kant ist auch aufgeklärt, da die Vernunft selbst gefunden wird, ohne sich dabei an anderen Menschen zu orientieren oder diese zu nachzuahmen (keine „Follower“!).
ii) Die Diskursethik nimmt wie Kant ein Vernunftwesen an, allerdings ist dieses Wesen ein sozialer, kommunikativer Mensch, der die Vernunft nicht alleine, sondern in der sprachlichen Interaktion (Kommunikation) mit anderen sucht. Wie bei Kant erkennt das Vernunftwesen die Autonomie der anderen vorbehaltlos und ohne Einschränkungen an. Daher liegt in der Diskursethik ein verständigungsorientiertes im Gegensatz zu einem erfolgsorientierten und strategischen Menschenbild vor. Da die Diskurse sehr lange dauern können, ist auch geduldiger Mensch erforderlich.
iii) Bei Bentham handelt es sich um ein von der Suche nach Lust/Glück und Vermeidung von Unlust/Unglück getriebener Mensch (deskriptiv und normativ). D.h. das
normative Menschenbild sieht vor, dass jeder Mensch versuchen sollte, sein Leid/Unglück zu verringern und sein Glück/seine Lust/seine Freude zu erhöhen, was
letztlich auf ein egoistisches Menschenbild hinausläuft
Die Ermittlung des maximalen Gesamtnutzens in dem Ansatz von Bentham bedarf allerdings auch bestimmter Persönlichkeitsmerkmale, die oft als der „ideale,
unparteiische Beobachter“ gekennzeichnet werden, also auch Objektivität und Rationalität erfordern.
iv) Singer ist zwar Utilitarist, aber in seinem Ansatz wird der maximale Weltnutzen nicht durch individuelle Nutzenmaximierung erreicht, sondern in dem die reichen Menschen großzügig und altruistisch sind und über Geldspenden Menschen in Not weltweit unterstützen. Dabei sollten die Menschen effizient vorgehen, d.h. z.B. an Hilfsorganisationen spenden, bei denen z.B. das Geld den am meisten notleidenden
Menschen zu Gute kommt. Auf diese Weise fordert Singer von den Menschen nicht nur Altruismus, sondern auch Objektivität und Rationalität.
v) Rawls legt in seinem Ansatz einen freien, vernünftigen Menschen ohne Neidgefühle zugrunde, der aber auch eigennützig ist. Da ihm die Eigenschaft der
vollkommenen Information entzogen wurde, handelt es sich nicht um einen Homo oeconomicus im engeren Sinn. Eine Eigennutzorientierung wird also zugelassen, die allerdings „überlistet“ wird, weil den Menschen die Informationen über ihre Person entzogen wird, so dass sie in „soziale Bahnen“ gelenkt wird. Außerdem unterstellt Rawls eine gewisse Moralität und Einsicht, dass eine Verfassung für die gesellschaftliche und ökonomische Kooperation notwendig ist und man sich an die Verfassung auch hält. Insgesamt ist das Menschenbild gemischt.
vi) Die Ethik des Mitgefühls fordert einen empathischen und mitfühlenden Menschen, der bereit ist, sich einem permanenten Mitgefühls-Meditationstraining zu
unterziehen, d.h. das Menschenbild ist auch ausdauernd und diszipliniert.
Inwiefern kann ein normatives Menschenbild (in einer Theorie) auch Wirkungen darauf haben, wie sich Menschen tatsächlich in der Realität verhalten? Könnten diese realen Effekte wiederum Rückwirkungen auf die
Theorien haben?
Theorien werden unter anderem im Studium gelehrt. Wenn Studierende mit bestimmten Theorien – auch mit bestimmten Menschenbildern – über Jahre arbeiten, dann könnte das bei Ihnen dazu führen, dass sie dieses Menschenbild „in Ordnung“ finden, d.h. normativ akzeptieren (was auch unbewusst passieren kann). Dies kann auch Einfluss auf ihr Verhalten und ihre Charakterbildung haben (neben vielfältigen anderen
Einflüssen). Es wird z.B. diskutiert, ob das Menschenbild des Homo Oeconomicus, Einfluss auf den Charakter von BWL-Studenten hat, d.h. ob Studenten in BWLStudiengängen am Ende ihres Studiums egoistischer und weniger prosozial sind als am Anfang ihres Studiums. Es gibt einige empirische Untersuchungen, die darauf hindeuten, aber die Ergebnisse andere Studien widersprechen dem, d.h. die Ergebnisse sind insgesamt nicht eindeutig, es wird weiter geforscht. Wenn Menschen, die bestimmte Theorien verinnerlicht haben, sich dann in der
Realität auch anders verhalten, können dann z.B. auch die Ergebnisse der (ökonomischen) Verhaltensforschung anders ausfallen
a) Grenzen Sie die folgenden vier Kategorien menschlichen Handelns voneinander ab und ordnen Sie die folgenden Aussagen (i bis vii) einer
Kategorie zu:
(1) Emotionale Ansteckung (EA) ist die unbewusste und/oder unwillkürliche Auslösung derselben Emotion wie bei beobachteter Person (keine Selbst-AndereUnterscheidung).
(2) Empathie (EM) ist die Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu teilen, zu verstehen und nachzuempfinden, im Bewusstsein darüber, dass es sich nicht um die eigenen Emotionen handelt (mit einer Selbst-Andere-Unterscheidung).
(3) Mitgefühl (MG) ist Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu verstehen, verbunden mit einem „warmem“ Gefühl der Fürsorge („warm glow“) und
der Motivation, das Wohlergehen des anderen zu erhöhen (mit einer Selbst-AndereUnterscheidung).
(4) Die kognitive Perspektivübernahme (KP) ist die Fähigkeit, Schlussfolgerungen über den geistigen Zustand eines anderen Menschen ziehen (mit einer Selbst-Andere Unterscheidung) und diese verbal äußern zu können.
i. „Wenn ich sehe und höre, wie jemand einen Hustenanfall bekommt, geht es mir auch ganz schlecht.“ (EM) (Es würde sich nur dann um EA handeln, wenn ein reflexhaftes, unwillkürliches Husten erfolgen würde.)
ii. „Ich empfindende Verantwortung für Menschen, denen es nicht so gut geht wie mir.“ (MG)
iii. „Manchmal fällt es mir schwer, Dinge vom Standpunkt eines anderen zu betrachten.“ (KP)
iv. „Ich versuche bei einem Streit zuerst beide Seiten zu verstehen, bevor ich eine Entscheidung treffe.“ (KP)
v. „Wenn ich sehe, wie meine Kinder sich über die Geschenke freuen, freue ich mich auch.“ (EM)
vi. „Dieser Vortrag war gar nicht so witzig. Aber alle fingen an zu lachen und dann lachte ich auch mit.“ (EA, wenn Lachen unbewusst; EM, wenn Lachen bewusst)
vii. „Wenn ich sehe, wie jemand ausgenutzt wird, entsteht bei mir der Wunsch, den anderen zu schützen.“ (MG)
Warum reicht Empathie als Handlungsnorm (oder Charaktertugend) in dem ethischen Ansatz des Mitgefühls nicht aus?
Empathie ist in diesem Ansatz definiert als die Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu teilen, d.h. zu verstehen und nachzuempfinden, im Bewusstsein
darüber, dass es sich nicht um die eigenen Emotionen handelt. Wenn jemand z.B. stark leidet, dann fordert die Empathie das Leid zu verstehen und
nachzuempfinden, aber es fordert nicht, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Insofern kann Empathie passiv sein.
Warum sind die Anforderungen an Mitgefühl höher als an Empathie?
Mitgefühl ist in diesem Ansatz definiert als die Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu verstehen, verbunden mit einem warmen Gefühl der Fürsorge
und der Motivation, das Wohlergehen des anderen zu erhöhen. Das Motiv der Fürsorge oder das Motiv, das Wohlergehen des anderen zu erhöhen, unterscheidet also das Mitgefühl von der Empathie. Mitgefühl stellt daher höhere Anforderungen als die Empathie, weil man beim Mitgefühl den Wunsch oder sogar die Verantwortung spürt, das Leid des anderen zu reduzieren. Aus dem Leid der anderen werden Konsequenzen gezogen, die zu konkreten Handlungen führen, die Abhilfe leisten und so das Leid reduzieren.
Inwiefern ist Selbstmitgefühl die Basis für das Mitgefühl für andere?
In dem Resource Projekt, einer empirischen Studie, war es insbesondere die Liebende Güte Meditation, die den stärksten Effekt auf die Aktivierung und Entwicklung jener Gehirnregionen hatte, die für Mitgefühl verantwortlich sind. Sieht man sich die Liebende Güte Meditation an, dann wird klar, dass die Übung mit Selbstmitgefühl beginnt: Die Übenden erinnern und visualisieren einen Moment, in dem sie sich
selbst geliebt, vollkommen angenommen und akzeptiert gefühlt haben. Dieser Moment wird zeitlich ausgedehnt und so intensiviert. Erst dann wird dieses Gefühl
auch auf andere Menschen übertragen. Daher ist Selbstmitgefühl sogar die Quelle für das Mitgefühl für andere. Selbstmitgefühl sorgt dafür, dass uns das Leid der anderen nicht runterzieht, und wir nicht in empathischen Stress geraten (siehe Folie 26).
Denken Sie den Ansatz der Ethik des Mitgefühls in Richtung einer Wirtschaftsethik
des Mitgefühls weiter:
a) Welche wünschenswerten (normativen) ökonomischen Verhaltensweisen können aus einer Ethik des Mitgefühls abgeleitet werden? Nennen Sie Beispiele.
Hinweis: Ein ausgearbeiteter eigenständiger wirtschaftsethischer Ansatz des Mitgefühls existiert (noch) nicht, daher ging es hier um Vorschläge
Eine Ethik des Mitgefühls setzt daran an, mein Leid und das Leid der anderen Menschen weltweit zu reduzieren. Damit handelt es sich um einen universellen
Ansatz. Mein Leid im Wirtschaftskontext zu reduzieren könnte z.B. implizieren:
• Mich am Arbeitsplatz nicht ausnutzen zu lassen.
• Nur so viel zu arbeiten wie es mir gesundheitlich zuträglich ist.
• Einen Arbeitsplatz unter schlechten Arbeitsbedingungen (gesundheitsgefährdend,
Mobbing, autoritäre Führungskräfte, keine Mitbestimmung) zu verlassen.
• Auf sinnlosen und ungesunden Konsum zu verzichten.
Das Leid der anderen im Wirtschaftskontext zu reduzieren, z.B.:
• Nur noch Fair Trade Produkte zu kaufen, um eine schlechte Bezahlung der Arbeit
und schlechte Arbeitsbedingungen weltweit zu vermeiden.
• Kinderarbeit abschaffen.
• Nur noch ökologische, nachhaltige Produkte kaufen, um so das Leid der anderen durch Umweltverschmutzung (z.B. Reduktion und Verseuchung von Grundwasser, Flüssen und Seen, Rückgang von Fischerträgen, kein unentgeltlicher Zugang mehr zu Trinkwasser) oder Klimaerwärmung zu reduzieren
• Als Unternehmer die Herstellung schlechter Produkte, die Leid erzeugen, vermeiden: z.B. Nahrungsmittel mit Pestiziden, giftige Farben.
• Klimaschädlichen Konsum zu vermeiden, um so z.B. das Leid durch Land- und Wohnraumverlust anderer Menschen zu vermeiden.
• Als Unternehmer auf die Einhaltung der Menschenrechte im gesamten Wertschöpfungsprozess achten (Menschenwürdeverletzungen sind in der Regel
leidvoll).
• Als Unternehmer die Mitarbeiter gerecht entlohnen.
• Ein bedingungsloses Grundeinkommen weltweit einführen.
• Nur ökologische und sozial verträgliche Finanzanlagen auswählen.
• Aus meinem verfügbaren Einkommen oder Gewinn an internationale Hilfsorganisationen zu spenden, damit z.B. die medizinische Versorgung in Entwicklungsund Schwellenländern verbessert wird.
Sollte Mitgefühlstraining analog zum Achtsamkeitstraining (siehe Google, Apple) in Unternehmenskulturen implementiert werden? Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen?
Das Mitgefühlstraining ist nach diesem Ansatz notwendig, da universelles Mitgefühl nicht von alleine entsteht und die meisten Menschen dafür offensichtlich weder eine natürliche Veranlagung noch eine entsprechende Erziehung genossen haben.
Mitgefühl sollte daher mit einem entsprechenden Meditationstraining trainiert werden, analog zu einem Muskeltraining.
Pro-Argumente:
• Ein Meditationsangebot am Arbeitsplatz reduziert Anfahrtskosten, Suchkosten,
evt. auch Kursgebühren, erleichtert so den Einstieg.
• Da es ein Angebot des Unternehmens ist, reduziert es potentielle Stigmatisierung („Esoterik“).
• Erleichtert Diskussion über Mitgefühl mit Kolleginnen und Kollegen und ermöglicht so auch Integration und Implementierung im Arbeitsprozess. Das
Arbeitsklima könnte besser werden [was heißt das genau?].
• Vertrauen und Teambildung unter Kollegen und Kolleginnen könnten zunehmen.
• Geschäftsprozesse könnten im Hinblick auf Leiderzeugung und Leidvermeidung
hinterfragt werden.
• Allgemein ein höheres Bewusstsein und eine höherer Reflektiertheit der Auswirkungen des eigenen Handelns auf alle Lebewesen und die Umwelt. Hier wird noch genannt, dass das Meditationstraining freiwillig sein sollte. Das wird auch von den Vertretern dieses Ansatzes gefordert.
Contra-Argumente:
• Gefahr, dass das Mitgefühlstraining primär strategisch eingesetzt wird, z.B. von Führungskräften, um Mitarbeiterproduktivität zu erhöhen (dafür wäre allerdings die reine Achtsamkeitsmeditation geeigneter als die Mitgefühlsmeditation), oder um das Unternehmensimage zu verbessern.
• Mitgefühl ist nicht an einem Wochenende erlernbar. Das Training muss eigentlich über Jahre aufrechterhalten werden, nur dann ändert sich auch das Gehirn dauerhaft, und es werden andere Entscheidungen getroffen. Möglicherweise wird das von den Unternehmen verkannt.
• Erweitertes Bewusstsein aus dem Mitgefühlstraining (siehe Aufgabe 4d)) reduziert eventuell die Motivation und/oder Produktivität der Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen. (Das mag ein Contra-Argument für das Unternehmen sein, aber nicht unbedingt für die MitarbeiterInnen selbst oder die Gesellschaft.)
Ist eine Marktwirtschaft, die auf den beiden zentralen Merkmalen des Wettbewerbs und des Preismechanismus als Koordinationsprinzips basiert mit einer Wirtschaftsethik des Mitgefühls vereinbar? Begründen Sie Ihre Antwort.
Hier werden zwei Aspekte des Wettbewerbs diskutiert:
Passiver Wettbewerb kann „nur“ bedeuten, dass ich als Unternehmerin in einer Marktwirtschaft nicht die Einzige bin, die bestimmte Produkte anbietet. Wenn die
Kunden lieber die Produkte der anderen Unternehmen kaufen, ich das akzeptiere und mein Unternehmen oder diese Produktsparte schließe, dann ist dies durchaus mit Mitgefühl vereinbar.
Aktiver Wettbewerb hingegen bedeutet: Wenn ich als Unternehmerin Nachfrage- und Marktanteilsverluste nicht einfach hinnehme, sondern aktiv versuche, die
Geschäftsstrategie der anderen zu sabotieren, aggressives Marketing betreibe, PreisDumping und Fehlinformationen einsetze, um meinen Marktanteil oder die Produktionsmenge aufrecht zu erhalten.
Es kommt daher auch auf das Motiv an: Will ich als Unternehmerin gute Produkte für Menschen herstellen oder will ich viel Geld verdienen?
Aus Sicht der westlichen Ethik ist ein nur auf Mitgefühl beruhender ethischer Ansatz unzureichend. Das wird mit folgenden Argumenten begründet. Setzen Sie sich kritisch mit ihnen auseinander:
Hinweis: Es gibt hier keine Musterlösung, es sind mehrere Antworten möglich
Mitgefühl kann höchstens definieren, wie jeder sich individuell zu verhalten hat. Zusätzlich brauchen wir Grund- und Bürgerrechte, die nur aus Vernunftgründen abgeleitet werden können. Die Nächstenliebe einzelner kann z.B. große Ungerechtigkeiten nicht verhindern.
Es lässt sich argumentieren, dass in einer vollkommenen Welt, in der alle Menschen vollkommenes Mitgefühl hätten, wir keine formalen Rechte bräuchten, denn die
Grundrechte sind auch mit Mitgefühl ableitbar. Da wir aber in einer unvollkommenen Welt leben, in der manche Menschen gar nicht mitfühlend sein wollen oder können, brauchen wir gerade als Abwehr- oder Schutz die sog. negativen Freiheitsrechte (Grundrechte, Bürgerrechte, Menschenrechte), um Leid zu vermeiden und zu reduzieren.
Mitgefühl erzeugt Paternalismus oder zumindest problematische Hierarchien, weil in der Regel eine Gruppe die Fürsorge einer anderen Gruppe übernimmt. Dadurch wird die umsorgte Gruppe in eine Kindposition gebracht und ihr Recht und ihre Fähigkeit, völlig frei zu sein, wird untergraben. Menschen sollten nicht von anderen abhängig sein, sondern freie Entscheidungen treffen können.
Paternalismus und Hierarchien (d.h. autoritäre Führungsstrukturen) beruhen auf einem falschen Verständnis von Mitgefühl. Mitgefühl führt zu einer starken Vorstellung von Gleichheit aller Menschen, daher wäre eine diskursive Vorgehensweise angebrachter. In der Realität ließe sich Paternalismus aber nicht völlig ausschließen, wenn der
Ansatz nicht explizit dagegen argumentiert.
Mitgefühl ist wie jedes Gefühl instabil und meist nur auf nahestehende Personen ausgerichtet. Universelle Handlungsempfehlungen können daher daraus nicht abgeleitet werden, diese können nur aus der Vernunft kommen.
In dem hier vorgestellten Ansatz wird universelles, gut ausgebildetes Mitgefühl gefordert, d.h. Mitgefühl soll auf alle Menschen weltweit ausgedehnt werden, unabhängig von Sympathien oder Neigungen. Dies setzt auch voraus, dass die eigenen Gefühle reflektiert werden. Diese Fähigkeiten haben wir möglicherweise nicht, es z.B. schwer, Mitgefühl für Menschen aufzubringen, die wir nicht mögen. Wir wissen
nicht, wie wir das ändern können. Daher ist Mitgefühlstraining unerlässlich.
Letztlich geht Mitgefühl oder Liebe immer mit einer religiösen Vorstellung einher.
Wenn dieser Satz stimmt, würde dies im Umkehrschluss implizieren, dass nur religiöse Menschen (echtes) Mitgefühl oder (echte) Liebe empfinden können. Gerade
die empirischen Studien zur Empathie und zum Mitgefühl zeigen aber, dass die säkularisierten Meditationsübungen Mitgefühl erzeugen können, denn zum einen werden die für Mitgefühl relevanten Gehirnregionen aktiviert und ausgebaut, und
zum anderen waren Menschen nach diesem Training stärker bereit als Menschen der Kontrollgruppe, anderen zu helfen. Demnach kultiviert Religion zwar (idealerweise) Mitgefühl, ist aber keine notwendige Bedingung. Letztlich wirft dieser Satz (in der der Aufgabenstellung) aber auch die Frage der
Motivation bzw. des Motivs für das Mitgefühl auf. Möglicherweise brauchen wir bereits ein erweitertes Bewusstsein, um das Motiv entwickeln zu können, Mitgefühl für andere haben zu wollen, das Leid anderer verringern zu wollen und dann auch regelmäßig zu meditieren. Einige Philosophen, wie z.B. Thomas Metzinger, fordern gerade eine solche
Bewusstseinsethik jenseits aller Religionen. Thomas Metzinger hat dazu ein lesenswertes Buch geschrieben: Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst.
Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik.
Als nicht religiöses erweitertes Bewusstsein lässt sich auch der Gute Wille interpretieren. Dieser sollte allerdings nach Kant Gefühle ausschließen. (Hier könnte man jetzt nochmal fragen, warum Kant eigentlich Gefühle ausschließen wollte … )
Säkularisierter Buddhismus
• Östliche Glaubensvorstellungen (Götter, Nirvana, …) werden abgelehnt.
• Gurustrukturen, Lamaismus (feudale Strukturen) werden abgelehnt.
• Focus auf Ethik, nicht auf Religion.
• Praktiken der Geistesschulung („Meditationen“) werden übernommen, u.a.:
- Bewusstseins- und Achtsamkeitsschulung
- Gefühlstraining
- Mitgefühlstraining
Hinweis: Selbst einige Buddhisten sehen Buddhismus nicht als Religion, sondern
als Wissenschaft des Geistes.
(Keine westliche, sondern eine östliche, auf Erfahrung beruhende Wissenschaft)
Grundidee einer Ethik des Mitgefühls
Thesen:
• Mitgefühl ist vernachlässigte, aber wünschenswerte moralische Eigenschaft.
• Mitgefühl führt zu prosozialeren und daher auch zu moralischeren Entscheidungen.
• Mitgefühl für sich selbst und andere, sowie universelles Mitgefühl lässt sich lernen, üben trainieren.
=> Wenn diese Thesen stimmen, dann sollten wir Mitgefühl fördern: in uns und
bei anderen.
Wir können • lernen zu rechnen • lernen, zu zeichnen • lernen, kritisch zu denken, • trainieren, unsere Muskeln aufzubauen, Fußball zu spielen, • usw. Wir könnten auch: lernen, • unsere eigenen Gefühle zu steuern, • negative Emotionen zu vermeiden, • ein mitfühlenderer Mensch zu werden.
Emotionale Ansteckung = Unbewusste Auslösung derselben Emotion wie bei
beobachteter Person (schon bei Säuglingen)
=> OHNE Selbst-Andere-Unterscheidung
Empathie = Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu
teilen (verstehen und nachempfinden), im
Bewusstsein darüber, dass es sich nicht um die
eigenen Emotionen handelt
=> Mit Selbst-Andere-Unterscheidung
Kognitive Perspektivübernahme = kognitive Fähigkeit: Schlussfolgerungen über den geistigen Zustand eines anderen Menschen ziehen (engl.:„Theory of Mind“) (Mit Selbst-Andere-Unterscheidung) Mitgefühl = Fähigkeit, die Emotionen eines anderen Menschen zu verstehen, verbunden mit (einem „warmem“ Gefühl der ) Fürsorge („warm glow“) und der Motivation, das Wohlergehen des anderen zu erhöhen. (Mit Selbst-Andere-Unterscheidung)