Vorlesung 4 Flashcards
deduktiv-nomologische Erklärungen
Nomologische Hypothese(n) (z.B. Wenn A, dann B) Rand- oder Antezedenzbedingungen (z.B. singulärer Satz „Es gilt A.“) = Explanans singulärer Satz, der das zu erklärende Ereignis beschreibt (z.B. „Es gilt B.“) = Explanandum
Adäquatheitsbedingungen:
• Explanandum muss eine logische Folge des Explanans sein
• Explanans enthält allgemeines Gesetz (häufig nicht der Fall in
Sozialwissenschaften)
• Explanans muss empirischen Gehalt haben
• die Sätze des Explanans müssen wahr sein
Rolle von Logik und mathematischer Formalisierung:
Ableitung von Theoremen und Hypothesen
Rolle von empirischer Analyse:
Operationalisierung und Überprüfung des empirischen
Wahrheitsgehalts der Aussagen
probabilistische/induktiv-statistische Erklärungen
probabilistische Hypothese(n) (z.B. Wenn A, dann mit
Wahrscheinlichkeit p B)
Rand- oder Antezedenzbedingungen (z.B. singulärer Satz „Es gilt A.“)
= Explanans
singulärer Satz, der das zu erklärende Ereignis beschreibt (z.B. „Es gilt B.“)
= Explanandum
Probleme im Vergleich zur D-N-Erklärung
• Explanandum folgt nicht mehr logisch (sondern nur noch
probabilistisch) aus dem Explanans
• Hypothese nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bestätigt
(Ereignis B trat mit beobachteter relativer Häufigkeit f(B) auf)
• im strengen Sinne nicht falsifizierbar: probabilistische Hypothese
bezieht sich auf potentiell unendliche Population, beobachtete relative
Häufigkeit allerdings nur auf Untermenge
unvollständige Erklärungen
Drei Formen: Ad-hoc Erklärungen
- Erklärung singulärer Ereignisse oder unerwarteter Ergebnisse einer Untersuchung durch unbestätigte Gesetze mit oft geringem Informationsgehalt.
Beispiel: FDP hohen Stimmenanteil in BTW 2009. Wieso? Weil …
Erklärungen mit impliziten Gesetzten
- Unterstellung eines Ursache/Wirkung Zusammenhangs
Beispiel: Frauen wählen häufiger als Männer die CDU/CSU.
(Wirkungszusammenhang zwischen biologischem Geschlecht und Parteipräferenz?)
partielle Erklärungen
- beobachtetes Phänomen (konkretes Explanandum) ist nur Teilmenge des
aus dem Explanans ableitbaren Explanandums
Erklärungen
- Warum tritt/trat Ereignis B auf?
- Beispiel: Warum gibt es in der Bundesrepublik Wähler rechtsradikaler Parteien?
Prognose
- Welches Ereignis wird in Folge von A auftreten?
- Beispiel: Was ist die Folge von Arbeitslosigkeit?
Erklärungen versus Prognosen
Erklärung und Prognose unterscheiden sich hinsichtlich dergegebenen und gesuchten Komponenten im D-N- bzw. I-S-Modell:
Erklärung: Gesetz - gesucht, Randbedingung - gesucht, Explanandum - gegeben
Prognose: Gesetz - gegeben, Randbedingung - gegeben, Explanandum - gesucht
Basissatzproblem
- empirische Beobachtungen stellen raum-zeitlich gebundene singuläre Sätze (Basissätze) dar
- Feststellung von Basissätzen beruht auf Annahme der korrekten Beobachtung der Realität
Typische Probleme:
- Selektive Beobachtung: Beobachtung konfirmatorischer Evidenz
- Scheinkorrelationen: Beobachtung nicht-kausaler Zusammenhänge
• Annahme der korrekten Beobachtung der Welt ist aber selbst eine
Hypothese (Beobachtungstheorie, Instrumententheorie etc.), die wahr
oder falsch sein kann
• wie auch alle anderen Hypothesen können auch diese Hypothesen
nicht verifiziert werden
• somit: absolut sichere Falsifikation von Hypothesen nicht möglich
• Verfahrensvorschlag:
Anerkennung von Basissätzen durch scientific community, soweit
Beobachtungen intersubjektiv nachvollziehbar sind und dem Stand der
Forschungsmethodologie entsprechen
Wissenschaftliche Kontroversen
Induktives versus deduktiv-nomologisches Vorgehen
• Induktion: logisches Verfahren, bei dessen Anwendung vom Besonderen (einzelne Beobachtungen) zum Allgemeinen (→Theorie)
vorangeschritten wird
• Deduktion: Ableitung des Besonderen und Einzelnen vom Allgemeinen; Erkenntnis des Einzelfalls durch ein allgemeines Gesetz
• aus Sicht des kritischen Rationalismus (Popper) ist Induktion logisch unmöglich
• Induktionsregeln sind entweder:
- empirische Aussagen (Sätze), deren Gültigkeit auf Induktion höherer
Ordnung beruht, dann aber infiniter Regress
- synthetische a priori (vor der Erfahrung liegende) Urteile, deren Gültigkeit nicht bewiesen werden kann, dann aber Willkür
• induktives Vorgehen im Rahmen der Generierung von Hypothesen möglich
- als „psychologische Mechanismen bei der Generierung von Hypothesen im
Entdeckungszusammenhang“ (Schnell et al. 2008: 59)
- im Rahmen von explorativen Untersuchungen zu wenig bekannten sozialen Phänomenen, dann meist qualitative Methoden
• jedoch: induktives Vorgehen oft Teil des wissenschaftstheoretischen Selbstverständnisses qualitativer/nicht-standardisierter Sozialforschung
Wertfreiheit von Wissenschaft
Drei Argumentationszusammenhänge im Forschungsprozess
1. Entstehungs- bzw. Entdeckungszusammenhang Was soll …
2. Begründungszusammenhang … wie …
3. Verwertungs- bzw. Wirkungszusammenhang … wozu …
erforscht werden?
Frage: Wertfreiheit in welchem Argumentationszusammenhang?
Wertfreiheit von Wissenschaft, die Position von Max Weber
- Entstehungs- bzw. Entdeckungszusammenhang: immer wertend, da
Auswahl einer Fragestellung aus einer (potentiell) unendlichen Menge
von Forschungsfragen - Begründungszusammenhang: soll wertfrei sein, d.h. wissenschaftliche
Aussagen sollen objektiv und nicht durch subjektive
Werthaltungen beeinflusst sein - Verwertungs- bzw. Wirkungszusammenhang: Verwertung der
Ergebnisse durch Dritte, somit wertend; Wissenschaftler/in sollte als
Experte nicht für Verwirklichung der eigenen normativen Zielvorstellungen
eintreten (als Mensch aber schon)
Wertfreiheit von Wissenschaft, Kontroversen
A. Werturteilsstreit (Anfang des 20. Jahrhunderts)
Max Weber gegen Werner Sombart und Gustav Schmoller
Grundeinwand gegen Weber:
- Besonderheit des sozialwissenschaftlichen Objektbereichs
- Wissenschaftler/in immer Teil des Untersuchungsgegenstands: Mitglied
der Gesellschaft, geteilte Sprache mit geteilten Sinn- und Wertverweisen
- Wahl der Begriffe ist wertend
- Wahrheit von Aussagen bezieht sich dann immer auch auf wertende Vorstellungen
und nicht ausschließlich auf empirische Übereinstimmung
Wertfreiheit von Wissenschaft, Kontroversen
B. Positivismusstreit (60er Jahre des 20. Jahrhunderts)
Karl Raimund Popper/Hans Albert (Kritischer Rationalismus) versus Theodor W.
Adorno/Jürgen Habermas (Frankfurter Schule)
Position der Vertreter des kritischen Rationalismus:
- Wertfreiheit als Postulat für sozialen Kontext des Wissenschaftsbetriebs
- wertfreie Erhebung der faktischen Realität als einzig gültige Möglichkeit der Überprüfung von Theorien
- Einheit der Methode von Natur- und Sozialwissenschaften: Methodenmonismus
Position der Vertreter der Frankfurter Schule (kritische Theorie):
- wertfreie, nur an Empirie ausgerichtete Überprüfung von Theorie beschränkt sich auf Einzelaspekte, wirkt daher herrschaftsstabilisierend und hat ein rein technisches Erkenntnisinteresse, das Kontrolle und
Verfügbarkeit über Menschen ermöglicht (und ist daher positivistisch)
- wichtig ist aber: Frage nach lebenspraktischem Sinn und Wünschbarkeit
- Beurteilung von Theorien anhand übergeordneter Kriterien (z.B. Freiheit) anstatt einzig und allein anhand der Empirie
Folgen des Positivismusstreits:
- aus verschiedenen methodologischen Positionen entwickelten sich Vorlieben für Forschungsmethoden, somit Verfestigung der Methodenspaltung
- analytisch-nomologische Position: vorwiegend quantitative Methoden, Betonung des Methodenmonismus
- hermeneutisch-dialektische Position: vorwiegend qualitative Methoden, Betonung des Methodendualismus (spezielle Methoden der
Sozialwissenschaften im Vergleich zu Naturwissenschaften)
Erklären versus Verstehen
Max Weber: Soziologie als „eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ (aus: Wirtschaft und Gesellschaft)
• in diesem Sinne ist Verstehen des subjektiven Sinns sozialen Handelns Voraussetzung ursächlicher Erklärung sozialer Prozesse
• Verstehen = Sinnzuschreibung
• selbst erklärtes Erkenntnisprinzip rekonstruktiver Sozialforschung (z.B. symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie): untersuchtes Phänomen bzw. Geschehen von innen heraus zu verstehen
• Bedeutungsgenerierung durch Zuschreibung eines subjektivgemeinten Sinns
• Verstehen jedoch stets ein Fremdverstehen
• Verstehensprozesse sollten daher:
- methodisch kontrolliert sein, d.h. methodischen Verfahrensregeln unterliegen
- intersubjektiv nachvollziehbar sein
• extreme Sicht: Sozialwissenschaften haben qualitativ anderen Gegenstandsbereich als Naturwissenschaften und brauchen daher auch eigene Methodologie (Methodendualismus)
• Methode der Rekonstruktion des Handlungssinns anstatt Erklärung menschlichen Handelns als eigentlicher Kern der Sozialwissenschaften
• qualitative Verfahren als (einzig) geeignetes Mittel
• aus analytisch-nomologischer Perspektive:
- Anerkennung der symbolischen Strukturiertheit, der Prozesshaftigkeit
sowie der Intentionalität sozialen Handels
- dies rechtfertigt jedoch nicht Ablehnung allgemeiner Erklärungsmodelle
- Handlungstheorien, die es ermöglichen, die Alltagstheorien des Akteurs (subjektive Situationsdefinition, Handlungsziele, Mittel) zu rekonstruieren
- Technik des Verstehens wichtige heuristische Quelle für Generierung von Hypothesen und Theorien
standardisierte versus nicht-standardisierte Methoden und quantitative Methoden versus qualitative Methoden
• Richtungsstreit in den Sozialwissenschaften
• wird oft gleichgesetzt:
- standardisiert=quantitativ
- nicht-standardisiert=qualitativ
• aber: standardisierte nicht zwangsläufig quantitative Methoden
• quantitative/qualitative Methoden: Unterschied vor allem in der Art der Datenauswertung (z.B. statistische Verfahren versus Diskursanalyse)
• standardisierte/nicht-standardisierte Methoden: Unterschied spätestens bei der Datenerhebung
• Wahl des Vorgehens/der Methode sollte keine ideologische Frage sein (ist es aber häufig)
• inhaltliches Problem sollte die Wahl der Methode bestimmen und nicht umgekehrt die Auswahl einer Methode die inhaltliche Bearbeitung
eines Phänomens
• je nach Fragestellung empfiehlt sich Auswahl verschiedener Forschungsmethoden, häufig auch Methodenkombination (klassisches Beispiel: Marienthal-Studie)
• Vorgehensweisen bzw. Methoden der nicht-standardisierten Sozialforschung heterogen und schwer zu überblicken
• mit beiden Methodenrichtungen sollten Sozialwissenschaftler/innen vertraut sein
• in der Praxis allerdings schwierig, aufgrund zunehmenden Grades an Spezialisierung
standardisierte Methoden
- Standardisiert
- Fragestellung und Hypothesen vorab festgelegt
- Schluss von Stichprobe auf Grundgesamtheit/große
Zufallsstichproben (oder Randomisierung in Experimenten) - Datenerhebung so standardisiert wie möglich
- Forscher meist selbst nicht in Datenerhebung
involviert („armchair sociology“) - Auswertung mittels statistischer Modellierung