Öffentliches Verfahrensrecht Flashcards
Teilbereiche des öff. Verfahrensrecht i.e.S.
Stufen
öff. Verfahrensrecht
= Verfahrensrecht des öff. Rechts
öff. Verfahrensrecht i.e.S.:
- Verwaltungsverfahren
- Rechtspflegeverfahren (meist Beschwerdeverfahren; Alt. Klageverfahren)
NB: “i.w.S.” wäre inkl. Justizbehördenorganisation und Vollstreckung
Verwaltungsverfahren / Rechtsmittelverfahren
Definitionen
= “Verfahren auf Erlass einer Verfügung”
- nichtstreitiges Verfahren
- Abklärung durch die Behörde (erstmals) sachverhaltlich und rechtlich, ob/wie sie verfügen soll
- durch Verfügung der Verwaltungsbehörde in erster Instanz abgeschlossen
= “Verfahren auf Erlass eines Entscheids/Urteils”
- streitiges Verfahren
- Verfahren, das bei der Anfechtung einer auf öffentliches Recht gestützten Anordnung zu befolgen ist
verwaltungsinterne/verwaltungsexterne Verfahren
Verfahren vor einer Instanz, welche der Verwaltung im organisatorischen Sinne (zentral/dezentral) angehört.
Verwaltungsrechtspflege
verwaltungsintern: Entscheid durch eine zur Verwaltung gehörende RM-Instanz (typisch: hierarchisch übergeordnete Instanz)
verwaltungsextern: Entscheid durch ein unabhängiges Gericht
Rechtsgrundlagen
- Verfahrensgrundrechte (BV29-32)
- Justizorganisation (BV188ff.)
- Verfahrensgesetze = Primärquelle; denke BV164I lit. g
− VwVG (Verwaltungsverfahren des Bundes)
− VGG
− BGG
− Immer Spezialgesetz beachten - VO-Recht
Verfahrensmaximen vs. -garantien
Verfahrensgarantien: GR
- gleiche Geltung in den versch. Prozessen
- insofern “Konstanten” des Verfahrensrechts
Verfahrensmaximen: Leitlinien (keine GR)
- Unterschiede zw. einzelnen Prozessen
- insofern “Variablen” des Verfahrensrechts
- im pos. Verfahrensrecht niedergeschlagen; positivrechtlich geregelt (VwVG 12, BGG 106 f.)
Offizial-/Dispositionsmaxime
Offizialmaxime: Es ist Sache der Behörde
– Verfahren zu eröffnen,
– seinen Gegenstand zu bestimmen und
– es zu beenden (durch Verfügung bzw. Urteil)
Dispositionsmaxime: Es ist Sache der Parteien
– das Verfahren in Gang zu bringen,
– durch ihre Anträge dessen Gegenstand zu bestimmen und
– es zu beenden (Rückzug, Anerkennung, Vergleich)
Untersuchungs-/Verhandlungsmaxime (Ermittlung des rechtserheblichen SV)
Untersuchungsmaxime:
- Sachverhaltsermittlung obliegt der
Behörde
- Parteien trifft keine Beweisführungslast (= subjektive Beweislast)
- vgl. VwVG 12
- aber zB auch Annäherungen an Untersuchungsmaxime via VwVG 13, 52 I und BGG 42 I und III)
→ “Prinzip der materiellen Wahrheit”
Verhandlungsmaxime:
- Die Behörde darf ihrem Entscheid nur die
von den Parteien behaupteten Tatsachen zugrunde legen
- diese entweder unbestritten geblieben oder bewiesen worden
→ “Prinzip der formellen Wahrheit”
subjektive vs. objektive Beweislast
subj. = Beweisführungslast
– Spielt eine Rolle in Verfahren, die von der Verhandlungsmaxime
beherrscht sind
- i.F.v. Untersuchungsmaxime ausgeschlossen
obj. = bezieht sich auf die Folgen der Beweislosigkeit
– Zu wessen Lasten wirkt es sich aus, wenn ein Sachumstand unbewiesen/ungeklärt bleibt?
– stellt sich unabhängig von Untersuchungs-/Verhandlungsmaxime
Def. Rüge
konkrete, substanziierte Einwände tatsächlicher oder rechtlicher Natur gegenüber dem angefochtenen Hoheitsakt
Rechtsanwendung v.A.w. vs. Rügeprinzip
Rechtsanwendung von Amtes wegen (“iura novit curia”):
- Sache der entscheidenden Behörde, die anwendbaren Normen zu ermitteln und
anzuwenden (→ Keine Bindung an die rechtlichen Ausführungen der Parteien)
- Uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes im
– erstinstanzlichen Zivilprozess (ZPO 57)
– nichtstreitigen Verwaltungsverfahren
Rügeprinzip:
- urteilende Behörde muss (bzw. darf) sich
nur mit Rügen befassen, die von den Parteien vorgebracht wurden
Geltung des Rügeprinzips möglich im
– Rechtsmittelverfahren
Grundsatz der freien Beweiswürdigung
BGE 130 II 482, E. 3.2:
“In der Bundesverwaltungsrechtspflege gilt der Grundsatz der freien
Beweiswürdigung (…) nicht an bestimmte starre Beweisregeln gebunden (…) wie ein gültiger Beweis zu Stande kommt und welchen Beweiswert die einzelnen Beweismittel im Verhältnis zueinander haben”
> Der Grundsatz beherrscht das gesamte Verfahrensrecht
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV)
Funktionen, Teilgehalte (kurz), Natur
Funktionen:
- Sachaufklärung
- Persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht
Teilgehalte rechtliches Gehör:
1. Anspruch auf vorgängige Äusserung und Anhörung = Kern des rechtlichen Gehörs (VwVG 30 I)
2. Akteneinsichtsrecht (VwVG 26 – 28)
3. Anspruch auf Stellungnahme zu den Vorbringen der Gegenpartei (VwVG 31, überholt durch sog. Replikrecht)
4. Anspruch auf Auseinandersetzung mit den gestellten Anträgen
und den (relevanten) Sachvorbringen (VwVG 32)
5. Anspruch auf Mitwirkung bei Beweiserhebungen (z.B. Zeugen-
einvernahmen, Augenscheine) und auf Abnahme der von den Beteiligten angebotenen, erheblichen Beweise
(VwVG 18, 33 I)
6. Anspruch auf Stellungnahme zum Ergebnis des Beweisverfahrens
7. Anspruch auf Begründung des Entscheides (VwVG 35 I)
- Grundsatz: “formelle Natur” des rechtlichen Gehörs => (Grund-)Rechtsverletzung durch Gehörsverletzung
- Ausnahme: “Heilung”
Teilgehalt rechtliches Gehör: Anspruch auf vorgängige Äusserung und Anhörung
- massgebend: Intensität der individuellen Betroffenheit
- d.h. bei Gesetzen/VO nicht gegeben
- ausnahmsweise bei Allg.vü. (wesentlich stärkere Betroffenheit)
- nicht zwingend mündl.
Schranken:
- Dringlichkeit (vgl. VwVG 30 II lit. e)
- Zweckvereitelung der Massnahme
Spezialfall: “Massenverfahren” -> Einwendungsverfahren
Teilgehalt rechtliches Gehör:
Akteneinsichtsrecht
Schranken:
- entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen (Private/Staat) -> Interessenabwägung nötig
- “interne” (heisst was?) Akten
Abgrenzungen:
- Öffentlichkeitsprinzip: kein bes. Interessennachweis, dafür rel. “grosszügige” Einschränkungen
- Anspruch auf Schutz der Privatsphäre: geht über BV 29 II hinaus, uU auch Einsicht bez. abgeschlossenen Verfahren
Teilgehalt rechtliches Gehör:
Anspruch auf Stellungnahme zu den Vorbringen der Gegenpartei
- früher: ‘eine’ Stellungnahme; weitere bloss bei Noven
- heute: Replikrecht (Praxis EGMR)
- besonders: keine Frist, sofern Stellungnahme bzw. deren Beantragen erwartet werden kann (gerade bez. RA’s)
Teilgehalt rechtliches Gehör:
Anspruch auf Auseinandersetzung mit den gestellten Anträgen und den (relevanten) Sachvorbringen
- Vorbringen sorgfältig und ernsthaft prüfen und beim Entscheid berücksichtigen
- heisst nicht alles, sondern auf die für
den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte
Teilgehalt rechtliches Gehör:
Anspruch auf Mitwirkung bei Beweiserhebungen und auf Abnahme der von den Beteiligten angebotenen, erheblichen Beweise
BGer, Urteil 1A.199/2000, 1P.373/2000 vom 5. Juni 2001, E. 2b:
Ein Augenschein darf nur dann unter Ausschluss einer Partei erfolgen,
wenn schützenswerte Interessen Dritter oder des Staates oder eine beson-
dere Dringlichkeit dies gebieten, oder wenn der Augenschein seinen Zweck
überhaupt nur dann erfüllen kann, wenn er unangemeldet erfolgt.
Teilgehalt rechtliches Gehör: Anspruch auf Stellungnahme zum Ergebnis des Beweis-
verfahrens
- […] hat sie vorgängig die Expertise der Partei oder den Parteien zur
Kenntnis zu bringen und ihr oder ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben.*
Teilgehalt rechtliches Gehör: Anspruch auf Begründung des Entscheides
folgt daraus, dass Vorbringen gehört, geprüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt
Begründung als Voraussetzung:
– für eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids
– für eine sachgerechte Überprüfung des Entscheids durch die Rechtsmittelinstanz
GR-Qualität des ‘rechtichen Gehörs’
formelle Natur = Verletzung führt zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung
Ausnahme:
- nicht schwerwiegende Verletzung geheilt:
Möglichkeit zur Äußerung vor einer Rechtsmittelinstanz, die sowohl den Sachverhalt wie auch die Rechtslage frei überprüfen kann
- sogar zT schwerwiegende Verletzung geheilt: formalistischen Leerlauf, unnötige Verzögerung (und damit entgegen Interesse der betroffenen Partei)
BV 29a - Rechtsweggarantie
− Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in allen Rechtsstreitigkeiten
− mindestens eine gerichtliche Instanz (Gericht: BV 30 I)
− umfassende Prüfung: Rechts- und Sachverhaltsfragen
− kein Anspruch auf Angemessenheitsprüfung
DEF Rechtsstreitigkeiten
Streitigkeiten, die individuelle, schützenswerte Rechtspositionen betreffen
Ausnahmen von BV 29a
Ausnahmen im formellen Gesetz für Fragen mit hohem politischem Wertungsanteil
- BV 189 IV
- «Actes de gouvernement» VGG 32
- Ausnahmen im BGG zugunsten der Kantone
BV 29 II - rechtliches Gehör
Akteneinsicht
- Alle Verfahrensakten, unabhängig ihrer Bedeutung
- Kein Nachweis eines besonderen Einsichtsinteresses
- Ausgenommen sind rein verwaltungsinterne Akten
- Evtl. verhältnismässige Einschränkung bei privaten oder öffentlichen Geheimhaltungsinteressen
Begründung
- Auseinandersetzung mit den wesentlichen Argumenten
- Begründungsdichte flexibel
Anhörung, Orientierung, Mitwirkung
- Vorgängige Anhörung und Äusserung → Kern BV29II
Rechtsbeistand
- Recht auf frei gewählten Rechtsbeistand
- Befreiung von den Kosten gem. Art. 29 Abs. 3 BV
formelle Natur = Verletzung führt zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung
Ausnahme:
- nicht schwerwiegende Verletzung geheilt:
Möglichkeit zur Äußerung vor einer Rechtsmittelinstanz, die sowohl den Sachverhalt wie auch die Rechtslage frei überprüfen kann
- schwerwiegenden Verletzung geheilt: formalistischen Leerlauf
Vefahrensmaximen
-
Verfahrensherrschaft
- Offizialmaxime: über Eröffnung und Beendigung des Verfahrens entscheidet die zuständige Behörde
- Dispositionsmaxime: über Einleitung, Gegenstand und Beendigung des Verfahrens entscheiden die Parteien -
SV-Abklärung
- Untersuchungsmaxime: SV durch die Behörde abgeklärt
- Dispositionsmaxime: SV durch Parteien dargestellt und bewiesen -
Rechtsanwendung
- v.A.w.: iura novit curia
- Rügeprinzip: Behörde tritt nur auf Rügen ein, die geltend gemacht und begründet wurden
Verwaltungsverfahren und BV 5 I
- Vorrang der Verfügung:
(+) Einheitlichkeit der Verfahren
(+) Formalisierung des behördlichen Handelns/individuellen Mitwirkungsrechte
(+) Sichtbarmachen Zwangscharakter der Anordnung - Vorrang des Verfahrens:
= Verfügung formal im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens erlassen
- Ausnahme verfahrensfreie Verfügung (VwVG 3 lit. f.)