Völkerrecht Flashcards
Welche Völkerrechtsquellen gibt es und wo findet sich eine entsprechende Aufzählung?
IGH-Statut 38 I
- Vertragsrecht (lit. a)
- Gewohnheitsrecht (lit. b)
- Allgemeine Rechtsgrundsätze (lit. c)
Gibt es eine Hierarchie der Völkerrechtsquellen?
- Nein, es besteht keine Hierarchie zwischen den einzelnen Rechtsquellen
- Allerdings gibt es eine Hierarchie zwischen verschiednen Normen:
- Ius cogens: entgegenstehende vertragliche (vgl. Art. 53 und 64 WVK) und gewohnheitsrechtliche Normen sind nichtig
- Vertragliche Vorrangklauseln: insbesondere Art. 103 UNO-Charta; Art. 53 EMRK
-
Allgemeine Kollisionsregeln:
- Speziellere Regel (lex specialis) geht der allgemeineren vor
- Spätere Regel (lex posterior) geht der früheren vor (für Verträge vgl. Art. 30 WVK)
Was versteht man unter Hilfsmitteln zur Rechtsfindung?
- IGH-Statut 38 I lit. d: Richterliche Entscheidungen und Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler der versch. Nationen
- Grosse Bedeutung von Präjudizien
Woraus wird die Verbindlichkeit einseitiger Rechtsakte abgeleitet und was ist ein leading case?
- Verbindlichkeit kann sich aus dem Prinzip von Treu und Glauben ergeben, welches einen allg. Rechtsgrundsatz i.S.v. IGH-Statut 38 I lit. c darstellt
- Leading case ist Nuclear Test Case (Australia v. France) (1974)
Was sind die VSS der Verbindlichkeit von einseitigen Rechtsakten?
- Öffentliche Erklärung: Anerkennung, Verzicht, Versprechen
- Keine bestimmte Form erforderlich
- idR Notifikation / Proklamation
- Zuständigkeit des die Erklärung abgebenden Staatsorgans
- Hinreichende inhaltliche Bestimmtheit
- Erkennbarer Wille zur rechtlichen Selbstbindung
Was sind die VSS der Entstehung von Gewohnheitsrecht?
Zwei Elemente (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut)
- Objektives Element:
Allgemeine, einheitliche und dauernde i**nternationale Übung
(Staatenpraxis = consuetudo) - Subjektives Element:
Rechtsüberzeugung
(opinio iuris)
Reihenfolge der Herausbildung der Elemente ist irrelevant
Wie muss die consuetudo zur Bildung von Gewohnheitsrecht beschaffen sein?
Entscheidend sind staatliche Akte aller drei Gewalten, insb. jener Organe, welche den Staat nach aussen repräsentieren.
- Allgemeine Übung
- Einheitliche Übung
- Dauernde Übung
Wann ist die allgemeine Übung zu bejahen?
- Keine universelle Beteiligung nötig
- Repräsentative Praxis reicht aus
- Insb. Übung besonders betroffener Staaten
- Möglichkeit regionalen Gewohnheitsrechts
Wann ist die einheitliche Übung zu bejahen?
Wenn
- im Allgemeinen kein Abweichen von der Übung erfolgt und
- normabweichendes Verhalten als Völkerrechtsbruch angesehen wird
Wann kann die dauernde Übung bejaht werden und was ist diesbezüglich der leading case?
- Auch bei kurzer Dauer der Übung kann ggf. schon eine Staatenpraxis bestehen, wenn
- besonders betroffene Staaten
- die Übung flächendeckend und sehr einheitlich vollziehen
- Allgemeinheit und Dauer der Übung kompensieren sich also gewissermassen
- North Sea Continental Shelf Cases (Germany v. Denmark / Netherlands) (1969)
Wann ist die opinio iuris bei der Bildung von Völkergewohnheitsrecht zu bejahen?
- Bei Überzeugung der Staaten, zu einem Verhalten rechtlich verpflichtet zu sein
- Nicht gegeben bei bloss politischer Motivation, comity, Kulanz
- Innere Tatsache (Schwierigkeit der Feststellung)
- Indizien:
- Äusserungen und Verhaltensweisen der Staatsorgane, wie z.B.
- Proteste und nicht-rechtsverbindliche Resolutionen internationaler Organisationen
Kann das Ausbleiben von Protest genügen zur Annahme einer Rechtsüberzeugung?
Verneinend: S.S. Lotus Case (France v. Turkey) (1927)
Kann ein Staat, der sich beharrlich einer gewohnheitsrechtlichen Regel widersetzt, ebenfalls gebunden sein? Was ist der leading case dazu?
- Grundsatz: Gewohnheitsrecht bindet auch jene Staaten, die nicht an der Übung beteiligt sind
-
Aber: Keine Bindung des persistent objector
- Setzt ggf. wiederholten Protest voraus
- Widerstand ist nicht zulässig gegen ius cogens
- Fisheries Case (United Kingdom v. Norway) (1951)
Was sind allgemeine Rechtsgrundsätze und welche Funktion haben sie?
- Fundamentale Regeln, die wegen ihres grundlegenden Gehalts für sämtliche Rechtssysteme Bedeutung haben
- Aus nationalen Rechtsordnungen übernommen
- Funktion: Lückenfüllung bzw. Auslegung von Verträgen oder Gewohnheitsrecht
Was sind die VSS der Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes?
- «Von den Kulturstaaten anerkannt»; für Rechtsvergleich genügt Berücksichtigung von repräsentativen Rechtsordnungen aus den grossen Rechtskreisen
- Sinnvolle Übertragung auf internationale Ebene ist möglich
Was sind wichtige Beispiele von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Völkerrecht?
- Prinzip von Treu und Glauben
- Vgl. Nuclear Test Case (Australia v. France) (1974)
- Pacta sunt servanda
- «Acquiescence» (widerspruchslose Hinnahme fremder Staatsakte gilt als Anerkennung)
- «Estoppel» (Verbot widersprüchlichen Verhaltens)
- Rechtsmissbrauchsverbot
- Pflicht zur Rückerstattung einer ungerechtfertigten Bereicherung
- Rechtsverlust durch Zeitablauf: Verjährung, Ersitzung
- Rechtskraft von Urteilen (res iudicata)
- Grundsatz des rechtlichen Gehörs
- Litispendenz
Welche Bestimmungen finden sich in der WVK zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht?
- WVK 26: Pacta sunt servanda
- WVK 27: Keine Berufung auf innerstaatliches Recht zur Rechtfertigung der Nichterfüllung
Was bedeutet Völkerrechtssubjektivität?
- Fähigkeit, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein
- Praktisch hautsächlich relevant:
- Fähigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge
- Fähigkeit, andere Völkerrechtssubjekte zu belangt werden
- Fähigkeit, selbst belangt zu werden
Wie ist die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit definiert, bzw. wie grenzt sie sich zur Völkerrechtssubjektivität ab?
- Fähigkeit, Rechte und Pflichten in eigener Person in vollem Umfang wahrnehmen zu können
- Wegfall der Handlungsfähigkeit bedeutet nicht zwingend Wegfall der Subjektivität
- Deutschland nach WW II
- Hoheitsgebiet unter Kontrolle von Kriegsgegnern
- UNO-Treuhandgebiete bis 1994
Welche Kategorien von Völkerrechtssubjekten werden unterschieden?
- Sachlich: Differenzierung nach inhaltlicher Wirkung
- unbeschränkte VRS
- partielle VRS
- Persönlich: Differenzierung nach dem Kreis der vom Subjektstatus Betroffenen
- allgemeine VRS
- partikuläre VRS
- Zeitlich: Differenzierung nach dem Zeitpunkt, in dem VRS beim betreffenden Akteur entsteht
- geborene VRS (Staaten)
- gekorene VRS (alle anderen)
Was sind unbeschränkte bzw. partielle VRS?
- Unbeschränkte (generelle, omnipotente) VRS:
- Nach ihrem Umfang Träger aller völkerrechtlichen Rechte und Pflichten
- Staaten sind grds. unbeschränkte VRS
- Partielle VRS:
- Nach seinem Umfang Träger von Teilen, aber nicht von allen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten
- Alle anderen VRS (insb. int. Organisationen)
- Funktion bzw. Gründungsvertrag bestimmt Umfang von Rechten und Pflichten
Was sind allgemeine bzw. partikuläre VRS?
- Allgemeine VRS:
- Völkerrechtssubjekt, das von allen als solches anerkannt wird
- Die Völkerrechtssubjektivität ist damit in den völkerrechtlichen Beziehungen zu allen anderen Völkerrechtssubjekten gegeben
- Partikuläres VRS:
- Völkerrechtssubjekt, das nicht von allen als solches anerkannt wird
- Wenn die Anerkennung konstitutive Wirkung hat, besteht die Rechtssubjektivität des partikulären Völkerrechtssubjektes nur gegenüber den Anerkennenden
- Z.B. Papst (welcher gleichzeitig auch partielles VRS ist)
Was gibt es für traditionelle VRS?
- Staaten
- “klassisches” VRS
- Unbeschränktes, allgemeines und geborenes VRS
- Heiliger Stuhl
- Malteserorden
- IKRK
- Partielles, allgemeines, gekorenes VRS
Was gibt es für weitere VRS?
- Internationale Organisationen (aber nicht alle)
- De facto-Regime
- Völker
- NGOs?
- Individuen?
- TNCs?