Grundlagen: Naturrecht und Positivismus Flashcards
Die 3 Hauptelemente des Begriffs des Rechts
I. Die autoritative Gesetztheit einer Norm oder eines Normensystems:
• wenn sie von dafür zuständigem Organ in dafür vorgesehener Weise gesetzt worden ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt
II. Die soziale Wirksamkeit einer Norm oder eines Normensystems:
• wenn sie entweder befolgt oder ihre/seine Nichtbefolgung sanktioniert wird
III. Die inhaltliche Richtigkeit einer Norm oder eines Normensystems:
• wenn sie moralisch gerechtfertigt ist, also wenn sie moralisch begründet werden kann (richtige Moral; unabhängig davon, ob sie/es zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort von einzelnen, einer Gruppe oder der Mehrheit in der Gesellschaft für richtig gehalten wird, letzteres stellt positive Moral als bloßes soziales Faktum dar)
• Norm entspricht bestimmten ethischen, moralischen oder vernunftbasierten Kriterien —> normativ „richtige“ Normen fördern Gerechtigkeit, achten Menschenwürde, entsprechen moralischen Grundsätzen
Grundposition der Rechtspositivisten
Rechtspositivisten können nur auf die autoritative Gesetztheit und die soziale Wirksamkeit abstellen: formale Gültigkeit ausreichend
Norm ist rechtlich verbindlich, wenn sie im Einklang mit der Rechtsordnung zustande gekommen ist
Trennung von Recht und Moral, Norm ist wirksam unabhängig von moralischem Inhalt
Grundposition der Naturrechtler
Nichtpositivisten gehen von einer notwendigen Verbindung von Recht und Moral aus: Rechtsnormen nur dann verbindlich, wenn sie höherer universeller Gerechtigkeit entsprechen
„Ungerechtes Recht ist kein Recht“
Rechtspositivistische Theorien: Trennungs- und Hilfsthese
- Die positivistische Trennungsthese:
Begriff des Rechts ist so zu definieren, „dass er keine moralischen Elemente einschließt“ (Alexy)
Es besteht keine notwendige Verbindung von Recht und Moral
„Daher kann jeder beliebige Inhalt Recht sein“ (Kelsen: „Nach dem Recht totalitärer Staaten ist die Regierung ermächtigt, Personen unerwünschter Gesinnung, Religion oder Rasse in Konzentrationslager zu sperren und zu beliebigen Arbeiten zu zwingen, ja zu töten. Solche Maßnahmen mag man moralisch auf das schärfste verurteilen; aber man kann sie nicht außerhalb der Rechtsordnung dieser Staaten stehend ansehen“)
Recht als normatives System zu trennen von Moral als soziales System
Viele Rechtssysteme spiegeln moralische Werte wider, aber nur weil die Gesellschaft dies wünscht, nicht weil es zwingend erforderlich ist (H.L.A. Hart)
- Hilfsthese:
Moralische Fragen sind rational unentscheidbar (Relativismusthese) —> gibt keine objektiven, absolut gültigen Wahrheiten oder Werte, sie sind relativ; abhängig von Perspektiven, Kulturen, historischen Kontexten, Meinungen)
Es gibt keine universellen Kriterien, um eindeutig zu bestimmen, was „richtig“ oder „falsch“ ist; gibt keine neutralen Richter, die zwischen moralischen Fragen entscheiden können (z.B: einen Menschen opfern, um viele zu retten), ohne selbst Position einzunehmen
Daher Trennung von Recht und Moral, um moralische Unentscheidbarkeit zu umgehen —> Recht als formales System funktioniert unabhängig von moralischen Fragen, moralische Konflikte werden nicht im Recht selbst gelöst, sondern durch die Gesellschaft/Gesetzgeber
Kriterien zur Identifikation geltenden Rechts nach einem positivistischen Rechtsbegriff:
nur (i) autoritative Gesetztheit und (ii) soziale Wirksamkeit von Normen notwendig
Zwei verschiedene Versionen des Rechtspositivismus in der angelsächsischen Diskussion
a) Inklusiver Rechtspositivismus:
Es ist möglich, Elemente der Moral als Kriterium der rechtlichen Geltung zu inkorporieren (moralische Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts verwenden), notwendig ist dies aber nicht
Ob eine derartige Inkorporation erfolgt ist, hängt von den kontingenten Entscheidungen des jeweiligen Rechtssystems ab (z.B. Jules Coleman) —> moralische Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts können in einem bestimmten Rechtssystem etwa durch positives Recht oder seine Interpretation eingeführt werden, in anderen Rechtssystemen aber fehlen
Moralische Prinzipien oder Werte können Teil des Rechts werden, wenn das Rechtssystem dies erlaubt, moralische Prinzipien als rechtlich verbindlich, weil das Rechtssystem sie explizit aufgenommen hat
b) Exklusiver Rechtspositivismus:
Das Recht kann Elemente der Moral nicht im obengenannten Sinne in das Recht „inkorporieren“, ohne dass sie ihren eigentlichen moralischen Charakter verlieren: moralische Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts sind nicht nur nicht notwendig, sondern sogar unmöglich
Moralische Kriterien, die in Überlegungen oder Entscheidungen eingehen, bleiben außerhalb des Rechts; moralische Prinzipien können Recht beeinflussen, sind aber nicht Teil des Rechtssystems
Menschen sollen die Rechtsnorm befolgen, weil sie rechtlich gültig, nicht moralisch gut oder gerecht ist
II. Nichtpositivistische oder naturrechtliche Theorien: Verbindungsthese (starke/schwache)
- Nichtpositivistische Verbindungsthese:
Der Begriff des Rechts ist so zu definieren, dass er moralische Elemente einschließt (Alexy) —> besteht eine notwendige Verbindung von Recht und (richtiger, nicht bloß positiver) Moral, daher kann nicht jeder beliebige Inhalt Recht sein.
- Verschiedene nichtpositivistische Theorien je nach der Art und dem Maß der notwendigen Verbindung von Recht und Moral:
a) extreme (starke) Verbindungsthese und schwache Verbindungsthese:
(1) Die stärkste notwendige Verbindung von Recht und Moral:
Eine Rechtsnorm verliert den Rechtscharakter bei jeder inhaltlichen Unrichtigkeit und sei diese Ungerechtigkeit auch noch so gering: „Jegliches Unrecht ist kein Recht“
• Norm kann nur dann als “Recht” gelten, wenn inhaltlich gerecht —> Abweichung: kann nicht mehr als Recht angesehen werden
• Klassisches Zitat: Der Kirchenvater Augustinus formulierte es so: „Nam lex mihi esse non videtur, quaeiusta non fuerit“ („Denn ein Gesetz, das nicht gerecht ist, scheint mir kein Gesetz zu sein“).
These stellt unbedingte moralische Bedingung für die Gültigkeit von Recht auf
Probleme und Kritik: These wird praktisch kaum vertreten
• Rechtssicherheit: Recht als extrem instabil, da jede Norm permanent in Frage gestellt werden könnte; auchgeringfügige moralische Meinungsverschiedenheiten könnten das gesamte Rechtssystem unterminieren
• Praktische Anwendbarkeit: In der Realität sind Rechtsordnungen oft ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Moralvorstellungen —> These bietet keinen Raum für Pluralität
Die extreme Verbindungsthese stellt eher eine Position dar, die Positivisten den Nichtpositivisten fälschlich zuschreiben, damit deren Position weniger plausibel und vertretbar erscheint
(2) Schwache Verbindungsthese:
Nur qualifizierte inhaltliche/moralische Unrichtigkeit (Ungerechtigkeit) führt dazu, dass eine Norm den Rechtscharakter oder ihre rechtliche Geltung verliert: Unerträglichkeitsformel als Teilformel der RadbruchschenFormel, die in einer von Alexy geprägten Kurzform lautet: „Extremes Unrecht ist kein Recht“
Beispiel: Rechtsnormen des NS-Regimes wurden in der Nachkriegszeit unter Berufung auf diese Formel delegitimiert
Abgrenzung: Die schwache Verbindungsthese erkennt an, dass es gewöhnliche Ungerechtigkeiten gibt, die zwar moralisch problematisch sind, aber dennoch rechtlich bindend bleiben; erst bei extremer Ungerechtigkeit wird eine Grenze überschritten
Kriterien des nichtpositivistischen Rechtsbegriffs
(i) autoritative Gesetztheit, (ii) soziale Wirksamkeit und (iii) inhaltliche oder moralische Richtigkeit (Gerechtigkeit)
Zwei verschiedene Ebenen, auf denen die notwendige Verbindung von Recht und Moral besteht oder nicht: Doppelunterscheidung von Rechtspositivismus und Naturrecht: (1) Ebene der Kriterien
(1) Ebene der Kriterien: Was macht eine Norm zu einer gültigen Rechtsnorm?
Eine notwendige Verbindung zwischen Recht und Moral besteht auf der Ebene der Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts, wenn Rechtsnormen bei (schweren) moralischen Fehlern notwendig ihre Rechtsnatur oder ihre Rechtsgeltung verlieren, so dass der Richter sie bei Entscheidungen nicht mehr als rechtlich bindendes Material zugrunde legen muss und darf
Der schwachen und der starken Verbindungsthese in liegt jeweils die auf die Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts abstellende Unterscheidung zugrunde
• Beispiel für eine Verbindung:
Bei schwerer moralischer Unrichtigkeit (z. B. extremer Ungerechtigkeit) verliert eine Norm ihren Rechtscharakter. Das ist die Grundlage der schwachen Verbindungsthese („Extremes Unrecht ist kein Recht“).
• Rechtspositivismus auf dieser Ebene:
Im Gegensatz dazu trennt der Rechtspositivismus diese Ebene strikt von moralischen Überlegungen. Für ihn ist die Geltung einer Norm allein von formalen Kriterien abhängig, wie der Einhaltung eines rechtlichen Verfahrens.
Die Kassation positiven Rechts durch Ungerechtigkeit
These in naturrechtlichen Theorien: positives Recht (autoritativ gesetztes und sozial wirksames Recht) kann bei einem bestimmten Maß von Ungerechtigkeit den Rechtscharakter verlieren („Kassation“ positiven Rechts)
Betrifft die Ebene der Kriterien in der Version der schwachen Verbindungsthese, berühmtes Beispiel ist die Radbruchsche Formel
Die Kassation positiven Rechts bezeichnet die Aufhebung oder Ungültigkeitserklärung einer Rechtsnorm, die zwar formal gültig (positives Recht), jedoch inhaltlich so schwerwiegend ungerecht ist, dass sie ihren Rechtscharakter verliert
Die Kassation beschreibt den Vorgang, bei dem eine Rechtsnorm aufgrund ihrer extremen Ungerechtigkeit als nicht bindend betrachtet wird, obwohl sie gemäß den rechtlichen Verfahren in Kraft gesetzt wurde
Kreation von Recht durch Moral
Man kann aber darüber hinaus die Frage stellen, ob das Recht notwendig bestimmte Minimalgehalte der Moral enthält, auch wenn die entsprechenden Normen nicht positives Recht geworden sind („Kreation“ von Recht jenseits des positiven Rechts, „moralunmittelbares Recht“), beispielsweise in der Transformation von moralisch extrem dringend gebotenen Leistungsrechten in das Recht
„Kreation“ von Recht jenseits des positiven Rechts bedeutet, dass Recht auch ohne formale Gesetzgebungsakte existieren kann
Es wird aus moralischen Prinzipien oder der Vernunft entwickelt und beansprucht Geltung, auch wenn es nicht in Gesetzen kodifiziert ist
moralische Grundsätze können universell und überzeitlich gelten; sind nicht vom Willen eines Gesetzgebers abhängig
Naturrechtliche Ansätze: Prinzipien wie Gerechtigkeit, Menschenwürde oder Freiheit gelten als überpositive Rechtsnormen, die unabhängig vom Gesetzgeber existieren
Völkerrecht: Manche Grundprinzipien des Völkerrechts (z. B. Verbot von Völkermord) gelten als universelle Normen, selbst wenn ein Staat sie nicht in nationales Recht überführthat
Moralunmittelbares Recht (Recht, das nicht durch formale Verfahren positiviert wurde, sondern sich direkt aus moralischen Prinzipien ableitet; wirkt unmittelbar, ohne dass es in rechtlichen Texten kodifiziert sein muss) kann als Korrektiv wirken, wenn das positive Recht in schwerwiegender Weise ungerecht ist
Die praktische Bedeutung des Streits um den Rechtspositivismus: Beispiele aus der Praxis, die Rolle der Gerechtigkeit
I. Gesetzliches Unrecht (betrifft unmittelbar nur die Ebene der Kriterien):
Rechtsanwendung durch Gerichte:
Die Vorstellung, dass ein Verfassungsgeber alles nach seinem Willen ordnen kann, würde einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus bedeuten, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist
NS-Zeit lehrt: auch Gesetzgeber kann Unrecht setzen —> BVerfG bejaht die Möglichkeit, nationalsozialistischen ‚Rechts‘-Vorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, weil sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, dass der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen
Mit diesen Formulierungen (vgl. auch BVerfGE 3, 225, 232; 6, 132, 198 f.) ist nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft versucht worden, schwerste Rechtsverletzungen zu kennzeichnen
Rolle der Verfassungsgerichtbarkeit:
Soraya (1973): „Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daß die Rechtsprechung an ‚Gesetz und Recht‘ gebunden ist (Art. 20 Abs. 3) —> Ablehnung Gesetzespositivismus
Gesetz und Recht decken sich nicht notwendig und nicht immer, Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch
Es kann ein Mehr an Recht bestehen, das dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung
- Rolle der Gerechtigkeit als Maßstab
Auslegung und Rechtsfortbildung:
• In der juristischen Methodenlehre stellt sich darüber hinaus grundlegend die Frage, ob in der Auslegung und Rechtsfortbildung notwendig substantielle Interpretationsargumente, die unmittelbar auf Gerechtigkeit abstellen (in Ergänzung zu den klassischen institutionellen Interpretationsargumenten, nach denen der Wortlaut, der gesetzgeberische Wille und „System“ etc. abstellen) berücksichtigt werden müssen – ein Rechtspositivist kann dies definitionsgemäß nicht akzeptieren, weil hierin eine notwendige Verbindung von Recht und Moral läge
Der Rechtspositivismus vertritt die Auffassung, dass Recht durch seine formale Setzung (z. B. Gesetzgebung) definiert ist, unabhängig von seinem moralischen Gehalt. Das Gesetz gilt, solange es den vorgeschriebenen Verfahren entspricht. Die Kritik am reinen Gesetzespositivismus ergibt sich aus historischen Erfahrungen mit Gesetzen, die zwar formal gültig, aber extrem ungerecht waren (z. B. NS-Gesetze). Diese Kritik führte zu einer stärkeren Berücksichtigung von Gerechtigkeitsfragen bei der Rechtsanwendung.
Beispiele aus der Praxis:
1. Nationalsozialistische Gesetze:
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass NS-Gesetze, die fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit widersprechen, nicht als Recht gelten (BVerfGE 3, 225). Diese Position folgt der Radbruchschen Formel: „Extremes Unrecht ist kein Recht.“
- Mauerschützen-Prozesse (1992):
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein DDR-Gesetz, das die Tötung von Menschen an der innerdeutschen Grenze rechtfertigte, wegen Verstößen gegen übergeordnete Gerechtigkeitsprinzipien als unrechtmäßig anzusehen ist. Entscheidend war, dass das Gesetz „offensichtlich grob“ gegen universelle Rechtsgrundsätze und die Menschenwürde verstieß. - Soraya-Urteil (1973):
Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass Richter in Deutschland nicht nur an das Gesetz, sondern auch an das Recht gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Diese Bindung umfasst die Möglichkeit, dass es ein „Mehr an Recht“ gibt, das über die geschriebenen Gesetze hinausgeht und als Korrektiv wirken kann. - Praktische Konsequenzen des Streits
a) Rechtsanwendung durch Gerichte
Der Streit beeinflusst unmittelbar die Rechtsprechung:
• Soll ein Richter ein Gesetz anwenden, das moralisch fragwürdig ist?
• Nach nichtpositivistischer Sicht darf der Richter bei „extremem Unrecht“ das Gesetz ignorieren oder seine Geltung verneinen (Radbruchsches Prinzip).
• Nach positivistischer Sicht muss der Richter das Gesetz anwenden, selbst wenn er es für moralisch falsch hält.
b) Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG) bedeutet nach gängiger Auslegung, dass Richter nicht nur das positive Recht anwenden, sondern auch übergeordnete Prinzipien (z. B. Menschenwürde, Gerechtigkeit) berücksichtigen müssen. Dies lehnt ein strenger Rechtspositivismus ab.
c) Auslegung und Rechtsfortbildung
Die Frage stellt sich auch auf der Ebene der Methodenlehre: Müssen Richter bei der Interpretation von Gesetzen moralische Argumente einbeziehen? Nach klassisch positivistischer Ansicht sind sie auf den Wortlaut und die gesetzliche Systematik beschränkt. Die nichtpositivistische Perspektive verlangt hingegen, dass moralische Argumente in die Auslegung einfließen, um „ungerechte“ Ergebnisse zu vermeiden.
Zwei verschiedene Ebenen, auf denen die notwendige Verbindung von Recht und Moral besteht oder nicht: Doppelunterscheidung von Rechtspositivismus und Naturrecht: (2) Ebene der Gründe
(2) Ebene der Gründe für die Kriterien: Warum werden bestimmte Kriterien zur Identifikation geltenden Rechts überhaupt akzeptiert?
Die notwendige Verbindung von Recht und Moral kann auch auf einer höheren Ebene liegen, nämlich auf der Ebene der Gründe für die Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts: Wenn beispielsweise das Argument der Rechtssicherheit notwendig moralische Natur aufweist, aber gleichzeitig gegen moralische Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts spricht, impliziert dies Nichtpositivismus auf der Ebene der Gründe für die Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts und zugleich Positivismus auf der Ebene der Kriterien für die Identifikation geltenden Rechts
Ein Rechtspositivist kann argumentieren, dass formale Kriterien (wie Verfahrenstreue) aufgrund der moralischen Notwendigkeit von Rechtssicherheit legitim sind
Nichtpositivisten argumentieren, dass moralische Prinzipien wie Gerechtigkeit oder Menschenwürde die Grundlage für die Kriterien des Rechts bilden sollten
a) Rechtspositivismus
• Auf der Ebene der Kriterien:
Recht wird allein durch formale Merkmale identifiziert, unabhängig von seinem moralischen Inhalt.
Beispiel: Ein Gesetz, das in einem rechtmäßigen Verfahren zustande gekommen ist, gilt als Recht, auch wenn es moralisch problematisch ist.
• Auf der Ebene der Gründe:
Ein Rechtspositivist kann anerkennen, dass die Kriterien des Rechts (z. B. Verfahrenstreue) moralisch legitimiert werden, etwa durch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit.
Beispiel: Verfahrenstreue wird akzeptiert, weil sie Stabilität und Vorhersehbarkeit schafft, was moralisch wünschenswert ist.
b) Nichtpositivismus
• Auf der Ebene der Kriterien:
Moral ist ein direktes Kriterium für die Gültigkeit von Recht. Bei schwerer Ungerechtigkeit verliert eine Norm ihren Rechtscharakter (wie in der schwachen Verbindungsthese).
Beispiel: Ein Gesetz, das gegen fundamentale moralische Prinzipien wie die Menschenwürde verstößt, gilt nicht als Recht.
• Auf der Ebene der Gründe:
Nichtpositivisten sehen moralische Prinzipien nicht nur als Begründung für formale Kriterien, sondern auch als direkt verbindlich für die Rechtsidentifikation.
Beispiel: Gerechtigkeit ist nicht nur ein Grund für Recht, sondern auch ein Prüfmaßstab für die Gültigkeit von Rechtsnormen.
Die Doppelunterscheidung zeigt, dass es Kombinationen von Rechtspositivismus und Nichtpositivismus geben kann:
• Beispiel: Rechtssicherheit vs. Moralische Kriterien
o Ein System kann positivistisch auf der Ebene der Kriterien sein (Recht wird allein durch formale Kriterien identifiziert) und zugleich nichtpositivistisch auf der Ebene der Gründe (die Legitimation der Kriterien basiert auf moralischen Prinzipien wie Rechtssicherheit).
• Relevanz für die schwache Verbindungsthese:
Die schwache Verbindungsthese passt in diese Kombination: Sie kann eine moralische Verbindung auf der Ebene der Kriterien anerkennen (bei extremer Ungerechtigkeit), ohne den gesamten Rechtsrahmen durchgängig an Moral zu binden.
Praktische Bedeutung des Streits um den Rechtspositivismus: Fazit: Überwindung des reinen Rechtspositivismus
Der Streit um den Rechtspositivismus hat vor allem durch historische Erfahrungen eine praktische Bedeutung erlangt:
• Die deutsche Rechtsprechung hat sich nach 1945 von einem strengen Gesetzespositivismus abgewandt, da dieser als mitverantwortlich für die Legitimation nationalsozialistischer Verbrechen gesehen wurde.
• Gerichte wie das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof erkennen an, dass das Recht nicht ausschließlich durch Gesetzgebung bestimmt wird. Vielmehr wird Recht auch durch übergeordnete Prinzipien wie Gerechtigkeit, Menschenwürde und die universellen Rechtsüberzeugungen geprägt.
• Damit ist der Rechtspositivismus in seiner reinen Form überwunden, und moralische Prinzipien haben eine begrenzte, aber wesentliche Rolle bei der Identifikation und Anwendung von Recht.