Deutsch und andere Sprachen in der Migrationsgesellschaft: Spracherwerb, Sprachgebrauch und Bildung Flashcards

1
Q

Ein paar Zahlen

A

Etwas mehr als 1/5 der österreichischen Bevölkerung hat einen sogenannten Migrationshintergrund, wobei die Spanne von 41% in Wien bis ca. 10 % in Kärnten reicht. (NBB 2015, Band 1, Kurzfassung S. 27) - es stellt sich die Frage, ab wann man Migrationshintergrund hat.

Österreichweit gehören ein Drittel der Kinder der 4. Schulstufe zu mindestens einer der drei sozialen Gruppen an, die Ausschlüsse durch das Bildungssystem erfahren: nichtdeutsche Alltagssprache, bildungsferner Haushalt und/oder niedriger Berufsstatus der Eltern. In den urbanen Zentren ist dies knapp die Hälfte aller Kinder, auf dem Land lediglich jedes Fünfte. (vgl. NBB 2015, Kurzfassung S.5)

Migrationshintergrund wird differenziert in erste und zweite Generation. Personen, die selbst und
deren Eltern im Ausland geboren wurden, bezeichnet man als Migrantinnen und Migranten
der ersten Generation. Sind nicht sie selbst, aber beide Elternteile im Ausland geboren, so
spricht man von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation.

Schätzungen auf Basis des Mikrozensus zufolge knapp ein Fünftel der in Österreich lebenden
Personen einen Migrationshintergrund: 14 % gehören der ersten Generation an und weitere
5 % der zweiten Generation, wobei erhebliche regionale Unterschiede bestehen.

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2
Q

Sprachgebrauch in Familien

A

Es gibt derzeit mehr als 200.000 mehrsprachige SchülerInnen in Österreich und weit über 100 Sprachen, die im familiären Alltag der Kinder gesprochen werden. Auf der Grafik sehen Sie den Sprachgebrauch in der Familie. Die unterschiedlichen Sprachgruppen unterscheiden sich dabei nicht wesentlich. Flüchtlingsfamilien und solche, die noch nicht so lange in Österreich niedergelassen sind, sprechen zu einem etwas höheren Prozentsatz zuhause nur ihre Familiensprache.

In der 4. Schulstufe kommen 3 % der Schüler/innen aus Familien, in denen Deutsch keine Alltagssprache ist, weitere 22 % leben in mehrsprachigen Familien, in denen teilweise Deutsch gesprochen wird. Betrachtet man nur Schüler/innen mit Migrationshintergrund, sprechen 84 % zu Hause Deutsch, allerdings meistens neben einer weiteren Sprache (68 %). Jedes sechste Kind dieser Gruppe spricht in seiner Familie kein Deutsch.
Abgesehen von den deutschen Familien sprechen in den unterschiedlichen Sprachgruppen zwischen zwei Drittel und drei Viertel zuhause Deutsch und ihre Familiensprache.

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3
Q

SchülerInnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch

A

Während die Zahlen der SchulanfängerInnen rückläufig sind, steigen die Anteile der mehrsprachigen SchülerInnen. Sie sehen hier für ganz Österreich die durchschnittlichen Prozentanteile von mehrsprachigen SchülerInnen nach Schultyp im Pflichtschulalter, d.h. der sechs- bis fünfzehnjährigen in den vergangenen 10 Jahren. Das erste, was auffällt sind die konstant ansteigenden Linien. Beginnen wir mit der Volksschule, das ist die dunkelblaue Linie Von 2001 bis 2010 ist der durchschnittliche Anteil in der Volksschule von 15% auf 23% gestiegen. In der Sonderschule, der gelbe Graph mit den Dreiecken, von 23% auf 28%. In der Hauptschule, der rosarote Graph mit den Quadraten von 13% auf 21%, wesentlich darunter liegt nur der Anteil in der AHS-Unterstufe von 9% auf 15%. Es ist also sichtbar, dass es in der Sonderschule eine deutliche Überrepräsentation gibt und in der AHS eine deutliche Unterrepräsentation. Weiter muss bemerkt werden, dass es zwar in allen Schultypen einen Anstieg zu verzeichnen gibt, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

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4
Q

Österreich ist…

A

… eine mehrsprachige Migrations-gesellschaft
(Mehrsprachigkeit ≠ Migration, hängt aber eng damit zusammen)
(Mehrsprachigkeit nicht nur aufgrund von Migration sondern auch aufgrund alteingesessenen Minderheiten)

… ein amtlich deutschsprachiges Land
(in einigen Regionen + Ungarisch, Slowenisch, Burgenland-Kroatisch)
mit Deutsch als Unterrichtssprache
(Eigentlich müsste man von amtlich deutschsprachigen REGIONEN sprechen)

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5
Q

Unterricht muss darauf abzielen…

A

… die Deutschkompetenzen zu fördern
um Handlungsfähigkeit auszuweiten
um Bildungsbeteiligung im weitgehend monolingual geprägten Bildungssystem zu gewährleisten
(ansonsten nimmt man Schlechterstellung und Diskriminierung in Kauf)

… Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen
um Realität abzubilden (100% der Kinder leben im Migrationskontext)
um Chancengerechtigkeit zu erhöhen
um Zugang zu (Bildungs-)Ressourcen zu ermöglichen

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6
Q

Mehrsprachigkeit hat viele Facetten

A
  • Die plurizentrische Perspektive: Varianten einer Sprache (in verschiedenen Nationalstaaten)
    (Deutsch ist eine plurizentrische Sprache)
  • Die Perspektive der inneren Mehrsprachigkeit: Standardsprache, Dialekte, Soziolekte, Jugendsprachen, …
    (ZB in der Schweiz gibt es Kurse wo Dialekt gelehrt wird, um voneinander unterscheiden zu können)
  • Die Perspektive der äußeren Mehrsprachigkeit: Verschiedene (National-)Sprachen, die in sich vielfältig sind
    (Es gibt mehrere Register in einer Sprache, wir sprechen auf der Uni anders als mit Freunden oder mit Kindern)
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7
Q

Non standard-Domänen und -Variäteten

A
  • Migrationsspezifische Register (Verwendungsbereiche des Dt. die beeinflusst werden von verschiedenen Migrationssprachen zB Türkendeutsch)
  • Code Switching (Mischmasch, Sprachen hin- und herwechseln)
  • Code Mixing (verschiedene Sprachen werden sehr dicht verwendet)
  • Transfer (Einzelne Elemente werden von einer in die andere Sprache übertragen.

Das sind Domänen die man alltagssprachlich als Fehler betrachtet zB was in der Schule als Fehler gesehen wird ist privat richtig. D.h. wir haben es mit verschiedenen Spannungsfeldern zu tun

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8
Q

Frage:

A

Mehrsprachigkeit oder Sprachigkeit?

Da kritisiert wurde, dass Sprachen so voneinander abgegrenzt werden. Möchte Bewusstsein schaffen.

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9
Q

Migrationsspezifische Register

A

Beispiel: Farsi in Wien
Gespräch zwischen zwei Männern, aufgezeichnet von den Studentinnen Masoumeh Lotfi und Sara Younesinia, Wintersemester 2010/11

  • Migrationssprachen werden zB auch vom Deutschen beeinflusst und werden nicht so gesprochen wie in den Herkunftsländern
  • Wird zu einer Art “Matrixsprache”
  • Mit der Wahl eines Wortes kann auch Kontextbezogenheit hergestellt werden - zB deutsche Verwendung von “Geschäft” kann meinen, dass die Geschäfte in Wien gemeint sind

„Türkischdeutsch“:

  • Syntaktische Veränderungen des umgangssprachlichen Standarddeutsch
  • kurze und dicht aufeinanderfolgende (einander nachgestellte) Äußerungen
  • der Einsatz einer bestimmten Satzmelodie
  • Sprachalternation
    der Transfer türkischer Wörter und Äußerungsteile ins Deutsche

Beispiele:
“Hast du ates? (Feuer)
“Dann bin ich Gesamtschule ‘rübergegangen” = kontextspezifischer Sprachgebrauch

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10
Q

Neuschöpfungen

A

Beispiel:

„Haltelippen“ statt „Zange“ (Hamburger Sprachstandserhebung Bumerang, Dirim 2009)

Teilneuschöpfung: Übersetzung aus dem Russischen („Lippen“) + Kombination mit einem nicht übersetzten Verbalnomen („Halten“), Bildung eines Kompositums nach den Regeln des Deutschen -> zeigt, dass Lernende im Deutschen angekommen sind

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11
Q

Mehrsprachigkeit…

A

… hat viele Facetten
… erzeugt kreativen Sprachgebrauch
… ermöglicht strategischen Sprachgebrauch
… ermöglicht (neue) Variation
… ist ein Potenzial für Kommunikation und Bildung

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12
Q

Mehrsprachigkeit und die monolinguale Schule

A
  • Die Sprache der Instruktion
  • Die Sprache der Materialien
  • Die Sprache der Kommunikation

sind vom Deutschen dominiert…

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13
Q

Die Monolingualiät…

A
  • Schränkt die Ausschöpfung kommunikativer Ressourcen in verschiedenen Sprachen stark ein
  • Schränkt die Entwicklung von verschiedenen Bildungssprachen stark ein (da nur muttersprachlicher Unterricht)
  • Der monolinguale Unterricht ist häufig nachteilig für Kinder, die zweisprachig und nicht deutsch-dominant aufwachsen
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14
Q

Möglichkeiten der Öffnung für Mehrsprachigkeit

A
  • Sprachvergleiche; Ziel: Schaffung von Sprachbewusstheit auf einer Metaebene, Wertschätzung von Mehrsprachigkeit (Krumm & Reich 2013)
  • Methoden des Aufbaus bilingualer Sprachkompetenz, z.B. bilinguales Scaffolding (Roth o.J./2006)
  • Lernen mit Quellen in verschiedenen Sprachen: -Bereitstellung mehrsprachiger Materialien
  • Umgang mit Non Standard-Varianz (Rösch 2005)
  • Einbezug von Mehrsprachigkeit zur Erhöhung des Schulerfolgs (El Kechen u.a. 2011)
  • Ermöglichung von Kommunikation ohne Einschränkung durch Monolingualität (Dirim 1998)
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15
Q

Mehrsprachigkeit in der Kommunikation (Dirim 1998)

A
  • Empirische Studie aus einer Hamburger Grundschulklasse
  • 22 Schülerinnen und Schüler, die Hälfte aus türkisch-deutschsprachigem Elternhaus
  • Bilinguale Alphabetisierung der türkisch-deutschsprachigen Kinder, bilinguale Kooperationsstunden mit dem Lehrer für den herkunftssprachlichen Unterricht
  • Gruppenarbeit im Sachunterricht, Thema: gesundes Frühstück, Kinder fülle ein AB aus

Interpretation der Erhebungen:

  • Türkisch und Deutsch werden im Sinne der Unterrichtsziele verwendet
  • Die Kinder befolgen bestimmte Kommunikationsregeln, ohne dass diese expliziert werden müssen.
  • Türkisch ist die „Matrixsprache“, in die deutsche Elemente integriert werden.
  • Die Kinder erwerben nicht nur sprachliche Mittel im engeren Sinne, sondern auch ein Gespür für die Anwendung der sprachlichen Kompetenz in einer bestimmten Situation (vgl. Bourdieu 1990).
  • Das Türkische bekommt in der Klasse eine gewisse „inselhafte“ Legitimation
  • Die Kinder erhalten die Möglichkeit, mit ihren Sprachen zu arbeiten (beide Sprachen werden als Arbeits- und Kommunikationssprache wertgeschätzt und verwendet)
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16
Q

Einbezug von Mehrpsrachigkeit – verschiedene Formen und Ziele

A

Zur Wertschätzung
Für das (sprachliche) Lernen
Zur Erhöhung des Bildungserfolgs

Allerdings: der Einbezug von migrationsbedinter Mehrsprachigkeit ist verm. eine Ausnahme – die Schule in Österreich ist i.d.R. monolingual deutschsprachig

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Q

Bildungserfolg und DaZ

A

Faktor „Sprach“ in Österreich bedeutsamer Risikofaktor für den Bildungserfolg
NBB 2015: Gruppe der „männlichen Jugendlichen mit nicht deutscher Erstsprache“ besonders gefährdet (13% ohne Schulabschluss; „männliche Jugendliche mit deutscher Umgangssprache“: 5% ohne Schulabschluss) (Oberwimmer u.a. 2016)
Schüler_innen mM in Haupt- und Förderschulen überrepräsentiert, an der AHS unterrepräsentiert
„Gender“, „soziale Herkunft“ und „Sprache“ Risikofaktoren Bruneforth et al. 2016)

18
Q

DaZ-Förderung

A

Bedeutsam für den Bildungserfolg und die barrierefreie Teilnahme am Unterricht ist die Beherrschung der deutschen Sprache im bildungssprachlichen Register
Das Ziel der DaZ-Fördermaßnahmen ist v.a., Schüler_innen dieses Register zu vermitteln.