1/4 (Erkenntnisverfahren, Sachurteilsvoraussetzungen I) Flashcards
Zivilprozess: Erkenntnisverfahren und Zwangsvollstreckung
- Erkenntnisverfahren
- Konkretisierung des abstrakten Sollenssatzes in einen konkreten Sollenssatz (bindende Entscheidung) - Zwangsvollstreckung
- Überführung des konkreten Sollenssatzes in die Seinssphäre
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Überblick
- Dispositionsmaxime
- Beibringungsgrundsatz
- Mündlichkeitsgrundsatz
- Unmittelbarkeitsgrundsatz
- Öffentlichkeitsgrundsatz
- Rechtliches Gehör
- Gesetzlicher Richter
- Waffengleichheit der Parteien
- Beschleunigungsgrundsatz (Konzentrationsmaxime)
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Dispositionsmaxime
= Verfügungsbefugnis der Parteien über den Streitgegenstand
- prozessuale Entsprechung zur materiell-rechtlichen Privatautonomie
- vielfältige Ausprägung, bspw. ne ultra petita (§ 308 ZPO)
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Beibringungsgrundsatz
= Beibringung des Tatsachenstoffes obliegt den Parteien
Untersuchungs- bzw. Inquisitionsgrundsatz (bspw. § 86 VwGO)
- Bindung des Gerichts an den übereinstimmenden Sachvortrag, §§ 138 III, 288 ZPO
- rechtliche Würdigung obliegt allein dem Gericht (iura novit curia)
- Anordnung von Beweiserhebung dennoch im normierten Rahmen möglich
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Mündlichkeitsgrundsatz
= Sachvortrag und Prozesshandlungen der Parteien sowie Beweisaufnahme und Urteilsverkündung erfolgen innerhalb der mündlichen Verhandlung
- Aufweichung in der Praxis (Einbeziehung von Aktenstücken und Schriftensätzen)
- Grds. Unterscheidung von Beschlüssen (ohne mündliche Verhandlung) und Urteilen (nach mündlicher Verhandlung)
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Unmittelbarkeitsgrundsatz
= mündliche Verhandlung einschließlich Beweisaufnahme erfolgt unmittelbar vor dem erkennenden Gericht
Prozessmaximen und Verfahrensgrundrechte: Beschleunigungsgrundsatz (Konzentrationsmaxime)
= Zivilprozess ist in angemessener Zeit zu erledigen
-> aus Art. 6 I S. 1 EMRK, Art. 47 II 1 GRCh, allgemeiner Justizgewährleistungsanspruch, Art. 2 I iVm Art. 20 III GG
- Obliegenheit der Parteien zur Prozessförderung, vor allem rechtzeitiges Beibringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln (bei Verzögerung droht Präklusion, vgl. § 296 ZPO)
- > Gemeines Recht: Eventualmaxime (fristgerechtes Einbringung aller möglicherweise relevanten Mittel)
- > Mündlicher Verhandlungsgrundsatz: allein Ausschluss von prozesshindernden Einreden
- > heutiger Mittelweg: Verzögerungslösung mit gewissem Verschuldenserfordernis, §§ 282, 296 ZPO
- P: Verzögerung?
- > Rspr: Absoluter Verzögerungsbegriff = wenn der Rechtsstreit bei Zulassung des Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Ausschluss (regelmäßig bei Entscheidungsreife)
- > Lit: Relativer/ kausaler Verzögerungsbegriff = wenn der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen kürzer gedauert hätte als bei Zulassung des verspäteten
Zivilprozess: Klagearten
- Leistungsklagen = gerichtet auf Erlass eines Leistungsurteils und damit auf Eröffnung der Zwangsvollstreckung (§ 704 ZPO)
- > auch Klagen auf Abgabe einer WE (§ 894) - Feststellungsklagen = gerichtet auf die rechtskräftige Feststellung von Rechtsverhältnissen (und ggf. Echtheit von Urkunden) (§ 256 I ZPO)
- > kein vollstreckbares Urteil - Gestaltungsklage = gerichtet auf die unmittelbare Einwirkung auf ein Rechtsverhältnis
- > bedarf keiner weiteren Vollstreckung
- > v.a. Gesellschaftsrecht, Familienrecht (Aufhebung der Ehe, Ehescheidung, Vaterschaftsanfechtung)
Zivilprozess: Urteilsarten
- Kontradiktorische vs. Versäumnisurteile
- kontradiktorische grds. nur nach beidseitiger mündlicher Verhandlung, Versäumnisurteile grds. nur nach Säumnis - Anerkenntnis- und Verzichtsurteile
- nach §§ 306, 307 möglich: Urteil ohne gerichtliche Prüfung - Sach- und Prozessurteil
- Prozessurteil = wenn das Gericht die Zulässigkeit ganz oder teilweise verneint und daher in der Hauptsache keine rechtskräftige Entscheidung treffen kann - End- und Zwischenurteil
- Unbedingte und bedingte Urteile
- Bedingtes Urteil als ein Endurteil
- > materiell-rechtlich: unter Vorbehalt der Aufrechnung, § 302 ZPO
- > prozessual: unter Vorbehalt einer weiteren Beweisaufnahme, § 599 ZPO
Zivilprozess: Urteilsarten: End- und Zwischenurteil
- Endurteil
- > ergeht, wenn Rechtsstreit ganz oder teilweise entscheidungsreif ist, §§ 300 I, 301 I ZPO
- > Teilurteil bei teilweiser Entscheidungsreife
- Zwischenurteil
- > entscheidet nicht über den Streitgegenstand, sondern über einen (prozessualen) Zwischenstreit
- > Bsp: Zulassung der Klageänderung (§ 268 ZPO)
- > keine abschließende Klärung von materiellen Vorfragen (seit 1924)
Sachurteilsvoraussetzungen: Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Ordentlicher Rechtsweg
- §§ 13, 17, 17a GVG
- Entscheidet sich nach der Natur des Sachverhalts
- Gericht entscheidet nach § 17a I GVG selbst über die Zulässigkeit des Rechtswegs (Kompetenzkompetenz)
- ggf. Verweisung an einen anderen Rechtsweg, § 17a II GVG
Sachurteilsvoraussetzungen: Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Örtliche Zuständigkeit
- Allgemeiner Gerichtsstand, §§ 12, 13, 17 ZPO
- Wohnsitz nach BGB: Niederlassung und Domizilwillen - Besonderer Gerichtsstand
- Ausschließlicher Gerichtsstand
- §§ 24, 29a, 802 ZPO
- treten an die Stelle von sowohl allgemeinen als auch besonderen Gerichtsständen - (Abweichende) Zuständigkeitsvereinbarung
a. Gerichtsstandsvereinbarung, § 38 ZPO
b. Rügelose Einlassung, § 39 S. 1 ZPO
c. Kein Ausschluss, § 40 ZPO
Sachurteilsvoraussetzungen: Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Örtliche Zuständigkeit: Besonderer Gerichtsstand bei unerlaubter Handlung
- Neben Deliktsrecht auch Ansprüche aus Gefährdungshaftung und Unterlassungsklagen wegen Eingriff in ein unerlaubtes Recht
- Distanzfälle: sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort begründen einen Gerichtsstand (Ubiquitätsprinzip)
- > Pressedelikte: Erfolgsort ist jeder Erscheinungsort des Presseerzeugnisses
- Kognitionsbefugnis des Gerichts auch über konkurrierende Ansprüche, vgl. § 17 II GVG (BGH - con: Erst-recht-Schluss unzulässig, da Frage des Rechtswegs und Frage der örtlichen Zuständigkeit alia sind)
Sachurteilsvoraussetzungen: Gerichtsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Bindende Verweisung, § 17a II GVG, § 281 ZPO
- Verweisung an anderes Gericht ist (nur) im Umfang der Verweisung grds. bindend
- > Findet die Verweisung nur in Ansehung des örtlichen Zuständigkeit statt, kann das verwiesene Gericht dennoch die sachliche/instanzielle Zuständigkeit korrigieren und seinerseits verweisen
- Bindungswirkung verfassungskonform auszulegen (Art. 101 I S. 2 - gesetzlicher Richter; Art. 103 I GG - rechtliches Gehör): dann (-), wenn Verweisungsbeschluss nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar
Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibegriff
[Materieller Parteibegriff = Subjekt mit rechtlichem oder wirtschaftlichem Interesse an Rechtsstreit]
= Formeller Parteibegriff (§ 253 III Nr. 1): wer vom Kläger (als Partei) in der Klageschrift als die andere Partei bezeichnet wird
-> ggf. durch Auslegung zu ermitteln
Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Parteifähigkeit
= Fähigkeit, Subjekt eines Prozessrechtsverhältnisses zu sein
- > entspricht der materiell-rechtlichen Rechtsfähigkeit
- § 50
- > auch nicht rechtsfähiger Verein, § 50 II
- > nicht bei Bruchteilsgemeinschaft oder Erbengemeinschaft
Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Prozessfähigkeit
= Fähigkeit, eine Prozess selbst oder durch einen selbst (!) bestellten Vertreter zu führen und Prozesshandlungen vorzunehmen und entgegenzunehmen
- > entspricht der materiell-rechtlichen Geschäftsfähigkeit (und bemisst sich auch nach dieser, § 52)
- § 51
Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Postulationsfähigkeit
= Fähigkeit, vor Gericht selbst (!) Prozesshandlungen vornehmen zu können
- grds. ist jede prozessfähige Person auch postulationsfähig
- Ausnahme: Anwaltszwang, § 78 ZPO, § 114 FamFG
Sachurteilsvoraussetzungen: Parteibezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Prozessführungsbefugnis
= Recht, einen Prozess im eigenen Namen (!) über ein eigenes oder fremdes Recht als Partei zu führen
- > entspricht der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis
- idR einhergehend mit Sachlegitimation (Begründetheit), Auseinanderfallen von Befugnis und Sachlegitimation
a. Gesetzliche Prozessführungsbefugnis/Prozessstandschaft
aa. Rechtsfremde Personen (bspw. Insolvenzverwalter)
bb. Teilberechtigte Personen (wenigstens ein Dritter ist noch neben dem Rechtsinhaber sachlegitimiert, bspw. Miteigentümer)
cc. (-) bei gesetzlichen Vertretern (bspw. Eltern Minderjähriger: führen in fremdem Namen den Prozess!)
b. Gewillkürte Prozessstandschaft - Ermächtigung und eigenes rechtliches Interesse erforderlich
Sachurteilsvoraussetzungen: Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Bestimmtheit des Streitgegenstandes, § 253 II Nr. 2
- herrschend: Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff, also Bestimmung nach
1. Klageantrag (durch die Klage begehrte Rechtsfolge)
2. Klagegrund (dem Begehren zugrundeliegender Lebenssachverhalt) - > abgrenzbarer Lebenssachverhalt muss vom Kläger geschildert werden
- > Teilklagen: genaue Bezeichnung des Teils des Gesamtanspruches
- Ausprägung des Bestimmtheitserfordernisses in Abhängigkeit von der begehrten Rechtsschutzform
- > insb. Anträge bei Leistungsklagen müssen so genau bezeichnet werden, dass die Vollstreckung aus diesem Titel möglich ist
Sachurteilsvoraussetzungen: Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Keine anderweitige Rechtshängigkeit, § 261 III Nr. 1
- Rechtshängigkeitssperre (lis pendens), § 261 III Nr. 1
- Erhebung der Widerklage aber auch neben Feststellungsklage möglich, da Gefahr der widersprüchlichen Entscheidung im selben Prozess nicht besteht
Sachurteilsvoraussetzungen: Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Keine entgegenstehende Rechtskraft: Grundsatz und objektive Grenzen
- Grundsatz des “ne bis in idem”, § 322
- > begrenzt jedoch vom Telos, dass die angestrebte Entscheidung nicht im Widerspruch zum Vorprozess stehen darf und das Rechtsschutzbedürfnis im Vorprozess erfüllt wird
- Objektive Grenzen
- > § 322 I beschränkt die Rechtskraft objektiv auf den Anspruch (der geltend gemachte Anspruch - bspw. aus § 985 oder § 433 II - besteht oder besteht nicht)
- > keine Erstreckung der Rechtskraft auf Bestehen oder Nichtbestehen präjudizieller Rechtsverhältnisse (bspw. Eigentümerstellung oder wirksamer Vertragsschluss) -> Grundsätzlich erwächst nur der Tenor in Rechtskraft, nicht die Entscheidungsgründe (!)
- -> jedoch entsprechende Klageänderung nach § 256 II auf Feststellung möglich
- Maßgeblich auch die Bestimmung des Streitgegenstandes, über den entschieden wird, nach Abgrenzung des jeweiligen Lebenssachverhalts
- > gesamter historischer Lebensvorgang mit allen Tatsachen, die nach natürlicher Anschauung dazugehören
- > bspw. Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs (hinsichtlich aller bei Entscheidung zu berücksichtigenden Schadensfolgen)
Sachurteilsvoraussetzungen: Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Keine entgegenstehende Rechtskraft: subjektive Grenzen
- Rechtskraft grds. nur inter partes und nach §§ 325-327 auch gegenüber dem Rechtsnachfolger
- > § 325 II lässt den gutgläubigen Erwerb nach materiellem Recht von § 325 I unberührt
- > hM: auch möglich, wenn Veräußerer zu Unrecht als Nichtberechtigter angesehen worden ist (erst-recht-Schluss)
- > Gutgläubigkeit muss sich nach ganz hM auch auf die fehlende Rechtshängigkeit beziehen
Sachurteilsvoraussetzungen: Streitgegenstandsbezogene Sachurteilsvoraussetzungen: Keine entgegenstehende Rechtskraft: Zeitliche Grenzen und Überwindung der Rechtskraft
- Zeitlich: keine Rechtskraftssperre, wenn neue Klage sich auf neue Tatsachen stützt, die zum ersten Prozess objektiv (!) noch nicht gegeben waren und nach der Begründung (!) des ersten Urteils erheblich sind
- Ausnahmsweise Überwindung der Rechtskraft
- > Abwehr gegen die Vollstreckung aus § 826 BGB gegen einen rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel, wenn der Gläubiger den Titel sittenwidrig erschlichen hat oder sittenwidrig ausnutzt (restriktiv)