Das Unterlassungsdelikt Flashcards

1
Q

Aufbauschema des vorsätzlichen vollendeten Unterlassungsdelikt

A

I. Tatbestandsmäßigkeit
1. obj. Tatbestand
a) Vorliegen der obj. Tatbestandsmerkmale eines Erfolgsdelikts
b) Unterlassung (ggf. Abgrenzung zum aktiven Tun) einer geeigneten und erforderlichen
Verhinderungshandlung trotz physisch-realer individueller Handlungsmöglichkeit
c) Quasi Kausalität und objektive Zurechnung
d) Garantenstellung gem. § 13 (Garantenposition und Handlungspflicht im konkreten Fall)
e) Entsprechungsklausel gem. § 13 I 2. Halbsatz
2. subj. Tatbestand
a) Vorsatz bezüglich aller Merkmale des objektiven Tatbestands
b) besondere subj. Tatbestandsmerkmale
II. Rechtswidrigkeit
Wie beim vollendeten Begehungsdelikt, Besonderheit der rechtfertigenden Pflichtenkollision
III. Schuld
Wie beim vollendeten Begehungsdelikt, Besonderheiten:
1. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als weiterer Entschuldigungsgrund laut h.M.
2. Gebotsirrtum statt Verbotsirrtum in Fällen des § 17

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2
Q

Die Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung trotz physisch-realer individueller Handlungsmöglichkeit.

A

Man muss die zur Erfolgsabwendung geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlungen benennen - hier können mehrere in Betracht kommen.
Die physisch-reale individuelle Handlungsmöglichkeit: sie schließt die Tatbestandsmäßigkeit bei allen Tatsituationen aus, bei denen der Täter die Verhinderungshandlung aufgrund räumlicher Distanz oder mangels persönlicher Fähigkeiten das Opfer nicht vornehmen konnte.

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3
Q

Abgrenzung Tun und Unterlassen

A
  • Grundsätzlich: Wer durch den Einsatz körperlich Energie die Außenwelt verändert, handelt aktiv, wer dem Geschehen seinen Lauf lässt, obwohl er einschreiten könnte, unterlässt.
  • Liegt davon beides vor, stellt die h.M. darauf ab, ob im Unterlassen oder in der aktiven Handlung der Schwerpunkt der Verwertbarkeit liegt - so auch bei Fahrlässigkeitsdelikten.
  • ein Abbruch fremder Rettungshandlungen stellt ein aktives Tun dar - Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt im Tun
  • ein Abbruch eigener Rettungshandlung kommt es nach einer Ansicht darauf an, ob das Opfer die Rettungsmöglichkeit bereits erreicht hat. Wenn ja liegt aktives Tun vor. Eine andere Ansicht liegt aktives Tun bereits dann vor, wenn der Täter einen Kausalverlauf abbricht, der das Opfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet hätte.
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4
Q

Die Quasi-Kausalität

A

Grundformel: Quasi-Kausalität liegt vor, wenn die unterlassene rettende Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre.
Bei Unsicherheit darüber oder der bloßen Möglichkeit hat dem dem Grundsatz “in dubio pro reo” zu Folgen.
Die Risikoverminderungslehre: sie lässt es für die Quasi-Kausalität genügen, wenn die gebotene Handlung das Risiko eines Erfolgseintritts gemindert hätte. Ist aber abzulehnen, da man auf einen wirklichen Kausalzusammenhang verzichten würde und Verletzungs- und Gefährdungsdelikte umwandeln würde.

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5
Q

Die objektive Zurechnung

A

Die grundsätzlichen Gedanken des Begehungsdelikts sind anwendbar.
Die Grundformel lautet: Im Erfolg muss sich die Gefahr realisieren, die der Täter durch die pflichtwidrige Unterlassung der gebotenen Rettungshandlung geschaffen hat.

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6
Q

Die verschiedenen Garantenstellungen

A
  1. Beschützergaranten
    a. Die familiäre Verbundenheit
    b. Enge persönliche Lebensbeziehungen
    c. Gefahrengemeinschaften
    d. Vertrag und tatsächliche Übernahme
    e. weitere Beschützergaranten, insbesondere Amtsträger
    f. Reichweite der Schutzpflich
  2. Überwachungsgaranten
    a. Verantwortlichkeit für Sachen als Gefahrenquellen
    b. Verantwortlichkeit für Personen
    c. Vorangegangenes gefährdendes Tun (Garantenstellung aus Ingerenz)
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7
Q

Die Garantenstellung aus familiärer Verbundenheit

A
  1. Eltern-Kind-Verhältnisse und Verwandte in gerader Linie:
    - Grundsätzlich Garantenpflicht für Verwandte in gerader Linie (Eltern, Großeltern, Adoptiveltern, Pflegeeltern), solange sie zusammen in einer häuslichen Familiengemeinschaft leben, unabhängig der Art der familiären Beziehungen im konkreten Fall.
    - Nach Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft bleibt die Garantenpflicht bestehen, soweit die Beziehungen intakt bleiben und somit die Familiengemeinschaft fortbesteht. Keine Garantenstellung durch einen Bruch der Hausgemeinschaft aus einem Zerwürfnis.
  2. Geschwister:
    Auch hier besteht eine Garantenpflicht im Rahmen einer häuslichen Gemeinschaft.
  3. Ehegatten:
    - Auch Ehebeziehungen verpflichten zu einer Garantenstellung, unabhängig Streitereien, Abkühlung der Beziehung oder vorübergehendes Getrenntleben.
    - Ende der Garantenstellung hier wenn die Eheleute dauerhaft getrennt leben, sich neuen Partnern zugewendet haben, und aus unterschiedlichen Gründen die Scheidung nicht betreiben. Nicht erst nach tatsächlicher Scheidung, da meist bereits vor dieser ein berechtigtes Vertrauen auf das gegenseitige Bereitstehen zum Schutz der Rechtsgüter nicht mehr angenommen werden kann.
  4. Sonstige Garanten aus familiärer Gebundenheit:
    - Betreuer, Vormund und sonstige Angehörige iSd § 11 I Nr. 1a haben nur eine Garantenpflicht bei einer Schutzfunktion im Rahmen einer häuslichen Gemeinschaft.
    - Auch Lebenspartner iSd des Lebenspartnerschaftsgesetzes - nicht iSd Sprachgebrauchs stehen Ehegatten gleich.
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8
Q

Garantenstellung aus engeren persönlichen Lebensbeziehungen

A
  • Garantenpflicht grundsätzlich auch bei langjährigen/ eheähnlichen Lebens- und Hausgemeinschaften.
    • Maßgeblich ist, ob sich aus dem Gesamtverhalten der Beteiligten eine konkludierte Beistandsverpflichtung ergibt.
  • keine Garantenstellungen bei bloßen Freundschaften, Liebesverhältnisse, einfache Wohngemeinschaften oder Zech- und Drogengemeinschaften.
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9
Q

Die Gefahrengemeinschaft

A
  • Beinhaltet Mitglieder spezieller Gefahrengemeinschaften, welche sich gegenseitig - auch konkludiert - versprochen haben auf sie zukommende Gefahren voneinander abzuwenden.
  • Betrifft Bergsteigergemeinschaften, Auch bestimmte Expeditionen, Segeltouren und Abenteuerreisen.
  • Betrifft nicht Unglücks- und Schicksalsgemeinschaften wie z.B. Schiffbrüchige oder Katastrophenopfer aufgrund fehlender Übernahme einer Beistandspflicht.
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10
Q

Garantenstellung durch Vertrag und tatsächliche Übernahme

A
  • Man kann eine Garantenstellung auch durch einen Vertrag übernehmen - z.B. Babysitter oder Bademeister.
  • Wirksamkeit der Garantenpflicht beruht nicht auf der Wirksamkeit des zivilrechtlichen Vertrages.
  • In der Regel begründet nicht schon der Vertragsschluss die Begründung der Beistandspflicht, sondern erst die tatsächliche Übernahme der Funktion - Ausnahmen, wenn bereits die Zusage der Hilfe berechtigtes Vertrauen in die tatsächliche Übernahme begründet und aus diesem Grund auf andere Schutzmaßnahmen verzichtet wird.
  • Zudem sind Verkäufer dazu verpflichtet, den Geschäftsführer insbesondere vor Betrug und Diebstahl zu schützen.
  • Sicherheitsfirmen sind Garanten für Rechtsgüter, zu deren Schutz sie ihr Auftraggeber beauftragt hat.
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11
Q

Weitere Beschützergaranten, insbesondere Amtsträger

A
  1. Amtsträger
    - Garantenpflicht besteht grundsätzlich nur im Dienst.
    • Außer Dienst nur, wenn die Belange der Öffentlichkeit in besonderem Maße berührt sind.
      - Legitimation der Schutzpflicht ergibt sich aus der Zuständigkeit für besondere Aufgaben.
  2. Weiter Beschützergaranten
    - hier vor allem Organe juristischer Personen, wie z.b. Geschäftsführer einer GmbH, welche eine Vermögensbetreuungspflicht und auch generell Schäden von der juristischen Person abwenden müssen.
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12
Q

Reichweite der Schutzpflicht

A
  • Nicht jede Garantenstellung hat direkt eine Handlungspflicht zur Folge. Die konkrete Reichweite der Schutzpflicht ist unterschiedlich
    • Garanten aus familiärer Gebundenheit müssen sich gegenseitig vor Gefahren für Leib, Leben, Freiheit und erhebliche Vermögenswerte schützen.
    • Bei Gefahrengemeinschaften gilt die Schutzpflicht nur für die Gefahren, die typischerweise mit der Unternehmung vermuten sind.
    • Man muss als Beschützergarant auch nicht in einen freiverantwortlichen Suizid einschreiten.
    • Man ist als Beschützergarant nicht dazu verpflichtet, Straftaten Dritter zu verhindern - man muss als Ehepartner also nicht davon abhalten, Straftaten zu verüben.
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13
Q

Die Verantwortlichkeit für Sachen als Gefahrenquellen

A
  1. Verkehrssicherungspflichten
    - Jeder Eigentümer und Besitzer hat die in seinem Herrschaftsbereich unterstehenden beweglichen und unbeweglichen Sachen so zu überwachen und zu unterhalten, dass von ihnen keine nahe liegenden Gefahren für andere Rechtsgüter ausgehen.
    - Die Sicherungspflicht muss zumutbar sein und ein umsichtig handelnder Mensch müsste diese in der konkreten Situation auch für ausreichend und erforderlich halten.
    - besonders für Fahrlässigkeitsdelikte relevant - Die Pflicht sein Dach zu sichern o.ä.
    - ist eine Überwachungspflich und keine Rettungspflicht laut h.M.
  2. Wohnungsinhaber
    - Muss die Sicherung der üblichen Gefahrenstellen in Wohnungen gewährleisten.
    - Wohnungsinhaber ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, Verbrechen in deinen Wohnungen zu verhindern.
  3. Strafrechtliche Produkthaftung
    - Der Unternehmer hat eine Garantenpflicht für die Sicherung der von ihm vertriebenen und hergestellten Waren.
    - Er darf die Waren nur vertrieben, wenn sie nach den anerkannten Regeln der Technik keine Gefahren für die Verbraucher mit sich bringen.
    - Gilt auch für Sachen, welche sorgfaltsgemäß in den Verkehr gebracht wurden, hier muss der Unternehmer die Waren zurückberufen
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14
Q

Die Verantwortlichkeit für Personen als Gefahrenstelle

A
  • Grundsätzlich kein Pflicht andere Personen daran zu hindern, Straftaten zu begehen.
  • anders bei NICHT (voll) verantwortlich handelnden Personen, hier haben Aufsichtspersonen eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten - z.B. Eltern, Lehrer oder auch Aufsichtspersonen für geistig kranke.
  • bei VOLL VERANTWORTLICH handelnden gilt eine Überwachungsgarantenstellung für militärische Vorgesetzte, Fahrlehrer oder auch Aufsichtspersonal im Strafvollzug in Betracht - Aufsichtsverhältnis ist relevant.
  • Bei Vorgesetzten in Unternehmen, nur dann, wenn es sich um betriebsbezogene Straftaten handelt - z.B. Betrügereien gegen Kunden o.ä.
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15
Q

Garantenstellung durch Ingerenz

A

Sie ergibt sich daraus, dass der Täter für die Überwachung einer von ihm selbst geschaffenen Gefahrensituation verantwortlich ist.

  1. die objektive Pflichtwidrigkeit
    - Der Täter hat durch fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten eine andere Person unmittelbar in Gefahr gebracht.
    - Aus einem durch Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigtem Vorverhalten kann keine Garantenstellung durch Ingerenz entstehen.
    - Wer sich sozialadäquat oder als Verkehrsteilnehmer in jeder Hinsicht pflichtgemäß und verkehrsgerecht verhält, hat für Gefahren, die aus einem solchen sozial üblichen und von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltens entstehen, keine besondere Verantwortung zu tragen.
    - Problem bei pflichtwidrigem Vorverhalten, welches sich allerdings nicht auf die geschaffene Gefahrenlage ausgewirkt hat.
    • Laut BGH besteht hier eine Garantenpflicht, da das Verkehrswidrige Verhalten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gefahr steht.
    • Laut h.M. nein, Garantenstellung müsste nur dann gelten, wenn wie bei den Fahrlässigkeitsdelikten ein Fahrlässigkeitszusammenhang bestehe - h.M. ist zu folgen.
  2. Ausnahme des Pflichtwidrigkeitserfordernis
    - wenn in rechtfertigender Weise ein Dauerzustand geschaffen wurde, gilt eine Garantenpflicht, sobald der Grund der Rechtfertigung entfällt.
    - auch wenn man infolge eines rechtfertigenden Notstands gehandelt hat.
  3. Zurechnungszusammenhang zwischen geschaffener Gefahr und Erfolg
    - im Sinne der Eingrenzung ist es erforderlich, dass das Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts gerade des tatbestandlichen Erfolges herbeigeführt hat.
    - Es muss ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Gefahr und dem Erfolg bestehen - auf Regeln der obj. Zurechnung zurückgreifen.
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16
Q

Die Entsprechungsklausel gem. § 13 I 2. Halbsatz

A

In der Regel in der Klausur erwähnen, dass die Nichtabwendung eines tatbestandlichen Erfolges durch einen Garanten stets der aktiven Erfolgsherbeiführung entspricht.

17
Q

Der Vorsatz

A
  • Muss sich wie üblich auf alle obj. Tatbestandsmerkmale beziehen.
  • dolus Eventualis genügt.
  • Täter muss nur die tatsächlichen Umstände erfassen, aus denen sich die Garantenpflicht und die Handlungspflicht ergeben.
18
Q

Die Rechtfertigende Pflichtenkollision

A
  • Liegt vor, wenn mehrere rechtliche Handlungspflichten vorliegen, und der Täter bei der Erfüllung einer Pflicht zwangsläufig eine andere gefährden müsste.