Inhalte und Theorien Flashcards

1
Q

Voraussetzungen der Notwehr (§ 32 StGB)

A
  1. Notwehrlage
    • gegenwertiger, rechtswidriger Angriff
  2. Notwehrhandlung
    • geeignet
    • erforderlich (fehlt Erforderlichkeit —> womöglich entschuldigender Notwehrexzess nach § 33 StGB)
    • geboten
  3. subjektives Rechtfertigungselement
    • Kenntnis der rechtfertigenden Umstände
    • Verteidigungswille
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2
Q

Kern- und Nebenstrafrecht

A

Das Kernstrafrecht umfasst all dei Normen, die Eingang in das StGB gefunden haben, das somit die Kernmaterie des Strafrechts regelt

Das Nebenstrafrecht bezeichnet die Strafnormen, die nicht im StGB, sondern in anderen Gesetzen zu finden sind (bspw Steuerhinterziehung § 370 AO, Betäubungsmitteldelikte §§ 29 ff BtMG)

> die Einteilung in Kern- und Nebenstrafrecht impliziert nicht die Bedeutung der Strafnormen für die Gesellschaft

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3
Q

bürgerliches Recht - öffentliches Recht - Strafrecht

A

bürgerliches Recht - Prinzip der Gleichordnung

öffentliches Recht - Prinzip des Über-/ Unterordnungsverhältnisses

Strafrecht - formal betrachtet ein Teil des öffentlichen Rechts (Aspekt der hohen Bedeutung einer strafrechtlichen Verurteilung - schärfste Eingriffsnorm in die bürgerliche Freiheit)

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4
Q

Aufgabe des Zivilrechts, öffentlichen Rechts und Strafrechst

A

Aufgabe Zivilrecht

- sozialen Beziehungen zwischen Bürgern einen rechtlichen Rahmen verleihen 
- Ausgleich von Interessenkonflikten 

Aufgabe öffentliches Recht
- setzt gesetzliche Vorgaben, die vor allem das Verhältnis der Mensch zum Staat und daneben die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander regeln

Aufgabe Strafrecht
- sichert den Rechtsfrieden, indem es die Rechtsordnung sichert und durchsetzt, die selbst die Grundlage eines geordneten menschlichen Zusammenlebens ist (BVerfGE 123, 267, 408)
Dieser Schutz wird dadurch gewährleistet, dass die Rechtsordnung bestimmte sozialschädliche Verhaltensweisen bei Strafe verbietet und dadurch ein „sozialethisches Unwerturteil gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht wird“ (Wessels/ Becke/ Satzger AT Rn. 4)

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5
Q

das Strafrecht ist abzugrenzen zum …

A

Strafverfahrensrecht
- Vorschriften , die die Aufklärung von Straftaten und Durchsetzung des staatlichen Bestrafungsrechts regeln

Strafzumessungsrecht
- Regeln, die für Art und Höhe der zu verhängenden Strafe maßgeblich sind

Strafvollzugsrecht
- Regeln, die übe den Vollzug der Freiheitsstrafe/ freiheitsentziehenden Maßnahme entscheiden

Jugendstrafrecht
- bei Straftaten Jugendlicher steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund

Kriminologie
- Kriminalität und der gesellschaftliche Umgang damit

Kriminalistik
- Lehre der Bekämpfung von Straftaten

Kriminalpolitik
- politische Bemühungen (bis hin zu Gesetzen) rund um das Kriminalrecht

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6
Q

Allgemeine Teil (AT)

Besonderer Teil (BT

A

Allgemeiner Teil (§§ 1-79b StGB): Rechtsnormen , die für alle Tatbestände des besonderen Teils gelten

- allgemeine Voraussetzung der Strafbarkeit 
- generelle Aussagen zu den Rechtsfolgen strafbaren Verhaltens 
Besonderer Teil (§§ 80-358 StGB): Auflistung der einzelnen Straftaten einschließlich der jeweiligen Strafandrohung 
	- innerhalb des BT geordnet nach Rechtsgütern
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7
Q

Gesetzgebungskompetenz im Strafrecht

A

faktisch liegt das Kriminalstrafrecht in der Zuständigkeit des Bundes
Art. 74 I Nr. 1 GG
Art. 72 I GG

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8
Q

Strafrecht im materiellen und formellen Sinn

A

Wenn vom Strafrecht die Rede ist, wird i.d.R vom Strafrecht im materiellen Sinn gesprochen

Strafrecht im formellen Sinne: Strafprozessrecht

- dient der Verwirklichung des materiellen Strafrechts 
- es bestimmt, wie der staatliche Strafanspruch geltend gemacht werden kann 
- formelle Strafrecht in StPO geregelt
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9
Q

Verbrechensbegriff im formellen Sinne

A

Summe aller Vorschriften, die Voraussetzungen oder Folgen eines mit Strafe oder einer Maßregel zur Besserung und Sicherung bedrohten Verhaltens regeln
—> Strafe und Maßregel werden zum Bezugspunkt strafrechtlich Verhaltens

die Sanktionierung eines Verbotes mittels Strafe oder Maßregel kennzeichnet die Strafrechtsnorm (nicht die Normierung von Ge- oder Verboten; solche Ge-/ Verbote gibt es auch in andern Rechtsmaterien)

Jede Strafe setzt Schuld des Täters bei der vergangenen Tat voraus
jede Maßregel setzt eine fortdauernde Gefährlichkeit des Täters für die Zukunft voraus
- Strafe und Maßregeln stehen in keinem Alternativitätsverhältnis (können auch kumulativ angeordnet sein)

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10
Q

Verbrechensbegriff im materiellen Sinn

A

der materielle Verbrechensbegriff orientiert sich nicht am geltenden Recht und dessen formalen Kriterien (Norm, die Strafe oder Maßregel als Sanktion anordnet)
- sondern widmet sich der Frage „wie ein Verhalten beschaffen sein muss, damit der Staat berechtigt ist, es unter Strafe zu stellen“ (Roxin/Greco AT I § 2 Rn. 1)

orientiert sich an der Aufgabe des Strafrechts, subsidiären Rechtsgüterschutz zu gewährleisten

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11
Q

Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts

A

Das Strafrecht soll den Rechtsgüterschutz gewährleisten. Jede strafrechtliche Sanktion (Strafe/ Maßregel) setzt die Verletzung (teilweise Gefährdung) eines Rechtsguts voraus

(auch das öffentliche und bürgerliche Recht kodifizieren Rechtsgüterschutz)

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12
Q

Formen von Rechtsgütern

A

individuelle Rechtsgüter
- Bsp. Leben, vgl § 212 StGB, Gesundheit, vgl. § 223 StGB, Vermögen, vgl § 263 StGB

kollektive Rechtsgüter
- Bsp. Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs, vgl. § 146 StGB

Mischformen
- bspw. § 164 StGB, der nach h.M gleichermaßen die Rechtspflege als Kollektivgut und individuell den Angeschuldigten vor falsch Verdächtigungen zu schützen sucht

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13
Q

inhaltliche Anforderungen an das Strafrechstgut

A
  • keine rein ideologischen Zwecksetzungen
  • keine bloßen Moralwidrigkeiten
  • keine rein ideelle Zweckverfolgung
  • sozialschädliches Verhalten als Anknüpfungspunkt
  • Notwendigkeit der Letztbezüglichkeit auf die Gesellschaft bzw. die sie konstituierenden Gesellschaftsmitglieder der Strafrechtsgüter

—> keine Strafnorm darf ausschließlich an Kollektivrechtsgut schützen (aufgrund der verfassungsrechtlichen Zielsetzung des Strafrechts: Sicherung der freien Entfaltung der Bürger)

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14
Q

Straftheorien - Sinn und Zweck des Strafens

  • deskriptiver Ansatz
  • normativer Ansatz
A

deskriptiver Ansatz
- aus historischer, soziologischer, evolutionspsychologischer Sicht zu ergründen, warum eine Gesellschaft tatsächlich zum Mittel der Strafe greift

normativer Ansatz
- darauf ausgerichtet, eine Rechtfertigung der Strafe zu liefern

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15
Q

absolute (Straf-)Theorie

A

die Strafe dient der Vergeltung

- bestraft, weil und wenn eine Tat vorliegt 
- nicht um beim Täter etwas zu bewirken 
- die Strafe soll von ihrer gesellschaftlichen Wirkung losgelöst erfolgen 

die Strafe hat einen rein repressiven Charakter
Immanuel Kant als Vertreter

Kritik: nicht mit der elementaren Aufgabe des Strafrechts (Rechtsgüterschutz) vereinbar
—> Strafe darf nicht von allen sozialen Zwecken absehen

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16
Q

relative (Straf-)Theorie

A

die Strafe dient der Verhinderung weiterer Straftaten zum Schutz der Gesellschaft

- präventiver Charakter 
- Strafe soll sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auswirken 

der Zweck, den die Bestrafung somit verfolgt, ist daher auch auf zukünftige Taten gerichtet

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17
Q

relative (Straf-)Theorien

a. Generalprävention

A

negative Generalprävention
- Kenntnis von Gegenstand und Umfang des Verbotes sowie Androhung der Strafe, Strafverfahren, Verhängung und Vollzug der Strafe sollen andere potentielle Straftäter von der Begehung einer Straftat abhalten
—> Lehre vom psychologischen Zwang: potenzielle Täter soll die mögliche Strafe mitberücksichtigen

positive Generalprävention
- Strafandrohung- und Vollzug sollen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsordnung stärken (Rechtstreue der Bevölkerung stärken)

Kritik: Strafe auch sinnvoll, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht
Generalprävention —> der Einzelne droht zum Objekt staatlichen Handelns zu werden (Verstoß gegen die Menschenwürde i.S.v. Art. 1 I GG)

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18
Q

relative (Straf-)Theorie

b. Spezialprävention

A

negative Spezialprävention
- der einzelne Straftäter soll von der Begehung künftiger Straftaten abgehalten werden (Abschreckung) und die Allgemeinheit soll durch die Inhaftierung des Täters geschützt werden (Sicherung)

positive Spezialprävention
- Strafvollzug soll der Resozialisierung des Täters dienen (Besserung als Schutz vor Rückfälligkeit)

Kritik: im Einzelfall besteht oft keine Wiederholungsgefahr. Eine nachhaltige Umerziehung zu legalem Verhalten in der gegenwärtigen Form des Strafvollzugs erscheint schwer zu realisieren

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19
Q

Vereinigungstheorie

  • präventiv
  • vergeltend
A

präventive Vereinigungstheorie
- Verzicht auf den Vergeltungsmoment

vergeltende Vereinigungstheorie
- die Rechtssprechung und das BVerfG folgen den vergeltenden Vereinigungstheorien
—> Aufgabe des Strafrechts vom BVerfG: elementare Werte des Gemeinschaftslebens schützen
—> Strafsanktionen: Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung, Sühne, Vergeltung (vgl. BVerfGE 45, 187, 253 f)

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20
Q

Zweck von Maßregeln

A

ausschließlich präventive Zwecke: Sicherung und Besserung
—> therapeutisch ausgerichtete Unterbringung soll die von ihm attestierte Gefährlichkeit überwinden + Schutz der Allgemeinheit solange die Gefährlichkeitsprognose aufrecht erhalten wird

die primär spezialpräventive Ausrichtung wird dabei von gerneralprävenitven Elementen ergänzt

Schuldausgleich darf kein Zweck von Maßregeln sein —> keine schuldhaft begangene Straftat voraussetzt
—> die Maßregeln werden vom Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt (nicht vom Ausmaß der Schuld) —> dieses lässt tiefgreifende Eingriffe in ie Rechtsposition des Bürgers zu
—> Rechtfertigung der Maßregeln: die Freiheit könnte entzogen werden, wenn ihr Gebrauch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beeinträchtigung andere führe

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21
Q

Tat- und Täterstrafrecht

A

Tatstrafrecht
- gesetzliche Regelung: Strafbarkeit knüpft an eine tatbestandlich umschrieben einzelne Handlung an
—> Sanktion als Antwort auf die Einzeltat und nicht auf die Lebensführung des Täters
- deutsches Strafrecht: Tatstrafrecht (im Bereich der Strafzumessung können täter spezifische Aspekte/ Einstellungen eine Rolle spielen)

Täterstrafrecht
- Regelung bei der die Strafe an die Persönlichkeit des Täters anknüpft
—> Asozialität entscheidet über Sanktion
- im deutschen Strafrecht: allenfalls zu akzeptieren, dass täterstrafrechtliche Aspekte im Rahmen eines festgestellten tatstrafrechtlichen Tatvorwurfs strafschärfend oder -mildernd Berücksichtigung finden

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22
Q

Strafbestände und Strafandrohung

Strafverhängung; Strafvollzug

A

Strafbestände und Strafandrohung: dienen generalpräventiv der Abschreckung

Strafverhängung (Urteil)
—> dient der negativen Spezialprävention (Abschreckung des Täters), der negativen Generalprävention (Abschreckung Dritter) und der positiven Generalprävention

Strafvollzug
—> dient allein der Resozialisierung (positive Spezialprävention), wirkt während der Verhängung auch negativ spezialpräventiv

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23
Q

Gedanke der Genugtuung

A

Fokus liegt aus dem Deliktsopfer und dessen Genugtuungsinteresse
—> Bedeutung des staatlichen Bestrafungsaktes für das Opfer (nicht: Befriedigung von Rachewünschen)
—> Staat kommuniziert gegenüber dem Opfer, dass ihm Unrecht und kein Unglück wieder fahren ist und darauf reagiert wird

die so verstandene Genugtuung wird bereits durch den Ausspruch der Strafe selbst erreicht
—> daher: Zuordnung zu den absoluten Straftheorien

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24
Q

das Gestzlichkeitsprinzip

A

Art. 103 II GG = § 1 StGB

Eine Tat kann nach Art. 103 II GG nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde

  • Verbot und Gewohnheitsrecht
  • Bestimmtheitsgebot
  • Rückwirkungsverbot
  • Analogieverbot
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25
Q

das Gesetzlichkeitsprinzip

  • Verbot von Gewohnheitsrechten
A

das Verhalten muss in einem förmlichen Gesetz für strafbar erklärt werde. Ungeschriebenes Recht (Gewohnheitsrecht) ist keine zulässige Grundlage für eine Bestrafung

  • in andern Rechtsgebieten (bspw im Privatrecht) ist Gewohnheitsrecht möglich
  • die Anwendung strafausschließenden und strafmildernden Gewohnheitsrechts ist zulässig (wirkt sich zugunsten des Täters aus )

Problem: durch Gewohnheitsrecht dürfen im BT de StGB keine neuen Strafbestände, Strafandrohungen und Verfolgungsmöglichkeiten geschaffen werden (umstritten: im AT des StGB strafbegründetes und strafschärfendes Gewohnheitsrecht gilt)

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26
Q

das Gesetzlichkeitsprinzip

  • Bestimmtheitsgebot
A

sowohl Tatbestand als auch Strafandrohung müssen gesetzlich bestimmt sein, damit der Einzelne sein Verhalten danach ausrichten kann

—> das Gesetz muss einerseits abstrakt genug sein, um alle Sachverhalten zu erfassen, die bestraft werden sollen, und es muss anderseits konkret genug sein, um allen anderen Fälle auszuschließen, die nicht bestraft werden sollen, auszugrenzen

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27
Q

das Gesetzlichkeitsprinzip

  • Rückwirkungsverbot
A

ein strafrechtliches Gesetz darf nicht rückwirkend ein Verhalten unter Strafe stellen; ein Richter darf ein Gesetz nicht auf Taten anwenden, die vor Inkrafttreten der Norm begangen wurde

  • ansonsten würden die Grenzen der Freiheit des Einzelnen nicht mehr bestimmbar sein (Vertrauen in die Strafrechtsordnung wäre nicht mehr möglich)
  • das Rückwirkungsverbot umfasste die Strafbarkeit als solche sowie Art und Höhe der Strafe
  • das Rückwirkungsverbot gilt auch für die Nebenfolgen der Tat

(eine Änderung der Rechtssprechung in Bezug auf bereits verübte Taten ist zulässig. Die Änderung der Rechtssprechung ist keine rückwirkende Änderung des Gesetzes, denn nur gesetzliche Bestimmungen sind von der Garantie des Art. 103 II GG umfasst. In einer geänderten Rechtssprechung drückt sich der Gesetzeswille aus (wie er schon immer bestanden hat, aber erst jetzt richtig anerkannt wurde)

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28
Q

das Gesetzlichkeitsprinzip

  • Analogieverbot
A

Im Strafrecht ist eine Analogie zu Ungunsten des Täters ausgeschlossen. Denn für einen Fall, der einem gesetzlich geregelten Fall nur ähnlich ist, ist die Strafbarkeit nicht gesetzlich bestimmt

  • in andern Rechtsbereichen gehört die Analogie zu den üblichen Mitteln der Rechtsfindung

(die Tätigkeit des Auffindens der richtigen Deutung nennt man Auslegung. Die Grenze zulässiger Auslegung bildet den möglichen Wortsinn —> jenseits des Wortsinns beginnt die im Strafrecht verbotene Analogie)

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29
Q

Auslegungsregeln

A

Wortauslegung
- Ermittlung der Wortbedeutung nach natürlichem und juristischem Sprachgebrauch

historische Auslegung
- Frage, welchen Inhalt der Gesetzgeber dem Strafgesetz geben wollte

systematische Auslegung
- Frage, welchen Inhalt ein Gesetz im Hinblick auf den Systemzusammenhang des gesamten Gesetzes hat

teleologische Auslegung
- Frage, nach Inhalt eines Gesetzes im Hinblick auf Sinn und Zweck

—> Korrektiv: verfassungskonforme/ menschenrechtskonforme Auslegung - von mehreren möglichen Auslegungen ist diejenige zu bevorzugen, die mit der Verfassung bzw der EMRK im Einklang steht)

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30
Q

Einfluss des Verfassungsrechts

  • Strafrecht
A

a. Schuldprinzip (nulla poena sine culpa)

- folgt aus Art. 2 I, 1 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip 
- Strafbegründungsschuld: Eine Strafe darf nur verhängt werden, wenn die Tat dem Täter zum Vorwurf	 								gemacht werden kann 
- Schuld-Unrecht-Kongruenz: Alle Elemente des Unrechtsvorwurfs müssen vom Schuldvorwurf erfasst 									     werden 
- § 46 I 1 StGB: “die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe” 

b. Rechtsgüterschutz

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31
Q

Einfluss des Verfassungsrechts

  • Strafprozessrecht
A

a. Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 I GG

- grundrechtsgleiches Recht und konkretisiert den Gedanken der Menschenwürde (Art 1. I GG)
	—> keine Person darf zum Objekt richterlicher Rechtsfindung gemacht werden (im Sinne eines 			selbstbestimmten Wesens auch eigenständig in das Verfahren eingreifen)

b. ne bis in idem, Art. 103 III GG

- Verbot von Doppelbestrafung wegen derselben Tat (Problem ist hier die inhaltliche Auslegung des 	 Begriffes Tat) 
- Art. 103 III GG gilt nur innerstaatlich 

c. in dubio pro reo

- Im Zweifel für den Angeklagten
	—> kein eindeutiger Sachverhalt im Strafprozess: der Richter hat sein Urteil auf Basis des für den 			Angeklagten günstigeren Sachverhalts auszusprechen 
- prozessuale Entscheidungsregel (non liquet); der Grundsatz bietet keine möglichst tätergünstige 	 Auslegung des Gesetzes 

d. Recht auf ein faires Strafverfahren

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32
Q

Einfluss des Verfassungsrecht

  • Verhältnismäßigkeitsprinzip
A

das Verhältnismäßigkeitsprinzip leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus den einzelnen Grundrechten ab
—> gilt für das materielle Strafrecht und Strafprozessrecht (insbesondere für strafprozessuale Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen)

Zusammensetzung aus Eignung, Erfoderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)

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33
Q

Einfluss des Verfassungsrechts

  • Verhältnismäßigkeitsprinzip
    a. Eignung
A

das Strafgesetz muss zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet sein

- das zu schützende Rechtsgut muss im Vordergrund stehen 
- eine bloß appellative oder normstabilisierende Wirkung darf hier keine Rolle spielen
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34
Q

Einfluss des Verfassungsrechts

  • Verhältnismäßigkeitsprinzipb. Erforderlichkeit
    c. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
A

b. Erforderlichkeit

- Strafgesetz muss erforderlich sein 
	—> Erforderlichkeit liegt dann vor, wenn zur Erreichung des Erfolgs das mildest gleich wirksame 			Mittel eingesetzt wird 

c. Angemessenheit

- ein Strafgesetz darf nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen 
	—> Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordert eine Abwägung zwischen dem 			Nutzen des Strafgesetzes und der dadurch herbeigeführten Beeinträchtigung 
	—> bei der Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne räumt das BVerfG staatlichen Organen 			einen Entscheidungsspielraum ein, indem es einen Verstoß gegen das Gebot der 			Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nur bei deutlicher Unangemessenheit annimmt
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35
Q

Strafrechtsdogmatik und Strafrechtssystem

  • Aufgaben der Dogmatik und des Systems des Strafrechts
A

Strafrechtsdogmatik
- Auslegung, Systematisierung und Fortbildung der gesetzlichen Anordnungen und wissenschaftlichen Lehrmeinungen

	—> Systematisierung: Gliederung der Gesamtheit der Ergebnisse in ein “geordnetes Ganzes” 
			—> innerer Zusammenhang der einzelnen Dogmen sichtbar machen (logische Ordnung 					der gewonnenen Einzelkenntnisse)
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36
Q

formeller Verbrechensbegriff

A

jedes strafbare Verhalten weist (min.) vier gemeinsame Merkmale auf

  • Handlung
  • Tatbestandsmäßigkeit
  • Rechtswidrigkeit
  • Schuld
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37
Q

formeller Verbrechensbegriff

a. Handlung
b. Tatbestandsmäßigkeit
c. Rechtswidrigkeit
d. Schuld
e. sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen

A

a. Handlung
- Systemstufe zur Ausscheidung rechtlich völlig irrelevanter Geschehnisse: Naturkräfte, Verletzung durch Tiere sowie Gedanken und Gesinnungen
b. Tatbestandsmäßigkeit
- die Handlung muss tatbestandsmäßig sein, d.h einer der Verbrechensbeschreibungen entsprechen, die sich vorwiegend im BT finden (§§ 80 ff. StGB)
c. Rechtswidrigkeit

- die Tat ist rechtswidrig, wenn sie verboten ist 
- weil der Tatbestand ein Verhalten beschreibt, das typischerweise verboten sein soll, ist die 	Rechtswidrigkeit des Verhaltens durch dessen Tatbestandsmäßigkeit indiziert 
	—> Dieses Indiz wird widerlegt, wenn (ausnahmsweise) ein Rechtfertigungsgrund (bspw § 32 oder § 34 		       StGB) eingreift 
- fehlt es an der Rechtswidrigkeit des Verhaltens, so ist es erlaubt und muss von jedermann hingenommen 	 werden. Niemand kann sich dem Täter dann rechtsmäßig zu Wehr setzen 

d. Schuld

- der Täter handelt schuldhaft, wenn er für die Tat verantwortlich gemacht werden kann 
- Schuld bedeutet individuelle Vorwerfbarkeit des normwidrigen Verhaltens 
- Voraussetzungen sind Schuldfähigkeit gem. §§ 19, 20 StGB, § 3 JGG sowie das Fehlen von 	 Entschuldigungsgründen (z.B § 17 oder § 35 StGB) 
- fehlt es an der Schuld des Täters, so bleibt das Verhalten missbilligt und verboten , der Täter wird  	 lediglich nicht bestraft. Das Täterverhalten muss aber nicht vom Opfer hingenommen werden, viel mehr 	 kann es ggf (nach §§ 32, 34 StGB) rechtmäßig gegen den Täter vorher (zivilrechtlich) 

e. sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen

- eine tatbestandsmäßig, rechtswidrige und schuldhafte Handlung ist i.d.R strafbar. Nur nein einzelnen 	 Delikten verlangt das Gesetz weitere Voraussetzungen für die Strafbarkeit: 
	—> fehlen persönlicher Strafausschließungsgründe (§ 258 VI StGB) 
	—> objektive Bedingung der Strafbarkeit (z.B die Begehung einer rechtswidrigen Tat in § 323a StGB) 
—> fehlt einer der sonstigen Strafbarkeitsvoraussetzungen, so bleibt das Verhalten verboten und 	       schuldhaft; der Täter wird lediglich nicht bestraft
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38
Q

Unrecht und Schuld

A

Unrecht und Schuld sind zwei von einander strikt zu trennende Wertungsstufen

- Unrecht einer Tat: Kombination aus Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verhaltens 
	—> Unrecht wird nur begangen, wenn der Täter ein tatbestandsmäßiges Verhalten vornimmt, das nicht gerechtfertigt ist. Das Gesetz versteht darunter gem. § 11 Nr.5 StGB eine “rechtswidrige Tat” 

- davon unabhängig ist die Schuld (individuelle Vorwerfbarkeit des unrechten Verhaltens) 
	—> Unrecht liegt also auch dann vor, wenn es (nur) an der Schuld des Täters fehlt 
	—> vorliegen einer Straftat: nur bei Unrecht + Schuld
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39
Q

teleologisch-kriminalpolitisches Systemdenken

  • Vorzüge und Gefahren des Denkens in einem System
A

Vorzüge des Denkens in einem System

- sichere, berechenbare Anwendung des Strafrechts frei von Willkür 
- Erleichterung der Fallprüfung 
- gleichmäßige und differenzierte Rechtsanwendung 
- Vereinfachung und bessere Handhabung des Rechts 

Gefahren des Denkens in einem System

- Vernachlässigung der Einzelfallgerechtigkeit 
- kriminalpolitisch nicht legitimierbare Systemableitung 
- Verwendung zu abstrakter Begriffe
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40
Q

teleologisch- kriminalpolitisches Systemdenken

  • Problemdenken als Alternative
A

Problemdenken als eine vom Einzelproblem ausgehende Suche nach Möglichkeiten „dieses sachgerecht und zweckmäßig“ zu lösen

- Bedenken: der Erfolg hängt maßgeblich von einer integren entscheidenden Person ab (nicht von einem 	 anerkannten System), es bedarf vergleichbare Fälle 

	—> Rechtsunsicherheit: keine gleichmäßige und berechenbare Rechtsanwendung mehr gewährleistet 
	—> Gesetzlichkeitsprinzip: Rechtsfindung per Analogie, praeter legem oder kraft Gewohnheitsrecht 			ist im Strafrecht gerade nicht möglich
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41
Q

Exemplifizierungen des teleologisch-kriminalpolitischen Systemdenkens

A

ein modernes Strafrechtssystem muss teleologisch strukturiert sein (auf wertenden Zwecksetzungen aufbauen)

die leitenden Zwecksetzungen (die das Strafrechtssystem konstituieren) können nur kriminalpolitischer Art sein

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42
Q

Exemplifizierungen des teleologisch-kriminalpolitischen Systemdenkens

a. Handlung
b. Unrecht
c. Tatbestand
d. Verantwortlichkeit

A

a. Handlung

- kriminalpolitischer Zweck 	
—> durch die Bewertung als Nichthandlung wird alles ausgeschieden, was den Kategorien des 		strafrechtlich Erlaubten und Verbotenen von vornherein nicht unterliegt 

b. Unrecht

- kriminalpolitischer Zweck 
—> Lösung von Interessenkollisionen, Anknüpfungspunkt für Maßregeln und andere rechtliche 		Wirkungen, Verzahnung des Strafrechts mit der Gesamtrechtsordnung 

c. Tatbestand

- kriminalpolitischer Zweck 
—> durch die Aufnahme eines bestimmten Verhaltens in einen Strafbestand soll der Einzelne zur 		Unterlassung des darin beschriebenen Verhaltens motiviert werden (Generalprävention) 

d. Verantwortlichkeit

- kriminalpolitischer Zweck 
—> Ausscheidungen von Fallkonstellationen, in denen trotz Unrechtsverwirklichungen eine präventive 		Bestrafungsnotwenidigkeit nicht besteht
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43
Q

Verhältnis zwischen Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik

A

strafrechtliches und kriminalpolitisches Denken stellen bei genauerer Betrachtung keine strengen Gegensätze dar
—> Rechtsfindung ist mehr als ein Subsumtionsautomat
—> kriminalpolitisches Denken fließt mit ein

Kriminalpolitik kann durch die Richter wegen des Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 II GG) und des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 III GG) nur innerhalb der Auslegungsgrenzen betrieben werden
—> Aufgabe des Gesetzgebers: Gesetze infolge kriminalpolitischer Erwägungen ändern

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44
Q

Geltungsbereich des deutschen Strafrechts

A

hat ein Sachverhalt einen Auslandsbezug, muss vor der Prüfung einer Strafbarkeit nach dem StGB erst die Anwendbarkeit dieses Gesetzes festgestellt werden.
Dies regelt das Strafanwendungsrecht §§ 3-9 STGB

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45
Q

Territorialitätsprinzip

A

das Territorialitätsprinzip bedeutet, dass dem deutschen Strafrecht alle Straftaten unterliegen, die im Inland begangen werden, § 3 StGB. Dabei ist die Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers irrelevant

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46
Q

Anwendung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten

A

a. Flaggenprinzip, § 4 StGB
b. Personalitätsprinzip
c. Schutz- und Realprinzip
d. Universal- und Weltrechtsprinzip
e. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege

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47
Q

die strafrechtliche Handlungslehre

A

die strafrechtliche Handlungslehre betrifft eine Grundlage der Strafbarkeit. Eine Strafe kann nur an eine Handlung angeknüpft werden

—> ein menschliches Verhalten ist nur dann strafrechtlich relevant, wenn die handelnde Person Steuerungsfähigkeit besaß

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48
Q

die naturalistisch- kausale Handlungslehre

A

umreißt die Handlung als ein gewillkürtes Körperverhalten

—> hierbei soll die willkürliche Handlung zur Abgrenzung von Naturereignissen dienen
—> diese Handlungslehre berücksichtigt nicht, dass das menschliche Verhalten mit potenziell strafrechtlicher Relevanz einen sozialen Bedeutungsgehalt hat

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49
Q

die finale Handlungslehre

A

die finale Handlungslehre definiert das menschliche Verhalten als eine zweckgerichtete Tätigkeit

—> Mensch zeichne sich durch eine Fähigkeit aus, planend und zweckgerichtet in das Sozialleben einzugreifen
—> Kritik: Unterlassungen und fahrlässiges Handeln können nicht angemessen aufgenommen werden

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50
Q

die personale Handlungslehre

A

die personale Handlungslehre umreißt Handlungen als Persönlichkeitsäußerungen

—> Kritik: fahrlässiges Handeln verstehe sich nur schwer als eine individuelle Persönlichkeitsäußerung (zu hoher Fokus auf das Individuum —> Sozialerheblichkeit vernachlässigt)

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51
Q

die sozialen Handlungslehren

A

dei sozialen Handlungslehren verstehen die strafrechtliche Handlung als eine vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares, sozialerhebliches Verhalten

—> Sozialerheblichkeit dient als Abgrenzungskriterium

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52
Q

Nichthandlungen

A
  • Reflexbewegungen
  • vis absoluta (mit unwiderstehlicher Gewalt erzwungene Handlungen)
  • Körperbewegungen im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit
  • Verhalten eines Unternehmens (im Unternehmen handeln zwar natürliche Personen, diese Handlungen werden dem Unternehmen lediglich zivilrechtlich zugeordnet)
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53
Q

Bedeutung des Tatbestands

  • Systematik
  • Garantiefunktion
  • dogmatische Aufgabe
A

Systematik
- Elemente der Verbrechenslehre, die im Gesetzeswortlaut des konkreten Delikts nur unvollkommen zum Ausdruck kommen (z.B Kausalität und objektive Zurechnung bei § 212 StGB, dessen Wortlaut nut die Handlung „töten“ nennt), erhalten einen „Oberbegriff“, worunter sie (in einem Rechtsgutachten) systematisch zu fassen sind

Garantiefunktion
- weil nach Art. 103 II GG, § 1 StGB eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit des Verhaltens vor der Tatbegehung gesetzlich bestimmt war, ist die Bürgerin sowie der Bürger davor geschützt, für ein Verhalten bestraft zu werden, das im Gesetz nicht als tatbestandlich genannt wird

dogmatische Aufgabe
- der Tatbestand umschreibt auch diejenigen Merkmale, auf die sich der Vorsatz des Täter erstrecken muss. Denn kennt er eins der im gesetzlichen Tatbestand vorausgesetzten Merkmale nicht, handelt er gem. § 16 I 1 StGB insoweit unvorsätzlich

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54
Q

die Entwicklung des Tatbestands

  • Tatbestand war geprägt durch Objektivität und Wertfreiheit
A

Objektivität - TB umfasst nur äußerlich erkennbaren Sachverhalt
—> aus subjektive Kriterien kann nicht verzichtet werden, da auch sie des Deliktstypus wesentlich mitbestimmen

Wertfreiheit - Feststellung des TB einhält noch kein Unwerturteil
—> der TB enthält über deskriptive Merkmale hinaus auch normative Merkmale und enthält somit selbst schon einen Wertung

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55
Q

das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit

A

wer ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an den Tag legt, handelt in der Regel rechtswidrig

die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens indiziere dessen Rechtswidrigkeit

demnach hängen also Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit in den Sinne zusammen, dass erst eine Gesamtschau der unrechtsbegründeten Merkmale des Tatbestands und der unrechtsausschließenden Merkmale der Rechtfertigungsgründe ein Urteil über das Unrecht der Tat zulässt

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56
Q

der objektive Tatbestand

A

Tatsubjekt
- bestimmt den Kreis möglicher Täter (z.B „wer“ in § 303 StGB)

Tathandlung
- beschreibt das Verbotene Verhalten des Tatsubjekts (z.B „eindringen“ in § 123 StGB)

Tatobjekt
- beschreibt die Person bzw. den Gegenstand, an dem die Tat begangen werden kann (z.B „fremde Sache“ bei § 303 StGB)

ggf Taterfolg (einschließlich Kausalität und objektiver Zurechnung)

- bestimmt ein verbotenes Ergebnis einer Tat
 (z. B „beschädigen oder zerstören“ bei § 303 	StGB)
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57
Q

subjektiver Tatbestand

a. Vorsatz
b. subjektive Tatbestandsmerkmale

A

a. Vorsatz
- das Wissen und Wollen hinsichtlich sämtlicher Merkmale des objektiven Tatbestands
die Zugehörigkeit des Vorsatzes zum subjektiven Tatbestands ist heute allgemein anerkannt, da:
- der tatbestandliche Deliktstypus ganz wesentlich durch den Vorsatz mitbestimmt wird
- der Vorsatz beim Versuch zum Tatbestand gehört, so dass er beim vollendeten Delikt nicht einfach wieder daraus verschwinden kann

b. subjektive Tatbestandsmerkmale
- über den allgemeinen Vorsatz hinaus setzen einige Delikte spezielle subjektive Tatbestandsmerkmale voraus (z.B §§ 242, 253, 265 StGB)
- nicht jedes subjektive Merkmal, das die innere Vorstellungswelt bzw den psychisch- seelischen Bereich betrifft, ist auch subjektives Tatbestandsmerkmal (kann auch der Schuld zuzuordnen sein)
- die Abgrenzung bestimmt sich danach, ob sich das fragliche Merkmal auf den Deliktytyp bezieht (dann subjektives Tatbestandsmerkmal) oder ein lediglich davon abhängiges (oft schärfendens) Motiv, ein Gefühl oder eine Gesinnung umschreibet (dann Schuldelement)
- die Relevanz der Unterscheidung zwischen subjektivem Tatbestandsmerkmal und Gesinnungsmerkmal liegt (neben einem konkreten Prüfungsaufbau im Rechtsgutachten) vor allem in der Frage, ob bei Beteiligungsfragen § 28 StGB oder § 29 StGB zur Anwendung kommt

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58
Q

Handlungs- und Erfolgsunwert im Tatbestand

A

Handlungunwert

- wird durch die Art und Weise des Handlungsvollzugs bestimmt (rechtswidrig ist die Handlung als Werk 	des Täters)
- wird von der ganz h.M. in das Unrecht einbezogen 

Erfolgsunwert
- wird durch die Verletzung oder Gefährdung des Schutzgutes bestimmt

Einwände gegen eine Berücksichtigung auch des Erfolgsunwerts:

- nur eine Handlung, nicht aber ein Erfolg kann Gegenstand eines Verbotes sein 
- Erfolgseintritt auch vom Zufall abhängig, weshalb er für das Unrecht irrelevant sein muss 

Einer damit verbundenen alleinigen Orientierung am Handlungsunwert steht jedoch entgegen:

- es lassen sich Erfolge verbieten, die sich als planmäßige/ adäquate Folge bestimmter Verhaltensweisen 	darstellen 
- der Zufall wird aus der strafrechtlichen Betrachtung ohnehin ausgeschlossen, weil nur Erfolge 	zugerechnet werde, die als „Werk des Täters“ erscheinen 
- Gefahr der Einebnung des wertungsmäßigen Unterschieds zwischen Versuch und Vollendung: 	bei Abstellen alleine auf den Handlungsunwert hat der Täter, der das Opfer trifft, und derjenige, der das 	Opfer verfehlt, das gleiche (Handlungs-)Unrecht begangen
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59
Q

Arten von Tatbeständen

a. Erfolgsdelikte
b. Tätigkeitsdelikte

A

Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte lassen sich nach der Beziehung zwischen Handlung und Erfolg unterscheiden

a. Erfolgsdelikte
- setzen den Eintritt eines von der Tathandlung gedanklich abgrenzbaren Erfolgs voraus (z.B setzt § 212 StGB über die auf die Todesverursachung gerichtete Handlung als Erfolg der Tat auch den Tod des Opfers voraus)
—> Beschaffenheit der Handlung irrelevant („irgendeine“ Handlung reicht aus)
—> Maßgeblich ist nur der Eintritt des gesetzlich vertypten Erfolgs

b. Tätigkeitsdelikte
- setzten keinen solchen Erfolg voraus und sind vielmehr allein durch das im Gesetz beschriebene Tätigwerden erfüllt (z.B stellt § 153 StGB allein die Tätigkeit des Falsch-Aussagens unter Strafe, unabhängig von einem Erfolg i.S. einer Täuschung des Gerichts)
—> Maßgeblich ist nur die Vornahme der gesetzlich vertypten Handlung
—> Eintritt eines Erfolgs für TB-Verwirklichung irrelevant

Relevanz der Unterscheidung: nur bei Erfolgsdelikten muss nach einem Ursachen- und Zurechnungszusammenhang (Kausalität und objektive Zurechnung) zwischen Handlung und Erfolg gefragt werden

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60
Q

Dauer- und Zustandsdelikte

A

Dauer- und Zustandsdelikte lassen sich danach differenzieren, ob ein widerrechtlicher Zustand nur herbeigeführt oder aufrechterhalten wird

a. Dauerdelikte
- der Täter führt einen rechtswidrigen Zustand nicht nur herbei, sondern hält diesen auch aufrecht (z.B § 239 StGB, da das Opfer für die Dauer bis zu seiner Befreiung seiner Freiheit beraubt bleibt)

b. Zustandsdelikte
- das tatbestandliche Verhalten erschöpft sich dagegen in der schlichten Herbeiführung des widerrechtlichen Zustands (z.B § 223 StGB, weil es dem Tatbestand nur darauf ankommt, dass der Zustand der Körperverletzung (auch nur kurz) einmal bestand)

Relevanz der Unterscheidung: grundsätzlich sind nur bei Dauerdelikten nach Herstellung des widerrechtlichen Zustands noch Mittäterschaft und Beihilfe möglich

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61
Q

erfolgsqualifiziere Delikte

A

erfolgsqualifizierte Delikte sind ein spezieller Fall der Erfolgsdelikte. Sie knüpfen an die Verwirklichung eines Grunddelikts an und verlangen darüberhinausgehend den Eintritt eines besonderen Erfolgs als Folge der Verwirklichung des Grunddelikts

Bsp. Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB): über die Verwirklichung des § 223 StGB als Grundtatbestand der Körperverletzung hinaus wird der Einritt eines Erfolgs in Form des Todes des Verletzten verlangt

Relevanz dieser Deliktart: Abweichend von § 15 StGB genügt bei diesen Delikten hinsichtlich des besonderen Erfolgs Fahrlässigkeit (§ 18 StGB)

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62
Q

Verletzungs- und Gefährdungsdelikte

A

die Unterscheidung von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten betrachte die Intensität der Beeinträchtigung des jeweils geschützten Rechtsguts

a. Verletzungsdelikte
- setzen eine Beeinträchtigung (Verletzung) des Rechtsguts voraus, also eine tatsächliche Werteinbuße (z.B verlangt § 303 StGB, dass die fremde Sache - das Eigentum als das geschützte Rechtsgut - tatsächlich beschädigt oder gar zerstört sein muss)

b. Gefährdungsdelikte
- es muss keine Verletzung des Rechtsguts eingetreten sein; das Gesetz lässt bei ihnen ausreichen, dass eine diesbezügliche Gefahr geschaffen wurde (z.B verlangt § 221 I StGB nicht den Tod des Ausgesetzten, sondern lässt die Gefahr des Todes ausreichen)

Im Bereich des Schutzes kollektiver Rechtsgüter dominieren Gefährdungsdelikte- statt Verletzungsdelikte, da eine einzelne Handlung kaum jemals ein Kollektivrechtsgut zu verletzen vermag.

Wiederum nach der Intensität der vorausgesetzten Beeinträchtigung des Handlungsobjekts lassen sich die Gefährdungsdelikte weiter in konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte unterscheiden.
- a. konkrete Gefährdungsdelikte (bspw. § 221 StGB)
—> setzen voraus, das das jeweilige Rechtsgut konkret gefährdet ist (fassbare Gefährdung)
—> Erfolgsdelikte (Gefährdungserfolg, Gefährdungsvorsatz)

- b. abstrakte Gefährdungsdelikte (bspw. § 316 StGB)
—> setzen nicht den Eintritt einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut voraus 
—> bestimmtes Verhalten ist generell gefährlich für das geschützte Rechtsgut (nicht nur im Einzelfall) 
—> Gefährlichkeit als gesetzgeberisches Motiv, kein spezielle zu prüfendes objektives TB-Merkmal
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63
Q

Kausalität -Äquivalenztheorie

A

Jeder Umstand, der zum Eintritt des Erfolges führt, stellt eine Ursache dar
(Gleichwertigkeit aller Bedingungen = Äquivalenztheorie, äquivalent heißt gleichwertig)

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64
Q

Kausalität - conditio sine qua non - Formel

A

Ursächlich ist jede Bedingung eines Erfolges, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg (in seiner konkreten Gestalt) entfiele.

  • die sogleich dargestellten Problemfälle zeigen die Unzulänglichkeiten der csqn-Formel auf
    Ihr heuristischer (Heuristik ist die Lehre von der Gewinnung neuer Erkenntnisse) Wert ist damit stark beschränkt. Um bestimmen zu können, ob ein Ereignis hinweggedacht werden kann, ohne damit ein bestimmter Erfolg entfällt, muss die Kausalität ja bereits bekannt sein
  • die Formel bedarf bereits im Ausgangspunkt der Einschränkung über das Merkmal „Erfolg in seiner konkreten Gestalt“
  • die Formel bedarf ferner einer Anpassung für Fälle der alternativen Kausalität
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65
Q

Kausalität - lehre von der gesetzmäßigen Bedingung

A

Ein Verhalten ist dann ursächlich für einen Erfolg, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von Veränderungen (natur)gesetzmäßig verbunden ist. Dies ist nach der allgemeinen oder sachverständigen Erfahrung zu beurteilen

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66
Q

Problemfälle - Alternative Kausalität

A

BSp.: T1 und T2 geben O unabhängig voneinander jeweils eine tödlich wirkende Menge gift - O stirbt.

Problem:
- zwei Ursachen führen zum selben Erfolg. Jede Ursache kann alternativ (einzeln), aber nicht kumulativ (zusammen) hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele.

Folge:
- beide Täter wären in Bezug auf das vollendete Delikt nach der csqn-Formel straflos

Lösung:
- von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede ursächlich, sog. modifizierte Äquivalenztheorie. Also sind beide strafbar. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bestimmung kommt zum gleichen Ergebnis, da beide Gifte im Körper des O wirksam werden.

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67
Q

Problemfälle - kumulative Kausalität

A

Bsp.: T1 und T2 geben in den Kaffee des O jeweils eine für sich nicht tödlich wirkende Dosis Gift, ohne von der Tat des anderen zu wissen. O stirbt an der Gesamtdosis.

Problem:
- zwei Ursachen führen ebenfalls zum konkreten Erfolg, aber nur durch das Zusammenwirken beider Ursachen. Jede allein würde nicht zum Erfolg führen

Folge:
- Beide kausal, das weder die Handlung des einen, noch die des anderen hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Zudem sind im Sinne der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung bei Giftmengen mit dem Tod des O naturgesetzmäßig verbunden

Lösung:
- nicht im Rahmen der Kausalität, sondern im Rahmen der objektiven Zurechnung: Tatbeitrag des einen kann dem andern nicht zugerechnet werden, es fehlt am Risikozusammenhang. Beide kausal, aber mangels objektiver Zurechnung nur strafbar wegen versuchten Totschlags und vollendeter Körperverletzung

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68
Q

Problemfälle - überholende bzw. abbrechende Kausalität

A

Bsp.: T1 vergiftet O. Bevor O an der Vergiftung stirbt, wird er von T2 erschossen

Problem:
- ein Täter setzt eine Ursache für einen Erfolg. Bevor sich dieser Erfolg realisieren kann, setzt ein zweiter Täter eine neue Ursache, die einen früheren Erfolgseintritt bewirkt

Folge:
- denkt man die Vergiftungshandlung des T1 weg, wäre O dennoch an dem Schuss des T2 gestorben

Lösung:
- Kausal ist die Ursache, die zum konkreten Erfolg geführt hat. diese hat T2 gesetzt. T2 ist daher wegen vollendeter Tat zu bestrafen. Die Ursache die T1 gesetzt hatte, wirkt nicht bis zum Tötungserfolg fort, die Kausalität wurde abgebrochen. T1 ist nur wegen Versuchs strafbar

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69
Q

Problemfälle - Hypothetische Kausalität

A

Bsp.: T vergiftet O, der stirbt. O wäre sowieso kurz danach an einer Krankheit gestorben

Problem:
- Erfolg wäre im selben Moment oder später auch durch eine andere Sache eingetreten

Folge:
- Handlung des Täters könnte hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. T wäre nicht wegen des vollendeten Delikts strafbar

Lösung:
- hypothetische Kausalverläufe bleiben unberücksichtigt! Verbot des Hinzudenkens von Ersatzursachen. Es ist auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt abzustellen. Die Vergiftung durch T ist also kausal. T ist strafbar

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70
Q

Übersicht: Tätigkeitsdelikte, Erfolgsdelikt und Kausalität

A

keine Kausalität notwendig:

- Tätigkeitsdelikte = kein konkreter Erfolg wird vorausgesetzt 
	- abstrakte Gefährdungsdelikte = kein Eintritt einer konkreten Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt 

—> steigende Intensität der Beeinträchtigung des jeweiligen geschützten Rechtsguts —>

P: Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg im Einzelfall:

- Erfolgsdelikte = setzten Eintritt eines von der Tathandlung abgrenzbaren Erfolgs voraus 
	- konkrete Gefährdungsdelikte = konkrete Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt 
	- Verletzungsdelikte = Beeinträchtigung des Rechtsguts im Einzelfall vorausgesetzt
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71
Q

Kausalität - Adäquanz- / Relevanztheorie

A

die Möglichkeit des Erfolgseintritts aufgrund der gesetzten Bedingung darf nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeiten liegen. Bei der Bewertung dieser Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Wertungsfrage.

die Relevanztheorie geht insofern über die Adäquanztheorie hinaus, als sie zwischen Kausalzusammenhang von Handlung und Erfolgs einerseits und strafrechtlicher Relevanz dieses Kausalzusammenhangs anderseits unterscheidet. Allerdings ist es den Vertretern dieser Lehre nicht gelungen, die Kriterien der Relevanz konkret herauszuarbeiten

die Adäquanztheorie sowie die Relevanztheorie befassen sich nur vordergründig mit Fragen der Ursächlichkeit, tatsächlich setzen sie Kausalität voraus und begrenzen diese

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72
Q

Problemfälle - atypischer Kausalverlauf

A

die überholende Kausalität darf nicht mit einem nur atypischen Kausalverlauf verwechselt werden: Hier tritt der Erfolg zwar letztendlich auch durch eine andere Ursache ein, diese knüpft aber an die vorhergehende Handlung an. Nach der csqn-Formel ist jede Bedingung kausale Ursache für den Erfolg

keine Zurechnung, wenn eine ganz ungewöhnliche, atypische Schadensfolge eintritt, oder wenn es zu einem nicht vorhersehbaren, außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Geschehensablauf kommt

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73
Q

Grundaussagen zur objektiven Zurechnung

A

die Funktion der objektiven Zurechnung liegt in erster Linie in der Zielsetzung, die Weite des Kausalitätskriteriums - Verkauf der Tatwaffe als kausaler Beitrag zum Taterfolg - durch eine normative Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg zu begrenzen

das Kriterium der Eingrenzung ist die Fragestellung: Kann dem Täter der von ihm verursachte Erfolg normativ (=bewertend) als dessen Werk zugerechnet werden?
- dies ist der Fall, wenn die Handlung des Täters eine rechtlich missbilligte Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen und sich diese Gefahr im konkreten Erfolg tatbestandstypischer Weise verwirklicht hat

  1. Gefahrschaffung
    —> Der Täter muss durch sein Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen oder erhöht haben,…
  2. Gefahrrealisierung
    —> … die sich im eingetretenen Erfolg realisiert hat
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74
Q

objektive Zurechnung - Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr für das tatbestandlich geschützte Objekt

A
  • Handlung ist für das Tatobjekt objektiv riskant (Gefahr = objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts)
  • das Risiko ist neu, weil es die bisherige Situation noch nicht oder nur in geringem Umfang enthielte
  • das Risiko wird von der Rechtsordnung nicht gebilligt
  • das Risiko kann nicht ausschließlich für den Täter fremden Verantwortungsbereichen zugeordnet werden (eigenverantwortliche Selbstgefährdung, einverständliche Fremdgefährdung, fremder Verantwortungsbereich bei mittelbaren Fremdgefährdungen)
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75
Q

objektive Zurechnung - Verwirklichung dieser Gefahr im Erfolg

A

der Erfolg stellt sich als Verwirklichung des vom Täter geschaffenen unerlaubten Risikos dar und nicht lediglich als die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos oder des von einem anderen geschaffenen Risikos. Dies setzt u.a .voraus:

  • das verwirklichte Risiko greift in den Schutzbereich der verletzten Norm ein
  • es ist kein rechtmäßiges hypothetisches Alternativverhalten des Täters erkennbar, das den Erfolg in gleicher Weise herbeigeführt hätte
  • ein vom Handelnden verursachter Erfolg ist dem objektiven Tatbestand nur dann zuzurechnen, wenn das Verhalten des Täters eine nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckte Gefahr für das Handlungsobjekt geschaffen und sich diese Gefahr auch im konkreten Erfolg verwirklicht hat
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76
Q

Fallgruppen der objektiven Zurechnung - fraglich eigene Gefahrschaffung

A

a. allgemeine Lebensrisiko - erlaubtes bzw. rechtlich nicht missbilligtes Risiko

  • Bsp.: T überredet ihre Erbtante E zu einer Flugreise und hofft, dass das Flugzeug abstürzt. So geschieht es.
    —> keine Zurechnung, das das mit jeder Flugreise verbundene Absturzrisiko kein Risiko ist, das die Rechtsordnung verbietet = erlaubtes Risiko
    —> keine Zurechnung auch bei tödlichen Unfallfolgen im Straßenverkehr, die bei verkehrsgerechter Teilnahme eintreten = allgemeine Lebensrisiko

b. Risikoverringerung
- diese Fallgruppe liegt vor, wenn eine bereits im Gang befindliche Ursachenreihe gebremst und die von ihr ausgehende Gefahr für das Opfer herabgesetzt wird
- Bsp.: Abmilderung von Verletzungen bzw. Sachschäden; zeitliches Hinausschieben des Erfolges
- in diesen Konstellationen ist die Kausalität zu bejahen, weshalb eine Korrektur durch die objektive Zurechnung notwendig wird. Die Zurechnung wird mit der Argumentation ausgeschlossen, dass das Handeln dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter dient (kein Schaffen einer rechtlich missbilligten Gefahr)
- Achtung: Risikoverringerung nur, wenn eine bereits in Gang gesetzte Ursachenreihe gebremst wird, nicht wenn eine neue, eigenständige Ursachenreihe (also Gefahr) eröffnet wird

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77
Q

Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers (Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen)

A

Selbstschädigung
- Fälle, in denen das Opfer die Möglichkeit der Verletzung des eigenen Rechtsguts erkennt und sich mit dieser zumindest abfindet

Selbstgefährdung
- wenn das Opfer zwar bewusst fahrlässig handelt, jedoch auf das Ausbleiben des Verletzungserfolgs vertraut

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78
Q

Prinzip der Eigenverantwortlichkeit

A

jeder ist nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich
(Einem Täter können demnach solche Erfolge nicht zugerechnet werden, für allein das Opfer die Verantwortung trägt, auch wenn er sich daran beteiligt haben mag)

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79
Q

die Unterbrechung der Zurechnungszusammenhangs erfordert zwei Voraussetzung (Thema Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen- freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung)

A

zunächst muss ein freiverantwortliches Verhalten des späteren „Opfers“ vorliegen. Von Freiverantwortlichkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Gefährdete überhaupt in der Lage ist, bezüglich der Preisgabe seiner Rechtsgüter selbstverantwortlich zu entscheiden

diese Voraussetzung ist problematisch bei:

- mangelnder Reife oder Erfahrung des Gefährdeten 
- überlegenem Sachwissen des Täters
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80
Q

Abgrenzung Selbstgefährdung - Fremdgefährdung

A

Selbstgefährdung: liegt die Handlungsherrschaft beim Opfer

Fremdgefährdung: liegt die Handlungsherrschaft beim Täter (wenn sich jemand durch einen anderen drohende Gefahr aussetzt, sodass sein Schicksal in den Händen des Täters liegt)

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81
Q

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

a. Selbstbestimmtheit

A

prüfen, ob der Schädigende auch selbstbestimmt handelte. Problematisch ist die Eigenverantwortlichkeit vor allem, wenn diese mit Mängeln behaftet ist. Strittig ist hierbei, nach welchen Kriterien die Eigenverantwortlichkeit zu beurteilen ist.

Ansicht 1

- die Vertreter der Einwilligungslösung stellen zur Bestimmung der Eigenenverantwortlichkeit auf die Maßstäbe der Einwilligung ab 
- bei Gefährdung des eignen Lebens ist entscheidend, ob das Opfer „ernstlich“ i.S.d. § 216 StGB eingewilligt hat. Eigenverantwortlichkeit ist demnach etwa dann abzulehnen, wenn die Einwilligung bspw. auf arglistiger Täuschung, Depression, Trunkenheit oder Drogeneinfluss beruht 

—>Kritik: das Kriterium der Ernstlichkeit gibt den Gerichten einen großen Interpretationsspielraum, was ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG darstellt 

Ansicht 2

- andere stellen in analoger Anwendung auf die Exkulpationsregeln (z.B §§ 20, 35 I StGB; § 3 JGG) ab 
- gefragt wird danach, ob der Selbstgefährdende als Täter (nicht gegen sich selbst, sondern gegen einen Dritten) entschuldigt wäre. Nicht eigenverantwortlich handeln demnach z.B Kinder, Geisteskranke, Volltrunkene 

—> Kritik: damit die Entschuldigungsgründe überhaupt greifen können, muss strafbares Unrecht vorliegen. Aber genau daran fehlt es bei Selbstschädigungen. Nicht erfasst werden zudem Fälle, in denen der Außenstehende durch das Hervorrufen von Motivirrtümern beim Opfer dessen selbstgefährdendes Verhalten erst auslöst
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82
Q

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

b. Straflosigkeit

A

kommt man zu dem Ergebnis, dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt, so ist einhellige Ansicht, dass die Mitwirkung daran straflos ist. Allerdings werden hierzu verschiedene Begründungsansätze vertreten

Ansicht 1
- nach dem BGH wird bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung kein Strafbestand erfüllt. Daher kann ein Beteiligter mangels Haupttat nicht nach den §§ 26 f. bestraft werden

—> Kritik: auch wenn der Beteiligte aus Akzessorietätsgründen straffrei ist, so kommt immernoch eine täterschaftliche Begehung in Frage. Außerdem kann diese Begründung nicht auf Gefährdungsfälle übertragen werden, da dort nur die materielle Begründung fehlenden Unrechts die Straflosigkeit ergeben kann 

Ansicht 2
- andere stellen auf den Schutzzweck der jeweiligen Norm ab. Der Schutzbereich einer Norm soll an der Stelle enden, an der der Verantwortungsbereich des Einzelnen für sich selbst beginne

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83
Q

einverständliche Fremdgefährdung

A

kommt die Abgrenzung zu dem Ergebnis, dass eine Fremdgefährdung vorliegt, so ist auf deren rechtliche Behandlung einzugehen

Ansicht 1
- einer Ansicht nach soll bereits der Tatbestand entfallen, wenn die einverständliche Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung gleichsteht

—> Kritik: es besteht ein Unterschied darin, ob sich eine Person selbst gefährdet und das Geschehen in der Hand hat oder ob sie sich einem andern ausliefert 

Ansicht 2
- andere bejahen noch den Tatbestand, lassen die Strafbarkeit dann aber auf der Ebene der Rechtswidrigkeit entfallen, wenn der Dritte wirksam in die Gefährdung eingewilligt hat

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84
Q

eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten

A

die Verantwortung des Erstverursachers endet grundsätzlich, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue, selbstständige Gefahr begründet, die sich dann allein im Erfolg realisiert

(die objektive Zurechnung ist aber zu bejahen, wenn der Täter die rechtlich relevante Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften schafft, die gerade dem Schutz vor Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten Dritter dienen, oder wenn das Verhalten des Dritten so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint)

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85
Q

wann schließt das Dazwischentreten Dritter den Zurechnungszusammenhang aus?

A

die Verantwortung des Erstverursachers endet grundsätzlich, wenn ein Dritter voll verantwortlich eine neue, selbstständige Gefahr begründet, die sich dann allein im Erfolg realisiert.
Dabei gilt es folgende Konstellationen zu unterscheiden:

I. Schaffung einer Gefahr, die gerade das Risiko des Eingreifens Dritter beinhaltet
- schafft der Ersttäter eine Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften, die gerade das Risiko des Eingreifens Dritter beinhaltet, so ist die objektive Zurechnung zu bejahen

II. vorsätzliches Dazwischentreten Dritter, das typischerweise in der Ausgangsgefahr enthalten ist
- führt ein eingreifender Dritter den Erfolg vorsätzlich herbei, so ist anhand der Kriterien der objektiven Zurechnung zu entscheiden, ob der Erfolg dem Ersttäter noch zugerechnet werden kann. Entscheidende Kriterien hierbei sind: Ist die Tat noch als Werk des Täters anzusehen oder fällt sie durch das Dazwischentreten des Dritten in seinen Verantwortungsbereich? Realisiert sich im Erfolg noch die Ausgangsgefahr, oder eine andere, neue Gefahr?

III: unvorsätzliches Fehlverhalten von Ärzten und Rettern
- in dem fahrlässigen Fehlverhalten von Ärzten und Rettern realisiert sich immer noch eine Gefahr, mit der man rechnen muss und die deshalb in den Verantwortungsbereich des Täters fällt

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86
Q

sog Retterfälle

A

eine Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es dann, wenn „der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliege Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für Rettungsmaßnahmen schafft“

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87
Q

vorsätzliches Dazwischentreten eines Täters

A

nicht nur ein Dritter, sondern auch der Täter selbst kann den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrechen. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Realisierung einer von ihm gesetzten Gefahr im Erfolg verhindert, indem er durch eine Zweithandlung vorsätzlich eine neue Gefahr schafft, die sich allein im Erfolg verwirklicht

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88
Q

Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - atypischer Kausalverlauf

A

ein atypischer Kausalverlauf liegt vor, wenn der eingetretene Erfolg völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch in Rechnung zu stellen ist.

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89
Q

Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - Pflichtwidrigkeitszusammenhang

A

die Zurechnung entfällt, wenn der durch pflichtwidriges Verhalten verursachte Erfolg auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre

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90
Q

sog Risikoerhöhungslehre

A

nach der Risikoerhöhungslehre ist die Zurechnung nur in zwei Konstellationen abzulehnen:

- wenn der Erfolg mit Sicherheit bei sorgfaltsgemäßen Verhalten eingetreten wäre, weil dann sicher sei, dass sich die Gefahrerhöhung nicht im konkreten Fall realisiert habe
- wenn Zweifel bestehen, ob sich das Risiko überhaupt erhöht hat; dann ist auch nach dieser Lehre in dubio pro reo die Zurechnung zu verneinen.
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91
Q

Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - Schutzzweck der verletzen Norm

A

im konkreten Erfolg muss sich diejenige rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht haben, deren Eintritt nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm vermieden werden sollte. Keine Zurechnung wenn ein Erfolg eintritt, der außerhalb des Schutzzweckes der Norm liegt.

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92
Q

Schutzzweckzusammenhang

A

objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn durch das Verhalten des Täters eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen worden ist und sich genau diese Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat

von einer rechtlich relevanten Gefahr ist nur dann auszugehen, wenn die verletzte Verhaltensnorm gerade dem Schutz des betreffenden Rechtsguts dient. Entscheidend für die Beurteilung ist folglich der Schutzzweck der Norm

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93
Q

Tatbestandsausschluss

A

wird in das individuelle Rechtsgut einer Person eingegriffen und ist dieser betroffene Rechtsgutträger mit dem Eingriff einverstanden, so kann keine Rechtsgutverletzung vorliegen. Denn individuelle Rechtsgüter werden nur zu dem Zweck geschützt, der freien Entfaltung des Einzelnen zu dienen (Art. 2 I GG).

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94
Q

Grundlagen und Erscheinungsformen des Vorsatzes (der subjektive Unrechtstatbestand)

A

Vorsatz ist als subjektive Komponente der Wille zur Verwirklichung eines Strafbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände

Vorsatz = Wissen + Wollen der Tatbestandsverwirklichung

Unterscheidung von drei Vorsatzformen (nach der Willensbeziehung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung):

- Absicht (dolus directus 1. Grades)
- direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades)
- bedingter Vorsatz (dolus eventualis)

soweit sich aus der gesetzlichen Beschreibung eines Delikts nichts anders ergibt, muss der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes gem § 15 StGB vorsätzlich handeln.

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95
Q

Absicht (dolus directus 1. Grades) - Erscheinungsform des Vorsatzes

A

Absicht ist ein zielgerichteter Erfolgswille

Er ist gegeben, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs herbeizuführen oder den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt

der zielgerichtete Erfolgswille kann, muss aber nicht zugleich auch Beweggrund des Täters zur Tat sein

der angestrebte Erfolg muss nicht notwendig das Endziel des Täters sein, sondern er kann sich auch als Zwischenziel auf dem Weg dorthin darstellen

dagegen sind zwar sichere, aber nicht bezweckte Nebenfolgen der Handlung nicht Gegenstand der Absicht

Zielgerichtetes Handeln ist erforderlich, wenn es um eine für den Täter günstige Position geht (z.B §§ 242, 263 StGB)
direkter Vorsatz genügt, wenn es um eine für einen Dritten ungünstige Position geht (z.B § 274 StGB)

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96
Q

direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades) - Erscheinungsform des Vorsatzes

A

direkter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter weiß oder als sicher anerkennt, dass sein Handeln zur Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes führt

dem direkten Vorsatz des Täters steht es nicht entgegen, wenn dem Täter der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs an sich unerwünscht ist; ausreichend ist, dass der Täter den tatbestandlichen Erfolg als notwendige Folge seines Handeln erkennt

das Gesetz setzt diese Vorsatzform durch Formulierungen wie „wissentlich“ (§ 259 StGB) oder „wider besseren Wissens“ (§§ 164, 187 StGB) voraus

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97
Q

bedingter Vorsatz (dolus eventualis) - Erscheinungsformen des Vorsatzes

A

der bedingte Vorsatz ist die schwächste Vorsatzform. Er kommt in Betracht, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung weder anstrebt noch für sicher hält, also er nicht mit dolus directus 1. oder 2. Grades agierte

der bedingte Vorsatz genügt prinzipiell immer dann, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich eine qualifizierte Vorsatzform (dolus directus) verlangt

der dolus eventualis liegt im Grenzbereich zur bewussten Fahrlässigkeit. Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist nämlich gemein, dass der Täter die Gefahr erkennt, aufgrund derer sein Verhalten den jeweiligen gesetzlichen Tatbestand erfüllen kann

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98
Q

bedingter Vorsatz - a. Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt auf dem intellektuellen Vorsatz-Element

A

eine Strömung beurteilt die Abgrenzung vorwiegend unter Bezugnahme auf das Wissens-Element des Vorsatzes und verzichtet auf die voluntative Komponente

Wissen - bedingter Vorsatz schon (+), wenn Möglichkeit bzw Wahrscheinlichkeit der TB-Verwirklichung erkannt
Wollen- Irrelevant für Eventualvorsatz

aa. Möglichkeitstheorie:
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die konkrete Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkannt und dennoch gehandelt hat

bb. Wahrscheinlichkeitstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für wahrscheinlich, d.h mehr als möglich, aber weniger als überwiegend wahrscheinlich, hält

(Probleme dieser Theorie auf KK 201)

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99
Q

bedingter Vorsatz - b. Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt auf dem voluntativen Vorsatz-Element

A

andere beziehen das voluntative Vorsatz-Element mit ein und sehen das entscheidende Differenzierungspotential gerade in dieser Komponente

Wissen - Mindestvoraussetzung des Eventualvorsatzes: Erkennen der Möglichkeit der TB-Verwirklichung
Wollen - darüber hinaus ist voluntativ aber erforderlich: Billigung, Gleichgültigkeit, Abfinden

aa. Billigungstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlich Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und ihn billigend in Kauf genommen hat
- „nur“ bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbeatandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage drauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg würde nicht eintreten. Dieses Vertrauen darf aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sonder muss tatsachenbasiert sein

bb. Gleichgültigkeitstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die von ihm für möglich gehaltene Tatsbestandsverwirklichung aus Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut in Kauf genommen hat

cc. Ernstnahmetheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ernstlich rechnet, um des erstrebten Zieles willens aber trotzdem weiterhandelt und sich damit einer eventuellen Tatbestandsverwirklichung abfindet. Diese Theorie deckt sich regelmäßig mit der Billigungstheorie, da auch dort das Billigen nicht als „Gutheißen“, sondern mehr als „Abfinden“ verstanden wird

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100
Q

bedingter Vorsatz - c. normative Riskotheorien

A

schließlich gibt es eine Gruppe von Ansätzen, die das Problem mit einer wertenden Betrachtungsweise zu lösen versucht

Wissen/Wollen - Wertung: Manifestation des Vermeidewillens, unabgeschirmtes Risiko, Kombinationstheorie

aa. Theorie der Manifestation des Vermeidewillens
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Wille des Täters auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtet war. Dagegen liegt lediglich bewusste Fahrlässigkeit vor, wenn der Täter Gegenfaktoren einsetzt, mit deren Hilfe er den Ablauf so zu steuern versucht, dass es nicht zur Tatbestandsverwirklichung kommt

bb. Normative Risikotheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn sich der Täter bewusst für ein Verhalten entschieden hat, das mit einer in der Rechtsordnung geltenden Risikomaxime unverträglich ist

cc. Kombinationstheorie Schünemanns
- maßgeblich ist eine Synthese aus normativer Risikotheorie und Möglichkeitstheorie: Löst der Täter ein nicht mehr tolerables Risiko aus, steuert es das Geschehen sehenden Auges gegen das Rechtsgut, woran auch eine emotionale Distanzierung durch die Hoffnung, es werde schon gut gehen, nichts ändert. Somit ist das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ausreichend. Der an der Möglichkeitstheorie kritisierten Ausdehnung der Strafbarkeit wird durch eine Korrektur auf Ebene der Vorsatzschuld begegnet

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101
Q

Unterscheidung bedingter Vorsatz und bedingter Handlungswille

A

vom bedingten Vorsatz ist der bedingte Handlungswille zu unterscheiden

a. Zustand der Unentschlossenheit
- hier liegt kein Vorsatz vor, da hierzu eine definitive Willensentscheidung gehört

b. Tatentschluss auf hypothetischer Tatsachengrundlage
- wird auf den tatbestandlichen Erfolg im Bewusstsein der Gefährdung des Handlungsobjekts hingearbeitet, so liegt Vorsatz auch dann vor, wenn die Verwirklichung der Tat noch von Bedingungen abhängig ist, die der Täter nicht (allein) in der Hand hat.

c. Tatentschluss mit Rücktrittsvorbehalt
- eine Rücktrittsvorbehalt für den Fall, dass sich die Tat erübrigen sollte, ändert nicht an dem Vorsatz

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102
Q

die zeitliche Dimension des Vorsatzes: dolus antecedens und dolus subsequens

A

gem. § 16 I 1 StGB muss der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen (Simultanitäts- und Koinzidenzprinzip).
gem. § 8 S.1 StGB ist eine Tat zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wann der Erfolg eintritt, ist dagegen nicht maßgebend

daraus folgt, dass weder dolus antecedens noch dolus subsequens für den Tatbestandsvorsatz genügen.

Dolus antecedens:
- meint den Vorsatz vor Beginn der Tatausführung, also im Vorbereitungsstadium

Dolus subsequens:
- meint den Vorsatz erst nach Ende der Tatausführung

Vorbereitungsstadium - rechtlich irrelevant: dolus antecedens
Tatbegehung - maßgeblicher Zeitraum: Vorsatz muss bei Tatbegehung vorliegen
nach Tatbegehung - rechtlich irrelevant: dolus subsequens

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103
Q

die Tatbestandsbezogenheit und der dolus alternatives

A

weil Vorsatz Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung bedeutet, muss er immer auf einen konkreten Tatbestand bezogen sein und für jeden Tatbestand gesondert geprüft werden

a. Dolus cumulativus
- Fälle, in denen der Täter sowohl die Verwirklichung des einen als auch des andern Tatbestands will und zeitgleich „erledigen“ kann.

b. Dolus alternativus
- Sachverhaltsgestaltungen, in denen sich der Vorsatz des Täters der Art nach auf mehrere einander ausschließende Tatbestände, der Zahl nach jedoch nur auf einen richtet

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104
Q

der Tatbestandsirrtum - die Kenntnis und Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen

A

kennt der Täter einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht, so handelt er gem. § 16 I 1 StGB nicht vorsätzlich

bei diesem sog Tatumstandsirrtum verkennt der Täter also das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzung, von denen das Gesetz die objektive Tatbestandsmäßigkeit abhängig macht

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105
Q

die Kenntnis und Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen

a. deskriptiver (beschreibende) Tatbestandsmerkmale
b. normative (wertausfüllungsbedürftige) Tatbestandsmerkmale

A

a. deskriptiver (beschreibende) Tatbestandsmerkmale
- bringen durch eine einfache Beschreibung zum Ausdruck, was Gegenstand des Tatbestands sein soll (z.B Sache, Mensch, beweglich, wegnehmen). Es handelt sich um solche Tatbestandsmerkmale, die ohne Berücksichtigung der zugrundeliegen Rechtsordnung versteh- bzw erklärbar sind. Bei deskriptiven Merkmalen reicht es aus, wenn der Täter diese tatsächlich sinnlich wahrgenommen hat. Daher ist bei ihnen das Vorliegen eines Tatumstandsirrtums vergleichsweise einfach zu bestimmen

b. normative (wertausfüllungsbedürftige) Tatbestandsmerkmale
- können nicht sinnlich wahrgenommen werden. Sie müssen erst eine Wertung aufgrund rechtlicher oder sozialer Kriterien ausgefüllt werden (z.B „fremd“ - die Fremdheit einer Sache sieht man ihr nicht an). Ohne Berücksichtigung der zugrundeliegenden Rechtsordnung sind diese Tatbestandsmerkmale also nicht verständlich. Auch bei ihnen kann das Vorliegen eines Tatumstandsirrtums vergleichsweise einfach zu bestimmen sein

bei normativen Tatbestandsmerkmalen muss der Täter aber auch die das Merkmal ausfüllende Wertung richtig erkennen, um Vorsatz annehmen zu können

ausreichend (aber auch erforderlich) ist, dass der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Merkmals nach Laienart richtig erfasst (sog Parallelwertung in der Laiensphäre)

der Täter muss all das erkannt haben, was zur juristischen Definition des Merkmals gehört

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106
Q

Unterscheidung des Tatumstandsirrtums gegenüber dem Verbotsirrtum

A

der Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB ist strikt vom (auf der Schuldebene relevanten) Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu unterscheiden. Beim Verbotsirrtum fehlt dem Täter die Einsicht, Unrecht zu tuen. Dies kann darauf beruhen, dass …

  • der Täter einen Tatbestand garnicht kennt
  • ihn für ungültig hält oder
  • infolge falscher Auslegung zu einer Fehlvorstellung über seinen Geltungsbereich gelangt und sein Verhalten als nicht verboten ansieht.

gem § 17 S.1 StGB handelt der Täter, der einen solchen Irrtum nicht vermeiden konnte, schuldlos. War der Irrtum vermeidbar, kann die Strafe gem §§ 17 S.2, 49 StGB gemildert werfen

zur Unterscheidung von Tatumstands- und Verbotsirrtum:

- irrt der Täter auf tatsächlicher Ebene (über eine Tatsache oder über den sozialen Sinngehalt eines Tatumstands), liegt ein Tatumstandsirrtum vor 
- irrt der Täter auf rechtlicher Ebene (über das Verbot der Handlung), liegt ein Verbotsirrtum vor
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107
Q

die erforderliche Deutlichkeit des Bewusstseins beim Kennen von Tatumständen

A

das kognitive Vorsatzelement setzt die Kenntnis der Tatumstände voraus. Die Anforderungen an den Vorsatz würden dabei jedoch überspannt, wenn man für diese Kenntnis ein aktuell reflektiertes Wissen i.S eines ausdrücklichen Daran-Denkens über den einzelnen Tatumstand fordern würde

es ist daher allgemein anerkannt, dass ein sog sachgedankliches Mitbewusstsein bzw ein ständig verfügbares Begleitwissen genügen.

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108
Q

Gegenstand des Tatbestandsvorsatzes

A

Umstände des gesetzlichen Tatbestandes i.S.v. § 16 I 1 StGB sind solche des objektiven Tatbestands.

Bei einem Irrtum über Qualifikationsmerkmale bleibt die Strafbarkeit wegen des Grunddelikts bestehen.

Beim Irrtum über Tatbestandsalternativen verwirklicht der Täter tatsächlich eine andere Tatbestandsalternative als die, die er zu erfüllen glaubt. In diesen Fällen ist zu differenzieren:

- sind die fraglichen Tatbestandsalternativen nur Auffächerungen eines einheitlichen Schutzgegenstandes oder Angriffsmittels, ist der Irrtum unbeachtlich. 
- bei qualitativ verschiedenen Schutzgegenständen oder Angriffsarten ist der Irrtum dagegen beachtlich 

§ 16 II StGB enthält eine Sonderregel für den Irrtum über strafmildernde Umstände. Hinter der Vorschrift steht der Gedanke, dass jeder nur insoweit für das begangene Unrecht als Vorsatztäter zur Verantwortung gezogen werden kann, wie es von seinem Wissen und Wollen umfasst war

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109
Q

Übersicht objektive Zurechnung

A

objektiv zurechenbar ist ein durch menschliches Verhalten verursachter Erfolg, nur dann, wenn dieses Verhalten

- 1. eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen oder erhöht hat 
- 2. gerade diese Gefahr sich im konkreten Erfolg realisiert hat 

zwei Elemente

- Schaffung oder Erhöhung einer rechtlich missbilligten Gefahr (= rechtlich relevantes Risiko) 
- Verwirklichung gerade dieser Gefahr sich im konkreten Erfolg (= Risikozusammenhang) 

dient der Korrektur des Kausalitätsergebnisses
—> hier wird eine normative Wertung getroffen: Kann dem Täter der Erfolg als sein Werk zugerechnet werden?

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110
Q

„gewöhnliche“ Kausalabweichungen

A

beim Erfolgsdelikt gehört neben der Handlung und Erfolg auch auch der ursächliche Zusammenhang zwischen beiden zum objektiven Tatbestand, so dass sich der Vorsatz des Täters auch darauf beziehen muss.

unwesentliche Abweichung

- da es sich beim Kausalverlauf um eine Prognose handelt und alle Einzelheiten des Geschehensablaufs nie genau vorausgesehen werden können, schließen unwesentliche Abweichungen des tatsächlich eingetretenen vom vorgestellten Kausalverlauf den Vorsatz des Täter nicht aus. Eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf liegt vor, wenn sie sich „noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt“ 
- Bsp.: A stößt O von einer Brücke, damit er als Nichtschwimmer ertrinkt. Tatsächlich stirbt O an einem Genickbruch beim Aufschlag auf einen Brückenpfeiler 

Bsp für eine wesentliche Abweichung
- O wird nicht (wie geplant) unmittelbar durch den Schuss des A getötet, sondern infolge durchgehender Pferde, die durch den Schuss aufgeschreckt wurden

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111
Q

Error in persona vel objecto

A

ein Irrtum über das Handlungsobjekt (error in persona vel objecto) meint eine Fehlvorstellung des Täters über die Identität oder sonstige Eigenschaften des Tatobjekts.

Im Falle einer error in persona tritt der tatbestandliche Erfolg an dem Objekt ein, das der Täter auch anvisiert hat; das Tatobjekt ist jedoch ein anderes, als sich der Täter vorstellt. Für die rechtliche Einordnung ist zwischen der rechtlichen Ungleichwertigkeit und der rechtlichen Gleichwertigkeit der Tatobjekte zu unterscheiden.

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112
Q

Error in persona vel objecto -

  1. rechtliche Ungleichwertigkeit der Tatobjekte
  2. rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte
A
  1. rechtliche Ungleichwertigkeit der Tatobjekte
    • der error in persona vel objecto stellt sich bei rechtlicher Ungleichwertigkeit des getroffenen gegenüber dem vorgestellten Tatobjekt als Tatumstandsirrtum nach § 16 I 1 StGB dar
    • Bsp.: A will O erschießen; was sie für O hält, ist tatsächlich jedoch eine Vogelscheuche
  2. rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte
    • dagegen stellt sich der error in persona vel objecto bei rechtlicher Gleichwertigkeit des getroffenen gegenüber dem vorgestellten Tatobjekt als für den Vorsatz unbeachtlicher Motivirrtum dar
    • Bsp.: A will B töten; in der Dämmerung legt sie auf eine Person an, die sie aufgrund ihrer Statur für B hält und erschießt diese; wie sich später herausstellt, war diese Person in Wahrheit jedoch C
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113
Q

Aberratio ictus

A

Im Gegensatz zum error in persona spricht man von einem Fehlgehen der Tat (aberratio ictus) in einer Situation, in der sich der Vorsatz des Täters auf ein bestimmtes Tatobjekt richtet, der Angriff auf dieses jedoch aufgrund eines vom Täter nicht vorhergesehenen Kausalverlaufs fehltgeht und ein anders Objekt getroffen wird

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114
Q

rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte in Fällen der aberratio ictus

A

rechtliche Gleichwertigkeit:

Gleichwertigkeitstheorie
- nach teilweise vertretener Ansicht soll in diesem Fall trotzdem Vorsatz im Hinblick auf die Tötung des getroffenen Objekts anzunehmen sein
Konkretisierungstheorie
- die hM sieht den auf ein bestimmtes Objekt konkretisierten Vorsatz daher als „aliud“ gegenüber dem Vorsatz, irgendein Objekt der Gattung zu verletzen. Danach liegt kein Vorsatz im Hinblick auf das tatsächlich getroffene, aber nicht anvisierte Tatobjekt vor. In Betracht kommt stattdessen eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung am tatsächlich getroffenen Objekt und wegen versuchter Tatbegehung am eigentlich anvisierten Objekt

rechtliche Ungleichwertigkeit: unstreitig liegt ein nach § 16 I 1 StGB beachtlicher Tatumstandsirrtum bei der rechtlichen Ungleichwertigkeit des anvisierten und tatsächlich getroffenen Tatobjekts vor

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115
Q

Vorsatzwechsel

A

kein Vorsatzproblem besteht, wenn der Täter auf der Suche nach Stehlenswertem sein primäres Ziel (nämlich teuere Notebooks) nicht findet, dafür aber andere attraktive Diebstahlsobjekte. Der Vorsatz im Hinblick für die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache bliebt dieselbe, auch wenn er sich im Rahmen eine einheitlichen Tat hinsichtlich des Diebstahlsgegenstands verengt, erweitert oder ändert.

Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Täter bei einem Diebstahlsversuch seinen ursprünglichen (Raub-/Diebstahls-)Entschluss zunächst vollständig aufgibt, bevor er einen gänzlichen neuen, andersartigen Raub- oder Diebstahlsvorsatz fasst

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116
Q

Dolus generalis und verwandte Fallgestaltungen

A

Von dolus generalis spricht man zunächst in Fallgestaltungen, in denen der Täter willentlich und wissentlich eine Gefahr für eine beliebige Vielzahl von Rechtsgütern schafft oder er sich in Folge einer Unsicherheit über das Ausreichen einer Ersthandlung noch eine Zweithandlung vornimmt, um sein tatbestandliches Ziel zu erreichen.
Bsp.: ein terrorist A deponiert an einer belebten Stelle eine Bombe un durch dessen Explosion möglichst viele Menschen zu töten (A hat einen generellen Tötungs- und Verletzungswillen hinsichtlich aller späteren Opfer)

Schließlich wird das Vorliegen eines dolus generalis auch für Konstellationen verwendet, in denen der Täter glaubt, den tatbestandsmäßigen Erfolg schon durch einen ersten Akt verwirklicht zu haben, der Erfolg jedoch objektiv erst durch einen zweiten Akt des Täters bedingt wird.

die Lehre vom dolus generalis:
- sieht in beiden Akten ein einheitliches Geschehen, das auch im zweiten Teil vom Tötungsvorsatz getragen wird
Versuchslösung:
- sehen in den Teilakten zwei selbstständige Handlungen und halten den Tötungsvorsatz bei Vornahme der Zweithandlung für erloschen
Vollendungslösung:
- nach hM sind diese zweiaktige Geschehensabläufe nach den Grundsätzen der (un-)wesentlichen Abweichungen vom Kausalverlauf zu lösen. A hätte ohne den ersten Akt (Würden und Sand in den Mund stopfen) keinen Grund für den zweiten Akt (entsorgen der vermeintlichen Leiche) gehabt. Beide Akte können daher nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Todeserfolg entfiele. Anknüpfungspunkt ist dann der mit Tötungsvorsatz vorgenommene erste Akt. Der hierdurch ausgelöste zweite Akt stellt eine unwesentliche Abweichung des vorgestellten vom tatsächlichen Geschehensablauf dar. Unwesentlich sei die Abweichung, wenn sich der eingetretene Erfolg im Rahmen des Vorhersehbaren hält und mit Blick auf den Verwirklichungswillen des Täters kein inadäquates Ereignis (hier: spätere Entsorgung der Leiche war geplant) darstellt

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117
Q

dolus generalis umgekehrt

A

die umstrittene Konstellation des dolus generalis lässt sich umgekehrt auch dergestalt vorstellen, dass ein tatentschlossener Täter nach Eintritt in das Versuchsstadium den Erfolg vorzeitig bereits durch die Ersthandlung und nicht, wie eigentlich beabsichtigt, durch die Zweithandlung herbeiführt

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118
Q

die Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit

A

sind der objektive und der subjektive TB erfüllt, liegt idR auch die Rechtswidrigkeit vor
—> die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit

in bestimmten Ausnahmefällen kann es aber an der Rechtswidrigkeit fehlen, obwohl eine vorsätzliche, tatbestandsmäßige Handlung vorliegt
—> das tatbestandsmäßige Verhalten kann ausnahmsweise erlaubt sein

Zweck von Strafbeständen:
- genereller Schutz eines Rechtsguts
Zweck von Rechtfertigungsgründen:
- ausnahmsweise wird Verletzung eines Rechtsguts zugelassen

Konsequenzen für das Gutachten:

- idR keine längeren Ausführungen zur Begründung der Rechtswidrigkeit. „Der Täter handelt rechtswidrig.“ 
- nur wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, ist genau zu untersuchen, ob das tatbestandsmäßige Verhalten ausnahmsweise durch einen Rechtfertigungsgrund erlaubt wird
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119
Q

die Begriffe Rechtswidrigkeit und Unrecht

A
  • die Rechtswidrigkeit charakterisiert eine Eigenschaft der tatbestandsmäßigen Handlung, nämlich ihren Widerspruch zu den Verboten und Geboten des Strafrechts.
  • das Unrecht meint dagegen die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung selbst: der Begriff fasst die drei Verbrechenskategorien (Handlung-Tatbestandsmäßigkeit-Rechtswidrigkeit) zusammen
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120
Q

Rechtswidrigkeit und Einheit der Rechtsordnung

  1. Erlaubnisse zivil- oder öffentlich-rechtlicher Art
  2. Zivil- oder öffentlich-rechtliche Vebrbote
A

Einheit bzw Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung - Wechselwirkungen zwischen Zivil-, Straf- und öffentlichem Recht

  1. Erlaubnisse zivil- oder öffentlich-rechtlicher Art
    • ist ein Verhalten nach zivil- oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften erlaubt, so wirkt die das Verhalten gestattende Norm wegen der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht als Rechtfertigungsgrund
    • Bsp.: § 758 ZPO erlaubt dem Gerichtsvollzieher das Betreten einer Wohnung - Er ist daher nicht nach § 123 I StGB wegen Hausfriedensbruch strafbar.
  2. Zivil- oder öffentlich-rechtliche Verbote
    • umgekehrt kann aber ein bestimmtes Verhalten auch nach zivil- oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften verboten sein. Es fragt sich dann, ob dieses zivil- oder öffentlich-rechtliche Verbot unter allen Umständen bedeutet, dass das Verhalten auch strafrechtliches Unrecht darstellt, wenn es den Strafbestand eines Strafgesetzes erfüllt.
    • die h.L. versucht diese Lösung dadurch zu erklären, dass sie an der Einheit der Rechtsordnungen festhält, den verschiedenen Rechtsgebieten aber die Möglichkeit abweichender Rechtsfolgeregelungen zugesteht
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121
Q

Systematisierung von Rechtfertigungsgründen

  1. Monistische Theorien
  2. Pluralistische Theorien
  3. Bedeutung
A

Aufgrund der Vielseitigkeit von Rechtfertigungsgründen und denkbaren Umständen, die das Unrecht einer Tat ausschließen, konnte bisher noch keine ergiebige Systematisierung von Rechtfertigungsgründen vorgenommen werden.

  1. Monistische Theorien
    • versuchten, alle Rechtfertigungsgründe auf ein einziges Grundprinzip zurückzuführen, dass im Vorrang des gerechtfertigten Verhaltens gegenüber der Tatbestandsverwirklichung gesehen wurde
  2. Pluralistische Theorien
    • führen die Rechtfertigungsgründe dagegen auf mehrere Grundprinzipien zurück
      —> Prinzip des überwiegenden Interesses (z.B. § 34 StGB)
      —> Prinzip des mangelnden Interesses (z.B. die mutmaßliche oder rechtfertigende Einwilligung)
  3. Bedeutung
    • aus der Systematisierung sind jedoch keine konkreten Ergebnisse ableitbar. Als umfassendes Prinzip von Rechtfertigungsgründen bleibt nur, dass sie jeweils die sozial richtige Regulierung kollidierender Interessen bezwecken.
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122
Q

Verhältnis verschiedener Rechtfertigungsgründen

A

Im Grundsatz gilt, dass von mehreren Rechtfertigungsgründen, die auf denselben Sachverhalt zutreffen, alle zumeist unabhängig voneinander und daher nebeneinander anwendbar sind.

Bsp.: Wer einen mit der Beute fliehenden Dieb auf frischer Tat ertappt und festhält, ist sowohl nach § 127 I 1 StPO als auch nach § 32 StGB gerechtfertigt

nur in wenigen Konstellationen sind Konkurrenzregeln zwischen den Rechtfertigungsgründen zu beachten:

- §§ 228, 904 BGB sind speziell auf die Beschädigung von Sachen zugeschnitten und daher leges speciales gegenüber dem im Hinblick auf die möglichen Tatobjekte tatbestandlich weiteren § 34 StGB 
- idR darf bei § 34 StGB keine andere Interessenabwägung getroffen werden, als sie eine ausdrückliche gesetzliche Konfliktentscheidung an anderer Stelle vorsieht (z.B keine Rechtfertigung nach § 34 StGB zur Festnahme eines Täters Wochen nach der Tat - sonst würde das Erfordernis der „Tatfrische“ des 127 StPO unterlaufen
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123
Q

die Notwehr § 32 StGB

  • Selbstverteidigungsprinzip
  • Rechtbewährungsprinzip
A

§ 32 StGB regelt den Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Dabei ist die Notwehr der Rechtfertigungsgrund, der ein tatbestandsmäßiges Verhalten am weitreichendsten rechtfertigen kann.
Anders als § 34 StGB macht § 32 StGB keine Abwägung zwischen dem verteidigten und dem verletzten Rechtsgut verlangt. Im Gegenzug sind die Voraussetzung, die für die Notwehr vorliegen müssen, höher als bei andern Rechtfertigungsgründen.

die hM begründet das Notwehrrecht dualistisch:

Selbstverteidigungsprinzip
- In der Notsituation ist es jedem erlaubt, seine Rechtsgüter selbst zu verteidigen.
Rechtsbewährungsprinzip
- In der Notlage ist der Angegriffene immer auch Repräsentant des Rechts und dessen aktueller Verteidiger gegen das Unrecht.

—> die Kenntnis der das Notwehrrecht tragenden Prinzipien ist unerlässlich, da sich durch sie bestimmte Begrenzungen des Notwehrrechts, idR über die Gebotenheit der Verteidigung, nachvollziehen lassen.

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124
Q

Voraussetzungen der Notwehrlage

  1. Notwehrlage
    a. Angriff
A

gem § 32 II StGB ist die Notwehr, die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

  1. Notwehrlage:
    • § 32 II StGB setzt zunächst das Vorliegen eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs voraus.

a. Angriff
- ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines notwehrfähigen Rechtsguts (es muss dabei kein Strafbestand verwirklicht werden)

- ausgeschieden werden durch dieses Merkmal: 
—> Tierangriffe 
—> Verhalten, dem die Handlungsqualität fehlt (bspw ein epileptischer Krampf)

- Umstritten ist, ob ein Angriff durch Unterlassen möglich ist 
—> nach hM stellt ein Unterlassen ein Angriff dar, wenn im Unterlassen ein Verstoß gegen eine Garantenpflicht iSd § 13 StGB liegt. 

zu den notwehrfähigen Rechtsgütern zählen alle Individualrechtsgüter und sonstigen rechtlich geschützten Interessen. Rechtsgüter der Allgemeinheit sind dagegen grds nicht notwehrfähig, denn der Staat kann sich regelmäßig selbst helfen und Staatsnothilfe ist die absolute Ausnahme des Art. 20 IV GG.

Zu beachten ist aber, dass notwehrfähige Individualrechtsgüter (bspw Eigentum, Vermögen) auch dem Staat zustehen können. So ist Nothilfe gegen den Dieb, der einen im Landeseigentum stehenden PC stiehlt, denkbar.

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125
Q

Voraussetzungen der Notwehr

  1. Notwehrlage
    b. Rechtswidrigkeit des Angriffs
A
  1. Notwehrlage

b. Rechtswidrigkeit des Angriffs
- der Angriff ist rechtswidrig, wenn er nicht von einer Erlaubnisnorm gedeckt ist

- gegen einen durch Notwehr oder einen anderen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigten Angriff ist also keine Notwehr möglich 

- Fraglich ist, ob ein rechtswidriger Angriff (kann auch fahrlässiges Verhalten sein) auch bei einem objektiv pflichtgemäßen Verhalten vorliegt 
—> nach hM liegt in einem objektiv pflichtgemäßen Verhalten kein rechtswidriger Angriff 
- Uneinheitlich wird auch die Frage beurteilt, ob der Angreifer schuldhaft handeln muss 
—> die hM geht davon aus, dass die Schuld des Angreifers keine Voraussetzung des Notwehrrechts ist
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126
Q

Voraussetzungen der Notwehr

  1. Notwehrlage
    c. Gegenwärtigkeit des Angriffs
A
  1. Notwehrlage

c. Gegenwärtigkeit des Angriffs
- gegenwärtig ist ein Angriff, der im Sinne einer akut bedrohlichen Lage unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert
—> unmittelbar bevor steht ein Angriff bei einem Verhalten, das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll oder umzuschlagen droht (bspw Ausholen eines Schlags), sodass durch weiteres Zuwarten entweder der Erfolg der Verteidigungshandlung gefährdet würde oder sich der Verteidigende selbst in die Gefahr erheblicher eigener Verletzungen bringen würde
—> hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist
—> besteht der Angriff in der Begehung einer Straftat, findet er gerade statt, wenn der Angreifer die Grenze zum Versuch überschritten hat. Der Angriff dauert fort bis zur materiellen Beendigung der Tat. Bei Dauerdelikten ist er dann bspw so lange gegenwärtig, wie der rechtswidrige Zustand andauert.

- an der Gegenwärtigkeit fehlt es dagegen, wenn der Angriff erst in Zukunft zu erwarten ist. Das gilt auch, wenn es mehr oder minder sicher ist, dass es zu einem Angriff kommen wird. Wie derartige Präventivmaßnahmen zu behandeln sind, ist umstritten
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127
Q

Voraussetzungen der Notwehr

  1. Notwehrhandlung
    a. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
A
  1. Notwehrhandlung

a. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
- gem § 32 II StGB ist die Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff nur in den Grenzen der Erforderlichkeit zugelassen. Die hM entnimmt der Erforderlichkeit implizit auch das Merkmal der Geeignetheit.

  • Geeignetheit bedeute dabei, dass die Maßnahme grundsätzlich dazu in der Lage ist, den Angriff entweder ganz zu beenden oder ihm wenigstens ein Hindernis in den Weg zu legen. Auch Verteidigungshandlungen, die den Angriff lediglich abmildern, sind dabei als geeignet anzusehen.
  • Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die das relativ mildeste der in Betracht kommenden Verteidigungsmittel ist
    —> das mildeste Mittel ist jenes, das bei gleicher Wirksamkeit den geringsten Schaden anrichtet
    —> für die Bewertung der Erforderlichkeit kommt es maßgeblich auf die konkrete Kampfeslage an, die daher im Gutachten regelmäßig umfassend herausgearbeitet werden muss.
    —> Hierfür gilt : siehe KK 281 !
  • war die Verteidigungshandlung erforderlich, steht es einer § 32 II StGB genügenden Verteidigung nicht entgegen, dass durch sie eine ungewollte schwere Auswirkung erwächst
  • im Hinblick auf die erforderliche Verteidigungshandlung sind schließlich Fälle der Drittwirkung des Notwehrrechts zu untersuchten
    —> nach nahezu einhelliger Auffassung soll das Notwehrrecht keine Drittwirkung entfalten, so dass § 32 StGB nur Verteidigungshandlungen gegenüber dem Angreifer zu rechtfertigen mag.
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128
Q

Voraussetzungen der Notwehr

  1. Notwehrhandlung
    b. die Gebotenheit der Notwehr
    aa. Bagatellangriffe; bb. krasses und unerträgliches Missverhältnis und weitere Fallgruppen
A
  1. Notwehrhandlung

b. die Gebotenheit der Notwehr
- das Merkmal der Gebotenheit dient der sozialethischen Restriktion der Notwehr und ermöglicht es zu berücksichtigen, dass es Fälle gibt, in denen trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des § 32 II StGB die das Notwehrrecht tragenden Prinzipien in deren Hintergrund treten und eine Verletzung des Angreifers nicht mehr zu legitimieren vermögen

aa. Bagatellangriffe
- das Notwehrecht besteht zunächst nur eingeschränkt für Verhaltensweisen, die an der Grenze des sozial Adäquaten liegen und nur zu unerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen führen (bspw Vordrängeln)
—> das Rechtsbewährungsprinzip tritt bei minimalen Beeinträchtigung in den Hintergrund

bb. Krasses und unerträgliches Missverhältnis (Fallgruppe ist restriktiv zu behandeln)
- bei einem krassen und unerträglichen Missverhältnis zwischen verteidigtem und angegriffenen Rechtsgut ist die Ausübung der Notwehrrechts rechtsmissbräuchlich und deshalb ausgeschlossen
—> das Recht will nicht um einen Preis verteidigt werden, der zum drohenden Schaden völlig außer Verhältnis steht. Das Rechtsbewährungsprinzip tritt dementsprechend auch hier zurück.

weiter Fallgruppen ab KK 286:

cc. Einschränkung durch Art. 2 I EMRK
dd. Garantenbeziehung
ee. Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder
ff. Notwehr gegen selbst provozierte Angriffe
(1) Absichtsprovokation
(2) sonst verschuldete Notwehrlage
(a) rechtswidriges Vorverhalten
(b) rechtmäßiges Vorverhalten
gg. Abwehrprovokation
hh. Notwehr gegen erpresserische Angriffe
(1) bloße Schweigegelderpressung
(2) Schutzgelderpressung
ii. Rettungsfolter als Nothilfe?

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129
Q

Voraussetzungen der Notwehr

  1. subjektives Rechtfertigungselement
A

nach heute hM bedarf es bei der Notwehr (wie auch bei allen andern Rechtfertigungsgründen) auch eines subjektiven Rechtfertigungselementes. Der Täter muss jedenfalls um die Notwehrlage wissen. Umschritten ist dabei, ob über diese Kenntnis (kognitives Element) auch ein zielgerichteter Wille, also eine Verteidigungsabsicht (voluntatives Element), erforderlich ist.
Außerdem ist umstritten, welche Rechtsfolge eintritt, wenn das subjektive Rechtfertigungselement fehlt (teilweise wird wegen Vollendung und teilweise wegen Versuchs bestraft)

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130
Q

Fälle der Nothilfe

A

Angegriffener und Verteidiger müssen nicht identisch sein. Die Nothilfe richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Kriterien wir die Notwehr. Darüberhinaus ist es aber erforderlich, dass der Angegriffene mit der Verteidigung zumindest mutmaßlich einverstanden ist

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131
Q

antizipierte Notwehr

A

antizipierte Notwehr
- Fälle der selbstständig wirkenden Abwehrvorrichtungen (bspw Aufstellen elektrischer Zäune oder Installation von Selbstschussanlagen)

Werden durch solche Vorrichtungen Verletzungen bei einem Eindringling verursacht, stellt sich hinsichtlich möglicher Tatvorwürfe der §§ 212, 223 f. gegen den Aufsteller zunächst die Frage der objektiven Zurechnung. Bei „sozialadäquaten Vorkehrungen“ wie üblicher Umfriedung einer Grundstücks (Stacheldrahtzaun o.ä) ist bereits kein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen. Bei nicht sozialadäquaten Vorrichtungen ist zu prüfen, ob der „Angreifer“ erkannte, dass er sich bei Betreten eines Grundstücks in Gefahr begibt (bspw. weil ein gut sichtbarere Warnhinweis am Zaun angebracht wurde) und deshalb eine einverständliche Selbstgefährdung anzunehmen ist, die bereits den Tatbestand ausschließt

Wird der Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen, stellt sich bei der Frage einer Rechtfertigung gemäß § 32 StGB zunächst die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Dass es an einem gegenwärtigen Angriff fehlte, als die Vorkehrung erstmalig installiert wurde, ist unschädlich, solange sie erst wirkt, sobald das Grundstück widerrechtlich betreten wird.

Die (automatisierte) Notwehrhandlung ist allerdings nur dann auch erforderlich, wenn die automatische Anlage technisch so eingerichtet ist, dass sie bei keinem der zu erwartenden Angriffe das jeweils erforderliche Maß überschreitet. Deshalb ist ein System „stufenweiser gesteigerter Abwehrmechanismen“ einzurichten, also hintereinander geschaltete, immer stärker werdende Abwehrmaßnahmen.

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132
Q

die Grundvorschriften nach § 34 StGB:

1.Notstandslage

A

gem § 34 S.1 StGB setzt das Gesetz für eine Notstandslage das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut voraus

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133
Q
  1. Notstandslage - a. Notstandsfähige Rechtsgüter
A

notstandsfähig sind nach hM alle Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit, soweit sie in der konkreten Situation schutzbedürftig und schutzwürdig sind. Exemplarisch nennt § 34 S.1 StGB Leben, Leib, Ehre und Eigentum.

besondere Beachtung des Notstands zugunsten von Rechtsgütern der Allgemeinheit. Im Ergebnis dürfte ein Notstand zugunsten von ihnen kaum annehmbar sein:

- regelmäßig wird die Gefahr auf andere Weise (insbesondere durch die Anrufung des Staates) anwendbar sein
- die Notwehrunfähigkeit von Rechtsgütern der Allgemeinheit darf durch Gewährung eines Notstands nicht unterlaufen werden. 

(sofern Kollektivrechtsgüter aber als notstandsfähig bewertet werden, wird praktisch eine Rechtfertigung mangels Erforderlichkeit regelmäßig nicht in Betracht kommen)

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134
Q
  1. Notstandslage - b. Notstandsbegünstigte
A

eng verknüpft mit der Frage nach den notstandsfähigen Rechtsgütern ist das Problem, zu wessen Gunsten von den Notstandsbefugnissen Gebrauch gemacht werden darf. § 34 S.2 StGB spricht davon, dass „die Gefahr von sich oder einem anderen“ abgewendet werden soll. „Sich“ bezeichnet eindeutige den Notstandstäter, der eine Gefahr für seine eigenen Rechtsgüter abwehrt. Die hM erkennt in der Formulierung hingegen lediglich die „Klarstellung“, dass das gefährdete Rechtsgut auch ein dem Täter fremdes sein könne.

  • siehe KK 306
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135
Q
  1. Notstandslage - c. Gegenwärtige Gefahr
A

eine gegenwärtige Gefahr ist ein Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden

der Gefahrenursprung ist gleichgültig: auch Naturereignisse, Kriegswirren o.ä. sind erfasst.
Der Begriff der Gefahr ist daher gegenständlich weiter als der des Angriffs iSd § 32 StGB. Hieraus wid geschlossen, dass der Begriff der gegenwärtigen Gefahr auch in zeitlicher Hinsicht über den gegenwärtigen Angriff bei der Notwehr hinausgeht.
Unter § 34 StGB fällt damit auch die sog Dauergefahr.

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136
Q

die Grundvorschriften nach § 34 StGB: 2. Notstandshandlung

A

Nach § 34 S.1 StGB darf die Gefahr nicht anders anwendbar sein, was nichts anderes als die Erforderlichkeit bei der Notwehr bedeutet. Damit ist auch hier die Voraussetzung der Geeignetheit implizit enthalten.

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137
Q
  1. Notstandshandlung - a. Geeignetheit
A

Dabei sind an die Geeignetheit des Mittels strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht nutzlos in fremde Rechtsgüter eingegriffen wird.
Jedoch ist ein Mittel nicht schon deswegen ungeeignet, weil es den den Schaden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abwenden kann

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138
Q
  1. Notstandshandlung - b. Mildestes Mittel
A

Im Unterschied zur Notwehr ist hier jede erreichbare Hilfe zur Gefahrenabwehr herbeizuholen und von einer bestehenden Ausweichmöglichkeit zwingend Gebrauch zu machen

auch die Verletzung geschützter Interessen Dritter kann das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr sein. Ist ihre Inanspruchnahme bereits durch einen anderen Rechtfertigungsgrund gedeckt (z.B durch Einwilligung des Berechtigten), ist sie idR auch das mildeste Mittel iSd § 34 StGB. Dies bedeutet aber nicht, dass derjenige, in dessen Rechtsgüter eingegriffen wird, stets als „milderes Mittel“ zunächst um seine Einwilligung gebeten werden muss.

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139
Q

die Grundvorschrift nach § 34 StGB: 3. Abwägung der widerstreitenden Interessen

A

zur Rechtfertigung der Tat setzt § 34 S.1 StGB überdies voraus, dass bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.

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140
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte
A

In die Abwägung sind alle schutzwürdigen Interessen einzubeziehen, die als Erhaltungs- oder Eingriffsgut durch den konkreten Konflikt unmittelbar oder mittelbar betroffen sind. Dazu gehört eine Reihe von Aspekten, von denen keiner absolute Geltung beanspruchen kann. Vielmehr wird jeder Aspekt von andern ergänzt und relativiert.

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141
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - aa. Strafrahmenvergleich
A

aa. Strafrahmenvergleich

sind sowohl gefährdendes als auch abwehrendes Verhalten auf eine Tatbestandsverwirklichung gerichtet, können aus einem Strafrahmenvergleich Schlüsse auf das Rangverhältnis der geschützten Rechtsgüter gezogen werden

Bsp.: die Strafandrohung von §§ 123, 177 StGB deuten darauf hin, dass durch Notstand gerechtfertigt ist, wer zur Verhinderung einer Vergewaltigung fremdes Hausrecht verletzt.

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142
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - bb. Wertgefälle der Rechtsgüter
A

bb. Wertgefälle der Rechtsgüter

auch ist das Wertverhältnis der widerstreitenden Rechtsgüter zu betrachten, wobei sich drei Leitlinien aufstellen lassen:

- Ordnungsvorschriften treten hinter den Schutz vor konkreten Beeinträchtigungen zurück
- die Persönlichkeitswerte sind den Sachgütern vorzuziehen
- der Schutz von Leib und Leben begründet ein höheres Interesse auch gegenüber der Bewahrung anderer Persönlichkeitswerte oder überindividueller Rechtsgüter

—> diese Regeln gelten nicht ausnahmslos: wenn bspw Terroristen für die Schonung einer Geisel die massive Beeinträchtigung wichtiger Staatsinteressen verlangen, verdient das Leben der Geisel nicht unter allen Umständen den Vorzug

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143
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - cc. Intensität der drohenden Rechtsgutverletzung
A

cc. Intensität der drohenden Rechtsgutverletzung

insbesondere bei einem ähnlichen Rang der bedrohten Rechtsgüter kann dem Ausmaß der drohenden Rechtsgutverletzung entscheidende Bedeutung zukommen. Aber auch bei unterschiedlichem Rangverhältnis kann das Ausmaß der Rechtsgutverletzung den Wertunterschied relativieren. So kann z.B auch eine kurzfristige, folgenlose Freiheitsberaubung von wenigen Minuten zur Verhinderung eines sehr hohen Sachschadens gerechtfertigt sein.

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144
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - dd. Grad der drohenden Gefahr
A

dd. Grad der drohenden Gefahr

wer zur Abwehr eines ansonsten mit Sicherheit eintretenden Schadens eine Rettungshandlung vornimmt, die ein anders Rechtsgut nur in geringem Maße gefährdet, wird idR das überwiegende Interesse auf seiner Seite haben

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145
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ee. keine Abwägung Leben gegen Leben
A

ee. keine Abwägung Leben gegen Leben

In Konfliktlagen, in denen sich Leben und Leben gegenüberstehen, ist der Grundsatz absoluten Lebensschutzes zu beachten, der eine Abwägung Leben gegen Leben entgegensteht: menschliches Leben ist nicht quantifizierbar

umstritten: Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens auch in den Fällen der sog Gefahrengemeinschaft
—> Konstellationen, in denen mehrere Menschen gemeinsam in Gefahr sind und einer geopfert wird, um den Tod der übrigen zu verhindern

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146
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ff. das Autonomieprinzip
A

ff. das Autonomieprinzip

zu Lasten den verteidigten Rechtsguts muss ggf. berücksichtigt werden, dass die Notstandssituation zu Lasten der Rechtsgüter eines Unbeteiligten wird (Fall des aggressiven Notstands, der seinen Niederschlag in § 904 BGB gefunden hat.

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147
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - gg. Wertung anderer gesetzlicher Regelungen
A

gg. Wertung anderer gesetzlicher Regelungen

für die Abwägung maßgeblicher Faktoren sind auch oft Wertungen, die sich in gesetzlichen Regelungen außerhalb des § 34 StGB niedergeschlagen haben

Ausnahmsweise wird man aber eine Rechtfertigung nach § 34 StGB zulassen müssen, wenn die drohende Gefahr so exorbitant und atypisch ist, dass sie in die Abwägung der gesetzlichen Spezialregelungen nicht eingegangen ist

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148
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - hh. Verschuldung der Notstandslage
A

hh. Verschuldung der Notstandslage

ein Verschulden der Notstandslage schließt die Berufung auf § 34 StGB nicht aus. Das Verschulden bzw. Nicht-Verschulden der Notstandslage muss aber bei der Interessenabwägung Berücksichtigung finden.

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149
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ii. Tätigwerden auf der Seite des Unrechts
A

ii. Tätigwerden auf der Seite des Unrechts

Umstritten ist die Frage, wie die Konstellation zu lösen ist, in der der in fremde Rechtsgüter eingreifende Täter durch die Nötigung eines Dritten in die Gefahrenlage gebracht wird

Bsp.: A wird durch eine Todesdrohung zu einem Meineid oder einem Diebstahl veranlasst
—> dieses Problem des sog Nötigungsnotstandes wird im Rahmen des § 35 StGB behandelt

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150
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - jj. besondere Pflichtenstellungen
A

jj. besondere Pflichtenstellungen

auch besondere Pflichtenstellungen können zur Verschiebung der Interessensabwägung führen. Der Soldat, Polizist oder Feuerwehrmann wird in machen Fällen auch um des Schutzes und der Rettung von Sachwerten willen Leib- und Lebensgefahren auf sich nehmen müssen, sodass er sich nicht unter Berufung auf § 34 StGB der Gefahr entziehen darf. Zu bedachten ist jedoch, dass die Gefahrtragungspflichten keine Aufopferungs-, sondern nur Risikopflichten sind: Sind er Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, ist das Ausweichen auch bei Bestehen einer besonderen Pflichtenstellung wieder durch § 34 StGB gerechtfertigt.

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151
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - kk. individuelle Bedeutung der Schäden für die jeweils Betroffenen
A

kk. individuelle Bedeutung der Schäden für die jeweils Betroffenen

eine bei der Abwägung zu berücksichtigender Faktor ist ferner die Bedeutung der konkreten Sache für die Betroffenen, die nach objektivem Maßstab, aber unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten zu beurteilen ist

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152
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ll. Entstehung der Gefahr aus der Sphäre des Eingriffsopfers
A

ll. Entstehung der Gefahr aus der Sphäre des Eingriffsopfers

auch kann zu berücksichtigen sein, dass es sich um einen Fall des Defensivnotstandes handelt. § 228 BGB enthält für den Fall der von einer Sache ausgehenden Gefahr eine Spezialregelung, während bei der Abwehr einer vom Menschen ausgehenden Gefahr regelmäßig schon § 32 StGB eingreift.
Roxin/Greco unterscheiden aber vier Ausnahmefallgruppen, in denen weder § 228 BGB noch § 32 StGB einschlägig sind und sofern Raum für § 34 StGB bleibt:

  • Bedrohung durch eine Nichthandlung (z.B ein auf die Gegenfahrbahn geschleudertes Auto)
  • Gefährdung trotz sorgfaltsgemäßer Handlung (z.B droht ein Autofahrer einen Fußgänger trotz Einhaltung aller Verkehrsregeln zu überfahren)
  • Perforation (Tötung des Kindes während der Geburt zur Rettung der Mutter)
    —> nicht überzeugend: die Tötung des Kindes vor Beginn der Eröffnungswehen bzw der Öffnung des Uteruses kann bei Lebens- und Gesundheitsgefahr für die Mutter idR über § 218a II StGB gerechtfertigt werden, nach Beginn der Eröffnungswehen bzw Öffnung des Uterus ist das Kind dagegen als Mensch zu behandeln. Eine Anwendung des Gedankens des § 228 BGB würde dann zu einer Abwägung Leben gegen Leben führen, die sich jedoch verbietet.
  • Präventiv-Notwehr

hier kann der Rechtsgedanke des § 228 BGB in die Bewertung der Rechtfertigung mit einfließen. Daher kann in diesen Fällen, wie bei § 228 BGB, bereist dann von einer Rechtfertigung ausgegangen werden, wenn der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht

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153
Q
  1. Abwägung der widerstreitenden Interessen - b. wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses
A

b. wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses

der Wortlaut des § 34 S.1 StGB („wesentlich überwiegt“) spricht dafür, dass ein graduell gesteigertes Überwiegen der geschützten Interessen verlangt wird. Nach dem Grundgedanken der Norm kann es auf ein solches „qualifiziertes“ Übergewicht aber nicht ankommen:
da Satz 1 Ausdruck des allgemeinen Rechtfertigungsprinzips des überwiegenden Interesses ist, bei dem zu fragen ist, ob das mit der Tat geschützte Interesse höher zu veranschlagen ist als das Interesse am Unterlassen der fraglichen Handlung, sind begrifflich die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung schon gegeben, wenn überhaupt ein Übergewicht in diesem Sinne besteht

Darum ist die Wesentlichkeitsklausel so auszulegen, dass ein Interessenübergewicht zweifelsfrei und eindeutig sein muss, wenn eine Rechtfertigung erfolgen soll und bei unklarem Abwägungsergebnis keine Rechtfertigung erfolgen kann

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154
Q

die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 4. Angemessenheitsklausel (§ 34 S.2 StGB)

A

die Angmessenheitsklausel des § 34 S.2 StGB beruht historisch auf dem Gegensatz von Güterabwägungs- und Zwecktheorie. Weil aber schon nach S.1 alle Umstände des Einzelfalls in die Abwägung einzubeziehen sind, ist schwer vorstellbar, wie eine Notstandshandlung nicht angemessen sein soll, wenn bereits die Abwägung ergeben hat, dass die geschützten Interessen die Beeinträchtigten wesentlich überwiegen.

Nach hM dient die Klausel dazu, ein zusätzliches Korrektiv zu gewinnen, das sicherstellt, dass eine Rechtfertigung nur angenommen wird, wenn das Verhalten des Notstands auch nach den anerkannten Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem Recht entsprechende Lösung der Konfliktlage erscheint

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155
Q

die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 5. Notstandsbefugnisse von Hoheitsträgern

A

ob sich Hoheitsträger aus § 34 StGB berufen können, ist ähnlich umstritten wie bei der Notwehr

  • die hM lässt die Berufung eines Hoheitsträgers auf § 34 StGB unter Anführungen verschiedener Voraussetzungen zu
    —> sofern der Gesetzgeber ein Interessenkonflikt wegen seiner Ungewöhnlichkeit nicht vorausgesehen hat
    —> sofern eine Notstandskonstellation sich wie bei einer Freipressung von Gefangenen durch Geiselnehmer einer generalisierenden gesetzlichen Regelung entzieht
    —> sofern der Gesetzgeber mit einer den § 34 StGB konkretisierenden Kodifizierung noch abwarten möchte
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156
Q

die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 6. das subjektive Rechtfertigungselement

A

auch beim Notstands bedarf es eines subjektiven Rechtfertigungselements

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157
Q

der zivilrechtliche Notstand (§§ 228, 904 BGB)

A

Mit den §§ 228, 904 BGB kennt auch das Zivilrecht zwei Notstandsregelungen, die wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht zu beachten sind

Im Hinblick auf die Beschädigung oder Zerstörung von Sachen sind diese Normen leges speciales gegenüber § 34 StGB. Im Gutachten hat dies zur Konsequenz, dass die zivilrechtlichen Notstandsregelungen vor § 34 StGB angesprochen werden sollten

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158
Q

der zivilrechtliche Notstand - 1. der aggressive Notstand (§ 904 BGB)

A

§ 904 BGB regelt den aggressiven Notstand

Damit bezeichnet man eine Situation, in der sich der Täter einer Notstandssituation dadurch entledigt, dass er zur Gefahrenabwehr auf eine fremde Sache einwirkt, von der die Gefahr selber jedoch nicht ausgeht.
- Bsp.: Um einen Kampfhund von sich abzuhalten, entreißt A dem B seinen Regenschirm, der durch die Bisse des Hundes Schaden nimmt. § 303 StGB am Schirm wird durch § 904 BGB gerechtfertigt

die Konstellation würde, wenn es § 904 BGB nicht geben würde, auch über § 34 StGB zu lösen sein, doch stellt § 904 BGB klar, dass ein wesentliches Überwiegen der vom Notstandstäter verfolgten Interessen erst anzunehmen ist, wenn der abgewendete Schaden gegenüber dem angerichteten unverhältnismäßig hoch ist

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159
Q

der zivilrechtliche Notstand - 2. der defensive Notstand (§ 228 BGB)

A

§ 228 BGB regelt den Fall des Defensivnotstands

In dieser Konstellation geht die Gefahr von einer Sache aus. Der Täter bewältigt die Notstandslage dadurch, dass er auf diese gefahrbringende Sache einwirkt
- Bsp.: Um den Kampfhund des B von sich abzuhalten, erschließt A den Hund. § 303 StGB am Hund wird durch § 228 BGB gerechtfertigt. Achtung: Wenn der Kampfhund vom Eigentümer zum Angriff aufgehetzt wurde, so ist schon § 32 StGB einschlägig

Weil der Täter hier auf die gefährliche Sache selbst einwirkt (und sich nicht wie beim aggressiven Notstand auf Kosten eines Dritten der Notlage entledigt) sind die Anforderungen an die Rechtfertigung im Falle des § 228 BGB auch geringer: Während beim Aggressivnotstand des § 904 BGB der abgewendete Schaden im Verhältnis zum angerichteten unverhältnismäßigen groß sein muss, darf er hier sehr viel geringer sein, solange er nur nicht außer Verhältnis zum herbeigeführten Schaden steht.

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160
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die rechtfertigende Pflichtenkollision

A

eine Pflichtenkollision liegt vor, wenn mehrere rechtlich begründete Handlungspflichten derart an den Adressaten der Norm gerichtet sind, dass er die eine nur auf Kosten der andern Erfüllen kann. Er muss also notwendig eine von ihnen verletzen, egal wie er sich auch verhält
-Bsp.: die beiden Kinder des V sind vom Ertrinken bedroht, V kann aber nur einem Kind zur Rettung kommen

Unterscheiden werden zwei Fallgruppen: Ungleichwertige und gleichwertige Pflichten. Das Rangverhältnisder kollidierenden Pflichten hängt vom Wert der gefährdenden Güter, der rechtlichen Stellung des Normadressaten zum geschützten Objekt, von der Nähe der Gefahr und von der mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ab

kein Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision liegt beim Widerstreit zwischen einer Handlungs- und einer Unterlassungspflicht. Denn gegen eine Unterlassungspflicht verstößt grds jeder, der in ein fremdes Rechtsgut eingreift. Diese Fälle sind über § 34 StGB angesichts der dort zu berücksichtigenden Prinzipien bei der Interessenskollision zu behandeln.

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161
Q

die rechtfertigende Pflichtenkollision- 1. Ungleichwertige Pflichten

A

umstreitig ist, dass das Recht von niemandem Unmögliches verlangen kann. Daher handelt der Täter bei einer Pflichtenkollision dann nicht rechtswidrig, wenn er von rangverschiedenen Pflichten die höherrangige auf Kosten der zweitrangigen Pflicht erfüllt. Auch diese Fälle werden von Teilen der Literatur schon unter § 34 StGB subsumiert.
- Bsp.: die Pflicht zur Rettung von Menschenleben geht der Pflicht zur Rettung von Sachgütern vor

Umstritten ist, ob die Qualität der Pflicht (Garatenpflicht, § 13 StGB, gegenüber Solidarpflicht nach § 323c StGB) zu einer Ungleichwertigkeit der Pflichten führt.
- Bsp.: T sieht, wie seine Ehefrau E und deren Freundin F zu ertrinken drohen. Er rettet F, E ertrinkt. die hM verneint den Rechtfertigungsgrund der rechtfertigenden Pflichtenkollision beim Totschlag durch Unterlassen aufgrund der unterschiedlichen Qualität der Pflichten.

Nach § 323c I StGB muss dem Unterlassenden die Hilfeleistung auch zuzumuten, insbesondere ohne Verletzung andere wichtiger Pflichten möglich sein. Eine Garantenpflicht ist eine solche andere wichtige Pflicht. Daher führt bei gleichwertigen Güterschutzpflichten die Erfüllung einer Garantenpflicht dazu, dass die unterlassene Hilfeleistung wegen Unzumutbarkeit der Hilfeleistung gar nicht von. § 323c I StGB erfasst wird.
Die Pflichten kollidieren also nicht, da die Pflicht aus § 323c StGB erst gar nicht entstehen.

Nach § 13 kann man sich wegen eines Erfolgsdelikts auch durch Unterlassen strafbar machen, wenn man rechtlich dazu verpflichtet ist, den Erfolg abzuwenden. Erforderlich hierfür ist eine sog Garantenstellung, die z.B aus einer engen familiären Verbundenheit resultieren kann.

§ 323c StGB hingegen, der die unterlassen Hilfeleistung unter Strafe stellt, enthält eine allgemeine Solidarpflicht, für die keine Garantenstellung erforderlich ist

die hM konstatiert, die Pflciht aus § 13 StGB und diejenige aus § 323c StGB seien nicht gleichwertig, sondern die Garantenstellung weise eine höhere „Qualität“ auf. Daher sei eine rechtfertigende Pflichtenkollision nicht gegeben, wenn man der Pflicht aus § 323c StGB nachkommt und die aus § 13 StGB vernachlässigt

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162
Q

die rechtfertigende Pflichtenkollision - 2. gleichwertige Pflichten kollidieren miteinander

A

Bei der Kollision gleichrangiger Pflichten tritt eine Rechtfertigung bereits dann ein, wenn der Täter eine der beiden Pflichten erfüllt. Im Widerstreit gleichwertiger Rettungspflichten lässt die Rechtsordnung dem Normadressaten also die Wahl, sich für die eine oder andere zu entscheiden. Verlangt wird auch nicht, dass die vom Notstandstäter getroffene Wahl auf einer Gewissensentscheidung oder auch nur auf moralisch billigenswerten Motiven beruht

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163
Q

Triage

A

In Fällen der Ex-ante-Triage und Ex-post-Triage ist fraglich, ob sich die behandelnde Ärzte wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 I StGB) strafbar gemacht haben, wenn der eine nicht behandelte Patient stirbt

Ex-ante-Triage:
- A und B werden zeitgleich ins Krankenhaus eingeliefert. A wird an das letze freie Beatmungsgerät angeschlossen, B kann nicht behandelt werden
- Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision (sind beide Handlungspflichten rechtlich gleichwertig, muss der Arzt eine von beiden erfüllen, er hat die Wahl)
—> woran sich der Arzt bei seiner Entscheidung orientiert, welche der gleichrangigen Pflichten er erfüllt, ist aus strafrechtlicher Sicht egal (ethisches Auswahlkriterium: Zufallsprinzip - wahrt den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit jedes Lebens - gleiche Chance auf Behandlung)

Ex-post-Triage
- A wird bereits im Krankenhaus behandelt, als B eingeliefert wird. Weil B bessere Überlebenschancen hat, wird As Behandlung abgebrochen und stattdessen B an das Beatmungsgerät angeschlossen
- eine Unterlassungspflicht (Abbruch der laufenden Behandlung) kollidiert mit einer Handlungspflichten (Behandlung des neuen Patienten)
—> nicht zwei Handlungspflichten: von der hM nicht als rechtfertigende Kollision eingestuft
—> möglich ist nur eine Rechtfertigung über § 34 StGB, die aber wegen des Grundsatzes absoluten Lebensschutzes ausscheidet

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164
Q

Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung

A

ein Eingriff in die Rechtsgüter einer Person, der mit deren Wille erfolgt, ist kein Unrecht. Denn individuelle Rechtsgüter werden nur zu dem Zweck geschützt, der freien Entfaltung des Einzelnen zu dienen (Art. 2 I GG). Dann kann aber auch keine Rechtsgutverletzung vorliegen, wenn eine Handlung auf der Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, seine freie Entfaltung also nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr deren Ausdruck ist. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Beschränkung der individuellen Freiheit im Allgemeininteresse zwingend geboten ist

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165
Q

Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung - 1. Unterscheidungskriterium

A

Einverständnis
- wirkt tatbestandsausschließend: Die Billigung des Opfers führt dazu, dass schon der TB eines Deliktes nicht gegeben ist, weil das Delikt notwendig ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Opfers voraussetzt; z.B § 123 StGB: „Eindringen“ bedeutet das Betreten des Raumes ohne oder gegen den Willen des Berechtigten. Wird der Raum im Einklang mit dem Willen des Berechtigten betreten, ist § 123 StGB schon tatbestandlich nicht gegeben.

Einwilligung
- wirkt rechtfertigend: Trotz Billigung des Opfers bleibt das Täterverhalten tatbestandsmäßig. Das Gesetz macht die Tatbestandsverwirklichung also nicht vom Willen des Opfers abhängig. Die Tatbestandsverwirklichung wird jedoch durch die Einwilligung des Opfers gerechtfertigt (z.B § 223 StGB).

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166
Q

Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung- 2. Unterschiede in der rechtlichen Behandlung

A
  • beim Einverständnis soll alleine der innere Wille maßgeblich sein, auch wenn dieser nicht nach außen hervorgetreten ist
  • bei der Einwilligung sei eine Kundgabe nach außen erforderlich
  • das Einverständnis setzt nur den „natürlichen Willen“ voraus
  • die Einwilligung demgegenüber die Einsichtsfähigkeit des Opfers
  • Willensmängel (Irrtum, Täuschung und Zwang) sollen beim Einverständnis unbeachtlich sein
  • bei der Einwilligung jedoch zur Unwirksamkeit führen
  • die irrtümliche Annahme einer nicht vorhandenen Zustimmung schließt, wenn sie ein Einverständnis betrifft, nach § 16 StGB den Vorsatz aus (Tatumstandsirrtum)
  • wenn der Täter über eine Einwilligung irrt, befindet er sich hingegen in einem Erlaubnistatumstandsirrtum
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167
Q

die Einwilligung als Tatbestandausschließungsgrund

A

Jede wirksame Zustimmung des Rechtsgutsträgers ist eine tatbestandsausschließende Wirkung beizumessen.
Der Erfolgs- und Handlungsunwert entfällt bei einer wirksamen und dem Täter bekannten Einwilligung.
Eine Handlung die kein anderes Rechtsgut tangiert und auch nicht tangieren will, kann daher nicht tatbestandsmäßig sein.

Zudem würde eine rechtfertigende Einwilligung im System der Rechtfertigungsgründe, die maßgeblich auf den Prinzipien der Interessenabwägung und der Erforderlichkeit beruhen, einen Fremdkörper darstellen.
Bei der Einwilligung geht es nicht um Konfliktsituationen, da der Rechtsgutsträger sein Interesse am Rechtsgut aufgibt. Hier hilft nur das zweite Standbein der Rechtfertigungsprinzipien (Prinzip des mangelnden Interesses), das aber ehr künstlich für die Einwilligung geschaffen erscheint und harmonisch allein zur mutmaßlichen Einwilligung passt.

eine klare Grenzziehung zwischen Einverständnis und Einwilligung ist nicht möglich und die Zweiteilungslehre damit nicht durchführbar.

Dass bereits der Gesetzeswortlaut § 228 StGB der Einwilligung rechtfertige Wirkung zumisst, ist so nicht zutreffend. Nach § 228 StGB handelt der Täter bei einer Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten nur dann rechtswidrig, „wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt“. Nach § 11 I Nr.5 StGB ist eine „rechtswidrige Tat nur eine solche, die den TB eines Strafgesetzes verwirklicht“. „Rechtswidrig“ in §§ 228 StGB kann also auch als „tatbestands-rechtswidrig“ gelesen werden.

eine solche Einordnung der Einwilligung als Tatbestandsausschliueßungssgrund bedeutet keine Relativierung des des Rechtsgutsschutzes, sondern lediglich eine konsequente Ausrichtung am individuellen Rechtsgutsträger

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168
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 1. Disponibilität des geschützten Rechtsguts

A

der Verzicht auf das geschützte Interesse muss überhaupt rechtlich zulässig sein.
—> Disponibel sind alle Individualrechtsgüter mit Ausnahme des menschlichen Lebens (arg. § 216 StGB)

über Rechtsgüter der Allgemeinheit (z.B. das Vertrauen in die Unbestechlichkeit des Beamtenapparates) kann der Einzelne somit nicht wirksam disponieren

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169
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 2. Verfügungsberechtigung

A

der Einwilligende muss auch verfügungsberechtigt, d.h Träger des geschützten Interesses oder sonst (z.B. als Vertreter des Rechtsgutsträgers) zur Disposition über das Rechtsgut befugt sein

denn selbstverständlich kann nicht jeder beliebige Dritte über eine Sache des Eigentümers bestimmen

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170
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 3. Kundgabe, Zeitpunkt und Widerruflichkeit

A

die Einwilligung muss vor der Tat ausdrücklich erklärt oder konkludent zum Ausdruck gebracht worden sein, da ein nicht hervorgetretener Gedanke mangels Feststellbarkeit nicht zur Anknüpfung von Rechtsfolgen geeignet ist.

bis zur Tatbegehung ist die Einwilligung frei widerruflich.
ausreichend ist auch eine nach Beginn, aber vor Vollendung der Tat erteilte Einwilligung.
eine nachträgliche Genehmigung ist bedeutungslos, da der Geschädigte sonst über einen einmal entstandenen staatlichen Strafanspruch disponieren könnte, was jedoch dem Offizialprinzip widerspricht.

bei einer konsequent rechtsgutsorientierten Betrachtungsweise müsste man für die Einwilligung allerdings bereits die innere Zustimmung ausreichen lassen. Das Feststellbarkeitsargument der hM läuft Gefahr, das Vorliegen der Einwilligung von einer bloßen Beweisfrage abhängig zu machen.

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171
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 4. Einwilligungsfähigkeit

A

ferner muss der Einwilligende auch einwilligungsfähig sein. Ob es dafür auf einen „natürlichen Willen“ oder auf den „verantwortlichen ungetrübten Willen“ des Rechtsgutsträgers ankommt, lässt sich nicht einheitlich beantworten.

Dort, wo die Einwilligung schon die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals ausschließt, ist der Maßstab für die Einsichtsfähigkeit allein dem Tatbestandsmerkmal selbst zu entnehmen. So schützt die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) die Willenssphäre des Opfers in ihrer reinen Faktizität, sodass allein der natürliche Wille des Opfers entscheidend ist.

Ebenso entscheidet beim Diebstahl (§ 242 StGB) allein der natürliche Wille des Opfers über das Vorliegen einer Wegnahme, da der dafür maßgebliche Gewahrsam als „tatsächliche Herrschaft über eine Sache“ verstanden wird. Genauso ist es beim Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Wer vom Hausinhaber eingelassene wird, dringt nicht in die Wohnung ein

die hM (die zwischen Einverständnis und Einwilligung differenziert) betrachtet in diesen Beispielen eine Zustimmung des Opfers als tatbestandsausschließendes Einverständnis und stellt deswegen von vornherein auf den natürlichen Willen ab

vereinzelt wird hingegen für eine wirksame Einwilligung in einen Diebstahl (§ 242 StGB) die volle Geschäftsfähigkeit des Einwilligenden analog §§ 104 ff. BGB verlangt. Eine wirksame Einwilligung in eine Beleidigung (§ 185 StGB) erfordert hingegen, dass der Adressat das Ehrenrührige der Bemerkung sowie den sozialen Wert der persönlichen Ehre verstanden hat.

In den Fällen, in denen die Einwilligung hingegen als Tatbestandsauscchließungsgrund neben die übrigen Tatbestandsmerkmale tritt (so etwa bei der Körperverletzung gem. § 223 StGB), ist nach hM maßgeblich, ob der Einwilligende nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande ist, die Bedeutung und Tragweite des Rechtsgutsverzichtes zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen.

die Einwilligungsfähigkeit ist nicht von einem bestimmten Alter abhängig. Entscheidend ist, dass der Rechtsgutsträger nach seiner Verstandsreife und Urteilsfähigkeit das Wesen, die Tragweite und die Auswirkungen des Eingriffs voll erfasst. Dabei sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger der Rechtsgutsangriff und je schwerer die Folgen sind. Bei mangelnder Einsichtsfähigkeit bedarf es der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter

172
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 5. keine wesentlichen Willensmängel

A

weiterhin darf die Einwilligung nicht an wesentlichen Willensmängeln leiden. Eine durch Täuschung erschlichene oder auf einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht beruhende Einwilligung ist regelmäßig unwirksam
- Bsp.: Medizinstudent M war als Praktikant in einem Krankenhaus tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit verabreichte er Patient P eine Spritze. P hielt M für einen approbierten Arzt.

die hM hält einen Willensmangel nur dann für unbeachtlich, wenn der Willensmangel nicht rechtsgutsbezogen und daher nicht einwilligungserheblich ist, sich also lediglich auf Randfragen oder Begleitumstände, nicht hingegen auf Inhalt und Umfang des Eingriffs, bezieht.

173
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 6. kein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 228 StGB)

A

beim Eingreifen in die körperliche Integrität darf die Tat gem § 228 StGB zusätzlich nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Maßgeblich ist die Sittenwidrigkeit der Tat, nicht die Einwilligung

nach heute hM kommt es für die Sittenwidrigkeit der Tat maßgebliche auf Art und Gewicht des eingetretenen Körperverletzungserfolgs sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Einwilligenden an

Ausnahmsweise könne aufgrund entsprechender gesellschaftlicher Vorstellungen die Einwilligung des Tatopfers in eine an ihm begangene Körperverletzung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten (bspw bei ärztlichen Heileingriffen oder gewissen Kampfsportarten)

zu beachten ist schließlich, dass das Sittenwidrigkeitskriterium des § 228 StGB nur im Bereich der Einwilligung in Körperverletzungsdelikte eine Rolle spielt und § 228 StGB bei der Einwilligung in andere Delikte nicht analog anwendbar ist. § 228 StGB trägt dem hohen Stellenwert der Unverletztheit von Körper und Gesundheit Rechnung und ist insoweit eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift.

174
Q

Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 7. subjektive Anforderungen

A

behandelt man die Einwilligung als tatbestandsausschließend, muss der Täter, den normalen Vorsatzanforderungen entsprechend, in Kenntnis der Einwilligung gehandelt haben

misst man der Einwilligung rechtfertigende Wirkung zu, muss der Täter in vergleichbarer Weise in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung gehandelt haben

175
Q

mutmaßliche Einwilligung

A

in Fällen, in denen eine Einwilligung rechtlich zulässig wäre, tatsächlich aber nicht eingeholt werden kann, kann eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommen. Anders als die Einwilligung, der nach hier vertretener Ansicht eine tatbestandsausschließende Wirkung zukommt, ist die mutmaßliche Einwirkung ein Rechtfertigungsgrund. Die Einwilligung ist Ausdruck der Handlungsfreiheit des Rechtsgutsträgers (mit der Konsequenz, dass der mit Einwilligung Handelnde nicht dessen Rechtsgüter verletzt).
Der sich auf die mutmaßliche Einwilligung Berufende greift hingegen in deliktstypischer Weise in die Rechtsgüter eines anderen ein. Er kann nur dadurch gerechtfertigt werden, dass die Einwilligung des Rechtsgutsträgers aus objektiver Sicht gemutmaßt wird

Zwei verschiedene Erwägungen können insoweit Bedeutung erlangen:

  • das Prinzip der Interessenbehauptung
  • das Prinzip des mangelnden Interesses
176
Q

mutmaßliche Einwilligung - 1. Prinzip der Interessenbehauptung

A

eine mutmaßliche Einwilligung beruht auf dem Prinzip der Interessenbehauptung, sofern der Täter im mutmaßlichen materiellen Interesse des Betroffenen handelt
- Bsp.: Operation des bewusstlosen Unfallopfers

für die Rechtfertigung ist hier nicht eine an objektiven Maßstäben orientierte Güter- und Interessenabwägung entscheidend

maßgeblich ist vielmehr ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den wahren Willen des Rechtsgutsinhabers im Tatzeitpunkt. Relevant sind die individuellen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche und Wertvorstellungen des Betroffenen.

objektiven Kriterien kommt nur indizielle Bedeutung zu. Ligen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene (könnte man ihn befragen) anders entscheiden würde, kann davon ausgegangen werden, dass ein hypothetisch zu ermittelnder Wille mit dem übereinstimmt, was üblicherweise als sachgerecht, normal und vernünftig angesehen wird

entspricht das Wahrscheinlichkeitsurteil ex ante den genannten Anforderungen, bleibt die darauf beruhende Tat rechtmäßig, auch wenn sich später herausstellt, dass trotz pflichtgemäßer Prüfung und gewissenhaften Vorgehens der wahre Wille des Betroffenen verfehlt wurde

177
Q

mutmaßliche Einwilligung - 2. Prinzip des mangelnden Interesses

A

Auf dem Prinzip des mangelnden Interesses beruht die mutmaßliche Einwilligung in den Fällen, in denen es unter Respektierung der persönlichen Einstellungen des Betroffenen an einem schutzwürdigen Erhaltungsinteresse fehlt.
- Bsp.: A nimmt fünf Zwei-Euro-Stücke aus der Geldbörse des B und steckt seinen Zehn-Euro-Schein hinein, um Kleingeld für Zigaretten zu haben.

178
Q

mutmaßliche Einwilligung - 3. hypothetische Einwilligung

A

insbesondere im Rahmen ärztlicher Heilangriffe wird eine hypothetische Einwilligung diskutiert. Dabei geht es um Fälle, in denen aufgrund einer fehlerhaften oder gänzlich fehlenden Patientenaufklärung der Eingriff eigentlich als rechtswidrig zu bewerten wäre.
- Bsp.: Ärztin A operiert bei einem Bandscheibenvorfall aus Versehen am falschen Wirbel. Nachdem sie ihr Versehen bemerkt hat, spiegelt sie Patientin P vor, es sei zu einem erneuten Vorfall an der gleichen Stelle gekommen, woraufhin P in eine zweite Operation einwilligt. Nun operiert A die richtige Stelle.

Hier wird zum Teil die Rechtswidrigkeit des Eingriffes abgelehnt, wenn davon auszugehen ist, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung seine Einwilligung erteilt hätte. Der ärztliche Eingriff muss aber dabei lege artis erfolgen

der Unterschied zur mutmaßlichen Einwilligung:
- der Patient konnte bei der mutmaßlichen Einwilligung nicht nach seiner Einwilligung gefragt werden (bspw. das bewusstlose Unfallopfer muss sofort medizinisch versorgt werden), während dies bei der hypothetischen prinzipiell möglich gewesen wäre.

Mit der Annahme einer solchen hypothetischen Einwilligung wird aber die ärztliche Aufklärungspflicht faktisch überflüssig, ohne dass für diese Rechtsfigur ein anzuerkennendes Bedürfnis besteht. Die im Zivilrecht geltende Regelung des § 630h II 2 BGB kann nicht im Strafrecht angewendet werden, weil hier der Grundsatz in dubio pro reo gilt und die Norm daher zu einer weit umfangreicheren Entlastung als im Zivilrecht führte. Ferner muss sich das entscheidende Gericht zu Beantwortung der Frage, ob eine Einwilligung denn erteilt worden wäre, in das Reich der reinen Spekulation begeben.
Die Figur der hypothetischen Einwilligung ist daher abzulehnen.

179
Q

die vorläufige Festnahme, § 127 I StPO

A

entsprechend den übrigen Rechtfertigungsgründen ist auch idR vorläufigen Festnahmen die Prüfung in Festnahmelage, Festnahmehandlung und dem subjektiven Rechtfertigungselement zu unterteilen.

Aufbau:

I. Festnahmelage
1. Betreffen oder Verfolgen auf frischer Tat
2. Festnahmegrund: Fluchtverdacht oder Sicherung der Identitätsfeststellung
II. Festnahmehandlung: Erforderlichkeit
III. subjektives Rechtfertigungselement: Festnahmeabsicht

180
Q

die vorläufige Festnahme - 1. Festnahmelage

A

a. Tat
- darunter ist jede Straftat oder sonstige rechtswidrige Tat gem § 11 I Nr.5 StGB zu verstehen
-P.: reicht das Bestehen eines dringenden Tatverdachts (=Festnehmender darf aufgrund der ihm erkennbaren äußeren Umstände bei pflichtgemäßer Prüfung von einer Straftat ausgehen), ohne dass tatsächlich eine Tat vorliegt?
—> eine tatsächlich vorliegende Tat sollte Voraussetzung sein (Argumente siehe KK 367/368)
P.: Festnahme erkennbar Schuldunfähiger? Gegenüber schuldunfähigen Kinder können keine strafrechtlichen Rechtsfolgen verhängt werden, weshalb nach hM die Möglichkeit der Festnahme abzulehnen ist. Gegenüber schuldunfähigen Erwachsenen hingegen kommen Maßnahmen der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) in Betracht, einen Festnahme soll daher möglich sein.

b. auf frischer Tat betroffen
- ist derjenige, der bei der Begehung einer Tat oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe gestellt wird (längere Verfolgung schließt das „Frischsein“ nicht aus)

c. Jedermann
- jedermann ist nicht nur der durch die Straftat Verletzte und nicht nur Staatsanwalt und Polizeibeamte. Für die letzten beide gilt jedoch zusätzlich § 127 II StPO

d. Festnahmegründe
aa. Fluchtverdacht
- liegt vor, wenn nach den erkennbaren Umständen des Falls vernünftigerweise die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Betroffene sich durch Flucht der Verantwortung entziehen will
bb. Identitätsfeststellung
- liegt vor, wenn der Name des Betroffenen unbekannt ist und er nicht ohne Vernehmung oder weitere Nachforschung sicher identifiziert werden kann

181
Q

die vorläufige Festnahme - 2. Festnahmehandlung/ Festnahmemittel

A

erfasst sind die mit der Festnahem verbundenen Freiheitsbeeinträchtigungen, wie auch durch festes Zupacken hervorgerufene körperliche Misshandlungen und „Fixieren am Boden“. Ob Private Schüsse auf den Flüchtenden abgegeben werden dürfen, sofern dies im Einzelfall verhältnismäßig wäre, ist umstritten. Hier spricht mehr für eine sehr zurückhaltende Zuerkennung von Festnahmemitteln (also keine Zulässigkeit des Waffeneinsatzes), weil auch die Situation (der Private übernimmt staatliche Aufgaben) eine Ausnahmesituation ist

182
Q

die vorläufige Festnahme - 3. subjektives Rechtfertigungselement

A

gemeint ist ein Handeln, um die Festnahme zu bewirken

183
Q

die vorläufige Festnahme - 4. Offenlegung der Festnahme

A

Er ist erforderlich, dass der sich auf das Festnahmerecht Berufende seine Intention dem Täter gegenüber offenlegt

184
Q

Unterschied zwischen Nothilfe gem § 32 StGB und dem Festnahmerecht gem § 127 I StPO

A

In Fällen, in denen eine Rechtfertigung wegen eines Festnahmerechts nach § 127 I StGB in Betracht kommt, kann häufig auch eine Notwehr oder Nothilfe gem § 32 StGB vorliegen

Grundsätzlich können die Rechtfertigungsgründe auch beide einschlägig sein; diese gelten dann unabhängig voneinander und nebeneinander

Allerdings bestehen auch Unterschiede, sodass nicht stets in Konstellationen de § 127 I StPO auch § 32 StGB einschlägig ist:
- In Bezug auf Kollektivrechtsgüter ist § 32 StGB nicht einschlägig; § 127 StPO kann hingegen einschlägig sein
—> U kippt literweise Altöl in die Dreisam. K sieht dies und hält U fest, bis die Polizei eintrifft
- „auf frischer Tat betroffen“ iSd § 127 I StPO ist in zeitlicher Hinsicht weiter als die Gegenwärtigkeit bei § 32 StGB

185
Q

das subjektive Element der Rechtfertigung

A

Rechtfertigungsgründe setzten das Vorliegen objektiver Merkmale, bspw einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff, sog Notwehrlage (§ 32 StGB), oder eine gegenwärtige, nicht anders anwendbare Gefahr, sog Notstandslage (§ 34 StGB), voraus

Darüber hinaus ist heute das Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements anerkannt.
Uneinheitlich beurteilt wird indes zum einen die Frage, wie diese subjektive Komponente beschaffen sein muss (1.) und welche Rechtsfolgen ihr Fehlen hat (2.)

Bsp.: T tötet O. Wie sich anschließende herausstellt, wollte O gerade den T erschießen, was dieser aber nicht wusste. Ist T nach § 32 StGB gerechtfertigt?

186
Q
  1. Erforderlichkeit eines subjektiven Rechtfertigungselementes
A

die heute ganz hM geht von der Erforderlichkeit eines subjektiven Rechtfertigungselementes aus. Umstritten ist allerdings, welche Anforderungen an diese subjektive Komponente zu stellen sind.

  • eine Ansicht lässt es ausreichen, wenn der Täter Kenntnis vom Vorliegen einer Rechtfertigungslage hat
  • die hM verlangt über die Kenntnis von der Notwehrlage hinaus auch einen Verteidigungswillen, d.h den Willen, zur Gefahrenabwehr tätig zu werden. Ausreichend sei dabei jedoch, dass der Wille zur Angriffsabwehr neben andern Motiven nicht völlig in den Hintergrund trete.
187
Q
  1. Rechtsfolgen des Fehlens eines subjektiven Rechtfertigungselements
A

nach vorzugswürdiger hL und nunmehr auch Rechtsprechung ist der Täter in diesen Fällen wegen Versuchs zu bestrafen.
Die Vorschriften über den Versuch (§§ 22 f. StGB) werden also analog auf diesen Fall angewandt. Diese Analogie ist auch im Blick auf den Art. 103 II GG unbedenklich, da sie täterbegünstigend ist

- + das Verhalten des Täters ist objektiv vom Gesetz gestattet, weshalb zwar der Handlungs-, aber kein Erfolgsunwert vorliegt. Auch nimmt der Täter wegen des Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes subjektiv an, Unrecht zu verwirklichen. Dies entspricht der Konstellation des Versuchs, bei dem aufgrund eines Mangels im objektiven TB ebenfalls nur Handlungsunwert existiert
188
Q

Irrtumsfragen bei der Rechtfertigung - 1. Erlaubnistatumstandsirrtum (ETI)

a. Problemstellung und Voraussetzung des ETI

A

Erlaubnistatumstandsirrtum- wie ist die Konstellation zu entscheiden, bei der sich der Täter eine Situation vorstellt, die (würde sie tatsächlich vorliegen) sein Handeln rechtfertigen würde?

Wichtig: Dies ist der erste Prüfungspunkt, wenn eine Konstellation des ETI in Betracht kommt

1. Irrtum in tatsächlicher Hinsicht: Irrt der potenzielle Täter über Tatsachen oder „nur“ über rechtliche Fragen? 
2. wenn er über Tatsachen irrte - hypothetische Rechtfertigung: wäre er gerechtfertigt, wenn die Tatsachen so vorliegen würden, wie es sich diese vorgestellt hat? Zu prüfen sind hier also eine hypothetische Rechtfertigungslage und eine hypothetische Rechtfertigungshandlung 

Die Theorien, wie dieser Irrtum über die Rechtfertigungslage zu behandeln ist, gehen insbesondere auf die Frage zurück, ob das Unrechtsbewusstsein (Einsicht, dass Verhalten rechtlich verboten ist) ein Element der Vorsatzebene oder aber erst ein Element der Schuldebene ist. Wie § 17 StGB zeigt, bekennt sich das StGB zur Schuldtheorie und sieht das Unrechtsbewusstsein als Teil der Schuld

Hieran anschließend: sollen die Irrtumsvorschriften des § 16 StGB oder des § 17 StGB Anwendung (oder entsprechende Anwendung) finden?
P.: wer Umstände annimmt, deren Vorliegen die Tat rechtfertigen würden, möchte im Einklang mit den Normen des Rechts agieren. Die Frage ist also, ob einem solchen Täter vorgeworfen werden kann, dass er sich wissentlich und willentlich von der Rechtsordnung distanzierte oder ob dieser Täter nicht vielmehr nur fahrlässig handelte.

Im Fall des ETI
- der Täter wird von der Warnfunktion des Strafdeliktes erreicht
—> ist derjenige, den die Warnfunktion erreicht, nicht gehalten, genau zu prüfen, ob Rechtfertigungsvoraussetzugen vorliegen. Sollte er im Rahmen dieser Prüfung einem Irrtum unterliegen, stellt sich die Frage, ob die Anwendung des § 16 I StGB nicht zu unflexibel gegenüber derjenigen des § 17 StGB ist, der eine Vermeidbarkeitsklausel aufweist

189
Q

Irrtumsfragen bei der Rechtfertigung - 1. Erlaubnistatumstandsirrtum (ETI)

b. Rechtsfolgen bei Vorliegen eines ETI
aa. Vorsatzausschließende Theorien

A

Im Folgendem geht es um die für die Fallbearbeitung wichtigen Theorien, nach denen dem ETI eine vorsatzausschließende Wirkung zukommt

(1. ) die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
- die Rechtfertigungsgründe sind Bestandteil eines Gesamt-Unrechtstatbestandes, es wird also nicht zwischen TB und Rechtfertigung getrennt
- die einzelnen Rechtfertigungsvoraussetzungen werden als negative Tatbestandsmerkmale verstanden. Der Vorsatz müsse daher ua auch das Nichtbestehen der negativen Tatbestandsmerkmale (=Rechtfertigungsvoraussetzungen) umfassen

der objektive TB eines Deliktes ist nach dieser Lehre demnach erfüllt wenn:
- die objektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen
- keine objektiven Rechtfertigungsmerkmale zugunsten des Täters einschlägig sind
subjektiv erforderlich sind mithin :
- Vorsatz, also das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung
- Kenntnis vom Nichtvorliegen eines Rechtfertigungsgrundes

ein Irrtum bezüglich einer Rechtfertigungsvoraussetzung (bspw Notwehrlage) führt hiernach folglich zu einer direkten Anwendung des § 16 I 1 StGB. Demgemäß entfällt der Vorsatz und es bleibt lediglich die Möglichkeit, aus einem Fahrlässigkeitsdelikt zu bestrafen

(2. ) die vorsatzausschließende eingeschränkte Schuldtheorie
- wendet § 16 I 1 StGB analog an und kommt ebenfalls zum Vorsatzausschluss (auf Tatbestandsebene)
- Rspr und BGH - dem ETI wird vorsatzausschließende Wirkung beigemessen

beachte: die Bezeichnung „eingeschränkte Schuldtheorie“ rührt aus folgender Überlegung: Nach der strengen Schuldtheorie ist ein Irrtum, der dem Täter das Unrecht seines Handelns verschleiert, eine Frage der Schuld, die dann nach § 17 gemildert oder bei einem unvermeidbaren Irrtum ausgeschlossen ist. § 16 StGB kommt allein bei der Verkennung der Tatumstände in Betracht. Die hier dargelegte Lehre „schränkt“ die Schuldtheorie insofern „ein“, als nicht nur der direkte Fall des § 16 I 1 StGB, sondern auch derjenige des ETI aus dem für den Täter nachteiligen Bereich des § 17 StGB herausgenommen wird. Sie ordnet also nicht „streng“ alle Irrtümer außer den Tatumstandsirrtum der Schuld zu.
(3. ) Kritik an den vorsatzausschließenden Theorien siehe KK 388 f.

190
Q

Irrtumsfragen bei der Rechtfertigung - 1. Erlaubnistatumstandsirrtum (ETI)

b. Rechtsfolgen bei Vorliegen eines ETI
bb. Entschuldigende Theorien
cc. die strenge Schuldtheorie

A

bb. Entschuldigende Theorien
- Im Folgenden geht es um die Theorien, nach denen dem ETI eine entschuldigende Wirkung zukommt

cc. die strenge Schuldtheorie
- nach diesen älteren Theorieströmungen sind nur solche Irrtümer, die sich auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen, dem § 16 StGB zuzuordnen.
- für alle andern Irrtümer und somit auf für den ETI gilt „streng“ der § 17 StGB

ein Verbotsirrtum liegt nach § 17 StGB vor, wenn dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Er weiß also, was er tut, wähnt sich dabei aber im Recht. Konsequenz ist gem § 17 StGB, dass er leihen Schuld handelt. Dies allerdings nur, wenn der Irrtum nicht vermeidbar war; hierfür gelten strenge Maßstäbe

Es soll daher nur darauf ankommen, ob der Irrtum vermeidbar war. Ist dies der Fall, weil die Verkennung der Sachlage auf Fahrlässigkeit beruhte, erfolge eine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt.

(-) die strenge Schuldtheorie verkennt einen tragenden Wertunterschied. Ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB ist dadurch geprägt, dass der Handelnde die Dimension von Recht und Unrecht verkennt. Beim ETI liegt jedoch keine fehlerhafte Rechtsauslegung vor, sondern eine Verkennung der Tatsachen, bei deren tatsächlichem Vorliegen der Handlende sich doch im Einklang mit der Rechtsordnung befände. Der Täter dehnt also gerade nicht die Normen des Rechts zu seinen Gunsten aus, sondern würde sich (entspräche seien Vorstellung der Wirklichkeit) im Rahmen des geltenden Rechts bewegen

191
Q

Irrtumsfragen bei der Rechtfertigung - 1. Erlaubnistatumstandsirrtum (ETI)

b. Rechtsfolgen bei Vorliegen eines ETI
dd. die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie

A

dd. die rechtfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie
- lehnt eine vorsatzausschließende Wirkung des ETI ab
- sie ist für die Kritik, die an der strengen Schuldtheorie geäußert wurde, empfänglich und sieht mit jener im Einklang auf Seiten des Täters nur einen verminderten Schuldgrad. Folgerichtig müsse die Tat in den Rechtsfolgen einer fahrlässigen Begehung gleichgestellt werden, ob dies strafbar (zB § 222, 229 StGB) ist oder nicht, kommt auf das jeweilige Delikt an

Dieses Ergebnis wird ebenfalls über eine Analogie zu § 16 I StGB erreicht, die sich dann aber nicht auf den Vorsatz, sondern lediglich auf die Vorsatzschuld bezieht. Die Vorsatzschuld als Element der Schuld wird dabei als Voraussetzung für eine Bestrafung aus einem Vorsatzdelikt angesehen. Der ETI wird aufgrund des geminderten Schuldgehalts des Täters lediglich in den Rechtsfolgen unter § 16 I 1 StGB subsumiert und zwar dergestalt, dass nicht der Vorsatz, sondern die Schuld (Vorsatzschuld) vereint wird

192
Q

Irrtumsfragen bei der Rechtfertigung - 2. Abgrenzung zum Verbotsirrtum

A

ein Erlaubnisirrtum ist die irrige Annahme eines nicht existierenden Rechtfertigungsgrundes. Dieser Irrtum ist gesetzlich nicht geregelt und wird wie der Verbotsirrtum über § 17 StGB behandelt.
- Bsp.: die Mutter denkt, die körperliche Züchtigung ihres Kindes sei durch das elterliche Erziehungsrecht gerechtfertigt.

ein Erlaubnisgrenzirrtum ist das Überschreiten der Grenze eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes und ebenfalls nach § 17 StGB zu behandeln
- Bsp.: Ein Angegriffener glaubt, er dürfe, obwohl genügend Zeit für einen Warnschuss besteht, ohne Vorwarnung auf den Täter schießen. Mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung liegt keine Rechtfertigung nach § 32 StGB vor

193
Q

Ungewissheitsprobleme

A

ob ein Angriff bzw eine Gefahr (=Rechtfertigungslage) vorliegt, beurteilt sich im Rahmen des ETI nach einer hypothetischen Prüfung auf der Grundlage der Tätervorstellung. Hierbei kann es zu einer irrtümlichen Bewertung der Sachlage kommen. Nicht erforderlich ist, dass der sich auf einen Rechtfertigungsgrund Berufende seine irrtümliche subjektive Annahme auch pflichtgemäß gebildet hat. Für das Eingreifen der Regeln über den ETI entscheidend bleibt allein die Prüfung, ob auf der Grundlage der Vorstellung des Täters die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorgelegen hätten.

Sofern der Täter den Irrtum hätte vermeiden können, kommt allerdings eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, sofern eine solche, wie bei §§ 222, 229 StGB, gegeben ist. Denn wie bereits dargelegt, wird ja derjenige, der einem ETI unterliegt, von der Warnfunktion des Strafgesetzes grundsätzlich erreicht. Er erkennt bspw, dass man eigentlich nicht töten darf, glaubt aber im konkreten Fall wegen der vermeintlichen Rechtfertigungslage, ausnahmsweise dazu berechtigt zu sein. Der Fahrlässigkeitsvorwurf knüpft dann also daran an, dass man trotz dieser Erkenntnis nicht näher geprüft hat, ob die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes denn tatsächlich gegeben sind.

Man muss im Gutachten daher darlegen, ob der Täter bei gewissenhafter Prüfung der konkreten Tatumstände hätte erkennen können, dass die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Dies ist aber eine Komponente der Fahrlässigkeit und nicht etwa eine Voraussetzung des ETI.

194
Q

der Irrtum über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Einwilligung

A
  1. Irrtum über das reale Vorliegen einer Einwilligung

Ist dem Täter das tatsächliche Vorliegen einer Einwilligung des Geschädigten nicht bekannt, so ist er bei gegebener Versuchsstrafbarkeit, wenn man wie hier die Einwilligung als tatbestandsausschließend ansieht, wegen (untauglichen) Versuchs des jeweiligen Delikts strafbar. Denn wegen der Einwilligung konnte er den TB nicht erfüllen. Das war ihm jedoch nicht bewusst und er ging subjektiv davon aus, tatbestandsmäßig zu handeln.
Hinweis: nach hM, die der Einwilligung rechtfertigende Wirkung zumisst, fehlt es am subjektiven Rechtfertigungselement. Im Ergebnis wäre dann nach hL ebenfalls ein Versuch zu prüfen.

  1. Irrtum über das reale Nichtvorliegen einer Einwilligung

Im umgekehrten Fall der tatsächlich nicht (wirksam) erteilten Einwilligung, bei dem der Täter jedoch deren Vorliegen irrtümlich annimmt, liegt ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum nach § 16 I 1 StGB vor, wenn man wie hier der Rechtfertigung tatbestandsausschließende Wirkung beimisst. Soweit gesetzlich vorgesehen, kommt dann gem § 16 I 2 StGB allenfalls eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht
Hinweis: nach hM, die der Einwilligung rechtfertigende Wirkung zumisst, läge in diesem Fall ein ETI vor

195
Q

Schuld und präventive Notwendigkeit als Voraussetzungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit

A

das StGB unterscheidet streng zwischen Unrecht und Schuld:

- im Unrechtsbereich wird die mit Strafe bedrohte Handlung auf ihre Übereinstimmung mit den Sollensnormen der Rechtsordnung, d.h der auf ihre Rechtswidrigkeit hin, überprüft 
- Im Schuldbereich geht es dagegen um die Frage, ob dem Täter die rechtswidrige Tat persönlich vorzuwerfen ist 

Verantwortlichkeit (Schuld iwS):

- Schuld ieS (Handeln trotz Erkenntnis der Appellwirkung der Norm und Fähigkeit zur Selbststeuerung)
- präventive Bestrafungsnotwendigkeit (keine Bestrafungsnotwendigkeit in Ausnahmesituationen wie §§ 33, 35 StGB)

Die Verantwortlichkeit bezeichnet nach der Rechtswidrigkeit eine weitere, idR die Strafbarkeit auslösende Bewertung im Rahmen des Deliktsaufbaus.
Die Verantwortlichkeit bedeutet eine Wertung unter dem Gesichtspunkt der strafrechtlichen Haftbarmachung des Täters.
Die Verantwortlichkeit hängt von zwei Gegebenheiten ab, die zum Unrecht hinzukommen müssen:
- Schuld des Täters
- präventive Notwendigkeit der strafrechtlichen Ahndung

der Täter handelt schuldhaft, „wenn er strafrechtliches Unrecht verwirklicht, obwohl er in der konkreten Situation von der Appellwirkung der Norm (noch) erreicht werden konnte und eine hinreichende Fähigkeit zur Selbststeuerung besaß, so dass eine rechtmäßige Verhaltensalternative ihm psychisch zugänglich war“.

präventive Bestrafungsnotwendigkeit beim entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB)

- die Gefahr zur Not hätte auch ertragen werden können und der Täter hätte eine rechtmäßige Verhaltensalternative gehabt. 
- sonst könnte er im Rahmen des § 35 I 2 StGB nicht rechtmäßig Handeln und Hinnahme der Gefahr ohne Verstoß gegen den Schuldgrundsatz fordern. 
- wenn er im Regelfall des § 35 I 1 StGB dennoch auf Strafe verzichtet, tut er dies trotz gegebener Schuld, weil er in solchen Ausnahmesituationen eine präventive Bestrafungsnotwendigkeit nur in den Sonderfällen des § 35 I 2 StGB für gegeben hält 

Schuldbegriff im StGB umfasst den gesamten Bereich der Verantwortlichkeit (Schuld im hier verstandenen Sinne und das Bedürfnis präventiver Bestrafungsnotwendigkeit)
Wenn nach § 35 StGB der Notstandstäter „ohne Schuld“ handelt, dann bedeutet das: Ohne Verantwortlichkeit

196
Q

die Bedeutung des Schuldprinzips

A
  • Schuld als strafbarkeitsbegründendes und - begrenzendes Verbrechensmerkmal: keine Strafe ohne Schuld; ein in dem Art. 1, 20 GG enthaltener Verfassungsgrundsatz
  • Die Schuld des Täters muss alle Elemente des verwirklichten Unrechts umfassen: Unrecht und Schuld sind aufeinander bezogen, sie müssen einander entsprechen
  • die verhängte Strafe muss schuldangemessen sein: Die Strafe darf das Maß der Schuld nicht überschreiten (vgl. § 46 I 1 StGB: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.“)
197
Q

Vom psychologischen zum normativen Schuldbegriff

A

das StGB bestimmt den Begriff „Schuld“ nicht

  1. psychologischer Schuldbegriff (früher vertretene „psychologische Schuldauffassung“):
    • das Wesen der Schuld bestand in der subjektiv-seelischen Beziehung des Täters zur Tat
    • Schuldbegriff wird mit psychischen Sachverhalt identifiziert
    • Vorsatz und Fahrlässigkeit als als „Schuldarten“ (eine Tat wir danach also schuldhaft begangenen, wenn und weil der Täter des objektiven TB vorsätzlich oder fahrlässig verwirklicht hat)
    • Kritik:
      —> Schuldfähigkeit einer unbewusst fahrlässigen Handlung nicht erklärbar (hier fehlt eine psychische Beziehung zwischen Tat und Täter)
      —> Entfallung der Schuld eines vorsätzlichen Handelns unter den Voraussetzungen des § 35 StGB oder des § 20 StGB nicht erklärbar
  2. der normative Schuldbegriff
    • das Wesen der Schuld liegt in der Vorwerfbarkeit der Willensbildung und Willensbetätigung (also in der normativen Bewertung eines psychischen Sachverhalts)
    • Vorwerfbarkeit ist trotz normativer Ansprechbarkeit als unrechtes Handeln anzusehen (demnach ist die Vorwerfbarkeit zu bejahen, wenn jemand im Rahmen seiner Tat unrechtmäßig gehandelt hat, obwohl die Rechtsordnung seiner geistigen und seelischen Verfassung nach von seiner Fähigkeit zum normorientierten Verhalten ausgehen durfte)
    • nach vertretender Auffassung umfasst der komplexe Begriff der Strafrechtsschuld:
      • die Schuldfähigkeit
      • die in bestimmten Fällen vorgesehenen speziellen Schuldmerkmale
      • die Schuldform (Vorsatz- und Fahrlässigkeitsschuld) - das Unrechtsbewusstsein (Möglichkeit der Unrechtseinsicht)
      • (negativ) das Fehlen von Entschuldigungsgründen
  3. Bewertung
    • die Vorwerfbarkeit ist nur notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung der Verantwortlichkeit
    • vielmehr muss eine präventive Saktionsnotwendigkeit hinzukommen
    • Bsp.: Notwehrexzess gem § 33 StGB: der Notwehrexzess ist schuldhaft und damit vorwerfbar begangen; gleichwohl wird der Täter nicht verantwortlich gemacht, weil der Gesetzgeber es bei den genannten Affekten nicht für nötig hält, auf Notwehrüberschreitungen mit Strafe zu reagieren
198
Q

Schuld und Willensfreiheit

A

Wenn dem Täter nach der normativen Schuldlehre die Willenbetätigung vorwerfbar sein muss, dann sollt er zumindest die reale Möglichkeit haben, eine Tat vermeiden zu können. Hierfür muss er in der Lage sein, sich frei für oder gegen ein bestimmtes Handeln entscheiden zu können

  1. das Libet´sche Experiment
    • zeitlicher Abstand zwischen der Ingangsetzung neuronalen Prozesse und dem Bewusstwerden der Handlung
    • trotzdem: menschliches Verhalten beruht auf bewussten Motiven
    • bei alltäglichen Routineentscheidungen entscheidet der Mensch mit einem geringeren Grad an Willensfreiheit als bei bedeutenderen Entscheidungen, die aufgrund ihrer Tragweite eines umfänglichen Abwägungsprozesses und mehr Achtsamkeit bedürfen
  2. Konsequenzen für den normativen Schuldbegriff
    • Wir erleben uns als frei handelnde Menschen, unser Zusammenleben danach ausrichten und dementsprechend auch daran anknüpfende Sanktionen der Gesellschaft als legitime Reaktion empfinden
    • nach hM enthält sich das Strafrecht also des wissenschaftlichen Streits um die Entscheidungsfreiheit des Menschen
    • fernab der Wissenschaft lebt das menschliche Zusammenleben, wie ihr es kennen, von der Überzeugung, dass ein jeder frei über sein Handeln entscheiden kann (jedem Mensch wird die Entscheidungsfreiheit zugebilligt)
199
Q

Unternehmensstrafbarkeit

A

nut natürliche Personen können schuldhaft handeln (eine Strafbarkeit juristischer Person ist damit ausgeschlossen)

200
Q

Gegner des Schuldprinzips

A

teilweise wird der Schuldbegriff als unbrauchbar angesehen und abgelehnt

nach Hörnle kann dem individuellen Täter nicht nachgewiesen werden, dass er sich zum Tatzeitpunkt tatsächlich vor Handlungsalternativen gestellt sah, daher dürfte der Vorwurf „Du hättest anders handeln können“ staatlicherseits nicht erhoben werden.

201
Q

die Schuldfähigkeit

A

das StGB regelt die Frage der Schuldfähigkeit negativ, indem es nur bestimmt, wann ein Täter nicht ode nur vermindert schuldfähig ist. Damit bringt das Strafgesetz zum Ausdruck, dass es idR von der Schuld des Täters ausgeht. Im Rechtsgutachten hat dies zur Konsequenz, dass längere Ausführungen zur Schuld nur dann erforderlich sind, wenn Anhaltspunkte für das ausnahmsweise Fehlen der Schuld gegeben sind

202
Q

die Schuldunfähigkeit

A

um schuldig sein zu können, muss der Täter im Zeitpunkt der Tatbegehung (vgl. §§ 19, 20 StGB) schuldfähig sein
Schuldunfähige belieben straflos (möglich ist aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (§§ 63, 64 StGB, § 7 JGG)

schuldunfähig sind:

- Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr (vgl. § 19 StGB) 
- Personen, die wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig sind, das Unrecht der Tat einzusehen der nach dieser Einsicht zu handeln (vgl § 20 StGB) 

Prüfung der Schuld(un)fähigkeit in zwei Schritten (da § 20 StGB psychisch-biologische Faktoren und psychisch-normative Aspekte kombiniert:

- in einem Schritt ist zu prüfen, ob als biologisches Merkmal eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, eine Intelligenzminderung oder eine schwere andere seelische Störung vorliegt 
- in einem zweiten Schritt ist festzustellen, dass der Täter wegen des festgestellten biologischen Merkmals unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen bzw nach dieser Einsicht zu handeln
203
Q

die Schuldunfähigkeit - 1. krankhafte seelische Störung

A

krankhafte seelische Störungen sind Geisteskrankheiten, deren somatische Ursachen nachgewiesen sind bzw postuliert werden. Hierher gehören hirnorganisch bedingte Zustände, Psychosen und Schizophrenie

praktische wichtigste/ klausurrelevante Störung: alkohol- oder drogenbedingter Vollrausch (Fallgruppe der krankhaften seelischen Störung)

- kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, das ein Mensch bei einer bestimmten BAK immer schuldunfähig ist 
- die Umstände des Einzelfalls sind maßgeblich (BAK als Indiz, äußere und innere Umstände Aspekte des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung 
- in der Klausur: Promilleangaben ohne Hinweis darauf, was aus ihnen zu schließen ist, dürfen nicht für Fragen von §§ 20, 21 StGB interpretiert werden
- im Zusammenhang mit einer alkoholbedingten Schuldunfähigkeit - Höhe des Blutalkoholgehalts zum Tatzeitpunkt (individueller Abbauwert medizinisch nicht feststellbar, daher: in-dubio-Grundsatz)
204
Q

die Schuldunfähigkeit - 2.tiefgreifende Bewusstseinsstörung

A

schwere nichtkrankhafte Beuwusstseinseintrübungen, die nicht mehr im Bereich des Normalen liegen.
Beispiele hierfür sind Schlaftrunkenheit, Hypnose und hochgradige Affekte

205
Q

die Schuldunfähigkeit - 3. Intelligenzminderung

A

angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare organische Ursache.
Erfasst werden heir insbesondere die Debilität und die Idiotie. Es bedarf nach der Rspr. jeweils einer Bewertung im Einzelfall, wobei es auch sein kann, dass eine Intelligenzminderung als Eingangsmerkmal erst im Zusammenwirken mit andern Faktoren (zB einem Erregungszustand) zur Schuldunfähigkeit führt.

206
Q

schwere und andere seelische Störung

A

mit anderen schweren seelischen Störungen sind psychische Abweichungen von Normalen gemeint, die keinem der anderen Eingangsmerkmal zugeordnet werden können (Auffangbegriff)
- Erscheinungsformen: Neurosen, Psychopathien (Pädophile erkennt die Rspr nur an, wenn im Einzelfall nach einer Gesamtschau der Umstände von einer „eingeschliffene Verhaltensschablone“ hinsichtlich des Sexualverhaltens ausgegangen werden kann)

mit dem Fortschritt der Hirnforschung können psychische Störungen zunehmend auf physiologischen Begebenheiten zurückgeführt und damit bereits dem Merkmal der krankhaften seelischen Störung zugeordnet werden. Die „schwere andere seelische Störung“ verliert damit an Bedeutung

207
Q

verminderte Schuldfähigkeit

A

vermindert schuldfähig sind gem § 21 StGB Personen, deren Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aus einem in § 20 StGB genannten Grund erheblich vermindert ist.
Der verminderte Schuldfähige kann (muss aber nicht) milder bestraft werden (fakultativer Strafmilderungsgrund, vgl §§ 21, 49 StGB)

auch hier existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz, nachdem bei einer bestimmten BAK von einer verminderten Schuldfähigkeit auszugehen ist. Entscheidend sind auch hier stets die Umstände des Einzelfalls.

208
Q

bedingte Schuldfähigkeit

A

bedingt schuldfähig sind Jugendliche, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (§ 3 JGG). Bei ihnen muss die Schuldfähigkeit nach dem Grad ihrer Entwicklungsreife jeweils geprüft und im Urteil besonders festgestellt werden. Es bedarf nicht nur der Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen. Ferner muss der Jugendliche auch in der Lage gewesen sein, entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Diese Fähigkeit ist dabei nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen und bedarf gleichfalls besonderer Feststellung. Die Praxis geht hier häufig relativ sorglos vor und unterstellt die Schuldfähigkeit routinemäßig bei Jugendlichen, die mind 14 Jahre alt sind, sofern keine besonderen Umstände vorliegen.

209
Q

Actio libera in causa

A

Es fragt sich, wie der Fall zu behandeln ist, dass der Täter im Zeitpunkt der eigentlichen Tathandlung schuldunfähig ist, er jedoch im schulfähigen Zustand den Grund für seine Schuldunfähigkeit zuvor selbst gesetzt hat.
- Bsp.: Um O zu töten, trinkt sich A in einem solchen Maße Mut an, dass er im Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses den Zustand des § 20 StGB erreicht

Unter der actio libera in causa ist das verantwortliche Ingangsetzen eines Geschehensablaufs zu verstehen, das im Zustand der Schuldunfähigkeit zur Tatbestandsverwirklichung führt, wobei die in causa freie Handlung (actio) darin liegt, dass der (auch vermindert) schuldfähige Täter den Zustand des § 20 StGB selbst herbeiführt.
Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit ist somit nicht die unmittelbare tatbestandsverwirklichende Handlung, sonder der Akt, der durch den sich der Täter in die schuldunfähige Lage versetzt

Angesichts des klaren Wortlauts des § 20 StGB („bei Begehung der Tat“) ist jedoch problematisch, ob und wie man eine Strafbarkeit in diesen Fällen dogmatisch begründen kann.

210
Q

Actio libera in causa - 1- Ausnahmemodell

A

nach dem sog Ausnahmemodell wird weiter an die eigentliche tatbestandsmäßige, im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Handlung angeknüpft.

Verstoß gegen das Schuldprinzip und damit das Analogieverbot (Art. 103 II GG)

Ausnahme vom Koinzidenzprinzip des § 20 StGB - Täter handle rechtsmissbräuchlich, wenn er sich auf einen Strafbarkeitsmangel in seiner Person berufen will, den er selbst herbeigeführt hat

211
Q

Actio libera in causa - 2. Ausdehnungsmodell

A

nach dem Ausdehnungsmodell wird der Begriff „bei Begehung der Tat“ extensiv ausgelegt, so dass die Tatbegehung iSd § 20 StGB den gesamten Zeitraum vom Beginn des Sich-Berauschens bis zur Vollendung der eigentlich tatbestandsmäßigen Handlung umfasst

Kritik:
- der Begriff „bei Begehung der Tat“ wird in § 8 S.1 StGB legaldefiniert als die Zeit, zu der der Täter gehandelt hat. Eine erweiternde Auslegung ist daher nicht ohne Verstoß gegen das Analogieverbot des Art. 103 II GG möglich

212
Q

Actio libera in causa - 3. Tatbestands- bzw Vorverlagerungsmodell

A

nach dem von der hM vertretenden Tatbestands- bzw Vorverlagerungsmodell ist die actio libera in causa lediglich ein spezieller Anwendungsfall der allgemeinen Zurechnungsregeln. Die Verletzung des Koinzidenzprinzips soll hier dadurch vermieden werden, dass bereits das sich-Berauschen im schuldfähigen Zustand für tatbestandsrelevant gehalten und mithin als Teil der Tatbegehung angesehen wird.
Das Merkmal „bei Begehung der Tat“ (§ 20 StGB) erfordere nicht das Vorliegen der Schuldfähigkeit während der gesamten Tatausführung. Es reiche vielmehr aus, wenn der Täter zumindest bezüglich eines Teils der (mit der Eintritt in das Versuchsstadium beginnenden) Tat schuldfähig gewesen ist.

Mithilfe der csqn-Formel lässt sich das Geschehen bis zum Zeitpunkt der Defektbegründung zurückverfolgen. Besteht in diesem Moment ein Schuldbezug auch zum späteren Verhalten, erscheint es gerechtfertigt, auch bereits hieran der Schuldvorwurf zu knüpfen. Da aber nicht jedes Setzen einer Ursache schon Versuchsbeginn oder gar Tatbestandsverwirklichung bedeutet, kann das sich-Berauschen nur genügen, wenn es sich auch als unmittelbares Ansetzen zur Tat (§ 22 StGB) darstellt, was die Tatbestandslösung bejaht

eine Straftat durchläuft stets verschiedene Verwirklichungsstufen (strafloses Vorbereitungsstadium, Versuchsstadium, Vollendung und Beendigung). Der strafbare Bereich wird (sofern gesetzlich angeordnet, § 23 I StGB) mit Eintritt in das Versuchsstadium erreicht. Das ist gem § 22 StGB dann der Fall, wenn der Täter mit Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Z.B. setzt unmittelbar zu einer Körperverletzung an, wer einen Baseballschläger in Richtung auf den Körper des potenziellen Opfers schlägt, das aber durch eine geschickte Ausweichbewegung einem Aufprall entkommt.

Das Tatbestandsmodell geht dabei davon aus, dass das Sich-Berauschen schon als unmittelbares Ansetzen verstanden werden könne, weshalb des Täter in einem Zeitpunkt noch schuldfähig war, der bereits zum Bereich der Deliktsverwirklichung gehöre; dies sei ausreichen.

213
Q

Actio libera in causa - 4. Modell der mittelbaren Täterschaft (im Ergebnis eine Ausgestaltung von 3.)

A

Schließlich lässt sich die actio libera in causa auch über eine Parallele zur mittelbaren Täterschaft erklären.

Der Sich-Betrinkende macht sich selbst zum schuldlos handelnden Werkzeug, das unmittelbar die Tat verwirklicht. Entsprechend der Konzeption bei mittelbarer Täterschaft stellt die Einwirkung auf das Tatwerkzeug das tatbestandliche Verhalten des mittelbaren Täter dar.

gem § 25 I Alt.2 StGB kann sich ein Täter wegen sog. mittelbaren Täterschaft strafbar machen, wenn er eine Straftat „durch einen anderen“ begeht. Dies setzt voraus, dass ich sich der Täter eines anderen Menschen als Werkzeug bedient. Hierfür muss bei dem potenziellen Werkzeug ein Defekt vorliegen (zB fehlende Schuld eines Kindes oder mangelnder Vorsatz) und der Täter kraft Wissens- oder Willensherrschaft als der Tat „Lenkende“ erscheinen, insoweit also Tatherrschaft haben.
Das Modell der mittelbaren Täterschaft will diese Überlegungen auf die Konstellation der actio libera in causa und damit auf die Situation übertragen, dass sich der Täter selbst zum Werkzeug macht, weil er sich vorsätzlich in einen seine Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt und daher die Herrschaft über das Geschehen hat.

Bei sog. eigenhändigen Delikten greift nach diesem Modell die actio libera in causa nicht (das sieht die Rspr auf Grundlage des Tatbestandsmodells so). Nach hM ist bei ihnen eine Begehung in mittelbarer Täterschaft ausgeschlossen, weil nur die eigenhändige Vornahme der Handlung das deliktsspezifische Unrecht verwirklicht.

214
Q

Gegner einer actio libera in causa („Unvereinbarkeitslehre“)

A

eine verbreitete Literaturmeinung hält dagegen eine wie auch immer konstruierte alic für verfassungswidrig

Argumente siehe KK 441 (§18 VL)

Nachvollziehbar sind deshalb die immer wieder erhobenen Forderungen nach eindeutiger und dogmatisch unangreifbarer Lösungen iRe ausdrücken Regelungen durch die Gesetzgebung

215
Q

Besonderheiten der Rechtssprechung bei der alic

A

die Grundsätze der der alic sind im Bereich der Straßenverkehrsdelikte nicht anwendbar

  • Ausnahmemodell und Ausdehnungsmodell sind als verfassungswidrig abzulehnen
  • Straßenverkehrsdelikte sind verhaltensgebundene Delikte. Die Straßenverkehrsbestände knüpfen an das Führen eines Fahrzeugs an, das Sich-Berauschen kann jedoch noch nicht als Beginn des Führens eines Fahrzeuges verstanden werden
  • eine mittelbare Täterschaft kommt nicht in Betracht und die alic kann somit auch nicht als eine Sonderform der mittelbaren Täterschaft begründet werden (Straßenverkehrsdelikte sind eigenhändige Delikte)
216
Q

Vorsätzliche und fahrlässige alic

A

Bisher wurde nur erörtert, ob und wie die Rechtsfigur der alic überhaupt eine tragfähige Begründung einer Strafbarkeit trotz Schuldunfähigkeit im Moment der eigentlichen Tathandlung ermöglicht. Im Folgenden geht es dagegen um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Strafbarkeit wegen einer Vorsatztat möglich ist

217
Q
  1. Vorsätzliche alic
A

nach hM kann der bei der konkreten Tathandlung bestehende Schuldmangel zur Begründung einer Vorsatzstrafbarkeit nur durch das Bestehen einer doppelten Schuldbeziehung zwischen dem Sich-Berauschen und der späteren Tatbestandsverwirklichung ausgeglichen werden

Voraussetzung dafür ist der sogenannte Doppelvorsatz:

- Vorsatz bezüglich der Herbeiführung des Zustands des § 20 StGB 
- Vorsatz bei der Defektbegründung hinsichtlich des späteren im Defektzustand zu verwirklichenden Tatbestands

Tatvorsatz und Tatablauf müssen sich auch be der alic in den wesentlichen Grundzügen decken. Besondere Probleme ergeben sich daher, wenn das spätere Geschehen einen andern Verlauf nimmt, als der Täter im Zeitpunkt des Sich-Betrinkens vorausgesehen hatte.

218
Q
  1. Vorsätzliche alic - a. Vorsatzwechsel
A

a. Vorsatzwechsel

- der Täter ändert im betrunkenen Zustand seine Pläne und es kommt somit zu einem beachtlichen Vorsatzwechsel

219
Q
  1. Vorsätzliche alic - b. Error in persona vel objecto
A

b. Error in persona vel objecto

Bsp.: A trinkt sich Mut an, um O später im volltrunkenen Zustand zu erschießen. Dabei hat der Alkohol die Sinne des A jedoch so sehr beeinträchtigt, dass sie später W erschießt, den sie im schuldunfähigen Zustand für O gehalten hat

nach der Rspr soll der error in persona vel objecto im Zuge der Tatausführung bei der alic genauso unbeachtlich sein wie im Übrigen auch

nach hL bewirkt der error in persona vel objecto des Volltrunkenen eine beachtliche und damit vorsatzausschließende wesentliche Abweichung des vorgestellten vom tatsächlichen Kausalverlaufs

220
Q
  1. Vorsätzliche alic - c. Exkurs: der Versuchsbeginn bei der alic
A

c. Exkurs: der Versuchsbeginn bei der alic

Da der Strafbarkeitsbeginn über das Tatbestandsmodell und den Erklärungsversuch als Sonderfall der mittelbaren Täterschaft auf den Zeitpunkt der Defektbegründung vorverlegt wird, wäre es nur konsequent, den Versuchsbeginn im unmittelbaren Ansetzen (vgl § 22 StGB) zum Sich-Berauschen zu sehen.
Anderseits würde damit der Versuch entgegen allgemeiner Regeln schon zu einem Zeitpunkt beginnen, in dem das Rechtsgut noch nicht gefährdet erscheint und in dem es zur Tatbestandsverwirklichung noch mehrere Zwischenakte bedarf. Dies wird überwiegen kritisch gesehen, was dann aber ein Argument gegen dieses Begründungsmodell wäre. Allerdings erscheint es wiederum denkbar, das Ansetzen zum Sich-Berauschen dann als Versuchsbeginn zu charakterisieren, wenn danach ohne größeren weiteren Zeitablauf die eigentliche Tatverwirklichung beginnen soll

221
Q
  1. Fahrlässige alic
A

Die vorsätzliche alic umfasst also nur Fälle, in denen der Täter mit dem umschriebenen Doppelvorsatz handelt.

fahrlässige alic:
- wenn der Täter den Defekt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, dabei aber „nur“ in fahrlässiger Weise nicht bedenkt oder nicht damit rechnet, dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit eine bestimmte Straftat verwirklichen werde und er im Zustand der Schuldunfähigkeit dann diese Straftat begeht

Konstruktion einer fahrlässigen alic schlicht überflüssig - siehe Urteil BGHSt 42, 235, 237

222
Q

Einschränkung der alic durch BGHSth 42, 235

A

Ausschluss der alic bei auch auf das Verhalten bezogenen bzw. eigenhändigen Delikten (z.B §§ 316 StGB, 315c)

kein Bedürfnis für fahrlässige alic bei Erfolgsdelikten, da bei fahrlässigen Erfolgsdelikten idR auf das der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung vorangegangene Verhalten des dann noch schuldfähigen Täters zurückgegriffen werden kann, das schon ursächlich und sorgfaltswidrig bzgl späteren Erfolgs war

Konsequenz: Es gibt nur die vorsätzliche alic bei „schichten“ Erfolgsdelikten

223
Q

die gesetzliche Regelung des Verbotsirrtums

A

der Verbotsirrtum ist in § 17 StGB normiert. Er zeichnet dich dadurch aus, dass der Täter im Bewusstsein der „wahren“ Tatumstände nicht erfasst, dass er Unrecht begeht. Der Täter wähnt sich im Recht

der Verbotsirrtum ist im Falle seiner Unvermeidbarkeit ein Schuldausschließungsgrund (§ 17 S.1 StGB), im Falle der Vermeidbarkeit obliegt es dem Richter, die Möglichkeit einer Strafmilderung anhand der Umstände, die den Täter zum Handeln bewogen haben, zu prüfen (§ 17 S.2 StGB)

224
Q

der Gegenstand des Unrechtsbewusstseins

A

das Unrechtsbewusstsein bezeichnet das Wissen des Täters darüber, dass sein Handeln rechtlich nicht erlaubt ist. Hierbei ist nach hM nicht das Bewusstsein der Strafbarkeit des Handelns erforderlich, bereits die Kenntnis des Verbots muss für den Täter auf jeden Fall genügen, um diesen zu rechtstreuem Verhalten zu motivieren.

Im Falle einer Handlung, die mehrere TB erfüllt, vgl § 52 StGB, ist es denkbar, dass dem Straftäter das Unrechtsbewusstsein bezüglich eines TB fehlt, den er mit dieser Handlung verwirklicht, wohingegen er das Bewusstsein bezüglich eines andern TB besitzt. Aber auch innerhalb eines TB kann das Unrechtsbewusstsein bezüglich der unterschiedlichen TBMerkmale divergieren.

komplizierte konkrete Anwendung der Formel trotz deutlicher Definition: Bsp.: Totschlag ist gem § 212 StGB verboten, kann in einer Notwehrsituation aber erlaubt sein.

keine Bedeutung für das Unrechtsbewusstsein kommt einer sittlichen Wertung zu, da sittliche Wertungen nicht mit rechtlichen Verboten übereinstimmen müssen. Kenntnis der Sittenwidrigkeit genügt daher nicht

Auch der Bewertung einer Handlung als sozialschädlich kommt lediglich indizielle Bedeutung zu. Die alleinige Kenntnis der Sozialschädlichkeit ist somit nicht ausreichend für ein Unrechtsbewusstsein. Der Grund ist darin zu sehen, dass das Recht zwar sozialschädliche Handlungen idR verbietet, hierzu jedoch nicht verpflichtet ist. So gibt es diverse erlaubte sozialschädliche Handlungen.

Umstritten ist, ob auch das Bewusstsein genügt, im zivilrechtlichen Sinne etwas Verbotenes zu tun. Der Grundsatz der Teilbarkeit des Unrechtsbewusstsein spricht dagegen. Wer weiß, dass er etwas zivilrechtliches Verbotenes tut, weiß noch nicht zwingend, welche Relevanz für das Strafrecht dies entfaltet

225
Q

die Erscheinungsformen des Unrechtsbewusstseins - 1. der Irrtum über die Existenz eines Verbotes

A

Bsp.: A sieht eine Leichenzug. Der verstorbene B ist sein Erzfeind. A gönnt ihm den Leichenzug nicht und behindert diesen erheblich, dabei weiß er nicht, dass diese Handlung gem § 167a StGB verboten ist. Hier unterliegt A einem Verbotsirrtum

226
Q

die Erscheinungsformen des Unrechtsbewusstseins - 2. der Irrtum über Existenz oder Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes

A

der Irrtum über die Existenz oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes wird als sog. indirekter Verbotsirrtum (= Erlaubnisirrtum bzw Erlaubnisgrenzirrtum) bezeichnet

Bsp. für einen Erlaubnisirrtum:
- eine Muter geht davon aus, Schläge gegen ihr Kind können aufgrund eines Züchtigungsrechts gerechtfertigt sein.

Bsp. für Erlaubnisgrenzirrtum:
- ein Angegriffener glaubt, er dürfe, obwohl genügend Zeit für einen Warnschuss besteht, ohne Vorwarnung auf den Täter schießen. Mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung liegt keine Rechtfertigung nach § 32 StGB vor

227
Q

die Erscheinungsformen des Unrechtsbewusstseins - 3. der Subsumtionsirrtum

A

Subsumtionsirrtum als Auslegungsirrtum:

- nicht zwingend ein Verbotsirrtum, muss vom Tatumstandsirrtum abgegrenzt werden
- Schon bei der Vorsatzprüfung ist zu fragen, ob der Täter in Form einer Parallelwertung in der Laiensphäre den sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt der objektiven TBMerkmale erfasst hat. Ist dies der Fall, bleibt sein Tatbestandsvorsatz bestehen, auch wenn er juristisch gesehen einer Fehlbewertung unterliegen sollte. Diese kann dann jedoch zum Fehlen des Unrechtsbewusstsein führen. 
- Ein Subsumtionsirrtum ergibt sich zumeist bei der Auslegung komplizierter normativer TBMerkmale 

Bsp.: A radiert ein Strich auf dem Bierfilz weg, durch den der Kellner die Anzahl der getrunkenen Biere beweisen möchte, um seine Kosten zu senken.
—> ein Tatumstandsirrtum läge dann vor, wenn A die Relevanz der Strichs nicht kennen und aus Lageweile eines Strich wegradieren würde
—> erkennt A, dass der Bierdeckel die Grundlage der späteren Abrechnung darstellen soll, nimmt gleichzeitig aber irrig an, nur richtige Schriftstücke seien Urkunden und genössen den Schutz der Rechtsordnung, handelt er gleichwohl vorsätzlich, befindet sich aber in einem Subsumtionsirrtum, der hier zugleich ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum ist. Hält A die Beweisfälschung zwar als solche verboten, aber nicht für strafbar, liegt ein unbeachtlicher Strafbarkeitsirrtum vor

228
Q

die Erscheinungsformen des Unrechtsbewusstseins - 4. die Bewusstseinsformen des Verbotsirrtums

A

Hiermit ist die Frage angesprochen, wie das Unrechtsbewusstsein beschaffen sein muss.
Konkret: Muss sich der Täter bei Begehung der Tat über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens insoweit bewusst sein, dass er sich im Moment der schädigenden Handlung die Rechtswidrigkeit noch einmal bewusst macht?
Nach hM ist es nicht Voraussetzung, dass der Täter erst in einen Gewissensstreit bezüglich der Rechtswidrigkeit der Handlung eintritt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Täter, der in dem Kulturkreis aufgewachsen ist, dessen Strafgewalt ihn im konkreten Fall erfassen soll, sich implizit der Ge- und Verbote bewusst ist.

229
Q

die Erscheinungsformen des Unrechtsbewusstseins - 5. das bedingte Unrechtsbewusstsein

A

Es ist denkbar, dass der Täter nicht sicher darüber ist, ob die Rechtsordnung ein Verhalten verbietet oder erlaubt. Die Rspr sieht in einem solchen Fall keine Möglichkeit für den Handelnden, sich auf einen Verbotsirrtum zu berufen.
Begründung: Wer eine Vorstellung davon hat, möglicherweise Unrecht zu tun, und ernsthaft an der Erlaubtheit seines Tuns zweifelt, verfügt über ein hinreichendes Maß an Unrechtsbewusstsein.
Ein bedingtes Unrechtsbewusstsein liegt (parallel zum Eventualvorsatz) vor, wenn der Tatbeteiligte mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt

230
Q

Vermeidbarkeit und Rechtsfolgen bei Verbotsirrtum - 1. die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums - a. Allgemeines

A

a. Allgemeines
- die ausdifferenzierte Regelung des § 17 StGB folgt den allgemeinen Prinzipien der Schuld; s. § 20 StGB: wer schon keine Möglichkeit hat, das Unrecht der Tat einzusehen, handelt ohne Schuld. Diesen Gedanken greift die Regelung des § 17 S.1 StGB bezüglich des unvermeidbaren Verbotsirrtums auf. Beim vermeidbaren Verbotsirrtum hat der Täter jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, sich Kenntnis über das Unrechtsurteil seiner Handlung zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist der Schuldvorwurf angezeigt. Die flexible Möglichkeit, die Strafe nach § 49 I StGB zu mildern, ermöglicht es, dem jeweiligen Schuldgrad gerecht zu werden.

Vermeidbarkeitsmaßstab (Definition BGH):
- „Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannungen des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. Das setzt voraus, dass er alle geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat.“

231
Q

Vermeidbarkeit und Rechtsfolgen bei Verbotsirrtum - 1. die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums - b.Vorverschulden

A

b. Vorverschulden

Mit dem Begriff des Vorverschuldens ist der Aspekt angesprochen, dass sich der Vorwurf der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht notwendig auf die konkrete Tatsituation beziehen muss. So ist es denkbar, dass es der Täter (trotz Anlass) zu einem früheren Zeitpunkt versäumt hat, sich über die Rechtslage ins Bild zu setzen. Diese früheren Versäumnisse können also in die Bewertung der Vermeidbarkeit miteinbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist aber bedeutsam, nicht auf allgemeine Charaktereigenschaften des Täters abzustellen (Verbot der Lebensführungsschuld), sondern konkrete Sorgfaltswidrigkeiten herauszuarbeiten. Dem Täter muss sich ein Anlass geboten haben (akute Unrechtszweifel), sich über die Rechtslage zu informieren.

Bsp.: Apotheker haben die Pflicht, sich über die Berufsausübung betreffen Vorschriften (z.B die Arzneiabgabeverordnung) zu informieren

232
Q

Vermeidbarkeit und Rechtsfolgen bei Verbotsirrtum - 2. die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums

A

die Rechtsfolge des vermeidbaren Verbotsirrtums ist die Möglichkeit, de Strafrahmen zu mildern. Die Milderungsmöglichkeit ist in das Ermessen des Gerichts gestellt („kann“). Bei der Ausübung des Ermessens hat das Gericht die Tatumstände und die Persönlichkeit des Täters zu berücksichtigen. IdR ist aufgrund des verminderten Schuldgehalts eine Strafmilderung angezeigt.

Die Rechtsfolge des unvermeidbaren Verbotsirrtums ist, dass der Täter freizusprechen ist, da er ohne Schuld handelte.

233
Q

Vermeidbarkeit und Rechtsfolgen bei Verbotsirrtum - 3. Der sog Doppelirrtum

A

Vom Doppelirrtum wird gesprochenen, wenn der Täter im Rahmen eines Erlaubnistatumstandsirrtums sein vermeintliches Recht aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Bewertung überschreitet.

Bsp.: A meint, einen Dieb in seinem Garten zu erkennen. Er ist besorgt und feuert einen tödlichen Schuss auf die Person ab. Er glaubt, hierzu zum Schutz seines Heimes berechtigt zu sein. Bei dem vermeintlichen Dieb handelt es sich aber um seinen Sohn, der nach einer langen Zechtour erst in der Frühe nach Hause gekommen ist.
—> A hat die Sachumstände falsch bewertet; unterliegt einer rechtlichen Fehlbewertung, da er der Auffassung war, zu einem tödlichen Schuss berechtigt gewesen zu sein (mangels Erforderlichkeit nicht der Fall)

In solchen Fallgestaltungen wird die Vorstellung des Täters zur Basis der Prüfung des Verbotsirrtums genommen. Der Erlaubnisirrtum („zum Schutze seines Heims berechtigt“) wird dann auf seine Vermeidbarkeit überprüft.
Ein ETI („vermeintlichen Dieb“) liegt nicht vor, weil die dafür vorzunehmende Rechtfertigungsprüfung auf Grundlage der Vorstellung des Täters zu einem negativen Ergebnis kommt: § 32 StGB scheitert an der Erforderlichkeit
234
Q

Trennung zwischen Schuldausschließungsgründen und Entschuldigungsgründen

A

Bei Schuldausschließungsgründe fehlt es an einer Schuldvoraussetzung bzw an einem schuldbegründeten Merkmal.
Entschuldigungsgründe hingegen führen zu einer Minderung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat. Der verminderte Schuldgehalts erscheint dann nicht mehr strafwürdig.

Unterschieden werden insbesondere folgenden Entschuldigungsgründe:

- entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) 
- Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB)	
- übergesetzlicher Notstand/ entschuldigende Pflichtenkollision 
- Gewissensnot 
- Handeln auf dienstliche Weisung
235
Q
  1. Grundgedanke der Entschuldigungsgründe
A

im Allgemeinen wird hinsichtlich der Grundgedanken der Entschuldigungsgründe überwiegend auf die starke Herabsetzung des Unrechts- und Schuldgehalts sowie auf die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens verweisen, wobei die Komponenten mehr oder weniger strak ausgeprägt sein können.
Der Verantwortungsausschluss wird zT auch aus der Strafzwecklehre begründet

  • Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens:
    • In einer Notstandslage, in der der Täter die in § 35 StGB bezeichneten Rechtsgüter bedroht sieht, kann diesem aufgrund des besonderen Motivationsdrucks (außergewöhnliche psychische Zwangslage) kein normgemäßes Verhalten zugemutet werden
  • Gedanke der Unrechts- und Schuldminderung:
    • Unrechtsminderung: der Erfolgsunwert der Tat wird durch den Wert des Guts, das der Täter durch seine Tat zu schützen sucht, gemindert; der Handlungsunwert wir durch den Rettungszweck (oder Verteidigungszweck im Rahmen von § 33 StGB) herabgesetzt
    • Schuldminderung: der Schuldgehalt wird durch den außergewöhnlichen Motivationsdruck herabgesetzt. Der Motivationsdruck macht es dem Täter unmöglich, den Verbotsnormen des Strafgesetzes zu entsprechen. Schuldmindernd wirkt also der Umstand, dass sich der Täter nicht aus rechtsfeindlicher Gesinnung gegen das Recht stellt, sondern sich aufgrund der besonderen Fallgestaltung, wie sie in § 35 StGB umschrieben ist, einer Motivationslage ausgesetzt sieht, die ihn zum Rechtsbrecher werden lässt. Ganz deutlich herabgesetzt ist die Schuld durch die asthenischen Affekte im Rahmen von § 33 StGB
  • Gedanke der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit:
    • erklärt man das Bestehen von Entschuldigungsgründen mit dem Gedanken der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit, so erklärt sich die Struktur des § 35 StGB in dem Sinne, dass die Gefahr zur Not auch hätte ertragen werden können und der Täter somit auch eine rechtmäßige Verhaltensalternative gehabt hätte
    • Im Regelfall des § 35 I 1 StGB wird dennoch auf Strafe verzichtet, weil in solchen Ausnahmesituationen eine präventive Bestrafungsnotwendigkeitnur in den Sonderfällen des § 35 I 2 StGB besteht
    • bspw Polizeibeamte, Feuerwehrmänner oder Soldaten können sich nicht über den § 35 StGB entschuldigen, soweit sie in der konkreten Situation aufgrund ihrer Stellung verpflichtet waren, der Motivationsdruck zu widerstehen

für § 33 StGB fehlt es einer präventiven Bestrafungsnotwendigkeit, da das Gesetz nur deshalb übertretene wird, weil das Opfer sich einem rechtswidrigen Angriffs gegenüber sieht und sich durch eine besonders schreckhafte Ängstlichkeit auszeichnet. An seiner Eigenschaft als „sozial integrierter Bürger“ fehlt es hingegen nicht

236
Q
  1. Vorgehen in der Fallprüfung
A

An die Möglichkeit, die Tat des Täter zu entschuldigen, ist er zu denken, wenn die Frage nach der möglichen Rechtfertigung dieser Tat negativ beantwortet ist

237
Q
  1. Einordnung in die Verbrechenslehre
A

die Entschuldigung ist von der Rechtfertigung abzugrenzen, obwohl auch sie die Straflosigkeit für den Täter bewirken kann

Allerdings impliziert die Ablehnung eines Rechtfertigungsgrundes und die Annahme eines Entschuldigungsgrundes zugleich folgenden Wertung der Handlung der Täters:

- der gerechtfertigt agierende Täter handelt im Einklang mit der Rechtsordnung, er hat zwar typisiertes Unrecht begangen (tatbestandsmäßige Handlung), diese Indizwirkung der Unrechtsbegehung aber mittels der Rechtfertigung widerlegt. Für den von der Tat Betroffenen bedeutet dies, dass er sich nicht mittels Notwehr widersetzen darf, da ja kein rechtswidriger Angriff vorliegt. 
- Dem „nur“ entschuldigt handelnden Täter gegenüber ist aber eine Notwehrhandlung erlaubt, da dieser ja rechtswidrig agiert. Die Duldungspflicht für den von der Rechtfertigungshandlung Betroffenen zeigt die Bedeutung der Differenzierung zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen auf.
238
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 1. der Notstand als Entschuldigungsgrund

A

Der Notstand als Entschuldigungsgrund (§ 35 StGB) unterscheidet sich vom Notstand als Rechtfertigungsgrund (§ 34 StGB).
§ 34 StGB fordert (entsprechend seiner rechtfertigenden Wirkung) ein wesentliches Überwiegen des Rettungsguts dem Eingriffsgut gegenüber. Dies fordert § 35 StGB nicht.
Bezüglich der notstandsfähigen Güter ist § 35 StGB wiederum enger als § 34 StGB. Dies folgt aus dem Grundgedanken dieses Entschuldigungsgrundes, der eine außergewöhnliche Motivationslage voraussetzt. Eine solche kann regelmäßig nur bei den von § 35 StGB bezeichneten Rechtsgütern angenommen werden.

239
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 2. die gesetzliche Notstandsregelung des § 35 I StGB - a. die gesetzlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands - aa,bb,cc

A

a. die gesetzlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands

aa. die Notstandslage
- 1. Notstandsfähige Rechtsgüter
—> „Leib“ als körperliche Unversehrtheit
—> „Freiheit“ im Wege der systematischen Auslegung, Körperbezogenheit: Fortbewegungsfreiheit
—> geringfügige/ unerhebliche Angriffe auf die Notstandsgüter werden nicht vom Anwendungsbereich des § 35 StGB erfasst
—> im Vergleich zu § 34 StGB: § 35 StGB enthält nicht Ehre und Eigentum oder den Zusatz „oder ein anders Rechtsgut“
- 2. Rettungsfähige Personen
—> Angehörige - Legaldefinition in § 11 I Nr.1 StGB
—> „nahestehenden Personen“ (teleologische Auslegung: der Täter hat sich zum Tatzeitpunkt aufgrund einer besonderen seelischen Zwangslage dazu motiviert gefühlt, im Wege der Notstandshilfe einzuschreiten; eine gewissen Dauer eines zwischenmenschlichen Verhältnisses wird vorausgesetzt)
- 3. gegenwärtige Gefahr
—> nach hM extensiv auszulegen (wie bei § 34 StGB), sodass auch Dauergefahren erfasst sind. Daneben reichen auch bereis zukünftige Schadenseintritte aus, sofern sie nur durch sofortiges Handeln ohne weiteres Risiko abgewehrt werden können.

bb. Rettungshandlung
- die von § 35 StGB entschuldigte Rettungshandlung muss objektiv erforderlich sein (dh die Gefahr darf nicht anders anwendbar sein)
- „abwendbar“: die Rettungshandlung muss mindestens ein geeignetes Mittel zur Erhaltung des gefährdeten Gutes sein
- „nicht anders“: ist die konkrete Rettungshandlung das einige Mittel, um das bedrohte Rechtsgut zu schützen
- der Täter muss sich für das relativ mildeste Mittel entscheiden (muss sich aber nicht auf unsichere Mittel verweisen lassen aber auch nicht das für ihn einfachste und schnellste wählen) —> Abwägung

cc. Gefahrenabwendungswille
- entsprechend dem subjektiven Rechtfertigungselement erfordert das Durchgreifen eines objektiv bestehenden Entschuldigungsgrundes das Vorliegen eines subjektiven Entschuldigungswillens (Gefahrenabwendungswillen). Hierzu muss der Notstandstäter über die Kenntnis der entschuldigenden Voraussetzungen und den Willen verfügen, aufgrund dieser Gefahr für ein Rechtsgut zu handeln. Dabei muss der Gefahrenabwendungswille allerdings nur ein Element der Motivationslage sein. Soweit der Notstandstäter daneben noch andere Ziele verfolgt, ist dies unschädlich

240
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 2. die gesetzliche Notstandsregelung des § 35 I StGB - a. die gesetzlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands - dd

A

a. die gesetzlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands

dd. die Ausnahme-Regelung des § 35 I 2 StGB
- neben der Prüfung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 35 I 1 StGB erfordert die Entschuldigung des Notstandstäters noch die Prüfung des § 35 I 2 StGB

(1) Gefahrenverursachung
- nach hM ist die bloße Verursachung der Gefahr noch kein Umstand, der zu einer Gefahrtragungspflicht führt. Die bloße Verursachung der Gefahr ist nach hM nämlich ein schuldindifferenter Umstand. Bedeutsam ist aber eine vorwerfbare Verursachung der Gefahr. Dies ist bspw bei dem Notstandstäter zu konstatieren, der sich selbst schützt, sich zuvor aber ohne Not in die Gefahrensituation begeben hat (eine Art Vorverschulden). Dem Handelnden wird vorgeworfen, dass er die Zwangslage und die Notwendigkeit des Zugriffs auf fremde Rechtsgüter hätten voraussehen können.
- Ist bei der Rettung von Angehörigen/ nahestehenden Personen hinsichtlich des Verschuldens auf den Notstandstäter oder auf die gerettete Person abzustellen ?
—> der Nostandshelfer hat die Gefahr für den Angehörigen verursacht: die besondere Motivationslage durch den Notstandstäter ist selbstverschuldet. Der Wortlaut spricht für eine Anwendung des § 35 I 2 StGB und in der Folge für eine Versagung der Entschuldigung. Dem wird aber herrschend entgegengehalten, dass sich die besondere Motivationslage für den Betroffenen verschärft habe, da er bestrebt sei, seinen Fehler zu beheben; eine Entschuldigung erscheint daher vorzugswürdig
—> der Angehörige hat die Gefahr für sich selbst verursacht: der Entschuldigung des Notstandshelfers steht die geringe Schutzwürdigkeit der Rechtsgüter (Notlage selbstverschuldet) entgegen. Der Wortlaut des § 35 I 2 StGB spricht jedoch für die Entschuldigung des Notstandshelfers, weil dieser die Gefahr nicht selbst verursacht hat. Für den Motivationsdruck spielt es keine Rolle, ob der Angehörige die Gefahr selbst verursacht hat.

(2. ) besondere Rechtsverhältnisse
- Pflichtenstellungen muss gegenüber der Allgemeinheit bestehe
- berufliche Pflichtenstellungen (besondere Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit, die bspw Soldaten, Polizisten oder Feuerwehrleute im Einzelfall dazu verpflichten können,eine Gefagr zu tragen)
- Bsp.: ein Feuerwehrmann, der seinen Einsatz verweigert, weil er Gesundheitsschäden infolge des Rauches fürchtet, ist nicht ohne Weiters nach § 35 I StGB entschuldigt
- es werden Pflichtenstellungen ausgeschlossen, die nur Einzelnen gegenüber bestehen

(3. ) weitere „Zumutbarkeits“-Fälle
- aus der Wendung „Täter nach dem Umständen … die Gefahr hinzunehmen“, ergibt sich dass weitere Zumutbarkeitsfallgruppen denkbar sind. Ermittlung durch systematische Auslegung:

- (a.) Obhutspflichten: erhöhte Gefahrtragungspflichten von Personen, die nicht gegenüber der Allgemeinheit („besonderes Rechtsverhältnis“) sondern Einzelnen gegenüber besondere Pflichten haben. Solche Pflichten ergeben sich aus bestimmten Obhuts-Garantenstellungen iSv § 13 StGB 
- (b.) sonstige Duldungspflichten: zu dulden sind nach § 32 StGB gerechtfertigte Verteidigungshandlungen 
- (c.) „Unverhältnismäßigkeit“/„Disproportionalität“: der generelle Maßstab für die nähere Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit/Disproportionalität wird generell jener sein, dass eine Gefahrtragungspflicht entsteht, wenn die Rettungshandlung zur Verletzung wesentlich überwiegender Interessen beim Notstandsopfer führt. Andere Wendungen sprechen von „krassen“ oder „offensichtlichen“ Missverhältnissen.
241
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 3. Unterschiede zwischen § 34 StGB und § 35 StGB

A

Duldungspflicht für Betroffene?

- § 34 StGB: +
- § 35 StGB: -

wesentliches Überwiegen des Notstandsrechtsgut?

- § 34 StGB: +
- § 35 StGB: -

notstandsfähige Rechtsgüter

- § 34 StGB: weiter Katalog
- § 35 StGB: Leben, Leib, und Freiheit 

Notstandshilfen zugunsten von…

- § 34 StGB: „sich oder einem anderen“
- § 35 StGB: „sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahe stehenden Person“

Zumutbarkeitsklausel

- § 34 StGB: -
- § 35 StGB: +
242
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 4. § 35 II StGB Putativnotstand

A

der Täter stellt sich Umstände vor, die ihm im Fall ihres tatsächlichen Vorliegens entschuldigen würden. Der Unterscheid zum ETI liegt darin, dass dich der Täter bei ETI Umstände vorstellt, die sein Handeln rechtfertigen.

Unstreitig erfasst von § 35 II StGB ist die Fallgestaltung, dass ich der Täter tatsächliche Umstände vorstellt, die sein Handeln aus seiner Sicht entschuldigt erscheinen lässt. Dabei können sich die tatsächlichen Umstände auf alle Voraussetzungen des § 35 I StGB beziehen, auch auf die der Zumutbarkeit

Umstritten ist die Behandlung der Irrtümer, bei denen der Täter Fehlvorstellungen im Bereich des Normativen hat, er also eine falsche rechtliche Bewertung zieht. Der Täter erkennt hier die tatsächlichen Umstände richtig, irrt aber bspw über den Grad der Zumutbarkeit bzw die Gefahrtragungspflicht
—> dieser Irrtum könnte für unerheblich erachtet werden, ihn als nicht nach § 35 II StGB zu unterstellen und eine Strafbarkeit unabhängig von der Frage der Vermeidbarkeit des Irrtums anzunehmen.
—> Begründung: der Täter hat das Unrecht der Tat dem Grunde nach erfasst, hierbei aber einen Entschuldigungsgrund in seiner Vorstellung weiter ausdehnt, als dieser tatsächlich rechtlich konstruiert ist. Nach aA widerspricht diese generelle Unbeachtlichkeit dem Schuldprinzip

Unstreitig nicht erfasst von § 35 II StGB ist der Irrtum über die rechtlichen Grenzen des entschuldigenden Notstandes
—> Bsp.: der Täter hält das Vorliegen einer Vermögensgefahr für ausreichend, um sich auf den Entschuldigungsgrund des § 35 I StGB zu berufen

Auf die übrigen Entschuldigungsgründe wird § 35 II StGB analog angewendet (z.B beim übergesetzlichen entschuldigenden Notstand

243
Q

entschuldigender Notstand § 35 StGB - 5. Nötigungsnotstand

A

Konstellation: Der Täter wird von einem anderen zur Begehung einer rechtswidrigen Tat genötigt. Der Täter ist also selbst Opfer einer Nötigung

Behandlung nach § 34 StGB:

- der Dritte (das Opfer) hat sämtliche Einwirkungen auf seine Rechtsgüter zu dulden, sofern sie zum Schutz wesentlich überwiegender Interessen erforderlich sind 
- Nötigung durch Drohung mit Gewalt gegen eine nicht nahestehende Person nur über § 34 StGB erfasst 

Behandlung nach § 35 StGB:

- dem Dritten (dem Opfer) soll die Notwehr zur Verfügung stehen 
- der Genötigte tritt, wenngleich gezwungenermaßen, „auf die Seite des Unrechts“. 

Differenzierende Lösung

- § 35 StGB ist hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter und des Personenkreises zu eng, daher grundsätzlich Behandlung nach § 34 StGB
- § 35 StGB nur bei gravierenden Beeinträchtigungen von Individualrechtsgütern, damit Notwehrrecht des Dritten besteht
244
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB)

A

ein weiterer Entschuldigungsgrund ist nach hM der Notwehrexzess gem § 33 StGB.
Problematisch ist die zurückhaltende Formulierung der Entschuldigungsvoraussetzungen in § 33 StGB. Folgerichtig kommt es zu zahlreichen Meinungsstreits, was die Voraussetzungen und Reichweite der Norm angeht. Die Norm verfügt über objektive und subjektive Voraussetzungen

245
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB) - 1. objektive Voraussetzungen - a. intensiver Notwehrexzess

A

folgenden Konstellationen lassen sich unterscheiden: Intensiver-, Extensiver-, und Putativnotwehrexzess

a. Intensiver Notwehrexzess
- wenn der Angegriffene im Rahmen der Notwehr das „erforderliche“ Maß überschreitet (sog intensiver Notwehrexzess) handelt er widerrechtlich. Er kann aber bei Vorliegen deer subjektiven Voraussetzungen gem § 33 StGB entschuldigt sein
- in den Fällen der Notwehrprovokation ist die Anwendung des § 33 StGB fraglich
—> richtigerweise ist lediglich darauf abzustellen, ob der schuldhaft provozierte Angriff zum Ausschluss des Notwehrrechts führt, wie im Fall der Absichtsprovokation. In einem solchen Fall fehlt es bereits am Notwehrrecht, an das § 33 StGB anknüpfen und das überschreiten werden könnte. Wenn die schuldhafte Herbeiführung des Angriffs allerdings nur zu einer Einschränkung des Notwehrrechts im Rahmen der Gebotenheit führt, ist auf eine Überschreitung des Notwehrrechts § 33 StGB anwendbar. Es ist nicht begründbar, dem Täter in dem Fall zwar das Notwehrrecht zu belassen, ihm aber die Berufung auf § 33 StGB zu versagen.

246
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB) - 1. objektive Voraussetzungen - b. extensiver Notwehrexzess

A

b. extensiver Notwehrexzess

Fraglich ist ob § 33 StGB auch Anwendung findet, wenn es an der Gegenwärtigkeit des Angriffs fehlt (sog extensiver Notwehrexzess)

Diese Möglichkeit wird von der hM bestritten. Denn § 33 StGB soll nur dann Anwendung finden, wenn innerhalb einer bestehenden Notwehrlage agiert wird. Wenn eine Notwehrlage aber garnicht bestehe, fehle es bereits an der Anknüpfungspunksmöglichkeit für § 33 StGB

die Begrenzung auf einen nachzeitigen extensiven Notwehrexzess sei zwingend. Schließlich könnten Grenzen der Notwehr nur überschritten werden, wenn eine Notwehrlage zu einem Zeitpunkt bestanden habe. Dementsprechend wird weiterhin verlangt, dass zwischen dem Angriffsende und der nachzeitigen Exzesshandlung ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang bestehe. Nur dieser enge Zusammenhang verklammere Angriff und Überschreitung der Notwehr zu einem einheitlichen Geschehen.

Bsp.: Der A greift B an. B schafft es mittels zweier Faustschläge, A bewusstlos zu schlagen. Aus Angst tritt B nochmals auf A ein. A erleidet durch diesen Tritt einen Rippenbruch.

247
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB) - 1. objektive Voraussetzungen - c. Putativnotwehrexzess

A

c. Putativnotwehrexzess

der Täter befindet sich über das Vorliegen einer Notwehrlage im Irrtum und überschreitet zugleich die (rechtlichen) Grenzen des vermeintlichen Notwehrrechts

nach hM kommt eine Anwendung des § 33 StGB bereits deshalb nicht in Betracht, da die Norm einen tatsächlichen Angriff voraussetzt. Nach allgemeinen Irrtumsregeln bleibt allerdings § 17 StGB anwendbar.

248
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB) - 2. subjektive Voraussetzungen - a. Überschreitung auf Verwirrung, Furcht oder Schrecken

A
  1. subjektive Voraussetzungen
    a. Überschreitung aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken

die Notwehrüberschreitung wird nach § 33 StGB entschuldigte, wenn der Täter die Grenze der Notwehr aus Verwirrung, Angst oder Schrecken (sog asthenische Affekte) überschritten hat. Damit ist ersteinmal festgestellt, dass die Überschreitung der Notwehr aufgrund von Aggressivität (Zorn, Wut - sthenische Affekte) nicht von § 33 StGB erfasst ist.
Nach hM ist es für die Anwendung des § 33 StGB aber ausreichend, dass die asthenischen Affekte mitursächlich für die Überschreitung der Notwehr waren

249
Q

Notwehrexzess (§ 33 StGB) - 2. subjektive Voraussetzungen - b. bewusste Notwehrüberschreitung als Fall des § 33 StGB?

A
  1. subjektive Voraussetzungen
    b. bewusste Notwehrüberschreitung als Fall des § 33 StGB?

Umstritten ist die Fragestellung, ob § 33 StGB nur bei unbewusster oder auch bei bewusster Überschreitung des Notwehrrechts gilt.

nach dem BGH: auch eine bewusste Notwehrüberschreitung kann unter § 33 StGB fallen, dass dann aber an das Vorliegen eines asthenischen Affekts erhöhte Anforderungen zu stellen sind

wenn die Entscheidung des Täters, einen Gegenangriff zu verüben, eine Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und Möglichkeiten vorausgeht und der Täter insofern Verhaltensalternativen in den Blick nimmt, kann dies Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung iSd § 33 StGB sprechen.

250
Q

der übergesetzliche entschuldigende Notstand/ entschuldigende Pflichtenkollision

A

die Entschuldigungsgründe des StGB sind nicht abschließend, Rechtssprechung und Literatur sind frei, weitere Entschuldigungsgründe zu entwickeln. Zu diesen entwickelten Entschuldigungsgründen zählt der übergesetzliche entschuldigende Notstand (übergesetzlich = gerade nicht gesetzlich geregelt). Dieser Entschuldigungsgrund wird teilweise auch als „schuldausschließende Pflichtenkollision“ bezeichnet.

Bedeutsam wurde dieser entschuldigende Notstand bei der Aufarbeitung des Unrechts des NS

251
Q

objektive Bedingungen der Strafbarkeit

A

Als Tatbestandsannex gibt es bei einigen Delikten auch außerhalb des Unrechtstatbestands stehende objektive Bedingungen der Strafbarkeit. Ihre Verwirklichung ist zwar materielle Voraussetzung der Strafbarkeit eines Verhaltens, auf diese Merkmale müssen sich aber weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit beziehen.
Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Gesetzgeber das im TB beschriebene Verhalten zwar als Unrecht erachtet, ein Strafbedürfnis aber nur dann für gegeben sieht, wenn eine weitere Bedingung erfüllt ist.

die wichtigsten objektiven Strafbarkeitsbedingungen:

  • Nichterweislichkeit der Tatsache bei der üblen Nachrede (§ 186 StGB)
  • Einritt der schweren Folge bei der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)
  • Begehung einer rechtswidrigen Tat im Vollrausch (§ 323a StGB)
  • Zusammenbruch beim Bankrott (§ 283 StGB)
  • mit der hM sind auch die §§ 3 ff. SGB (Strafanwendungsrecht) als objektive (Vor-)Bedingung der Strafbarkeit einzuordnen. Der Zusatz „Vor“ ergibt sich daraus, dass die §§ 3 ff. StGB nicht als Anhängsel des TB geprüft werden (=Tatbestandsannex). Da sie über die Anwendbarkeit des Strafbestandes überhaupt entscheiden, steht ihre Prüfung vielmehr an erster Stelle der Deliktsprüfung, mithin vor dem TB

Bsp.: der Täter ist auch dann wegen Beteiligung an einer Schlägerei nach § 231 StGB strafbar, wenn sich sein Vorsatz nur darauf bezog, an einer Schlägerei beteiligt zu sein, ohne dass er auch den Tod oder die schwere Körperverletzung wollte ode ihm insoweit ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könnte.

die Berechtigung objektiver Strafbarkeitsbedingungen bedarf mit Blick auf das Schuldprinzip eine kritische Analyse
- bei § 323a StGB wird bestritten, dass allein das Sich-Berauschen als solches eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechtfertigen kann (folgenloser Rausch sei sozial toleriert, Handelnde verhalte sich rechtskonform). Das Sich-Berauschen allein könne also noch nicht als strafwürdiges Unrecht gedeutet werden

Wenn aber auch die sog Rauschtat den Unrechtsgehalt des TB mitbestimmen soll, muss wegen des Schuldprinzips irgendeine Schuldbeziehung des Täters zur Rauschtat bestehen.
Roxin/Greco (sofern man keine Einschränkungen vornimmt): Verstoß gegen das verfassungsrechtlich (Art. 20 III GG) garantiere Schuldprinzip und fordern daher, dass der Täter hinsichtlich der Rauschtat zumindest fahrlässig gehandelt haben müsse. Das bedeutet, er muss die Tat vorhergesehene haben können. Die überwiegen Ansicht verzichtet auf eigene derartigen Konnex

252
Q

persönliche Ausnahmen von der Strafbarkeit

A

liegt Unrecht und Schuld vor, so ist der Täter idR zu bestrafen. Es gibt aber Ausnahmen, bei denen eine gesetzliche Sonderregelung aus streng personenbegründeten Gründen eine Strafe ausschließt oder aufhebt. Diese Sonderregelungen nennt man persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe. Sie unterscheiden sich durch eine zeitliche Komponente. „Persönlich“ dabei ihre Eigenschaft zum Ausdruck, dass sie nur dem Tatbeteiligten zugutekommen, in dessen Person sie vorliegen. Warum der Gesetzgeber solche persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit gemacht hat, hat verschiedene Gründe:

- kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen (bspw § 24 StGB)
- Rücksichtnahme auf eine notstandsähnliche Konfliktsituation (bspw bei § 258 VI StGB)
253
Q

persönliche Ausnahmen von der Strafbarkeit - 1. Strafausschließungsgründe

A

Strafausschließungsgründe sind solche Umstände, deren Vorliegen von vornherein zur Straflosigkeit führt und die schon bei Tatbegehung vorgelegen haben müssen, z.B §§ 36, 173 III, 257 III, 258 V, VI StGB

254
Q

persönliche Ausnahmen von der Strafbarkeit - 2. Strafaufhebungsgründe

A

Strafaufhebungsgründe sind Umstände, die erst nach Tatbegehung eintreten und eine somit zunächst schon begründete Strafbarkeit mit rückwirkender Kraft wieder beseitigen, z.B §§ 24, 31 StGB sowie die tätige Reue bei bestimmten Delikten, z.B § 306e StGB

255
Q

Strafeinschränkungsgründe; Zulässigkeit der Strafverfolgung - 1. Absehen von Strafe

A

In einigen Fällen stellt es das Strafgesetz in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts, ob es aufgrund bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen von Strafe absehen oder die Strafe mildern will. So kann das Gericht nach § 60 StGB unter den dort niedergelegten Voraussetzungen von Strafe absehen. Das StGB kennt viele derartige Vorschriften, z.B §§ 46a, 142 IV, 157, 158 StGB.

256
Q

Strafeinschränkungsgründe; Zulässigkeit der Strafverfolgung - 2. Voraussetzungen und Hindernisse der Strafverfolgung

A

verfahrensrechtlicher Art sind Strafverfolgungsvoraussetzungen wie der Strafantrag und die Genehmigung des BT im Fall des Art 46 II GG sowie die Strafverfolgungshindernisse wie etwa die Verjährung. Strafantragserfordernisse finden sich in zahlreichen Vorschriften, z.B §§ 123 II, 194, 230, 247 StGB. Ihr Fehlen stellt ein Strafverfolgungshindernis dar, wirkt sich aber nicht auf die materiell-rechtliche Strafbarkeit aus

257
Q

der Irrtum über strafausschließende Umstände

A

wie der Irrtum über strafausschließende Umstände zu beurteilen ist, wird uneinheitlich gesehen.

  • die hM stellt allein auf die objektive Lage ab, so dass die Vorstellungen des Täters komplett irrelevant sind
    —> persönliche Strafausschließungsgründe stehen außerhalb von Unrecht und Schuld und brauchen vom Vorsatz nicht umfasst werden
258
Q

der Irrtum über Strafverfolgungsvoraussetzungen

A

nach allgemeiner Ansicht ist im Bereich der Strafverfolgungsvoraussetzungen und -hindernisse allein auf die objektive Sachlage abzustellen

So ist z.B ein Irrtum über das Angehörigenverhältnis bei § 247 StGB irrelevant. Das folgt bereits aus dem Telos der gesetzlichen Regelung: Der Gesetzgeber wollte mit der Ausgestaltung des Haus- und Familiendiebstahls als absolutes Antragsdelikt (§ 247 StGB) keinesfalls einer besonderen Motivationslage des Täters gerecht werden. Vielmehr ging es ihm darum, bei einem Diebstahl unter Angehörigen das Strafverfolgungsrecht des Staates nicht mit aller Macht durchzusetzen, um den Familienfrieden nicht zu gefährden. Diese besondere Situation innerhalb der Familie gilt es auch dann zu beachten, wenn sich erst nach der Tat herausstellt, dass sich die gestohlenen Sache im Eigentum eines Angehörigen befindet. Der Irrtum des Täters ist deshalb unbeachtlich.

259
Q

die Verwirklichungsstufen der vorsätzlichen Tat und Strafbarkeit des Versuchs

A

Jede Vorsatztat durchläuft mehrere Stadien der Verwirklichung des Täterwillens. In der chronologischen Reihenfolge sind das:

  • Entschluss und Vorbereitungsstadium
  • Versuchsstadium
  • (formelle) Vollendung
  • Beendigungsstadium
260
Q

verfassungsrechtliche Vorgaben (die Verwirklichungsstufen der vorsätzlichen Tat und Strafbarkeit des Versuchs)

A

die einzelne Strafnorm des BT stellt stets nur die Verwirklichung der Gesamtheit der dort genannten Tatumstände unter Strafe. Aus der Garantiefunktion des Strafrechts (Art. 103 II GG, § 1 STGB) folgt, dass ein Verhalten daher grundsätzlich straflos sein muss, wenn nicht alle oder auch noch gar keines der genannten Merkmale verwirklicht ist.
Wille der Gesetzgeber also erreichen, dass einem Geschehen schon strafrechtliche Relevanz zukommt, dass der Verwirklichung des im BT genannten Verhaltens unmittelbar vorgelagert ist, muss er dies gesetzlich besonders anordnen. Dies ist in den Vorschriften der §§ 22 ff. StGB über den Versuch geschehen

261
Q

Stufen der Deliktsverwirklichung und ihre Relevanz - 1. Entschluss und Vorbereitungsstadium

A

Der Entschluss, eine Straftat zu begehen, und die bloße Vorbereitung einer Straftat sind grundsätzlich straflos. Eine Ausnahme macht insbesondere § 30 II StGB für die sog Verbrechensverabredung. Danach wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt und wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften. Aber auch andere einzelne Delikte bedrohen bestimmte Vorbereitungshandlungen mit Strafe, wie zB §§ 129, 149 StGB; sie unterliegen jeweils besonderen Legitimationsvoraussetzungen

262
Q

Stufen der Deliktsverwirklichung und ihre Relevanz - 2. Versuchsstadium

A

An das grundsätzlich straflose Vorbereitungsstadium schließt das Versuchsstadium an.
Es beginnt gem § 22 I StGB, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt.

Der Eintritt in das Versuchsstadium begründet den Beginn der Strafbarkeit eines Verhaltens …

  • … immer, wenn es sich um ein Verbrechen handelt (§§ 23 I, 12 I StGB), also bei rechtswidrigen Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
  • … bei Vergehen (§ 12 II StGB) nur, wenn das Gesetz die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich bestimmt (§ 23 I StGB), wie zB in § 242 II StGB
263
Q

Stufen der Deliktsverwirklichung und ihre Relevanz - 3. Vollendung

A

Die Vollendung einer Tat tritt in dem Moment ein, in dem der Täter alle im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale eines Delikts verwirklicht hat

So ist eine Freiheitsberaubung nach § 239 StGB vollendet, wenn der Täter das Opfer eingesperrt hat. Ein Diebstahl ist nach § 242 StGB vollendet, wenn der Täter eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht weggenommen hat.

Die Unterscheidung, ob noch das Versuchsstadium vorliegt oder bereits Vollendung eingetreten ist, entscheidet über …

  • die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 StGB, der nur im Versuchsstadium in Betracht kommt
  • die Möglichkeit einer fakultativen Strafmilderung, denn gem § 23 II, 49 I StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat
264
Q

Stufen der Deliktsverwirklichung und ihre Relevanz - 4. Beendigung

A

Von der tatbestandlich-formellen Vollendung eines Delikts ist die Rechtsgutverletzung materiell abschließende Beendigung zu unterscheiden

Beendigung liegt in dem Moment vor, in dem das strafbare Unrecht seinen Abschluss gefunden hat

Die Beendigung muss mit Blick auf jedes einzelne Delikt und das geschützte Rechtsgut gesondert betrachtet werden (keine generelle Regel für den Beendigungszeitpunkt)

nicht selten fallen Vollendung und Beendigung auch in einem Zeitpunkt zusammen (bspw § 212 StGB)

Bedeutung der Differenzierung zwischen Vollendung und Beendigung:

  • die Erfüllung qualifizierender Umstände ist grundsätzlich nur bis Vollendung der Tat möglich. So wird § 242 StGB zu § 244 I Nr.1a StGB qualifiziert, wenn der Einbrecher ein auf dem Tisch liegendes Springmesser einsteckt. Dagegen liegt keine Qualifikation vor, wenn der Täter das Messer erst auf dem Rückweg zum Auto zur Verfügung hat (str.)
  • die Verjährungsfrist einer Tat beginnt gem § 78a StGB erst mit ihrer Beendigung
  • schließlich ist umstritten, inwieweit noch Mittäterschaft und Beihilfe nach Vollendung der Tat aber vor ihrer Beendigung möglich sind. Lässt man eine sukzessive Tatbeteiligung nach Vollendung aus guten Gründen nicht mehr zu, so kommt der Unterscheidung auch hier Bedeutung zu (Bsp.: Dieb D räumt ein Warenlager mit Videorekordern aus. Bevor er fertig ist, stößt F dazu und hilft beim Abtransport der Beute)
265
Q

Überblick und Aufbau des Versuchsdelikts

A

§§ 22-24 StGb enthalten die Regelungen über den Versuch.

  • § 23 StGB regelt die Versuchsstrafbarkeit (Abs. 1) und die Rechtsfolgen des Versuchs (Abs. 2).
  • § 22 StGB bestimmt, dass eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des TB unmittelbar ansetzt.
  • § 24 StGB regelt den straffreien Rückritt vom Versuch
266
Q
  1. Strafgrund des Versuchs
A
  • subjektive Theorie:
    • sieht den Strafgrund darin, dass der Täter mit dem Versuch bereits seinen rechtsfeindlichen Willen betätigt
      —> (-) mit dem objektiven Erfordernis des unmittelbaren Ansetzens wird eine unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts verlangt, um eine Versuchsstrafbarkeit auszulösen
  • objektiv Theorie:
    • der Versuch wird deshalb bestraft, weil im Versuch bereits eine Gefährdung des geschützten Rechtsguts liegt
      —> (-) eine rein objektive Begründung kann nicht erklären, wieso der untaugliche Versuch, dessen Strafbarkeit sich a maiore aus § 23 III StGB ergibt, strafbar ist
  • herrschende subjektiv-objektive (Eindrucks-)Theorie:
    • Prinzip der positiven Generalprävention: der Strafgrund liegt zum einen darin, dass der betätigte rechtsfeindliche Wille objektiv geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern. Schon mit dem Versuch einer Straftat kann der Täter zum Ausdruck bringen, die in Frage stehende Norm nicht befolgen zu wollen, sodass er schon damit das Vertrauen in die Geltung der Norm enttäuscht. In objektiver Hinsicht wird auf das von §§ 22 StGB vorausgesetzt Element des unmittelbaren Ansetzens abgestellt
      —> (+) kombiniert in Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Konzeption des § 22 StGB subjektive und objektive Elemente und kann und kann so auch die Entscheidung des Gesetzgebers erklären, auch einen untauglichen Versuch zu bestrafen, der auch aus Sicht ex-ante niemals hätte zum Erfolg führen können
267
Q

Aufbau des Versuchs

A

der Aufbau der Versuchsprüfung unterscheidet sich von der Prüfung des vollendeten vorsätzlichen Begehungsdelikts. Ob der Schuss auf eine Person Versuch einer Körperverletzung oder eines Totschlags war, hängt davon ab, worauf der Vorsatz gerichtet war. Weil also nur dann erkennbar ist, welches Delikt der Täter möglicherweise begehen wollte, wenn feststeht, auf welches Verhalten seine Vorstellung zielte, ist die Prüfungsreihenfolge inheritable des TB gegenüber dem vollendeten Begehungsdelikt umgekehrt:

  • im Tatentschluss ist zu untersuchen, ob der Täter einen auf alle objektiven TBMerkmale des jeweiligen Delikts gerichteten Vorsatz hatte und ob die ggf. erforderlichen sonstigen subjektiven TBMerkmale vorliegen. Es ist also die Vorstellung des Täters von der Tat bzw seines Plans zugrunde zu legen und auf dieser Basis zu prüfen, ob bei Verwirklichung eben jenes Plans alle Merkmale des objektiven TB erfüllt wären. Folglich müssen im Rahmen des Tatentschlusses die Tatbestandsvoraussetzugen definiert werden.
  • das objektive Unrechtselement des Versuchs ist gem § 22 StGB das unmittelbare Ansetzen zur TBVerwirklichung (wobei die Vorstellung des Täters die Basis dafür bildet; es ist also kein rein objektiver TB)
  • der Prüfung von Tatentschluss und unmittelbaren Ansetzen ist eine zweistufige Vorprüfung voranzustellen, in der zu klären ist, dass die Tat nicht (zurechenbar) vollendet wurde und der Versuch strafbar ist
268
Q

der Tatbestand des Versuchs - 1. hinreichender Tatentschluss

A

der Entschluss, eine Straftat zu begehen, ist der subjektive TB des Versuchs

der Tatentschluss muss umfassen:

- den Vorsatz, alle objektiven TBMerkmale eines TB zu verwirklichen
- besondere subjektive Unrechtsmerkmale, soweit das entsprechende Delikt solche voraussetzt 

Der Versuch einer Fahrlässigkeitsdelikts ist schon begrifflich nicht möglich
Der Tatentschluss ist der subjektive TB des Versuchs (es gelten die allgemeine Regeln, inkl des erforderlichen Vorsatzgrades und den Fragen der (Un-)Beachtlichkeit von Tatumstandsirrtümern sowie Fehlvorstellungen wie error in persona, aberratio ictus)

  • hinreichender Tatentschluss: Tatentschluss muss endgültig gefasst sein, Entscheidung über das „ob“ der Tat musst definitiv gefallen sein, der Tatentschluss muss derart unbedingt sein, dass ihn der Täter nicht von weiteren Überlegungen abhängig macht
  • Tatgeneigtheit: der Täter zieht die TBVerwirklichung zwar in Betracht, hat darüber aber noch nicht endgültig entschieden
  • hinreichender (vorbehaltsloser) Tatentschluss: liegt vor, wenn der Täter seinen Tatentschluss auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage trifft oder sich einen Rückhalt vorbehält

a. Tatentschluss auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage
hat der Täter bereist Ausführungshandlungen vorgenommen, kann die Abgrenzung von Tatentschluss und bloßer Tatgeneigtheit schwierig sein. Regelmäßig wird man aber die Vornahme einer Ausführungshandlung schon als Indiz für die endgültige Entschlossenheit des Täters werten dürfen

b. Rücktrittsvorbehalt
T hat sich zur Tat entschlossen und behält sich lediglich vor, beim Eintritt bestimmter Bedingungen, von der Vollendung der Tat Abstand zu nehmen. Es ist hinreichender Tatentschluss gegeben

269
Q

der Tatbestand des Versuchs - 2. unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung

A

der Versuchsbeginn kann erst in dem Moment vorliegen, in dem der Strafgrund des Versuchs eine Bestrafung des Täters trägt.
Wortlaut des § 22 StGB: stellt auf ein objektives (unmittelbares Ansetzen) und ein subjektives Element (nach seiner Vorstellung von der Tat) ab
—> sein Strafgrund ist in der Betätigung eines rechtsfeindlichen Willen zu sehen, der objektiv geeignet ist, das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern

Konkretisierung des „unmittelbaren Ansetzens“

  • gem § 22 StGB ist für die Beurteilung von der Vorstellung des Täters vor der Tat auszugehen. Auf dieser Basis ist dann aufgrund eines objektiven Bewertungsmaßstabs zu prüfen, ob dies Planrealisierung schon so weit gediehen ist, dass von einem unmittelbaren Ansetzen der TBVerwirklichung gesprochen werden kann.
  • das unmittelbare Ansetzen enthält also objektiv und subjektive Elemente; es ist kein dem Vollendungsdelikt vergleichbarer objektiver TB

ein unmittelbares Ansetzen liegt jedenfalls dann vor, wenn der Täter bereits einzelne Teilakte des tatbestandlich beschriebenen Verhaltens verwirklicht hat (setzt nicht nur lediglich dazu an und tut somit mehr als § 22 StGB verlangt)

bei mehraktigen Geschehen (bspw der Betrug) muss die TBVerwirklichung allerdings zur Schädigung des Opfers führen

270
Q

der Tatbestand des Versuchs - 2. unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung - a. Konkretisierung des Unmittelbarkeitserfordernisses

A

liegt eine Teilverwirklichung nicht vor, ist fraglich, welche Anforderungen an die Unmittelbarkeit des Ansetzens zur TBVerwirklichung zu stellen sind. Theorien mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (um die Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitung und Beginn des strafbaren Versuchs zu ranken):

  • die Sphärentheorie:
    • nimmt den Versuchsbeginn in dem Zeitpunkt an, in dem der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen ist und zwischen Tathandlung und erstrebtem Erfolg ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht.
  • die Theorie der Feuerprobe:
    • der Versuch beginnt, wenn der Täter die Schwelle „zum Jetzt geht´s los“ überschritten, sein Tatplan also die „Feuerprobe der kritischen Situation“ bestanden hat
  • die Gefährdungstheorie:
    • der Moment der unmittelbaren Ansetzens wird va dadurch gekennzeichnet, dass der Täter bereits in ein Stadium gelangt ist, in dem das geschützte Rechtsgut aus seiner Sicht unmittelbar gefährdet erscheint
  • die Zwischenaktstheorie:
    • ein unmittelbares Ansetzen ist gegeben, wenn zwischen dem Verhalten des Täters und der TBVerwirklichung keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich sind, so dass sich das Geschehen als Einheit darstellt

—> weiterführend erscheint die Kombination aus objektiven und subjektiven Elementen, wonach ein unmittelbares Ansetzen dann vorliegt, wenn subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht´s los“ überschritten und objektiv eine Handlung vorgenommen wurde, die ohne wesentliche Zwischenschritte in die TBVerwirklichung münde sollte

271
Q

der Tatbestand des Versuchs - 2. unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung - b. die in Bezug zu nehmende tatbestandsrelevante Handlung

A

in einigen Fällen bedarf es darüberhinaus Überlegungen, welche Handlungen überhaupt als tatbestandsrelevant im Hinblick auf das Unmittelbarkeitserfordernis in Bezug genommen werden dürfen. Im Regelfall ergeben sich hierbei keine weiteren Probleme. Probleme treten aber auf, wenn es sich um zusammengesetzte Delikte, Qualifikationstatbestände oder Regelbeispiele handelt. Ausgangspunkt ist dabei stets die Fassung des gesetzlichen TB

aa. zusammengesetzte Delikte

zu untersuchen: welche Handlungen darf als tatbestandsrelevant in Betracht genommen werden
Nicht das Ansetzen zu jedem Verhalten, das zum TB eines zusammengesetzten Delikts gehört, darf auch zur Grundlage des Versuchsbeginn gemacht werden. Das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung eines vorgelagerten TB begründet nur einen Versuch zu eben diesem TB, nicht aber schon zum Versuch des aus dem vorgelagerte TB und weiteren Elementen zusammengesetzten Delikts
- bei § 249 StGB (Raub) beginnt der Versuch schon mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Nötigungshandlung (denn diese muss gerade der späteren Wegnahme dienen)
- bei § 252 StGB (räuberische Diebstahl) dagegen beginnt der Versuch erst, wenn der Täter zum Einsatz eines Nötigungsmittels unmittelbar ansetzt (denn der Täter muss im Moment der Wegnahme noch nicht über einen eventuellen, späteren Einsatz des Nötigungsmittels entscheiden —> lediglich ein Diebstahlsversuch)

bb. Qualifikationstatbestände

fraglich ist, ob schon durch die Verwirklichung eines Merkmals des Qualifikationstatbestands auch ein Versuch dieser Qualifikation begründet wird
- führt schon das Beisichführen einer Waffe im Vorbereitungsstadium des Diebstahls zu §§ 244 I Nr.1 a), II, 22, 23 StGB?

nach hL liegt in der Verwirklichung eines Qualifikationsmerkmals nur dann ein unmittelbares Ansetzen auch schon zum Grunddelikt, wenn dieses in unmittelbarem Fortgang des Geschehens verwirklicht werden sollte. Das Unbrauchbarmachen eines Feuerlöschers begründet also keinen Versuch der besonders schweren Brandstiftung, wenn der Täter das Gebäude erst Woche später anstecken will
Im umgekehrten Fall des unmittelbaren Ansetzens zum Grunddelikt liegt aber nicht schon deshalb ein Versuch der Qualifikation, weil der Tatentschluss des Täters darauf gerichtet war. Daher liegt etwa im Abgeben einer falschen Aussage (§ 153 StGB) noch kein unmittelbares Ansetzen zum Meineid (§ 154 StGB), wenn der Regelfall des Nacheids vorliegt.

cc. Regelbeispiele:

es fragt sich bei der Verwirklichung von Regelbeispielen, ob damit gleichzeitig schon ein Versuchsbeginn vorliegt. Regelbeispiele sind Strafzumessungsregeln für besonders schwere Fälle; sie stellen keine TB dar (bspw § 243 StGB)

mit der hM ist für den Versuchsbeginn zu fragen, ob mit Beginn der erschwerenden Umstände zugleich auch zur Verwirklichung des Grundtatbestands ansetzt wird. Häufig dürfte bei der Verwirklichung eines Regelbeispiels aber auch ein unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestands zu sehen sein

272
Q

untauglicher Versuch und Wahndelikt - 1. untauglicher, grob unverständiger und irrealer Versuch

A

das Vorhaben, einen TB zu verwirklichen, kann mehr oder weniger geeignet sein

kann der Plan des Täters objektiv von vornherein nicht zur TBVerwirklichung führen, spricht man von einem untauglichen Versuch

die tatsächliche Untauglichkeit des Versuchs kann dabei verschiedene Gründe haben:

  • mangelnde Eignung des Tatobjekts (bspw Schuss auf eine Leiche, die der Täter für eine schlafende Person hält)
  • mangelnde Eignung des Tatmittels (bspw Schuss mit einer ungeladenen Waffe, die der Täter für geladen hält)
  • ob auch die mangelnde Eignung des Tatsubjekts einen untauglichen Versuch darstellt, ist umstritten

der untaugliche Versuch ist also dadurch geprägt, dass der Täter die Sachlage falsch einschätzt und irrig davon ausgeht, eine Rechtsgutsverletzung herbeiführen zu können (sog. umgekehrter Tatumstandsirrtum). Auch der untaugliche Versuch ist strafbar. Dies kann dem Gesetz aus § 23 III StGB entnommen werden, denn die Norm bedroht den grob unverständigen Versuch für den Regelfall mit Strafe. Ist aber selbst der grob unverständige und damit in besonderer Weise untaugliche Versuch strafbar, so muss der „normale“ Versuch erst recht strafbar sein

a. der grob unverständige Versuch (§ 23 III StGB)

ein Unterfall des untauglichen Versuchs, der abweichend zu behandeln ist, stellt der grob unverständige Versuch dar. Der grob unverständige Versuch liegt in der Mitte zwischen dem voll strafbaren „normalen“ untauglichen Versuch und dem straflosen irrealen Versuch. Dementsprechend ordnet § 23 III StGB für diesen auch an, dass das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 49 II StGB) mildern kann

grob unverständig ist ein solcher Versuch, bei dem der Täter eine völlig abwegige Vorstellung von gemeinhin bekannten naturgesetzlichen Kausalzusammenhängen hat
Bsp.: zielt A mit einem Luftgewehr auf das am Himmel fliegende Flugzeug, um dieses abzuschießen

inwieweit man einen Ursachenzusammenhang noch als gemeinhin bekannt voraussetzen kann, ist nicht immer einfach zu beurteilen

b. der irreale (abergläubische) Versuch

straflos bleibt dagegen der irreale (abergläubische) Versuch

dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter sein tatbestandliches Ziel mit irrealen, der menschlichen Beherrschung entzogenen Mitteln zu erreichen versucht

aus dem Wortlaut des § 23 III StGB ergibt sich das zwar nicht und auch der gesetzgeberische Wille war ein anderer. Gleichwohl rechtfertigt sich die Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs daraus, dass es bei ihm am rechtserschütternden Eindruck auf die Allgemeinheit fehlt, weshalb eine Sanktion sinnlos ist

als dogmatischer Begründungsansatz für die Straflosigkeit wird herrschend bereits am Tatentschluss angesetzt: Es fehlt der Vorsatz hinsichtlich der Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos

denkbare Bsp.: Verhexen, Totbeten oder Voodoo

273
Q

untauglicher Versuch und Wahndelikt - 2. untauglicher Versuch und Wahldelikt

A

vom grds strafbaren untauglichen Versuch muss das bloße (straflose) Wahndelikt unterscheiden werden

während der Täter beim Versuch umstände annimmt, die bei ihrer Realisierung einen TB erfüllen würden, geht der Täter beim bloßen Wahndelikt irrig davon aus, die (von ihm richtig erkannten) tatsächlichen Umstände erfüllten den TB einer Verbotsnorm, die es aber nicht oder nicht so gibt

ein Wahldelikt kann beruhen auf:

  • einem umgekehrten Verbotsirrtum: der Täter nimmt eine Strafnorm an, die es in Wahrheit nicht gibt (Bsp.: der verheiratete M hintergeht seine Ehefrau F in der irrigen Annahme, Ehebruch sei strafbar)
  • einem umgekehrten Subsumtionsirrtum: der Täter legt eine Strafnorm zu seinen Ungunsten zu weit aus (Bsp.: der Entleiher nimmt den Besitz seiner eigenen Sache in der irrigen Annahme weg, auch die Wegnahme eigener, aber verliehener Sachen sei Diebstahl)
  • einen umgekehrten Erlaubnisirrtum: der Täter geht davon aus, das sein Verhalten nicht durch eine Erlaubnisnorm gedeckt sei, etwa weil er die zu seinen Ungunsten zu eng auslegt (Bsp.: T wehrt den Angriff des A durch dessen Tötung in erforderlicher Weise ab, hält sich aber dennoch nicht für gerechtfertigt, da er irrig davon ausgeht, das Notwehrrecht gestatte niemals die Tötung eines anderen Menschen)

die Abgrenzung zwischen dem untauglichen Versuch und einem schlichten Wahndelikt:

  • betrifft der Irrtum des Täters die tatsächlichen Umstände (umgekehrter Tatumstandsirrtum), ist ein untauglicher Versuch gegeben
  • irrt sich der Täter dagegen über das Recht (umgekehrter Verbots-, Subsumtions-, oder Erlaubnisnormirrtum), ist bloß ein Wahndelikt gegeben

Im Gutachtenaufbau kann die Abgrenzung an unterschiedlichen Standorten zu problematisieren sein:

  • beim umgekehrten Verbotsirrtum: Abgrenzung in der Vorprüfung; wenn schon keine Strafnorm existiert, kann auch ihr Versuch nicht strafbar sein
  • beim umgekehrten Subsumtionsirrtum: Abgrenzung im Tatentschluss, denn dieser ist nicht auf die Verwirklichung einer Straftat gerichtet

drei Konstellationen, in denen die Unterscheidung zwischen beiden nicht leicht zu beurteilen ist: a,b und c auf nächster KK

274
Q

untauglicher Versuch und Wahndelikt - 2. untauglicher Versuch und Wahldelikt - a. Fehlvorstellung über normative TBMerkmale

A

a. Fehlvorstellung über normative TBMerkmale

problematisch ist die Unterscheidung zunächst dann, wenn der Irrtum des Täters normative TBMerkmale betrifft

Bsp.: A übereignet B ein Buch. Am nächsten Tag nimmt er es ihm in Zueignungsabsicht wieder weg, ohne zu wissen, dass B geisteskrank ist und somit keine wirksame Einigungserklärung zur Vereinbarung des Eigentumsübergangs (vgl § 929 1 BGB) abgeben konnte. A hält das Buch also für fremd, obwohl er es garnicht wirksam übereignet hat

  • Versuch am untauglichen Tatobjekt, weil A sich nur vorstellte, die Sache sei fremd, oder
  • Wahndelikt, weil sich As Irrtum auf ein TBMerkmal bezog, das er aus falschen rechtlichen Erwägungen als gegeben ansah?

—> untauglicher Versuch, da der Irrtum des Täters die Sachverhaltsebene betraf. Er hat auf tatsächlicher Ebene nicht erkannt, dass B derart krank ist, dass er die Voraussetzungen zur Abgabe einer wirksamen Einigungserklärung nicht erfüllt. Sein Verständnis des Rechtsbegriffs „fremd“ ist dagegen korrekt: A ist sich bewusst, dass eine Sache fremd ist, wenn sie ihm weder allein gehört noch herrenlos ist

275
Q

untauglicher Versuch und Wahndelikt - 2. untauglicher Versuch und Wahldelikt - b. falsche Auslegung eines TBMerkmals

A

b. falsche Auslegung eines TBMerkmals

Probleme bereitet die falsche Auslegung von TBMerkmalen

Bsp.: § 154 StGB stellt den Meineid gegenüber einem Gericht oder einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Stellen unter Strafe. Zeuge Z schwört in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren falsch vor einem Polizisten, seine Aussage wahrheitsgemäß gemacht zu haben. Er geht dabei davon aus, dass auch Polizisten zur Abnahme von Eiden zuständig sind. Nach § 161a I 3 StPO sind dies aber nur Richter

  • Versuch am untauglichen Objekt, weil Z die Zuständigkeit des Polizisten irrig annahm, oder
  • Wahndelikt, weil sich Z über die rechtlich nicht begründete Zuständigkeit des Polizisten irrte?

nach hM liegt ein Wahndelikt vor. Denn die Fehlvorstellung des Täters beruht hier auf den Rechtsunkenntnis des Z. Er stellt sich einen TB vor, der den Meineid gegenüber Polizisten unter Strafe stellt. Ein solches Delikt gibt es jedoch nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Rechtspflege nur gegen den Meineid gegenüber Richtern und den sonst genannten Stellen strafrechtlich geschützt. Anders wäre die Situation zu beurteilen, wenn Z den Polizisten, der sich zum Scherz eine Robe angezogen hat, für einen Richter hält. Denn dann irrt er auf Sachebene und es liegt ein untauglicher Versuch vor

276
Q

untauglicher Versuch und Wahndelikt - 2. untauglicher Versuch und Wahldelikt - c. Fehlvorstellung über die Tauglichkeit des Tatsubjekts

A

c. Fehlvorstellung über die Tauglichkeit des Tatsubjekts

Probleme wirft der Fall des Irrtums über das Tatsubjekt auf, weil der Täter glaubt, er erfülle das persönliche Merkmal eines Sonderdelikts

Bsp.: A nimmt für eine Dienstleistung Geld an und kennt dabei die Nichtigkeitsgründe seiner Beamtenernennung nicht

  • untauglicher Versuch der Bestechlichkeit nach § 332 I 1 StGB, weil A sich tatsächlich für einen Beamten hält, oder
  • Wahndelikt, weil sich A im Unklaren über die nach rechtlichen Gesichtspunkte zu beurteilende Wirksamkeit seiner Beamtenernennung ist?

die hM nimmt einen strafbaren untauglichen Versuch an
(+) A irrt sich in tatsächlicher Hinsicht über die (Un)-Wirksamkeit seiner Beamtenernennung
(+) Umkehrprinzip: Weil ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der besonderen Pflichtenstellung den Täter nach § 16 I 1 StGB entlastet, muss ihn der umgekehrten Fall belasten und zum untauglichen Versuch führen

277
Q

Übersicht - untauglicher, grob unverständiger, irrealer Versuch und Wahndelikt

A

„normaler“ untauglicher Versuch
- zB Schuss auf eine Leiche
—> strafbar (arg § 23 III StGB)

grob unverständiger Versuch
- zB „Abschuss“ eines Flugzeugs mit Luftgewehr
—> strafbar, aber Milderung möglich (§ 23 III StGB)

irrealer (abergläubischer) Versuch
- zB Verhexen, Voodoo
—> straflos

Wahndelikt
- zB Annahme, Bordellbesuch sei strafbar
—> straflos (arg Art. 103 II GG)

278
Q

Rücktritt vom Versuch und tätige Reue

A

solange eine Tat noch nicht vollendet ist, eröffnet § 24 StGB (bzw im Fall des § 30 StGb dir Vorschrift des § 31 StGB) dem Täter die Möglichkeit, durch Rückritt vom Versuch Straffreiheit zu erlangen. Davon zu trennen ist die Möglichkeit der tätigen Reue, die das Gesetz bei einzelnen Delikten (zumindest abstrakten Gefährdungsdelikten) vorsieht (z.B §§ 142 IV, 261 VIII, 264 VI, 264a III, 265b II, 306e, 314a StGB).

Rücktritt und tätige Reue unterscheiden sich in zwei Punkten voneinander:

- während der Rücktritt stets zur Strafbarkeit führt, kann die tätige Reue auch nur zu einer Strafmilderung führen (vgl §§ 142 IV, 314a I, II StGB)
- während der Rücktritt mit Deliktsvollendung ausgeschlossen ist, erfasst die tätige Reue das Verhalten des Täters nach Deliktsvollendung 

beim Rücktritt vom Versuch handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Er wirkt also nur für den Zurücktretenden selbst und nicht für etwaige Mittäter oder Teilnehmer (diese können natürlich ihrerseits zurücktreten)

§ 24 I StGB regelt den Rücktritt vom Versuch der Tat, bei der nur ein Beteiligter involviert ist.
In § 24 II StGB ist der Rücktritt vom Versuch bei Beteiligung mehrerer geregelt.

der Anwendungsbereich des § 24 StGB ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die Vollendung mangels tatbestandsmäßigen Erfolg ausbleibt. Die Vorschrift ist vielmehr auch dann anwendbar, wenn zwar ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintritt, dieser jedoch nicht kausal auf die Angriffshandlung des Täters zurückgeführt werden kann. Dabei handelt es sich um die Fallgruppe sog. überholender oder abgebrochener Kausalität.

Theorien zum Zweck der Strafaufhebung bei Rücktritt des Täters:

- Prämientheorie: Belohnung des Täters für die freiwillige Rückkehr zum sozial richtigen Verhalten 
- kriminalpolitische Theorie: das Gesetz will dem Täter eine goldene Brücke zur Rückkehr in die Legalität bauen, wodurch der Täter zur Umkehr bewegt und das angegriffene Rechtsgut geschützt werden soll 
- Strafzwecktheorie (hM): bei freiwilligem Rücktritt entfallen sowohl general- als auch spezialpräventive Gründe für eine Bestrafung des Täters
279
Q

kein Rücktritt bei Fehlschlag des Versuchs

A

nach hM ist der Rücktritt vom Versuch dann ausgeschlossen, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist. Denn lässt der Täter nur dann von der TBVerwirklichung ab, weil er sie ohnehin nicht mehr erreichen kann, fehlt es an einem honorierbaren Verzicht des Täters, der dessen Straffreiheit rechtfertigt. Die Anknüpfung an das Gesetz wird darin gesucht, dass sämtliche Rücktrittsvarianten (teils explizit, teils implizit) die Vorstellung der Täters von der Möglichkeit der Vollendung voraussetzen. Daher sind nach hM fehlgeschlagene Versuche aus dem Anwendungsbereich des § 24 StGB auszuscheiden.

Nur vereinzelt wird dies unter anderem deshalb abgelehnt, weil die Rechtsfigur des fehlgeschlagen Versuchs ohne gesetzliche Grundlage und damit unter Verletzung von Art. 103 II GG, § 1 StGB operiere. Die Fallgruppe des fehlgeschlagenen Versuchs werde nämlich ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 24 StGB konstruiert (allerdings sei in einschlägigen Fällen oftmals eine andere Voraussetzung des § 24 StGB nicht gegeben)

geht man mit der hM von der Erforderlichkeit dieser Rechtsfigur aus, so stellt sich die Anschlussfrage, wann ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Zu dieser Frage werden drei Ansätze vertreten

280
Q

kein Rücktritt bei Fehlschlag des Versuchs - 1. Einzelaktstheorie

A

die teilweise vertretene Einzelaktstheorie sieht in jedem einzelnen auf die Erfolgsverursachung gerichteten Ausführungsakt einen selbstständigen Versuchsakt und gelangt daher schon dann zur Annahme eines fehlgeschlagen Versuchs, wenn der erste Ausführungsakt den Erfolg nicht herbeigeführt hat

Bsp.: A schießt mit einem vollen Magazin auf O und verfehlt diesen mit dem ersten Schuss.
—> Nach der Einzelaktstheorie liegt hier ein fehlgeschlagener Versuch vor, da der erste Schuss sein Ziel verfehlt hat

281
Q

kein Rücktritt bei Fehlschlag des Versuchs - 2. Tatplantheorie

A

in der früheren Rspr. wurde die Tatplantheorie vertreten, wonach maßgebliche auf das Vorstellungsbild des Täters vor der Tatausführung (sog Planungshorizont) abzustellen ist. Hat der Täter seinen Tatplan auf ein bestimmtes Mittel oder eine fest umrissene Anzahl von Ausführungsakten beschränkt, so liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor, wenn der Täter diese Mittel ausgeschöpft hat, ohne dass sie den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt haben.

Bsp.: A hat sich vorgenommen, O zu töten. Er will zunächst versuchen, O mit einem Seil zu erwürgen und (sollte er dazu nicht genügend Kraft aufbringen können) ihm sonst mit einem Hammer den Kopf zertrümmern. Während nach der Einzelaktstheorie bereits das erfolglose Würgen einen fehlgeschlagenen Versuch begründen würde, liegt nach der Tatplantheorie ein solcher erst dann vor, wenn auch das Einschlagen auf den Kopf erfolglos geblieben ist

282
Q

kein Rücktritt bei Fehlschlag des Versuchs - 3. Gesamtbetrachtungslehre (hM)

A

die herrschende Gesamtbetrachtungslehre stellt entscheidend auf das Vorstellungsbild des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (sog Rücktrittshorizont) ab

von einem fehlgeschlagenen Versuch ist dann auszugehen, wenn der Täter erkennt, dass seine bisherigen Ausführungshandlungen den Erfolg noch nicht herbeigeführt haben und er auch da von ausgeht, den angestrebten Erfolg mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr im unmittelbaren Fortgang des Geschehens ohne zeitliche Zäsur herbeiführen zu können

dem Tatplan kann im Einzelfall allerdings Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen

Bsp.: um O zu töten, hat A sich vorgenommen, ihn zunächst mit einem Seil zu würgen und (sollte dies O nicht töten) ihm sonst mit einem Hammer den Kopf zu zertrümmern. Nachdem auch die Hammerschläge O nicht töten, ergreift A während der Tatausführung eine für dem Tisch liegendes Küchenmesser und sticht auf O ein. Weil O immer noch lebt, gibt A verzweifelt und kraftlos auf

- Einzelaktstheorie: Fehlschlag nach Misslingen des Erwürgens
- Tatplantheorie: Fehlschlag nach Scheitern der Tötung durch Einschlagen des Kopfes 
- Gesamtbetrachtungslehre: Fehlschlag nach Misslingen des Erstechens
283
Q

erforderlich Rücktrittsleistung

A

ist der Versuch des Täters nicht fehlgeschlagen, muss die Rücktrittsleistung bestimmt werden, an deren Erbringung das Gesetz die Straffreiheit knüpft. Gem § 24 I 1 StGB kann dazu die bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung (Alt. 1) genügen oder aber die Verhinderung der Vollendung (Alt. 2) erforderlich sein. Die erforderliche Rücktrittsleistung hängt maßgeblich davon ab, ob ein beendeter oder unbeendeter Verscuh vorliegt.

284
Q

erforderlich Rücktrittsleistung - 1. der unbeendete Versuch (§ 24 I 1 Alt.1 StGB)

A

der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter noch nicht alles getan haben zu glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur TBVerwirklichung erforderlich ist

ob dies aus der Sicht des Planungs- oder Rücktrittshorizonts zu beurteilen ist, ist in gleicher Weise umstritten wie bei der Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Dementsprechend hält die hM aus den o.g Gründen die Sicht des Täters nach der letzten Ausführungshandlung für maßgeblich

beim unbeendeten Versuch genügt gem § 24 I 1 Alt.1 StGB die bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung. Der Täter darf mithin keine auf die Tatvollendung gerichtete Tätigkeit mehr vornehmen

Problematisch ist, ob und unter welchen Bedingungen von der Aufgabe der weiteren Tatausführung gesprochen werden kann, wenn sich der Täter noch künftige Fortsetzungsakte vorbehält
- nach hM hindern vorbehaltene Fortsetzungsakte den Rückritt nur dann, wenn sich der Täter diese Akte für einen Zeitpunkt vorbehält, der mit dem jetzt fraglichen Versuch eine natürliche Handlungseinheit bildet

Wissen im Vorgriff:
Der Begriff der natürlichen Handlungseinheit entstammt den Konkurrenzen, wird also eigentlich bei der Beurteilung relevant, wie mehrer TBVerwirklichungen durch den gleichen Täter zu beurteilen sind. Bei der natürlichen Handlungseinheit liegen mehrere Handlungen des Täters vor, diese erscheinen aber aufgrund des Umstandes, dass sie von einem einheitlichen Willen getragen sind, einem im Wesentlichen gleichartigen Charakter ausweisen und aufgrund ihres engen räumlich-zeitlichen Zusammenhangs als ein zusammengehörigen Tun

285
Q

erforderlich Rücktrittsleistung - 2. der beendete Versuch (§ 24 I 1 Alt.2, S.2 StGB)

A

ein Versuch ist beendet, wenn der Täter (nach der letzten Ausführungshandlung- Rücktrittshorizont, hM) alles getan zu haben glaubt, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur TBVerwirklichung erforderlich ist

beim beendeten Versuch erlangt der Täter entweder gem § 24 I 1 Alt.2 StGB Straflosigkeit, wenn er die Vollendung der Tat verhindert, oder nach nach § 24 I 2 StGB, wenn die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet wird, er sich aber ernsthaft um die Verhinderung der Vollendung bemüht

für die Verhinderung der Vollendung genügt, dass der Täter eine Kausalreihe in Gang setzt, die für die Nichtvollendung des Delikts zumindest mitursächlich wird

Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Täter optimale und sicher erfolgsverhindernde Maßnahmen ergreift. Dem wird teilweise widersprochen: wenn schon für den ungefährlichen untauglichen Versuch ein ernsthaftes Bemühen (§ 24 I 2 StGB) erforderlich sei, müsse dies für den gefährlichen tauglichen Versuch doch erst recht gelten. Nur dann könne das Handeln des Täters als Rückkehr in die Legalität zu verstehen sein. Die Forderung nach optimaler Abwehr liefe jedoch auf eine Übertragung der Anforderungen des S.2 auf S.1 Alt.2 hinaus und wäre in der Sache eine gem Art. 103 II GG verbotene täterbelastende Analogie

in der Literatur wird über das Kriterium der Mitursächlichkeit hinaus die entsprechende Anwendung der Kriterien der objektiven Zurechnung gefordert. Demnach muss der Täter die Verhinderung der Tatvollendung als sein Werk zugerechnet werden können. Gerade die von ihm eröffnete Rettungschance muss sich also in der Nichtvollendung der Tat realisieren.

nach der neueren Rspr ist die Annahme eines beendeten (Totschlags)Versuchs zwar möglich, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines Verhaltens macht. Jedoch muss als innere Tatsache eine solche gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den jedenfalls in Kauf genommenen Tatfolgen positiv festgestellt werden. Sind bezüglich des Vorstellungsbildes des Täters keine Angaben im Sachverhalt zu finden, darf daraus nicht zum Nachteil des Täters der Schluss auf ein Fehlen solcher Gedanken und damit Indifferenz gezogen werden

286
Q

erforderlich Rücktrittsleistung - 3. Korrektur des Rücktrittshorizonts

A

nach hM kann aus einem zunächst beendeten Versuch wieder ein unbeendeter Versuch werden, wenn der Täter sogleich nach der Tathandlung zu der Erkenntnis gelangt, dass er entgegen seiner ersten Einschätzung doch noch nicht alles zur TBVerwirklichung Erforderliche getan hat. Voraussetzung dafür ist also, das der Täter unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung seinen Irrtum erkennt und somit den Rücktrittshorizont korrigiert

Korrektur des Rücktrittshorizonts im umgekehrten Fall:
die Grundsätze der Korrektur des Rücktrittshorizonts gelten auch dann, „wenn der Täter bei unverändert fortbestehender Handlungsmöglichkeit mit einem Taterfolg zunächst nich rechnet, unmittelbar darauf jedoch erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat.“ Von einem beendeten Versuch ist demnach auszugehen, wenn die entsprechende Korrektur der Tätervorstellung bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit in engstem räumlichen und zeitlichem Zusammenhang mit der letzten Tathandlung erfolgt

287
Q

erforderlich Rücktrittsleistung - 4. die außertatbestandliche Zielerreichung

A

umstritten ist, ob ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch der TBVerwirklichung auch dann noch möglich ist, wenn der Täter sein eigentliches (außertatbestandliches) Handlungsziel erreicht hat.

  • starke Mindermeinung: Rücktritt soll ausgeschlossen sein, wenn der Täter sein außertatbestandliches Ziel schon erreicht hat. Dabei wird das Problem teilweise bei der erforderlichen Rücktrittsleistung, teilweise aber auch beim Merkmal der Freiwilligkeit des Rücktritts verortet
  • die hM geht infolge der grundlegenden Entscheidung des großen Senats demgegenüber davon aus, dass die Erreichung eines außertatbestandlichen Handlungsziels keine Auswirkungen auf die Rücktrittsfähigkeit eines Versuchs zeitigt
288
Q

erforderlich Rücktrittsleistung - 5. Rücktritt vom mehraktigen Geschehen

A

besondere Probleme in rechtlicher, aber auch in aufbautechnischer Hinsicht bereiten mehraktige Fallgestaltungen

BspFall auf KK 581f.

289
Q

Freiwilligkeit (Rücktritt vom Versuch)

A

Voraussetzung eines strafbefreienden Rücktritts ist stets, dass der Täter die jeweils erforderliche Rücktrittsleistung freiwillig erbringt. Heute wird die Freiwilligkeit vorwiegend in psychologischer Betrachtung an den Begriffen der autonomen oder heteronomen Gründen gemessen:

  • Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er auf autonomen Gründen beruht, dh auf einer freien Entscheidung des Täters selbst. Autonome Gründe sind demnach auch Gewissensbisse, Reue, Mitleid oder die generelle Angst vor Strafe
  • Unfreiwillig ist der Rücktritt dagegen, wenn er auf heteronomen Gründen beruht, dh der Täter aus Gründen zum Rücktritt gedrängt wird, die von ihm unabhängig sind. Heteronome Gründe sind zB das Eintreffen der Polizei oder die Vorstellung, die Tat sei bereits entdeckt.

Allein der Umstand, dass der Anstoß für die Entscheidung des Täters von außen kommt, schließt die Freiwilligkeit aber noch nicht aus. So kann ein Rücktritt auch bei Einwirken eines Dritten auf den Täter freiwillig sein. Nach dem BGH steht auch etwa das Wählen des Notrufes durch einen Zeugen der Annahme von Freiwilligkeit nicht per se entgegen, da der Täter ja bis zum Eintreffen der Polizei noch weitere Ausführungshandlungen vornehmen könnte, ohne dass dies zwingend zu einer beträchtlichen Risikosteigerung führen muss

vielmehr darf sich der Täter nicht mehr als „Herr seiner Entschlüsse“ sehen. So etwa in BGH NStZ 2014, 202, wo der Täter sein Vorhaben abbricht, da er sich aufgrund äußerer Zwänge oder psychischer Hemmungen nicht mehr in der Lage sieht, seine Tat fortzusetzen: Er ging davon aus, nur durch Flucht der drohenden Festnahme zu entgehen.

Nicht erforderlich ist somit, dass der Grund des Täters, der ihn zum Rücktritt bewogen hat, einer billigenswerten Motivation entspricht oder sittlich hochwertig ist

andere wollen die Freiwilligkeit normativ bestimmen. Danach soll der Rücktritt freiwillig sein, wenn es nach der Verbrechervernunft nicht geboten war, die TBVerwirklichung aufzugeben. Was es aus Sicht des Verbrechens dagegen vernünftig, die TBVerwirklichung nicht weiter zu betreiben (und etwa zu fliehen), sei der Rücktritt unfreiwillig.

290
Q

das vorsätzliche Unterlassungsdelikt

A

nach geltendem Recht kann sich der Täter nicht nur deshalb strafbar machen, weil er eine bestimme Handlung (positiv) vorgenommen hat, sondern auch deshalb, weil er eine bestimmte Handlung (negativ) nicht vorgenommen hat

291
Q

der Begriff des Unterlassens

A

Bei Unterlassungsdelikten schreitet der Täter gegen eine drohende Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung nicht ein.
Das schlichte Untätigbleiben stellt jedoch noch kein Unterlassen im Rechtssinne dar. (Straf-)Rechtlich relevantes Unterlassen liegt nur dort vor, wo der Täter rechtlich verpflichtet war, eine bestimmte Handlung vorzunehmen

292
Q

Einteilung der Unterlassungsdelikte - a. echte Unterlassungsdelikte

A

bei echten Unterlassungsdelikten ist das konkrete Delikt so gefasst, dass allein ein Unterlassen tatbestandsmäßig ist

echte Unterlassungsdelikte sind Tätigkeits- und keine Erfolgsdelikte. Maßgeblich ist allein das Unterlassen des rechtlich gebotenen, aktiven Tuns, nicht der Erfolg.
Echte Unterlassungsdelikte begründen eine Rechtspflicht zum Tätigwerden in sich selbst. Normadressat und damit tauglicher Täter echter Unterlassungsdelikte ist jeder Bürger, der zur Vornahme der gebotenen Handlung in der Lage ist

Bsp.:

  • Nichtanzeige geplanter Straftaten gem § 138 StGB
  • Unterlassen der Hilfeleistung gem § 323c StGB
  • Verweilen gem § 123 I Alt.2 StGB
293
Q

Einteilung der Unterlassungsdelikte - b. Unechte Unterlassungsdelikte

A

unechte Unterlassungsdelikte sind dagegen solche Tatbestände, deren Verwirklichung grds auch durch aktives Tun denkbar (und sogar der Regelfall) ist, die aber unter den zusätzlichen Voraussetzungen von § 13 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden können

Zum TB gehört hier nicht lediglich das Unterlassen einer gebotenen Handlung, sondern darüber hinaus auch der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs. Unechte Unterlassungsdelikte sind somit Erfolgsdelikte. Bei unechten Unterlassungsdelikten folgt die Rechtspflicht zum Einschreiten nicht aus dem BT-Tatbestand selbst, sondern erst § 13 StGB begründet die Handlungspflicht. Der Kreis der tauglichen Täter ist hier durch § 13 StGB auf Personen begrenzt, die dafür einzustehen haben, dass der Erfolg nicht eintritt (sog Garanten)

Bsp.: Totschlag durch Unterlassen gem §§ 212 I, 13 I StGB

Eines Rückgriffs auf § 13 StGB bedarf es nach überwiegender Meinung konstruktiv bei sog Pflichtdelikten nicht. Bei ihnen hat das Gesetz die Fälle des Unterlassens tatbestandlich mitvertypt. Ein Pflichtdelikt ist zB § 266 StGB. Voraussetzung einer Strafbarkeit ist dort die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht. Der Begriff der Pflicht ist aber allgemein gefasst und je nach Situation kann sie dadurch verletzt werden, dass ein Täter in einer bestimmten Weise tätig wird oder eben auch gerade dadurch, dass er nicht tätig wird und es unterlässt, einen Nachteil vom fremden Vermögen abzuwenden

294
Q

Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen

A

Fälle, in denen nicht sogleich klar ist, ob dem Täter ein Handeln oder ein Unterlassen anzulasten ist

Bsp.:

  • Radfahrer R fährt abends ohne Licht, sieht daher den Fußgänger F nicht und verletzt ihn durch das Anfahren
  • T zieht das in den Brunnenschacht geworfenen Rettungsseil wieder hoch, bevor es den Hilfe suchenden O am Grunde des Brunnens erreicht hat

die hM will die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen durch eine wertenden Betrachtung lösen. Maßgeblich soll sein, wo nach normativer Betrachtung und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt

verbreitet ist auch eine Auffassung, die (mit unterschiedlichen Betonungen) für entscheidend hält, ob der Täter den Erfolg durch positiven Energieeinsatz verursacht hat oder ob er seine Energie gegenüber einem anderweitig in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht eingesetzt hat

295
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 1. Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs

A

hinsichtlich der Prüfung des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs bestehen keine Unterschiede im Vergleich zum Begehungsdelikt

296
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 2. Unterlassen der Rettungshandlung

A

gem § 13 StGB müsste der Täter zunächst die zur Erfolgsabwendung gebotene Rettungshandlung unterlassen haben

Unterlassen meint die Nichtvornahme dieser Handlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit. Geboten ist eine solche Rettungshandlung, die den Eintritt des tabestandlichen Erfolgs möglichst effektiv abwenden würde

von ihm ist jedoch nur das zu fordern, was ihm in der Gefahrensituation physisch-real möglich ist.
Hieran mangelt es bspw:
- bei fehlender Nähe zur Gefahrenstelle
- bei individueller Unfähigkeit, die zur Rechtsgutserhaltung allein sinnvolle Handlungen vorzunehmen
- beim Nitvorhandensein der zur Rettung notwendigen Hilfsmittel

297
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 3. (Quasi-)Kausalität

A

Kausalität erfordert als Seinskategorie eine tatsächliche Energiequelle, die fähig ist, einen Kraftaufwand zu erbringen - hieran fehlt es aber gerade beim Unterlassen

hM: Erfordernis eines Bedingungszusammenhangs zwischen dem Nichtstun und dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs. Die csqn-Formel kann aber nicht ohne weiteres angewendet werden, da ein Unterlassen nicht hinweg-, sondern hinzugedacht werden kann. Daher wird die Formel modifiziert. Man spricht von einer „Quasi-Kausalität“ bzw „hypothetischen Kausalität“

Das Unterlassen ist ursächlich, wenn durch die Vornahme der gebotenen Handlung der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre

wie wirkt es sich zurechnungsmäßig aus, dass der Täter in einer Gefahrensituation zwar den Erfolg in seiner konkreten Gestalt, nicht aber den im Gesetz abstrakte umschriebenen Erfolg verhindern kann. Eine methodisch einwandfreie Lösung kann daher nicht über reine Kausalitätserwägungen, sondern nur mithilfe der Kriterien der objektiven Zurechnung sowie des Pflichtwidirgkeitszusammenhangs erfolgen.

das Unterlassen ist ursächlich, wenn durch die Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre

neben der Ursächlichkeit sind dann aber wiederum die allgemeinen Kriterien der objektiven Zurechnung zu prüfen. So bedarf es der Beantwortung der Frage, ob der Erfolg gerade auf der Pflichtwidrigkeit des Unterlassens beruhte. Dieser Pflcihtwidrigkeitszusammenhang ist nur dann gegeben, wenn die Vornahme der gebotenen Rettungshandlung in der konkreten Gefahrensituation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Erhaltung des gefährdeten Rechtsgutes geführt hätte

Risikoverringerungslehre - einschreiten des Täters hätte das Risiko der TBVerwirklichung verringert

298
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 4. Garantenstellung

A

gem § 13 StGB ist weiterhin Voraussetzung, dass der Unterlassene Garant für die Abwendung des Erfolges ist, also aufgrund einer besonderen Pflichtenstellung „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt“

Beschützergaranten: bestehen in einer Schutzfunktion für ein bestimmtes Rechtsgut
Überwachungsgaranten: Garant obliegt die Überwachung einer Gefahrenquelle

Garantenbegriff definiert: „Herrschaft über den Grund des Erfolges“

299
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 4. Garantenstellung - a. Beschützergaranten

A

aa. natürliche Verbundenheit
- eine Garantenstellung besteht nach hM zunächst innerhalb von rechtlich fundierten Verhältnissen enger natürlicher Verbundenheit, wobei die Schutzpflicht von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann:
(1) Ehegatte, vgl § 1353 BGB und eingetragene Lebenspartner
(2) Verwandte gerader Linie, vgl §§ 1626, 1626a, 1631 BGB (elterliche Sorge), § 1618a BGB (Eltern-Kind-Beziehung), §§ 1793, 1800 BGB (Vormund)
(3) Geschwister
(4) Verlobte

bb. enge Lebens- und Gefahrengemeinschaft
- Voraussetzung dafür ist ein besonderes Vertrauensverhältnis für die Gewähr gegenseitiger Hilfe und Fürsorge in Gefahrensituationen

cc. Treu und Glauben (§ 242 BGB)
- besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartners / dauerhaft enge Geschäftsbeziehung
- zu prüfen, ob eine Garantenstellung aus tatsächlicher freiwilliger Übernahme in Betracht kommt

dd. tatsächliche freiwillige Übernahme von Schutz- und Beistandspflichten
- Obhutsverhältnis über ein totale oder partiell hilfloses Rechtsgutsobjekt
- bspw Babysitter, Bademeister
- die Reichweite der Garantenstellung wird durch die Reichweite des Anvertrauungsaktes begrenzt. Denn die aus einer Übernahme der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers resultierende Garantenstellung geht nur so weit wie die anvertraute Hilflosigkeit

ee. Garantenstellung von Organen und Amtsträgern
- hM: es kommt auf die Art der Dienstpflicht und den maßgebenden Aufgabenbereichen an, ob sie zugleich eine Garantenpflicht begründet (die Garantenstellung besteht idR nur während der Dienstausübung)

300
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 4. Garantenstellung - b. Überwachergaranten - aa

A

Überwachergaranten haben Rechtsgüter Dritter vor Schäden zu bewahren, die sich aus einer von ihnen beherrschten und zu verantwortenden Gefahrenquelle ergeben können

aa. Vorangegangenes, gefährdendes Tun (Ingerenz)
(1) Anerkenntnis einer Garantenstellung aus Ingerenz?
- nach hM kann sich auch aus einem gefährlichen Vorverhalten einer Person dessen rechtliche Einstandspflicht ergeben, daraus erwachsene Schädigungen Dritter abzuwenden (bei naher Gefahr des tatbestandsmäßigen Erfolgseintritts)
(2) wenn ja: wie muss das Vorverhalten beschaffen sein, um eine Garantenpflicht auszulösen?
- erkennt man mit der hM eine Garantenstellung aus Ingerenz an, stellt sich die umstrittene Anschlussfrage, wie das Vorverhalten einer Person beschaffen sein muss, um seine Handlungspflicht auszulösen?
- nach hM kann nur ein pflichtwidriges Vorverhalten eine entsprechende Garentenstellung auslösen. Dabei muss die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung einer Norm bestehen, die gerade dem Schutz des betreffenden Rechtsguts dient
- Sonderproblem innerhalb der hM: wenn das pflichtwidrige Verhalten sich nicht tatbestandsmäßigen Erfolg niederschlägt und es somit am Zurechnungszusammenhang fehlt
- die hL lehnt eine Garantenstellung aus Ingerenz bei Fehlen des Zurechnungszusammenhangs ab

301
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 4. Garantenstellung - b. Überwachergaranten - bb

A

bb. Garantenpflicht zur Überwachung von Gefahrenquellen (und Verkehrsicherungspflichten)

es besteht die Verkehrspflicht zur Überwachung gegenständlicher Gefahrenquellen, die innerhalb des eigenen Herrschaftsbereich einer Person liegen. Diese Person har die Gefahrenquelle so zu kontrollieren und zu sichern, dass sie Dritte nicht schädigt. Dies gilt ohne Rücksicht auf die Freiwilligkeit der Übernahme der Obhut und unabhängig von der Pflichtwidrigkeit eines vorangegangene Tuns.

  • Garant ist, wer als Mieter die Streupflicht übernimmt
  • den Fahrer eines Kfz treffen die Verkehrssicherungspflichten des Halters, wenn ihm das Kfz anvertraut ist

(1) Garantenpflicht bei Selbstgefährdung

eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung lasse die Garantenpflicht dann nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstgefährdung anlehntet Geschehen erwartungswidrig in Richtung des Rechtsgutsverlusts entwickle

(2) Funktionsnachfolge von Ingerenten

problematisch ist die Funktionsnachfolge von Ingerenten. Dabei geht es um die Frage, ob auch eine durch Ingerenz begründete Garantenstellung vom Nachfolger des Ingerenten übernommen werden kann

302
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 4. Garantenstellung - b. Überwachergaranten - cc

A

cc. Pflicht zur Beaufsichtigung Dritter

ferner besteht für bestimmte Personen eine Aufsichtspflicht für sog Untergebene

  • Bsp.: Pflicht eines Amtsträgers zur Beaufsichtigung von Untergebenen und bestimmten andern Amtsträgern (vgl. § 357 StGB)
  • Bsp.: Pflicht des Soldaten zur Beaufsichtigung Untergebener (vgl § 41 WStGB)

eine Erweiterung dieser Fallgruppe wird im Hinblick auf eine Pflicht des Unternehmensinhabers zur Verhinderung von Straftaten der Mitarbeiter diskutiert

  • nach hM trifft den Unternehmensleiter eine Pflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten. Betriebsbezogen ist eine Straftat dann, wenn sie einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Täters oder mit der Art dieses Betriebs aufweist. Von den betriebsbezogenen Straftaten sind Straftaten, die nur bei Gelegenheit der Tätigkeit begangen werden, abzugrenzen, für die keine Garantenpflicht besteht
303
Q

TB der unechten Unterlassungsdelikte - 5. Entsprechungsklausel (§ 13 I Hs. 2 StGB)

A

§ 13 I StGB verlangt neben der Garantenstellung als zweites Gleichstellungskriterium, dass das Unterlassen (wertungsmäßig) der Verwirklichung des gesetzlichen TB durch ein Tun entsprechen muss

bei reinen Erfolgsdelikten kommt der Entsprechungsklausel letztlich keine Bedeutung zu. Denn bei ihnen folgt die Entsprechung bereits aus dem Umstand, dass das Gesetz allein auf den Eintritt eines Erfolges abhebt und nicht auf die Art und Weise seiner Herbeiführung

eigenständige Bedeutung hat die Entsprechungsklausel daher nur bei sog verhaltensgebundenen Delikten, bei denen die Art der Erfolgsverursachung, also eine bestimmte Verhaltensweise näher beschrieben wird, wie zB bei § 211 II 2.Gruppe StGB („heimtückisch“, „grausam“, „gemeingefährlich“). Hier müssen die geforderten Modalitäten also auch beim Unterlassungsdelikt vorliegen, dh das Unterlassen muss einen dem aktiven Tun vergleichbaren Charakter haben

304
Q

Vorsatz beim Unterlassen

A

die Formel, Vorsatz bedeute Wissen und Wollen der TBVerwirklichung, passt bei Unterlassungsdelikten nur sinngemäß, denn es fehlt an einem vom Verwirklichungswillen getragenen aktiven Tun

zum Vorsatz gehört bei Unterlassungsdelikten der Wille zum Untätigsein in Kenntnis aller objektiven TBMerkmale und in dem Bewusstsein, dass die Abwendung des drohenden Erfolgs möglich ist

zu beachten ist, dass es sich beim Merkmal der Garantenstellung um ein normatives TBMerkmal handelt. Für Vorsatz ist dadurch sowohl die Kenntnis der tatsächlichen Umstände und auch ihrer sozialen Bedeutung erforderlich

der Irrtum über die Garantenstellung ist ein Tatumstandsirrtum, derjenige über die Garantenpflicht ein Gebotsirrtum, der wie ein Verbotsirrtum behandelt wird

Bsp.:

  • Irrtum über die Garantenstellung: Der Vater V erkennt nicht, dass es sich bei dem ertrinkenden Jungen J um seinen Sohn handelt
  • Irrtum über die Garantenpflicht: Der Vater V erkennt zwar, dass es sich bei dem ertrinkenden Jungen J um seinen Sohn handelt, meint aber, er sei ihm gegenüber deshalb nicht mehr zur Hilfeleistung verpflichtet, weil dieser schon volljährig sei
305
Q

Rechtswidrigkeit bei unechten Unterlassungsdelikten

A

bei Unterlassungsdelikten gelten die allgemeinen Rechtfertigungsgründe

zu beachten gilt nur die Besonderheit der sog. echten, rechtfertigenden Pflichtenkollision, bei der zwei zumindest gleichwertige Handlungspflichten kollidieren. Hier rechtfertigt die Wahrnehmung einer gleichrangigen Pflicht die Verletzung der anderen

Bsp.: der Hausarzt wird zu zwei Patienten gerufen, die beide sofortige Hilfe bedürfen und von denen er deshalb nur einen retten kann

306
Q

Schuld bei unechten Unterlassungsdelikten - 1. Gebotsirrtum

A

Auch bei der Schuld gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze zur Schuld des Täters. Besonderheiten ergeben sich nur in zwei Punkten

  1. Gebotsirrtum

während sich bei den Begehungsdelikten das Unrechtsbewusstsein auf das rechtliche Verbot eines Tun bezieht, ist es im Bereich der Unterlassungsdelikte auf das rechtliche Gebot, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, bezogen. Der Täter muss wissen, dass er die betreffende Handlung von Rechts wegen nicht unterlassen darf. Ein Gebotsirrtum, der wie der parallel liegende Verbotsirrtum bei Begehungsdelikten nach § 17 StGB zu behandeln ist, liegt vor, wenn der Täter sich über seine Handlungspflicht irrt: Er verkennt die Gebotsnorm, aus der sich die materielle Rechtswidrigkeit seines Untätigbleibens ergibt

307
Q

Schuld bei unechten Unterlassungsdelikten - 2. Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

A

es ist allgemein anerkannt, dass eine Strafbarkeit des Unterlassens immer unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens steht. Diese Rechtsfigur ist indes nur bei restriktiven Interpretationen zu billigen. Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wird nur in seltensten Ausnahmefällen anzunehmen sein

a. echte Unterlassungsdelikte
- bei einzelnen echten Unterlassungsdelikten lässt die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens schon die Handlungspflicht und damit den TB entfallen. So folgt bereits aus dem Wortlaut des § 323c StGB, dass niemand eine ernstliche Selbstgefährdung oder eine andere beträchtliche Einbuße hinnehmen muss, um seiner Hilfspflicht zu genügen
b. unechte Unterlassungsdelikte
- bei den unechten Unterlassungsdelikten hingegen wird die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens überwiegend dem Schuldbereich zugeordnet

308
Q

Strafe bei unechten Unterlassungsdelikten

A

§ 13 II StGB sieht eine fakultative Strafmilderung nach § 49 I StGB vor. Grund dafür ist die Erwägung, dass der Schuldgehalt des Unterlassens geringer ist als der des aktiven Tuns. Denn zur Realisierung eines Verbrechensentschlusses durch aktives Tun ist eine größere verbrecherische Energie nötig, als einem Geschehensablauf „nur“ untätig zuzusehen, der sich auf den Erfolg zubewegt.

309
Q

Versuch und Unterlassen

A

auch ein Unterlassungsdelikt kann natürlich im Versuchsstadium steckenbleiben

für den Versuch des Unterlassungsdelikts gilt die allgemeine Regel des § 22 StGB, wonach ein unmittelbares Ansetzen zur TBVerwirklichung erforderlich ist. Zur Konkretisierung des unmittelbaren Ansetzens kommen beim Unterlassungsdelikt mehrere Anknüpfungspunkte in Betracht

  • hM: der Versuch des Unterlassungsdeliktes beginnt spätestens, wenn das Tatobjekt unmittelbar gefährdet erscheint. Vergibt der Täter zuvor aber die Möglichkeit eines rettenden Eingriffs und gibt das Geschehen „aus der Hand“, so liegt darin bereits das unmittelbare Ansetzen zum Unterlassungsdelikt
310
Q

Fahrlässigkeitsdelikte

A

im Regelfall ist gem § 15 StGB nur ein vorsätzlich begangenes Verhalten strafbar. Bestimmte Rechtsgüte schützt das Strafrecht aber auch gegenüber einer fahrlässigen Verletzung bzw Gefährdung. Dies muss dann aber gesetzlich ausdrücklich angeordnet sein (z.B §§ 222, 229, 315c III Nr.2 StGB; 316 II StGB). Bei der Fahrlässigkeitstat verwirklicht der Täter den gesetzlichen TB ungewollt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt pflichtwidrig außer Acht gelassen hat

311
Q

Begriff der Fährlässigkeit im Strafrecht

A

im Zivilrecht: von dem objektiven Sorgfaltspflichtverstoß und der objektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts gekennzeichnet
—> Ausgleich eines Schadens, der daraus entstanden ist, dass eine Person nicht die Sicherheitsstandards eingehalten hat, die der Verkehr erwarten durfte

im Strafrecht:

  • es geht um die Frage, ob dem Täter sein Verhalten auch zum Vorwurf gemacht werden kann. Konnte es der Täter nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht erkennen oder vermeiden, das sein Verhalten zur TBVerwirklichung führt, ist ihm insofern strafrechtlich kein Vorwurf für sein Verhalten zu machen
  • Nur bei Vorliegen der objektiven und individuellen Komponente kann der Täter wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts strafbar sein.
312
Q

die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit

A

nur auf Strafzumessungsebene bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit

  • unbewusst fahrlässig handelt, wer die gebotene Sorgfalt außer Acht lässt und daher den TB eines Strafgesetzes verwirklicht, ohne dies zu erkennen
  • die Bestimmung des Begriffs der bewussten Fahrlässigkeit ist im Hinblick auf die Abgrenzung zum Eventualvorsatz umstritten. Nach hM handelt bewusste fahrlässig, wer den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs zwar als möglich erkannt hat, aber (pflichtwidrig) ernsthaft auf dessen Ausbleiben vertraut
313
Q

Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit

A

Bedeutung für die Frage der Strafbarkeit bereits dem Grunde nach hat die Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit. Einige Vorschriften (zB §§ 138 III, 251, 306c StGB) lassen nämlich nicht einfaches fahrlässiges Verhalten ausreichen, sondern verlangen explizit ein leichtfertiges Verhalten des Täters.

Leichtfertig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Die Gefahr des Erfolgseintritts drängt sich also geradezu auf

„Leichtfertigkeitsdelikte“ stellend damit höhere Anforderungen an die Strafbarkeit als „normale“ Fahrlässigkeitsdelikte. Denn lassen letztere irgendeinen Sorgfaltspflichtverstoß ausreichen, verlangen „Leichtfertigkeitsdelikte“ einen groben Sorgfaltspflichtverstoß. Diese Abgrenzung gestaltet sich nicht leicht.

Beide können allerdings weder gleichgesetzt werden, noch muss die bewusste Fahrlässigkeit stets schwerer wiegen als die unbewusste Fahrlässigkeit. Leichtfertigkeit ist also letztlich ein erhöhter Grad von bewusster oder unbewusster Fahrlässigkeit

314
Q

der TB des fahrlässigen Begehungsdelikt-Erfolgsdelikt - 1. der Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts

A

a. zweiteiliger Fahrlässigkeitsbegriff

nach hM wird die individuelle Komponente der Fahrlässigkeit der Schuld zugeordnet. Einen subjektiven TB kennt die hM beim Fahrlässigkeitsdelikt damit nicht. Es ergibt sich der folgende Aufbau des fahrlässigen Begehungs-Erfolgsdelikts:

I. TB
1. Handlung - Erfolg - Kausalität
2. objektive Komponente der Fahrlässigkeit
a. objektiver Sorgfaltspflichtverstoß
b. objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts
3. objektive Zurechnung des Erfolgs
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
1. Schuldfähigkeit
2. individuelle Komponente der Fahrlässigkeit
a. individueller Sorgfaltspflichtverstoß
b. individuelle Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts
3. Entschuldigungsgründe

b. einteiliger Fahrlässigkeitsbegriff

eine Mindermeinung bildet demgegenüber auch bei Fahrlässigkeitsdelikten einen subjektiven TB, indem sie die individuellen Elemente der Fahrlässigkeit prüfen will

315
Q

der TB des fahrlässigen Begehungsdelikt-Erfolgsdelikt - 2. objektive Komponente der Fahrlässigkeit

A

objektiv fahrlässig handelt, wer sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhält und daher objektiv vorhersehbar einen TB verwirklicht

a. objektiver Sorgfaltspflichtverstoß

ein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß liegt vor, wenn der Täter die im Verkehr erfolgreiche Sorgfalt außer Acht lässt

welche Sorgfalt im Einzellfall geboten ist, lässt sich unter Heranziehung der folgenden Erwägung ermitteln:

  • ein Verhalten ist regelmäßig dann objektiv sorgfaltspflichtwidrig, wenn es gegen eine gesetzliche Norm verstößt
  • zur Konkretisierung der gebotenen Sorgfalt können auch sonstige Bestimmungen, wie zB die betriebliche Unfallverhütungs- und Dienstvorschriften, herangezogen werden. Ihre Verletzung stellt zumindest ein Indiz für einen objektiven Sorgfaltpflichtverstoß dar
  • schließlich ist maßgeblich, wie sich ein besonnener und gewissenhafter Mensch bei Betrachtung der Gefahrenlage ex ante in der konkreten Situation und der sozialen Rolle des Handelnden verhalten hätte

begrenzt wird die Sorgfaltspflicht durch den Vertrauensgrundsatz, den die Rspr insbesondere für den Straßenverkehr entwickelte. Danach darf ,an auf das verkehrsrichtige Verhalten Dritter vertrauen und muss sein Verhalten nicht auf alle möglichen Pflichtwidrigkeiten anderer einrichten. Allerdings gilt der Vertrauensgrundsatz nicht uneingeschränkt:

  • nur wer sich selbst verkehrsgerecht verhält, darf sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen (pflichtwidrige Verhalten muss sich dabei aus den Schadensereignis ausgewirkt haben)
  • ferner gilt der Vertrauensgrundsatz nicht gegenüber Personen, die erkennbar nicht in der Lage sind, ihr Verhalten verkehrsordnungsgemäß auszurichten
  • schließlich ist die Berufung auf den Vertrauensgrundsatz auch in Situationen ausgeschlossen, in denen nach der Verkehrslage bestimmte Anzeichen dafür vorliegen, dass sich andere nicht verkehrsgerecht verhalten

b. objektive Vorhersehbarkeit

objektiv vorhersehbar ist alles, was ein umsichtiger Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter Berücksichtigung der konkreten Umstände aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.

316
Q

der TB des fahrlässigen Begehungsdelikt-Erfolgsdelikt - 3. Probleme objektiver Zurechnung bei Fahrlässigkeitsdelikten

A

nach der bereits bekannten Grundformel der objektiven Zurechnung ist dem Täter ein Erfolg dann objektiv zurechenbar, wenn er eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisierte

a. Pflichtwidrigkeitszusammenhang

bei den Fahrlässigkeitsdelikten liegt die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr in der Verletzung einer Sorgfaltspflicht. So begründet bspw nicht das Fahrradfahren als solches eine rechtlich missbilligte Gefahr, sondern erst das Fahrradfahren im betrunkenen Zustand. Gerade diese Pflichtwidrigkeit muss sich dann konsequenterweise auch im Erfolg niedergeschlagen haben. Damit ist die Beziehung zwischen Sorgfaltspflichtverstoß und dem Erfolg angesprochen

b. Schutzzweck der verletzten Norm

besondere Beachtung verdient auch die Lehre vom Schutzzweck der verletzten Norm. Danach muss sich im konkreten Erfolg gerade diejenige rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht haben, deren Eintritt nach dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm vermieden werden sollte

317
Q

der TB des fahrlässigen Begehungsdelikt-Erfolgsdelikt - 4. individuelle Komponente der Fahrlässigkeit

A

wurde im Rahmen des objektiven Fahrlässigkeitselementes ein „verobjektivierter“ Sorgfaltsmaßstab angelegt, so ist bei der individuellen Fahrlässigkeitskomponente zu untersuchen, ob auch der konkrete Täter nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage war, die objektiv erwartete Sorgfalt aufzubringen

die individuelle Fähigkeit zu pflichtgemäßen Verhalten ist zu bejahen, wenn der Täter aufgrund seiner Intelligenz und Bildung, seiner Geschicklichkeit und Befähigung, seiner Lebenserfahrung und seiner sozialen Stellung in der Lage gewesen ist, dem objektiven Maßstab entsprechend die Gefahr der Erfolgsherbeiführung zu erkennen und durch sorgfaltsgemäßes Handeln zu vermeiden.
Entscheidend für die Bejahung einer individuellen Vorhersehbarkeit ist, ob vom Täter in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Erfolgseintritt (im Ergebnis und nicht in den Einzelheiten des dahin führenden Kausalverlaufs) vorausgesehen werden konnte

318
Q

das fahrlässige Unterlassungsdelikt

A

auch im Bereich der fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikte muss den Täter eine Garantenstellung treffen. Es ergibt sich daher der folgende Aufbau (hM zweiteiliger Fahrlässigkeitbegriff)

I. objektiver TB
1. Nichtvornahme der gebotenen Handlung - Erfolg - QuasiKausalität
2. Garantenstellung des Täters
3. objektive Komponente der Fahrlässigkeit
4. objektive Zurechnung des Erfolgs
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
1. Schuldfähigkeit
2. individuelle Komponente der Fahrlässigkeit
3. Entschuldigungsgründe

319
Q

Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

A

Mischtatbestände, bei denen das Gesetz Vorsatz bezüglich einer bestimmten Tathandlung und mindestens Fahrlässigkeit hinsichtlich einer besonderen Tatfolge voraussetzt

  • bei den „eigentlichen“ Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen ist der Teil des TB, hinsichtlich dessen das Gesetz Vorsatz verlangt, nicht selbstständig strafbar. Bsp sind etwa §§ 308 V, 315c III Nr.1 StGB
  • darüber hinaus existieren auch erfolgsqualifizierte Delikte, bei denen das Gesetz an die vorsätzliche Verwirklichung eines bereits als solchen strafbaren Grunddelikts anknüpft und die Strafe für den Fall schärft, dass dadurch der Eintritt einer besonders schweren Fogle der Tat unmittelbar verursacht wird. Auch dabei handelt es sich um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, da gem § 18 StGB schon Fahrlässigkeit hinsichtlich der qualifizierenden Folge genügt. Ein erfolgsqualifiziertes Delikt ist zB § 227 StGB (Tod des Verletzten als schwere Folge einer vorsätzlichen Körperverletzung iSd § 223 StGB)

solche Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen gelten gem § 11 II StGB insgesamt als Vorsatzdelikte, so dass bei ihnen Teilnahme und Versuch denkbar sind

für die Fahrlässigkeitsprüfung ist bei Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen zu beachten, dass der objektive Sorgfaltspflichtverstoß regelmäßig bereits in der vorsätzlichen Tathandlung enthalten ist

eine besondere Problematik der erfolgsqualifizierten Delikte besteht in dem Erfordernis eines so bezeichneten Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Grunddelikt und der schweren Folge: In der schweren Folge muss sich die tatbestandsspezifische Gefahr des Grunddelikts verwirklicht haben. Bei diesem Erfordernis handelt es sich bei richtiger Betrachtung um einen speziellen Fall der objektiven Zurechnung

  • bei der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) muss der Tod des Opfers somit auf eine bereits unmittelbar in der Körperverletzung angelegte spezifische Todesgefahr zurückzuführen sein
  • in gleicher Weise muss bei § 306b I StGB die schwere Gesundheitsschädigung gerade Folge einer unmittelbar in einem Brand angelegten Gefahr sein, wie es zB auf eine Rauchvergiftung zutrifft

Sorgfalt ist geboten, wenn es um den Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt geht. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden

320
Q

Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen - 1. erfolgsqualifizierter Versuch

A

von einem erfolgsqualifizierten Versuch spricht man, wenn schon der Versuch des Grunddelikts die qualifizierende schwere Folge herbeiführt

Bsp.: A schlägt O mit einer Pistole nieder, um dessen Wertsachen ungehindert entwenden zu können. Bei dem Schlag löst sich ein Schuss, der O tödlich trifft. Erschrocken flieht A ohne Beute
—> hier hat A die schwere Folge des § 251 StGB (Tod des O) bereits zu einem Zeitpunkt herbeigeführt, in dem das Grunddelikt des Raubes (§ 249 StGB) noch im Versuchsstadium steckte. Es fragt sich, ob A hier wegen versuchten schweren Raubs mit Todesfolge (§§ 249, 250 II Nr.1 Alt.1, 251, 22 StGB) bestraft werden kann.

weiterhin stellt sich die Frage, ob die tatbestandsspezifische Gefahr nur aus dem Erfolg des Grunddelikts resultieren kann oder sie auch in der Ausführungshandlung des Grunddelikts begründet liegen kann.
Ob Handlug oder Erfolg Anknüpfungspunkt der schweren Folge ist, muss mit Blick auf die ratio des jeweiligen TB für jedes einzelne Delikt gesondert beurteilt werden.

umstritten ist darüber hinaus, ob der Täter auch dann wegen eines erfolgsqualifizierten Versuchs bestraft werden kann, wenn der Versuch des Grunddelikts nicht selbstständig strafbar ist. Der Streit hat für § 221 III STGB (und theoretisch auch für § 238 StGB) Relevanz

Bsp.: A will O im Wald aussetzen. Einen tödlichen Verlauf der Tat hat A nicht in seinen Vorsatz aufgenommen. In dem Moment, in dem A den O auf einer einsamen Stelle aus dem Wagen befördern möchte, erleidet O infolge des Stresssituation einen tödlichen Herzinfarkt.
—> (weil der Versuch der Aussetzung nicht strafbar ist, fragt es sich, ob der Täter dann wegen erfolgsqualifizierten Versuchs strafbar sein kann)

321
Q

Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen - 2. Versuch der Erfolgsqualifikation

A

als Versuch der Erfolgsqualifikation bezeichnet man dagegen die Konstellation, in der der Täter bei versuchtem oder vollendetem Grunddelikt die qualifizierende Folge in seinen Vorsatz aufgenommen hat, er ihren Eintritt jedoch nicht bewirkt

Bsp.: A schlägt O mit einer Pistole nieder, um ungehindert dessen Wertsachen entwenden zu können. A geht hierbei davon aus, dass O infolge der heftigen Schläge auf den Kopf zu Tode kommen könne. O wird in einer Notoperation gerettet
—> A ist wegen vollendeten schweren Raubs (§§ 249, 250 II Nr.1 StGB) in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge (§§ 251, 22 StGB) und versuchtem Mord (§§ 211, 22 StGB) strafbar

weil Erfolgsqualifikation gem § 11 StGB als Vorsatzdelikte zu behandeln sind, ist der Versuch einer Erfolgsqualifikation möglich.

im Rahmen des § 221 StGB kann hier (parallel zur Problematik beim erfolgsqualifizierten Versuch) die Frage nach der Strafbarkeit des Versuchs der Erfolgsqualifikation auftreten, wenn der Versuch des Grunddelikts nicht selbstständig strafbar ist. Dieses Problem stellt sich bei der versuchten Erfolgsqualifikation aber nur, wenn auch das Grunddelikt im Versuch stecken bleibt

Bsp.: A will O im Wald aussetzen, damit er dort verdursten möge. A verbringt O an eine einsame Stelle im Wald. O kennt diese Stelle im Wald jedoch, da er unweit von ihr eine Waldhütte besitzt. O sucht diese auf und ruft von dort Hilfe herbei.

322
Q

die Beteiligungsformen - Täterschaft

A

Täterschaft:
Täter ist, wer die Straftat selbst, durch einen anderen oder neben anderen oder gemeinschaftlich begeht.

Begehung einer eigenen Straftat:

  • Alleintäterschaft, § 25 I Alt.1 StGB
  • mittelbare Täterschaft, § 25 I Alt.2 StGB
  • Mittäterschaft, § 25 II StGB
  • (Nebentäterschaft)
323
Q

die Beteiligungsformen - Teilnahme

A

Teilnahme:
Teilnehmer ist, wer einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt oder zu einer solchen Tat Hilfe leistet

Beteiligung an einer fremden Straftat

  • Anstiftung, § 26 StGB
  • Beihilfe, § 27 StGB
324
Q

dualistisches Beteiligungssystem vs Einheitstätersystem

A

an einer vorsätzlichen Tat kann sich eine Person nach dem dualistischen Beteiligungssystem auf zweierlei Weise beteiligen. Die Person handelt entweder als Täter, § 25 StGB, oder als Beteiligter, §§ 26, 27 StGB. Diese Beteiligungsformen sind auf Tatbestandsebene voneinander zu unterscheiden. Als Bearbeiter einer strafrechtlichen Fragestellung muss man sich auf Ebene des TB eines Vorsatzdelikts also die Frage stellen, ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt.

das Einheitstätersystem findet im Ordnungswidrigkeitenrecht, § 14 OWiG, und auf die Fahrlässigkeitsdelikte Anwendung.

Nach dem Einheitstätersystem gibt es also nur Täter. Täter ist demgemäß jeder, der einen ursächlichen Beitrag zur TBVerwirklichung geleistet hat. Eine Differenzierung findet erst auf Ebene der Strafzumessung statt

325
Q

Vorzug des dualistischen Beteiligungssystems bei der Vorsatztat

A

das Einheitstätersystem hat zwar den Vorteil, dass es die zum Teil schwierige Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme obsolet werden lässt, widerspricht aber dem „rechtsstaatlichen Erfordernis, dass die Strafbarkeit an die TBErfüllung anknüpfen und sich auf sie beziehen muss“. Ferner schließt das Einheitssystem eine - aufgrund des geminderten Handlungsunrechts wünschenswerte - (obligatorische) Strafmilderung aus

326
Q

Übersicht über die verschiedenen Formen der Beteiligung - a. Täterschaft

A

a. Täterschaft

aa. Alleintäterschaft, § 25 I Var.1 StGB 
	- hier begeht der Täter die im TB umschrieben Handlung selbstständig

bb. mittelbare Täterschaft, § 25 I Var.2 StGB 
	- dieses Institut betrifft den Fall, dass der Täter die Tat durch einen anderen begeht. Durch einen bedeutet: Der unmittelbar Handelnde stellt bloß die Marionette bzw das Werkzeug des Hintermanns (des mittelbaren Täters) dar. Da hier mehrere Personen an der Tat beteiligt sind, stellt sich auch in dieser Konstellation die Notwendigkeit, die mittelbare Täterschaft von der Beihilfe und der Anstiftung abzugrenzen. 

cc. Mittäterschaft, § 25 II StGB 
	- wenn zwei Personen an einem Tatgeschehen arbeitsteilig zusammenwirken und nach einem gemeinsamen Tatplan agieren, wäre es nicht angemessen, die Handlung der beiden Täter isoliert voneinander zu betrachten. Daher werden die Tatbeiträge der einvernehmlich Agierenden gegenseitig zugerechnet, um den Unrechtsgehalt der Tat gerecht zu werden. Allerdings ist schon an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass ein arbeitsteiliges Zusammenwirken nicht zwingend ein Fall der Mittäterschaft ist, es kommen auch die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe in Frage 

dd. Nebentäterschaft 
	- die Nebentäterschaft ist gesetzlich nicht geregelt, beschreibt aber auch keine eigene Täterschaftsform. Es handelt sich lediglich um das nicht-mittäterschaftliche Zusammentreffen mehrerer Einzeltäterschaften, so dass der Begriff der Nebentäterschaft überflüssig ist. Der charakteristische Unterschied zur Mittäterschaft liegt im fehlenden gemeinsamen Tatentschluss der handelnden Personen. Am häufigsten ist Nebentäterschaft im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte, wenn mehrere, von unterschiedlichen Personen begangene Sorgfaltsverstöße in einen tatbestandlichen Erfolg münden.
327
Q

Übersicht über die verschiedenen Formen der Beteiligung - b. Teilnahme

A

b. Teilnahme, §§ 26 f. StGB

aa. Anstiftung, § 26 StGB
	- der Anstifter verursacht den Tatentschluss auf Seiten des Täters, tritt dann aber im Zuge der konkreten Tatausführung nicht mehr in Erscheinung. Die Stellung des Anstifters zum Tatgeschehen zeichnet sich dadurch aus, dass er über keine Tatherrschaft verfügt 

bb. Beihilfe, § 27 StGB 
	- der Beihilfe Leistende zeichnet sich dadurch aus, dass er Hilfe zu einem Tatgeschehen leistet, ohne hierbei den Beteiligungsgrad eines Mittäters zu erlangen 

die verschiedenen Beteiligungsformen können kombiniert auftreten. So ist es denkbar, das zwei Personen gemeinsam eine Person zu einer Tat anstiften. Die gemeinsam Handelnden sind dann einer mittäterschaftlichen Anstiftung strafbar.

328
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme

A

die Notwenigkeit der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ergibt sich immer dann, wenn es nach dem Sachverhalt möglich erscheint, dass eine handelnde Person entweder Täter oder Teilnehmer sein könnte

Bsp.: A stiehlt eine Uhr, B lenkt den Uhrenverkäufer durch geschicktes Fragen ab. Ist B hier Täter oder Teilnehmer iS des § 27 StGB?

bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ergeben sich zwei Prüfungsstufen:

  1. Was für ein Deliktstyp liegt vor?
  2. Wie ist die Täterschaft zu ermitteln?

Die Abgrenzung unterscheidet sich also nach dem jeweiligen Deliktstypus, hierbei ist zwischen Allgemeindelikten und andern Deliktstypen zu unterscheiden.

329
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 1. Abgrenzung bei besonderen Deliktstypen

A

bei besonderen Deliktstypen fällt die Abgrenzung vergleichsweise einfach, da die Täterschaft an gewisse besondere Eigenschaften und Umstände (= Subjektqualitäten) anknüpft, die tatbestandlich formuliert sind. Somit findet die Abgrenzung tatbestandsspezifisch statt

a. Sonderdelikt
- bei den Sonderdelikten kommt der besonderen Subjektqualität des Täters strafbegründende oder strafschärfende Wirkung zu; vgl §§ 331 ff. StGB, bei denen der Täter Amtsträger sein muss. Täter kann hier also nur ein Amtsträger sein, wer nicht Amtsträger ist, kann lediglich Teilnehmer sein

b. Pflichtdelikt
- beim Pflichtdelikt setzt die Tätereigenschaft eine besondere Pflichtenstellung voraus; vgl § 266 StGB: Täter kann nur sein, wer eine Vermögensbetreuungspflicht innehat

c. eigenhändiges Delikt
- eigenhändige Delikte setzten die persönliche Ausführungshandlung voraus; vgl §§ 153 f. StGB: Täter kann nur der Aussagende selbst sein; § 316 StGB: Täter kann nur sein, wer das Fahrzeug führt

d. Delikte mit überschießenden Innentendenzen
- Delikte mit überschießenden Innentendenzen setzen für die Tätereigenschaft besondere subjektive Voraussetzungen voraus; vgl. § 242 StGB: Täter ist nur, wer über Zueignungsabsicht verfügt

330
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 2. Abgrenzung bei Allgemeindelikten

A

liegt keine besondere Deliktsform vor und weist der Handelnde bei einem besonderen Deliktstyp die erforderliche Subjektqualität auf, ist eine Angrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme umstritten. Der Meinungsstreit sind auf zwei konkurrierende Theorien (b und d !!) beschränkt

a. extrem-subjektive-Theorie (überholte Rspr)
b. gemäßigt subjektive Theorie
- heute hält der BGH den Täterwillen zwar nach wie vor für das entscheidende Abgrenzungskriterium. Dieser sei aber anhand wertender Beurteilung alle Umstände zu ermitteln, die insbesondere den Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, den Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder den Willen zur Tatherrschaft einzuschließen habe.
- dabei kommt keinem Kriterium Vorrang zu
c. formal-objektive Theorie (überholte Rechtslehre)
d. materiell-objektive Tatherrschaftslehre (heutige hL)
- die Zentralgestalt zeichne sich aus, dass sie die planvoll-lenkende oder mitgestaltende Tatherrschaft besitze, die TBVerwirklichung also nach ihrem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann. Unter Tatherrschaft ist folglich das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablauf zu verstehen. Diese Tatherrschaft drücke sich bei der unmittelbaren Täterschaft als Handlungsherrschaft, bei der mittelbaren Täterschaft als Willens- und Wissensherrschaft und bei der Mittäterschaft als funktionale Handlungsherrschaft aus
- wer hingegen die Begehung der Tat ohne eigene Tatherrschaft veranlasst oder sonst fördert, kann nur Teilnehmer sein.

331
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 3. Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten

A

bei den unechten Unterlassungsdelikten ergibt sich die Tätereigenschaft aus der Garantenstellung. Insofern kommt dem Merkmal der Tatherrschaft in dem Zusammenhang keine Bedeutung zu, da tauglicher Täter nur ist, wer eine Garantenstellung innehat.

schwierig wird die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nur beim Zusammentreffen eines handelnden Nicht-Garanten und eines unterlassenden Garanten

Bsp.: A stößt den Nichtschwimmer B in das Wasser. Der Vater des B, ein geübter Schwimmer, dem eine Rettungshandlung unproblematisch möglich wäre, sieht dies, reagiert aber nicht. Ist V Täter oder Teilnehmer

—> diverse Theorien …

332
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 3. Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten - a. Gleichbehandlungstheorie

A

nach dieser u.a. von der Rspr vertretenen Auffassung hat auch in diesem Fall die Abgrenzung anhand ihrer allgemeinen Kriterien zu erfolgen.

333
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 3. Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten - b. Tätertheorie

A

nach dieser Theorie ist der Garant, der eine fremde Begehungstat nicht verhindert, stets als Täter zu verstehen. Begründet wird dies mit dem Gedanken, dass Täter jeder sei, der eine „außerstrafrechtliche Sonderpflicht (die Erfolgsabwendungspflicht) verletzt“, unabhängig davon, ob daneben ein Fremder die Tat durch eine aktive Handlung begeht.

der Grund liegt also in der Natur des Pflichtdelikts der Unterlassung selbst. Für diese sind Kriterien wie Tatherrschaft oder subjektive Einstellungen irrelevant, entscheidend ist lediglich, dass der Erfolgsabwendungspflicht widersprochen wurde.

Eine Teilnahme durch Unterlassen ist daher nur in Betracht zu ziehen, falls ein Sonderdelikt vorliegt, das tatbestandsspezifische Anforderungen an die Täterschaft stellt

334
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 3. Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten - c. Teilnahmetheorie

A

nach dieser Theorie ist der Garant, der eine fremde Begehungstat nicht verhindert, stets als Teilnehmer zu verstehen, soweit der Begehungstäter voll verantwortlich ist. Der Grund für diese Ansicht liegt in der Tatsache, dass der Begehungstäter die Tatherrschaft innehabe

335
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 3. Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten - d. differenzierende Theorie

A

diese Konzeption unternimmt die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand der Form der Garantenstellung. Der Obhuts- oder Beschützergarant sei stets Täter, der Sicherungs- oder Überwachergarant stets Teilnehmer.
Diese Konzeption liegt der Gedanke zugrunde, dass der Beschützergarant in einer sozial näheren Beziehung zum Opfer stehe als der Überwachergarant und daher besonders verpflichtet sei

336
Q

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme - 4. Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigen Taten

A

bei Fahrlässigkeitsdelikten wird keine Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer getroffen; hier gilt das Einheitstäterprinzip. Da die TBVerwirklichung lediglich an die Verursachung anknüpft, bleibt im Regelfall der unbewussten Fahrlässigkeit für die Abgrenzungskriterien der Tatherrschaft oder des Täterwillens kein Raum. Es wird zwar erklärt, das bei bewusster Fahrlässigkeit diese Kriterien wieder an Sinn gewinnen, allerdings verbietet sich eine differenzierte Betrachtung, da nach dem gesetzgeberischen Willen bewusste und unbewusste Fahrlässigkeit gleichbehandelt werden sollen.

umstritten ist die Frage, ob die Konstellation einer fahrlässigen Mittäterschaft möglich ist. Diese Frage wird im systematischen Zusammenhang mit der Mittäterschaft behandelt.

337
Q

Alleintäterschaft (§ 25 I Alt. 1 StGB)

A

unmittelbarer Alleintäter ist, wer eine Straftat in eigener Person selbst begeht (§ 25 I Alt.1 StGB). Man kann eine Tat nicht besser beherrschen als auf die Weise, dass man sie selbst ausführt, sog Handlungsherrschaft. Die unmittelbare Täterschaft als solche wirft keine besondere Problemstellung auf

338
Q

Mittäterschaft (§25 StGB II StGB)

A

Mittäterschaft ist die gemeinschaftliche Begehung einer Straftat durch mindestens zwei Personen (§ 25 II StGB). Durch diese Rechtsfigur trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass Straftat oftmals von mehreren Personen arbeitsteilig ausgeführt werden und die Beteiligten dabei eine Aufgabenverteilung vereinbaren, infolge derer keiner der Mittäter mehr alle TBMerkmale eines Strafgesetzes in eigener Person verwirklicht.

339
Q

Mittäterschaft (§25 StGB II StGB) - 1. Voraussetzungen der Mittäterschaft

A

Mittäterschaft ist das bewusste und gewollte Zusammenwirken aufgrund eines gemeinsamen Tatplans

dementsprechend setzt die Mittäterschaft objektiv eine gemeinschaftliche Tatbegehung und subjektiv einen gemeinsamen Tatentschluss voraus

340
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 1. Voraussetzungen der Mittäterschaft - a. gemeinsamer Tatentschluss - aa, bb

A

aa. Herstellung des Einvernehmens
- ein gemeinsamer Tatentschluss setzt das Einverständnis jedes Beteiligten mit dem gemeinsamem täterschaftlichen Vorgehen voraus. Alle Mittäter müssen die gemeinsame Begehung einer Straftat jeweils als Täter (und nicht nur als Teilnehmer oder unterlegenes „Werkzeug“ im Sinne der mittelbaren Täterschaft) in ihren Willen aufgenommen haben

das erforderliche Einvernehmen muss dabei nicht ausdrücklich hergestellt werden. Es genügt auch das konkludente Einverständnis, die Tat zusammen begehen zu wollen, selbst wenn es erst nach Tatbeginn hergestellt wird. Ein gemeinsamer Tatentschluss liegt daher auch dann vor, wenn sich die Beteiligten stillschweigend einen Blick zu werfen oder sich zunicken und der eine die Intention des jeweiligen anderen Teils erkennt. Nicht ausreichend ist dagegen die bloße Billigung, die Verdeckung oder das schlichte Ausnutzen des Vorgehens eines anderen

  • es genügt nicht, dass ein Tatbeteiligter mit seinem Beitrag bloß fremdes tatbestandsverwirklichendes Tun fördern will. Voraussetzung der Mittäterschaft ist vielmehr, dass sein Beitrag iS arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils wollen
    bb. Exzess
  • liegt ein gemeinsamer Tatplan der Beteiligten vor, begründet dessen Inhalt die Zurechnung der Tatbeiträge, er begrenzt sie zugleich aber auch. Denn einem Beteiligten können nur solche Tatbeiträge des anderen zugerechnet werden, die sich noch im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses halten
  • verlässt ein Beteiligter den durch den gemeinsamen Tatentschluss abgesteckten Rahmen, indem er weitere, nicht abgesprochene Straftaten oder Qualifikationsmerkmale verwirklicht, so ist nur dieser Beteiligte allein hinsichtlich des überschießenden Teils verantwortlich
  • anderen Beteiligten kann dieses über den gemeinsam Tatplan hinausgehende Verhalten nicht über § 25 II StGB zugerechnet werden. Man spricht insoweit von einem Exzess des Mittäters
  • kommt es während der Tat zu tatsituativen einverständlichen Vorsatzerweiterungen, so ist jeder Mittäter für den Erfolg verantwortlich. Ferner sind Handlungen, nach denen ein anderer nach den Umständen des Einzelfalls rechnen muss, selbst dann mittäterschaftlich zurechenbar, wenn sie von der Vorstellung des Tatgenossen nicht im Einzelfall erfasst werden. Ist ein Mittäter dann mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder ist diese ihm gleichgültig, so ist er für jede Ausführungsart der von ihm gebilligten Straftat verantwortlich.
341
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 1. Voraussetzungen der Mittäterschaft - a. gemeinsamer Tatentschluss - cc, dd

A

cc. Verhältnis von Tatplan und Individualvorsatz der einzelnen Mittäter
- Unklar ist, wie mit irrtümlichen Abweichungen umgegangen werden soll. Dafür ist das Verhältnis der individuellen Vorstellungen der Täter bei Tatbegehung zum gemeinsamen Tatplan entscheidend. Bei der Mittäterschaft greifen Tatplan und Individualvorsatz ineinander: Der Tatplan entspringt zwar den kumulierten subjektiven Willen der Mittäter. Er wird aber auch durch den Beschluss in gewisser Weise von den tatsächlichen Vorstellungen derselben unabhängig. Man kann deshalb nicht vom Tatplan als „gemeinsamer Vorsatz“ sprechen; vielmehr handelt es sich um eine intersubjektive Übereinkunft.

  • wegen § 15,16 StGB kann der Individualvorsatz der einzelnen Mittäter nicht völlig außer Betracht bleiben. Es ergeben sich folgende Voraussetzungen für den subjektiven TB des einzelnen Mittäters:
    - Vorsatz nach den allgemeinen Regeln bei Erbringen des eigenen Tatbeitrags (auch im Vorbereitungsstadium)
    - Vorstellung bzgl der Beiträge der anderen bei Bildung des gemeinsamen Tatentschlusses, die dem Tatplan entsprechen
  • zusätzlich zur bewussten Abweichung vom gemeinsamen Tatplan (Exzess), schließt auch eine aus Sicht des Mittäters wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf eine Zurechnung aus

dd. Willensübereinstimmung nach Deliktsvollendung (sukzessive Mittäterschaft)
- umstritten ist die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Willensübereinstimmung hergestellt werden muss. Diese Problem wir v.a dann relevant, wenn der fragliche Beteiligte erst nachträglich in die bereist begonnene Deliktsausführung eintritt

  • unstreitig ist eine sukzessive Mittäterschaft bis zur Vollendung des Delikts möglich
  • ebenso unstreitig ist eine sukzessive Mittäterschaft aber nach Beendigung der Tat bei bloßem nachträglichen Einverständnis ausgeschlossen
  • umstritten ist die Behandlung einer sukzessiven Mittäterschaft in der Phase nach Vollendung bis zur Beendigung des Delikts:
    - auf Grundlage der Tatherrschaftslehre ist eine sukzessive Mittäterschaft nur bis zur Vollendung des Delikts möglich ( die Beherrschung der Tat ist nur bis zu ihrer Vollendung möglich)
    - von der Rspr vertretene gemäßigt subjektive Theorie: eine sukzessive Mittäterschaft ist auch in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung noch möglich. Denn der fehlende Wille zur Tatherrschaft kann durch die übrigen Kriterien für Täterschaft (insbesondere ein starkes Eigeninteresse am Erfolg der Tat) überlagert werden
    - die Rspe hält iSd subjektiven Theorie für die Annahme einer sukzessiven Mittäterschaft einen kommunikativen Akt für erforderlich: Eine sukzessive Mittäterschaft ist eben nur dann gegeben, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnen Handelns in das tatbestandliche Geschehen als Mittäter eingreift und er sich (auch stillschweigend) mit dem anderen vor Beendigung der Tat zu gemeinschaftlicher weiterer Ausführung verbindet
342
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 1. Voraussetzungen der Mittäterschaft - b. gemeinschaftliche Tatbegehung

A

Mittäter kann nur sein, wer einen als täterschaftliche Begehung zu wertenden Tatbeitrag ergibt

ob der Tatbeitrag eines Beteiligten als täterschaftliche Begehung zu werten ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Der Tatbeitrag des jeweiligen Beteiligten muss somit eine gewisse Erheblichkeit erreichen, soll er Mittäterschaft begründen. Als hinreichender Tatbeitrag kommt insbesondere die Beteiligung an der Ausführungshandlung selbst in Betracht, also zB bei § 249 StGB die Gewaltanwendung durch den einen und die Wegnahme der Sache durch den anderen Beteiligten

besondere Probleme ergeben sich, wenn ein Tatbeteiligter seinen vereinbarten Beitrag zur Tat entweder im Vorbereitungsstadium oder nach der Vollendung der Tat erbringt.

  • die hM verlangt weder unmittelbare Tatortanwesenheit noch ein kommunikativen Kontakt während der Tatausführung
  • eine ausreichende (sog funktionale) Tatherrschaft begründende Mitwirkung liegt danach auch dann vor, wenn das „Beteiligungsminus“ im Ausführungsstadium durch ein „Plus“ der mitgestaltenden Deliktsplanung im Vorbereitungsstadium ausgeglichen wird (Planungs- oder Organisationshoheit)

ein Mittäter iSd § 25 II StGB muss besondere deliktsspezifische subjektive Merkmale wie zB Zueignungsabsicht bei § 242 I StGB selbst erfüllen. Hier erfolgt keine Zurechnung. Zudem muss der fragliche Beteiligte etwaige strafbegründende persönliche Merkmale in eigener Person aufweisen

343
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 2. Aufbau der Mittäterschaft im Gutschaten

A

bei der Prüfung der Mittäterschaft im Gutachten ist stets mit dem Tatnächsten zu beginnen, also dem Täter, der dem Tatgeschehen am nächsten steht

  • weder der Tatbeitrag des einen noch des anderen genügt jeweils für sich zur TBVerwirklichung, vielmehr erfüllen erst beide zusammen den objektivebn TB
    —> gelangt man der Prüffung zu einem TBMerkmal, das der zu prüfende Täter selbst nicht erfüllt, ist die Zurechnungsfrage gem § 25 II StGB zu klären
  • liegt es dagegen auf der Hand, dass die Tat von allen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wurde, wäre eine gesonderte Prüfung jedes Beteiligten aufgrund von Wiederholung und Verweisen wenig sinnvoll
    —> hier ist für alle Beteiligten eine gemeinsame Prüfung angezeigt
  • schließlich kann wegen des unterschiedlichen Gewichts der einzelnen Tatbeiträge unklar sein, ob alle Beteiligten die Voraussetzungen des § 25 II StGB erfüllen
    —> es ist zunächst mit dem tatnäheren Beteiligten zu beginnen. Anschließend ist bei dem/den andern Beteiligten, sowie sein (ihr) Tatbeitrag hinter der im Gesetz geforderten Ausführungshandlung zurückbleibt, auf die Abgrenzung der Mittäterschaft zur Teilnahme einzugehen
344
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 3. Versuchsbeginn bei MIttäterschaft - a. Grundsatz

A

a. Grundsatt

problematisch ist bei der Mittäterschaft der Versuchsbeginn der Beteiligten; besonders in Konstellationen, in denen die Mittäter zu unterschiedlichen Zeitpunkten in das Tatgeschehen eingreifen sollen

zur Feststellung der Versuchsbeginns bei der Mittäterschaft bieten sich zwei Betrachtungen an:

  • nach der Einzellösung, ist für jeden Mittäter gesondert festzustellen, ob er bereits mit seinem Beitrag gem § 22 StGB unmittelbar zur Tat angesetzt hat
  • nach der Gesamtlösung beginnt der Versuch für alle Beteiligten zu den Zeitpunkt, in dem der erste Mittäter im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses zur Tat unmittelbar ansetzt
345
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 3. Versuchsbeginn bei MIttäterschaft - b. Schein-Mittäterschaft

A

b. Schein-Mittäterschaft

fraglich ist, ob die Grundsätze auch dann Anwendung finden können, wenn ein Tatbeteiligter lediglich irrig seine Stellung als Mittäter annimmt, die Voraussetzungen der Mittäterschaft objektiv jedoch nicht gegeben sind, sog Schein-Mittäterschaft (vermeintliche Mittäterschaft)

  • die hM lehnt dies ab (Grundsätze finden keine Anwendung)
  • der BGH zieht die Gesamtlösung auch bei einer bloß vermeintlichen Mittäterschaft heran
346
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 4- Rücktritt bei mehreren Beteiligten (Täter oder Teilnehmer) - a. Rücktritt nach § 24 II StGB

A

a. Rücktritt nach § 24 II StGB

wegen Versuchs wir der rücktrittswillige Beteiligte nicht bestraft,

  • wenn er die Vollendung der Tat verhindert oder
  • wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, falls dies ohen sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird

die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt bei mehreren Beteiligten gem § 24 II StGB sind also strenger als die Voraussetzungen bei einem Alleintäter gem § 24 I StGB

  • erhöhte Gefährlichkeit eines Versuchs, an dem gleich mehrere Täter beteiligt sind
  • hohen Anforderungen an das Verhalten des rücktrittswilligen Beteiligten soll sicherstellen, dass eine Vollendung der Tat auch tatsächlich verhiindert wird

ein bloßes Nichtweiterhandeln des Tatnächsten (vgl § 24 I 1 Alt.1 StGB) genügt für den strafbefreienden Rücktritt gem § 24 II StGB grundsätzlich nicht

nach BGH im Fall eines unbeendeten Versuchs kann es genügen, wennd ie Mittäter einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie dies tun könnten

durch bloßes Nichtweiterhandeln kann der Beteiligte also nur strafbefreiend zurücktreten, wenn er zur Volleendung der Tat noch unersetzbare Beiträge zu leisten hat

347
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 4. Rücktritt bei mehreren Beteiligten (Täter oder Teilnehmer) - b. Rücktritt im Vorbereitungsstadium

A

b. Rücktritt im Vorbereitungsstadium?

nimmt ein Beteiligter bereits im Vorbereitungsstadium von der Tat Abstand, so sind folgende zwei Konstellationen zu unterscheiden:

aa. der Beitrag des Beteiligten schlägt sich nicht im Versuuch nieder

macht der Beteiligte seinen Tatbeitrag bereits im Vorbereitungsstadium unwirksam, so bleibt er straflos. Es handelt sich nicht um einen Rücktrittsfall, da noch überhaupt kein Eintritt in das Versuchsstadium vorleigt. § 24 II StGB ist nicht anwendbar

bb. der Beitrag des Beteiligten wirkt bis in das Vollendungsstadium fort

wirkt der vom Beteiligten erbrachte Tatbeitrag hingegen bis in das Vollendungsstadium weiter, obwohl er versucht hat, diesen unschädlich zu machen, so ist § 24 II StGB zwar grundsätzlich anwendbar, die Voraussetzungen eines Rücktritts liegen allerdings nicht vor

348
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 5. fahrlässige Mittätersschaft

A

umstritten ist die Frage, ob auch eine fahrlässige Mittäterschaft konstruierbar is.

  • Rspr. lehnen eie solche mit der Begründung ab, es fehle der Vorsatz, der aber eine Voraussetzung für einen gemeinsamen Tatplan iSd § 25 II StGB sei
  • eine verbreitete Literaturmeinung löst das Kausalitätsproblem durch die Annahme fahrlässiger Mittäterschaft und die wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge. Die fahrlässige Mittäterschaft wird als gemeinschaftliche Pflichtverletzung verstanden. Sie liegt vor, wenn sich eine „durch mehrere gemeinschaftlich geschaffene unerlaubte Gefahr im Erfolg realisiert hat“
349
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 6. einseitiger Einpassungsentschluss?

A

umstritten ist, ob anstatt eines gemeinsamen Tatentschlusses auch ein einseitiger Einpassungsentschluss für die Annahme von Mittäterschaft genügen kann. Auch wenn eine einzige Person alle tatbestandlichen Tatführungshandlung selbst vornimmt, ist es doch denkbar, dass ein Beteiligter ohen Wissen des Handelnden so intensiv mitwirkt, dass der die Ausführung der Tat nach Ort, Zeit und Modalitäten wesentlcih mitbestimmt.

  • e.A.: statt eines gemeinsamen Tatentschlusses genüge auch ein einseitiger Einpassungsentschluss, mit dem der nicht unmittelbar ausführende Beteiligte seine gestaltende Mitwirkung als Tatbeitrag mit dem Verhalten des Ausführenden verbindet
  • hM: stellt weiterhin auf ein beidseitiges Zusammenwirken ab
350
Q

Mittäterschaft (§25 II StGB) - 7. Sonderfall des Verfolgerirrtums

A

wie bereits gesehen, werden einem Beteiligten nur solche Tatbeiträge zugeordnet, die vom gemeinsamen Tatplan umfasst sind. Besondere Beachtung hat der sog „Verfolgerirrtum“ als Sonderfall des error in persona vel objecto erlangt

Fall auf KK 727 ff

  • es handle sich nicht um ein Exzess des Mittäters, wenn er auf einen Komplizen schießt, den er irrig für einen Verfolger hält
  • zieht man die Grundsätze zum Verhältnis von Tatplan und Individualvorsatz heran, ist der error in persona für den Mittäter immer dann beachtlich, wenn die Personenverwechslung eine wesentliche Abweichung vom gemeinsamen Tatplan darstellt oder wenn sie aus Sicht des Mittäters eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf begründet
  • Strafbarkeit wegen (untauglichen) Versuchs
351
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB)

A

mittelbarer Täter ist gem § 25 I Alt.2 StGB, wer die Tat „durch einen anderen begeht“

der Täter instrumentalisiert dabei also einen anderen Menschen als sein „Werkzeug“ zur Begehung einer (seiner) Straftat. Der mittelbare Täter wird auch als Hintermann bezeichnet. Der unmittlebar Handelnde wird auch Tatmittler, Vordermann oder „Werkzeug“ des Hintermanns geannt

352
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 1. Charakteristikum der mittelbaren Täterschaft

A

Charakteristikum der mittelbaren Täterschaft „ist die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unterlegene Stellung des Tatmittlers und die beherrschende Rolle des Hintermanns, der die Sachlage richtig erfasst und das Gesamtgeschehen kraft seines planvoll lenkenden Willens in der Hand hat“

  • Hintermann ist in der Lage, den Willen des Vordermanns zu steuern und erlangt damit mittelbar auch (Tat)Herrschaft über die Tatausführung
  • wie weit der Rahmen reicht, innerhalb dessen von einer solchen Unterlegeneheit des Vordermannes ausgegangen werden kann, dass sie dem Hintermann ein hinreichendes Maß an Tatherrschaft vermittelt, wird nicht immer ganz einheitlich beantwortet
353
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 2. Anerkennte Fälle der mittelbaren Täterschaft

A

Fälle, in denen sich die Unterlegenheit des Vordermannes in einem rechtlich relevanten Verantwortungsdefizit niederschlägt und die überlegene Stellung des Hintermanns darauf gründet, dass er (nicht jedoch der Vordermann) die Zusammenhämge richtig erfasst.
Das Verantwortungsdefizit des Vordermanns kann sich dabei ergeben aus:
- der (objektiven und subjeitven) Tatbestandslosigkeit seines Verhaltens
- die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens
- die Schuldlosigkeit seines Verhaltens

entsprechend der Aufbauregel, die Untersuchung der Strafbarkeit stets mit dem Tatnächsten zu beginnen, ist zunächst der „Defekt“ des Vordermanns festzustellen und sodann zu untersuchen, ob die Tat dem Hintermann gem § 25 I Alt.2 StGB als eigene zugerechnet werden kann

354
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 2. Anerkennte Fälle der mittelbaren Täterschaft - a. Defizite auf Ebene des objektiven TB

A

a. Defizite auf Ebene des objektiven TB

ein Defizit des Vordermanns kann zunächst darin liegen, dass dieser mit seinem Verhalten schon objektiv tatbestandslos handelt

Fall auf KK 734 ff

besondere Beachtung bedarf in den Fällen der Selbstschädigung auch die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Denn ist der fragliche Beteiligte bloß Teilnehmer an der Selbsttötung des Opfers, bleibt er straflos: Da die Selbsttötung straflos ist, ist auch die bloße Teilnahme hieran mangels vorsätzlicher rechtswidriger Haupttat nicht strafbar.

die Teilnahme (Antiftung, § 26 StGB und Beihilfe, § 27 StGB) knüpft ausweislich ihres Wortlauts die Strafbarkeit des Teilnehmers an eine „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“, nicht aber eine schuldhaft begangene Tat (vgl § 29 StGB). Dies bezeichnet man als limitierte Akzessorietät („limitiert“, weil es auf die Schuld des Haupttäters nicht ankommt)

Einigkeit besteht insoweit, als (straflose) Teilnahme an der Selbsttötung und (strafbare) Fremdtötung in Abhängigkeit von der Freiverantwortlichkeit der Willensentscheidung des Opfers zu unterscheiden sind. Nur wenn das Opfer den Tötungsentschluss augrund einer freiverantwortlichen Willensentscheidung getroffen hat, ist von einer Selbsttötung auszugehen. Handelte das Opfer entgegen unfrei, liegt eine Fremdtötung vor. Umstritten ist jedoch, welche Kriterien für die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit eines Willensentschlusses heranzuziehen sind. Dabei werden zwei unterschiedliche Perspektiven eingenommen: Opfer als Täter gegen sich selbst (Exkulpationslösung) und Opfer als Opfer seiner selbst (Einwilligungslösung)

  • nach der Exkulpationslösung ist die Freiverantwortlichkeit mit Hilfe der Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe (§§ 19, 20, 35 StGB; § 3 JGG) zu bestimmen. Danach ist ein Suizid eigenverantwortlich, wenn dem Suizidenten der Vorwurf schuldhaften Handelns gemacht würde, sofern er statt seiner selbst eine andere Person getötet hätte
  • die Einwilligungslösung orientert sich dagegen an den für die rechtfertigende Einwilligung geltenden Regeln. Danach ist ein Suizid eigenverantwortlich, wenn der Sterbewillige in die Tötung durch eine andere Person im Hinblick auf seine subjektiven Voraussetzungen (objektiv wäre eine solche Einwilligung egen § 216 StGB ohnehin unwirksam) wirksam eingewilligt hätte.
355
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 2. Anerkennte Fälle der mittelbaren Täterschaft - b. Defizite auf Ebene des subjektiven TB

A

b. Defizite auf Ebene des subjektiven TB

der strafrechtlich relevante Verantwortlichkeitsmangel des Vordermanns kann auch auf Ebene des subjektiven TB begründet sein. Der vom Hinntermann ausgesnutzte Tatumstandsirrtum des Vordermanns ist der klarste um am wenigsten umstrittene Fall der mittelbaren Täterschaft

die Situation stellt sich ähnlich dar, wenn der Hintermann dem Vordermann eine Rechtfertigungslage vorspiegelt oder einen bei ihm gegebenen ETI ausnutzt. Dass dieser Fall wie der Fall des Tatumstandsirrtums beim Vordermann behandelt werden muss, ist selbstverständlich, wenn man mit der herrschenden eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie den ETI über eine analoge Anwendung des § 16 I 1 StGB in der Rechtsfolge löst

356
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 2. Anerkennte Fälle der mittelbaren Täterschaft - c. Defizite auf Ebene der Rechtswidrigkeit

A

c. Defizite auf Ebene der Rechtswidrigkeit

der Verantwortlichkeitsdefizit des Vordermanns kann ferner auch darin liegen, dass dieser nicht rechtswidirg handelt. Klassisch sind in diesem Zusammenhang Konstellationen, in denen ein Amtsträger trotz Sachverhaltsirrtums rechtmäßig handelt, sowie der Prozessbetrug

357
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 2. Anerkennte Fälle der mittelbaren Täterschaft - d. Defizite auf Ebend der Schuld

A

d. Defizite auf Ebene der Schuld

Schließlich kann das Defizit strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Vordermanns auch auf Schuldebene begründet sein. Dabei erscheinen eine ganze Reihe von Defekten in Betracht vom Hintermann zur TBVerwirklichung ausgenutzt zu werden:

  • der Hintermann nutzt bei einem Kind (§ 19 StGB), einem Jugendlichen (§ 3 JGG) oder einem Geisteskranken (§ 20 StGB) die mangelnde Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Tatbegehung aus
  • der Hintermann führt einen zur Schuldlosigkeit des Vordermanns führenden Umstand selbst herbei, um sich ihn zB durch die Verabreichung von Drogen, für seine Zwecke gefügig zu machen
  • der Hintermann erregt beim Vordermann einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) und nutzt diesen zur Tatbegehung aus
  • die Tatherrschaft des Hintermanns kann auch darauf gründen, dass er den Willen des Vordermanns durch Nötigung beherrscht. Das Verantwortungsdefizit des Vordermanns ergibt sich dann aus § 35 I 1 StGB.
358
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 3. Tatbestandsbezogenheit der (mittelbaren) Täterschaft

A

stets zu beachten ist die Tatbestandsbezogenheit der Täterschaft. Aufgrund dieser Tatbestandsbezogenheit kann es dazu kommen, dass eine Handlung hinsichtlich eines TB mittelnbare Täterschaft begründet, während hinsichtlich eines anderen TB lediglich wegen Anstiftung zu bestrafen ist

359
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft

A

Umstritten ist, ob auch in solchen Konstellationen mittelbare Täterschaft vorliegen kann, in denen zwar Anhaltspunkte für eine Unterlegenheit des Vordermanns gegegben sind, diese jedoch nicht in einem Verantwortungsdefizit münden. Es geht damit um die Frage, ob auch dort Raum für eine mittelbare Täterschaft ist, wo der unmittelbar Handelnde volldeliktisch handelt und daher selbst strafrechtlich verantwortlich ist. Diese Fälle werden häufig unter der Überschrift des „Täters hinter dem Täter“ diskutiert

360
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft - a. nicht strafbezogene (Motiv-)Irrtümer

A

a. nicht strfabezogene (Motiv-)Irrtümer

Konstellation, in denen der Hintermann zwar über eine überlegene Wissensposition verfügt, diese aber nicht mit einem vorsatzrelevanten Irrtum beim Vordermann korreliert. Dabei wird die rechtliche Behandlung oftmals von der Art des Irrtums abhängig gemacht

aa. schlichter Motivirrtum 
	- das Hervorrufen eines schlichten Motivirrtums beim Vordermann, der ausschließlich den Beweggrund zur Tat betrifft, begründet grundsätzlich noch keine mittelbare Täterschaft des Hintermanns 
	- die Tatherrschaft liegt in diesen Fällen beim unmittelbar Handelnden, der die TBVerwirklichung in allen rechtlich relevanten Punkten überblickt und sich in eigener Verantwortung für die TBVerwirklichung entscheidet. Die Täuschung des Hintermanns bezieht sich hier nicht auf die Straftat als solche, sondern nur auf die Beweggründe zu ihrer Begehung 

bb. Irrtum des Vordermanns über die Unrechtshöhe 
	- Fallgestaltung, in der der Hintermann einen Irrtum des Vordermanns erreicht oder ausnutzt, der sich auf die vom Vordermann bewirkte Höhe des Unrechts bezieht. Ein solcher Irrtum betrifft nicht (allein) das Motiv zur Tat, führt gleichzeitig aber auch nicht zu einem Ausschluss der Verantwortlichkeit des Vordermanns 
	- Bsp.: H bringt V dazu, O ein Mittel in sein Getränk zu mischen, das angeblich zu wenige Stunden andauernden Magenschmerzen führt. In Wirklichkeit führt das Mittel jedoch zu tagelangen Magenkrämpfen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen
	—> Mindermeinung: Bestrafung des H als mittelbaren Täter der gefährlichen Körperverletzung 
	—> hM schließt eine mittelbare Täterschaft des H wegen der Vollverantwortlichkeit des V aus 

cc. Irrtum des Vordermanns über das Tatobjekt 
	- Bsp.: V ist entschlossen, X zu erschießen; H hat es dagegen auf Y abgesehen. H entschließt sich, das Vorhaben des V auszunutzen, und macht diesen glauben, bei dem sich näherenden Y handele es sich um X. V erschießt Y 
	—> e.A.: H wird als mittelbarer Täter bestraft 
	—> hM.: Mittelbare Täterschaft ist ausgeschlossen 

—> Argumente für und gegen die Auffassungen ab KK 744

361
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft - b. vermeidbarer Verbotsirrtum

A

Fälle, in denen der Vordermann zwar einem Verbotsirrtum unterliegt, dieser aber vermeidbar war und seine Verantwortlichkeit daher gem § 17 S.2 StGB nicht gänzlich ausgeschlossen ist

  • e.A.: mittelbare Täterschaft (-), wegen voller Verantwortlichkeit des Vordermanns
  • BGH: mittelbare Täterschaft (+), da wertender Vergleich zeige, dass Kriterium der (Un)Vermeidbarkeit kein taugliches Abgrenzungskriterium ist

Beispiel Fall auf KK 748 ff

362
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft - c. Qualifikationslos doloses Werkzeug

A

c. Qualifikationslos doloses Werkzeug

die Annahme mittelbarer Täterschaft wird ferner für Fälle diskutiert, in denen der Hintermann ein qualifikationslos, aber ansonsten vollverantwortlich handelndes Werkzeug zur Tatbegehung einsetzt

Qualifikationslos meint in diesem Zusammenhang, dass die unmittelbar handelnde Person deshalb nicht Täter eines Sonderdelikts ist, weil in ihrer Person diese besondere Pflichtenstellung nicht begründet ist (Extraneus); vielmehr ist in diesen Fällen der Hintermann Inhaber der Sonderpflicht (Intraneus) und damit überhaupt nur tauglicher Täter des jeweiligen Sonderdelikts

  • e.A.: die Innehabung einer Sonderpflicht begründet noch keine Tatherrschaft über den zwar qualifikationslos, aber ansonsten voll verantwortlich handelnden Vordermann
  • a.A.: unmittelbare Unterlassungstäterschaft des Sonderpflichtigen
  • verbreitete Ansicht: die Täterschaft des Hintermanns begründet sich aus einer normativen Betrachtung
  • Roxin: die mittelbare Täterschaft des Hintermanns folgt aus der Innehabung der Sonderpflicht selbst. Im Bereich dieser von ihm sog Pflichtdelikte erfolgt die Abgrenzung daher nicht mit Hilfe der Tatherrschaftslehre. Der Sonderpfichtige ist aufgrund seiner Sonderpflicht stets Täter, auch wenn der sich für die Ausführung Dritte dienstbar macht, die nicht in dieser Sonderpflicht stehen und daher nur Teilnehmer sein können
363
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft - d. Absichtslos doloses Werkzeug

A

d. Absichtslos doloses Werkzeug

infolge des sechsten Strafrechtsreformgesetzes von 1998 erheblich an Bedeutung verloren hat die vormals umstrittene Fallgruppe des absichtslos dolosen Werkzeugs. Nur noch in sehr speziellen Fallkonstellationen, in denen etwa im Rahmen eines Diebstahls der von einem Dritten mit der Entwendung einer Sache Beauftragte bei der unmittelbaren Ausführung der Tat zwar vorsätzlich, aber ohne die Absicht handelt, diese dem Dritten auch dauerhaft zuzueignen, kann das Bedürfnis bestehen, auf sie zurückzugreifen

364
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 4. streitige Fälle der mittelbaren Täterschaft - e. organisatorische Machtapparate

A

e. organisatorische Machtapparate

heftig umstritten in grundsätzlicher Anerkennung und Reichweite ist schleißlich eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft

aa. rechtsgelöste Machtapparate 

Roxin entwicklete die Lehre von der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft zunächst für rechtsgelöste (staatliche) Machtapparate. Als historisches Beispiel stand ihm die nationalsozialistische Gewaltherrschaft vor Augen

  • hL, Roxin, BGH: die überwiegende Ansicht erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft dabei auch für nichtstaatliche Organisationsapparate an, die sich von den Normen des Rechts gelöst haben und mafiaähnliche Organisationsstrukturen aufweisen
    bb. Ausdehnung auf Wirtschaftsunternehmen

umstritten ist, ob die Rechtsfigur auf rechtsgelöste, kriminelle Machtapparate beschränkt ist oder auch im Wirtschaftsstrafrecht für die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Leitungspersonen herangezogen werden kann

  • Roxin selbst lehnt eine Erstreckung „seiner“ Rechtsfigur auf Wirtschaftsunternehmen ab
  • die hM erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch bei Wirtschaftsunternehmen an und begrenzt die Rechtsfigur nicht auf kriminelle Vereinigungen
365
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 5. Irrtumsproblematiken - a. Objektverwechslung des Vordermanns (error in persona vel objecto)

A

a. Objektverwechslung des Vodermanns (error in persona vel objecto)

Fall, bei dem der Vordermann bei seiner unmittelbaren Tatausführung das Objekt verwechselt und damit einem error in persona vel objecto unterliegt. Fraglich ist, wie sich diese Objektverwechslung auf die Strafbarkeit des mittelbaren Täters auswirkt

  • e.A.: die Objektverwechslung des Vordermanns (ein für ihn unbeachtlicher error in persona) sei auch auch für die Strafbarkeit des Hintermanns unbeachtlich
  • a.A.: Vorsatz des Hintermanns wird verneint: die Objektverwechslung des Vordermanns stellt sich für ihn als vorsatzausschließende abberatio ictus dar
  • hM: vermittelnder Standpunkt; differenziert danach, ob der Hintermann dem Vordermann die Individualisierung des Tatobjekts überlassen hat oder nicht. Hat der Hintermann dem Vordermann die Objektindividualisierung überlassen, so ist die Objektverwechslung auch für den Hintermann unbeachtlich. Nur wenn der Hintermann dem Vordermann die Objektindividualisierung nicht überlassen hat, liegt für den Hintermann ein vorsatzausschließender abberatio icuts vor.
366
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 5. Irrtumsproblematiken - b. Irrtum über die Tatherrschaft - aa

A

b. Irrtum über die Tatherrschaft

der Hintermann kann sich auch über seine Tatherrschaft irren: Hier sind zwei Konstellationen denkbar:

  • Unkenntnis über die Beherrschung des Vordermanns
  • Irrige Annahme der Beherrschung des Vordermannsaa. Unkenntis des Hintermanns über die Beherrschung des Vordermanns

die Fehlvorstellung des Hintermanns kann zunächst darin bestehen, dass er verkennt, dass er den Vordermann beherrscht

der Hintermann will lediglich als Teilnehmer (Anstiftung) handeln, hat objektiv aber aber sogar (mittelbare) Täterschaft erreicht
—> eine Bestrafung des Hintermanns wegen mittelbarer Täterschaft scheidet in dem Fall aus: Auf der Grundlage des Standpunktes der Rspr ist zu Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme maßgeblich, ob der Handelnde Willen zur Tatherrschaft hat oder nicht. Weil der Hintermann hier lediglich Teilnehmerwillen hat, kann er auch nur wegen Anstiftung bestraft werden. Auf Basis der Tatherrschaftslehre muss die Tatherrschaft als Merkamal des objektiven TB vom Vorsatz des Hintermanns umfasst sein. Weil er sich ihrer hier aber nicht bewusst ist, kennt er einen Umstand nicht, der zum TB gehört. Der Hintermann handelt so gem § 16 I 1 StGB unvorsätzlich hinsichtlich einer TBVerwirklichung in mittelbarer Täterschaft

Allerdings könnte der Hintermann möglicherweise als Anstifter bestraft werden.

  • handelt der Vordermann unvorsätzlich oder rechtmäßig, fehlt es jedoch an der nach § 26 StGBB erforderlichen vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat (Stichwort: limitierte Akzessorietät). Möglich ist deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung gem § 30 I StGB, weil der Vordermann nach Vorstellung des Hintermanns vorsätzlich handelte. Die versuchte Anstiftung steht aber nur bei Verbrechen unter Strafe. Stellt die Tat ein Vergehen dar, kann der Hintermann also nicht bestraft werden (ggf möglich ist eine Fahrlässigkeitstat)
  • betrifft der Defekt des Vordermanns die Schuldebene, liegt eine für die Teilnahme erforderliche vorsätzliche rechtswidrige Haupttat vor. Darauf, ob diese auch schuldhaft begangen wurde, kommt es nach der Formulierung in § 26 StGB nämlich nicht an (vgl ferner § 29 StGB). Der Hintermann kann deshalb auch wegen vollendeter Anstiftung bestraft weredn
367
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 5. Irrtumsproblematiken - b. Irrtum über die Tatherrschaft - bb

A

b. Irrtum über die Tatherrschaft
bb. Irrige Annahme des Hintermanns der Beherrschung des Vordermanns

der Hintermann nimmt irrig eine beherrschende Stellung gegenüber dem Vordermann an

der Hintermann will mittelbare Täterschaft, hat objektiv aber nur Teilnahme (Anstiftung) erreicht
—> eine Bestrafung des Hintermanns wegen vollendeter mittelbarer Täterschaft scheidet aus: Auf dem Boden der Tatherrschaftslehre ergibt sich das daraus, dass die Tatherrschaft tatsächlich bestehen muss und nicht nur in der Vorstellung des Täters. Auf Grundlage des Standpunktes des Rpsr., wonach der Wille zur Tatherrschaft entscheidend ist, könne zwar grundsätzlich argumentiert werden, H sei mittelbare Täterin, weil sie mit animus auctoris handelte. Auch im Rahemn ihrer subjektiven Abgrenzung bemüht die Rspr aber inzwischen objektive Indizien.

In Betracht kommt aber eine versuchte mittelbare Täterschaft, sofern die Tat das Versuchsstadium bereits erlangt hat

daneben könnte der Hintermann möglicherweise auch als Anstifter zu bestrafen sein

  • soweit der Hintermann annimmt, der Vordermann habe ein Defizit auf Ebene der Schuld, ist eine Anstiftung zu bejahen. Denn es liegt eine nach § 26 StGB erforderliche vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vor (auf die Schuld kommt es nicht an). Der Anstiftervorsatz ist als Minus im Vorsatz hinsichtlich einer mittelbaren Täterschaft enthalten, weil der Hintermann weiß, dass der Vordermann vorsätzlich und rechtswidrig handelt (auch wenn er eigentlich Täter sein möchte)
  • soweit der Hintermann annimmt, der Vordermann handele unvorsätzlich und rechtmäßig, ist umstritten, ob er auch wegen Anstiftung bestraft werden kann
    • e.A.: der Hintermann kann nicht wegen Anstiftung bestraft werden, weil es am entsprechenden Vorsatz fehle
    • hM.: eine vollendete Anstiftung ist gegeben
368
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 6. Versuchsbeginn - a. Regelfall

A

gem § 22 StGB beginnt das Versuchsstadium in dem Moment, in dem der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur TBVerwirklichung unmittelbar ansetzt. Für die Konkretisierung des Unmittelbarkeitserfordernisses haben sich für die mittelbare Täterschaft spezifische Konkretisierungsansätze herausgebildet

a. Regelfall
aa. Gesamtlösung

Vordermann und Hintermann werden als eine Einheit gesehen; der Versuch beginnt danach auch für dem Hintermann in dem Moment, in dem der Vordermann unmittelbar zur TBVerwirklichung ansetzt.

bb. Einzellösung 

man stellt rein auf das Verhalten des Hintermanns für dessen Versuchsbeginn ab

  • strenge Einzellösung: der Versuch des Hintermanns beginnt bereits in dem Moment, in dem dieser zur Einwirkung auf den Tatmittler unmittelbar ansetzt
  • herrschende modifizierte Einzellösung: der Versuch des Hintermanns beginnt, sobald er den Tatmittler aus seinem Machtbereich entlassen hat und dieser nach der Vorstellung des Hintermanns von der Tat zur TBVerwirklichung unmittelbar ansetzt
369
Q

mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt.2 StGB) - 6. Versuchsbeginn - b. Sonderfall: Opfer als Tatmittler gegen sich selbst

A

b. Sonderfall: Opfer als Tatmittler gegen sich selbst

Besonderheiten sollen für den Versuchsbeginn des Hintermanns nach der Rspr dann gelten, wenn der Hintermann das Opfer als Tatmittler gegen sich selbst (also gegen das Opfer) selbst einsetzten will

die Besonderheiten resultieren daraus, dass die Rspr Fälle dieser Art nicht als mittelbare Täterschaft anerkennt. Vielmehr geht sie von einer unmittelbaren Täterschaft des Hintermanns aus, wenngleich sie einräumt, dass diese Fälle eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur aufweisen. Der Grund dafür ist wohl darin zu sehen, dass § 25 I Alt.2 StGB klassicherweise auf Dreipersonenverhältnisse (mittelbarer Täter-Tatmittler-Tatopfer) bezogen sein dürfte, während hier Tatmittler und Tatopfer in einer Person zusammenfallen

Fall auf § 28 KK 777

  • steht für den Täter fest, das Opfer werde erscheinen und sein für den Taterfolg eingeplantes Verhalten bewirken, so liegt eine unmittelbare Gefährdung bereits mit Abschluss der Tathandlung vor
  • hält der Täter ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittlers hingegen lediglich für möglich, aber noch ungewiss oder gar für wenig wahrscheinlich, so tritt eine unmittelbare Rechtsgutsgefährdung nach dem Tatplan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint, dabei Anstalten trifft, die erwartete selbstschädigende Handluns vorzunehmen, und sich deshalb die Gefahr für das Opfer verdichtet.

Diese Differenzierung allein aufgrund der subjektiven Vorstellungen widerspricht § 22 StGB, wonach der Versuchsbeginn zwar auf Grundlage der Tätervorstellung zu beurteilen, diese Beurteilung aber (zusätzlich) nach objektiven Kriterien vorzunehmen ist. Vozugswürdig ist es, diese Konstellation allein entsprechend der o.g. Standpunkte zu beurteilen. Die Literatur behandelt diese Konstellation dabei von vornherein als Fall der mittelbaren Täterschaft; prüft also keine unmittelbare Täterschaft

370
Q

Nebentäterschaft

A

Nebentäterschaft liegt vor, wenn mehrere Personen denselben Erfolg herbeiführen, ohne Mittäter zu sein

eigenständige dogmatische Bedeutung hat der Begriff der Nebentäterschaft nicht, da jeder Tatbeitrag selbstständig zu beurteilen ist. Die zentralen Probleme dieser Fälle liegen vielmehr in der Beurteilung der Kausalität der einzelnen Tathandlungen und der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolgseintritts

besonders häufig ist eine Nebentäterschaft im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte anzutreffen, da es vergleichsweise häufig vorkommt, dass bei einer Tat gleich mehreren Personen ein Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten ist

371
Q

Strafgrund der Teilnahme

A

Allgemeines - Strafgrund der Teilnahme

es gibt mehrere Begründungsansätze, warum eine Teilnahme bestraft wird:

  1. Schuldteilnahmetheorie (Teilnehmer verstricke den Täter in Schuld; wird nicht mehr vertreten)
  2. Verursachungs- bzw Förderungstheorie (hM)
    - diese Ansicht führt den Strafgrund der Teilnahme auf die mittelbare Einwirkung des Teilnehmers auf das durch die Tathandlung betroffene Rechtsgut zurück. Der Teilnehmer agiert also mittelbar durch den Täter rechtsgutsfeindlich. Entweder fördere der Teilnehmer die Tat (§ 27 StGB) oder er verursache sie (§ 26 StGB)
  3. Theorie des selbstständigen Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers
    - der Teilnehmer nehme einen selbstständigen Rechtsgutsangriff vor und darin sei der Strafgrund zu sehen. Denn der Teilnehmer begehe eigenes Unrecht. Das Unrecht wird durch die Teilnahmehandlung der §§ 26, 27 StGB beschrieben. Diese Teilnahmehandlungen kennzeichneten das Handlungsunrecht des Teilnehmers
372
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 1. Strafgrund der Anstiftung

A

die Theorien zum Strafgrund der Teilnahme sind quasi vor die Klammer gezogene Aspekte, die für beide Teilnahmeformen gleichermaßen gelten. Daneben ist es aber sinnvoll, sich auch den Strafgrund der Teilnahmeform der Anstiftung als solchen vor Augen zu halten. Denn auch hier hilft die möglichst exakte Bestimmung des Strafgrundes bei der Lösung von Zweifelsfällen

a. das Setzen einer notwendigen Bedingung - reine Verursachungstheorie (extensive Auslegung)

  • der Strafgrund der Anstiftung liege in dem Setzen einer „für die Deliktsausführung notwendigen Bedingung“
  • die aktuellen Bemühungen der Vedeutlichung des Strafgrundes der Anstiftung sind folgerichtig von dem Bemühen getragen, die Reichweite der Anstiftung so zu konzipieren, dass eine Gleichstellung des Anstifters mit dem Täter tragfähig erscheint

b. kollusiv geistige Kommunikation - Theorie des geistigen Kontakts (hM)
- die hM sieht den Strafgrund der Anstiftung in der kollusiven geistigen Kommunikation zwischen Anstifter und Täter. Begründet wird dies damit, dass der Anstifter dem Täter nur dann in den Rechtsfolgen gleichgestellt werden könne, falls seine Einwirkung auf den Täter einen Grad erreiche, der die mangelnde Tatherrschaft im konkreten Geschehen ausgleiche. Diese Kompensation erfordere, dass der Anstifter im Wege einer kollusiven geistigen Kommunikation auf den Täter eindringe und diesem das „entscheidende Motiv zur Tatbegehung“ liefere. Diese Theorie wird in verschiedenen Facetten vertreten, teilweise wird die kommunikative Beeinflussung für ausreichend erachtet, teilweise ein zielgerichtetes Auffordern verlangt
c. Planherrschaft (restriktive Auslegung)
- teilweise wird der Strafgrund der Anstiftung in der Planherrschaft des Anstifters gesehen. Erst die Planherrschaft über das Tatgeschehen lasse den Anstifter mit dem Täter gleichwertig erscheinen. Die Herrschaft über die Planung kompensiere die fehlende Tatherrschaft

373
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 2. Prüfungsschema Anstiftung

A

I. Tatbestand

1. objektiver TB 
	a. vorsätzliche rechtswidrige Haupttat 
	b. Bestimmen zu dieser Tat 
2. subjektiver TB (doppelter Anstiftervorsatz)
	a. Vorsatz bezüglich der Vollendung der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat 
	b. Vorsatz bezüglich des Bestimmens 

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

374
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 3. vorsätzliche rechtswidrige Haupttat: ETI und Anstiftung

A

fraglich ist, ob eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat auch dann vorliegt, wenn der Angestiftete unter Einfluss eines ETI handelt. Bedeutung gewinnt diese Frage, wenn der Täter ein Sonderdelikt oder eingenhändiges Delikt begeht, denn in dem Fall kann der Anstifter nicht als mittelbarer Täter fungieren, falls er diese Sonderstellung selbst nicht aufweist

ob eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat vorliegt, hängt letzlich davon ab welcher Theorie bezüglich der Einordnung des ETI gefolgt wird. Wer mit der eingeschränkten Schuldtheorie den Vorsatz entfallen lässt, kann den, der den Täter zur Tat bestimmt hat, nicht wegen Anstiftung zu dieser Tat bestrafen, weil es an dem Tatbestandsmerkmal des § 26 StGB der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat fehlt. Wer der strengen oder rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie folgt, nach der der ETI lediglich zu einem Entfallen der Schuld führt, kann wegen Teilnahme bestrafen

375
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - a. generelle Anforderungen

A

a. generelle Anforderungen

Bestimmen ist das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter

welche Mittel für das Hervorrufen zu fordern sind, hängt jeweils davon ab, worin der Strafgrund der Anstiftung erblickt wird. Wer der reinen Verursachungstheorie folgen möchte, wird jedes Mittel für ausreichend erachten, dass letztlich den Tatentschluss des Täters mitbedingt. Wer der Theorie des geistigen Kontakts folgt, wird fordern müssen, dass gerade dieser kommunikative Prozess den Grund für die Tat darstellt.

Bedeutung erlangen die verschiedenen Theorien zum Strafgrund beim sog Situationsarragement. In diesen Fällen schafft eine Person eine Sachlage, deren Arrangement einen Dritten zu der Straftat anreizt bzw verführt

kommunikative Beeinflussung (hM): Frage, wie die kommunikative Beeinflussung beschaffen sein muss, welche Mittel der Kommunikation für ein Bestimmen iSd § 26 StGB ausreichend sind. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob ein kommunikatives Vermitteln iSe Situationsarrangements ausreicht oder ob das kommunikative Bestimmen von einem Aufforderungscharakter geprägt sein muss

die typischen Fälle kommunikativer Beeinflussung werden mit „Überredung, Raterteilung, Beauftragung, Versprechen einer Belohnung“ benannt. Wie verhält es sich aber, wenn eine Person lediglich eine Möglichkeit aufzeigt oder eine Frage gestellt wird?

  • generell ist festzuhalten, dass die Mittel der Anstiftung vom Gesetz nicht beschränkt wurden
  • Abgrenzung ist schwierig
  • Festzuhalten ist, dass „bloße Erwägungen oder Beschreibungen“ oder das Aufzeigen von Möglichkeiten dann nicht für eine Anstiftung ausreichen, falls sich nicht aus dem Gesamtkontext ergibt, dass hinter der unscheinbaren oder subtilen Ausdrucksweise ein eindeutiger Wille zu erkennen ist, den anderen zielgerichtet zu einer Strafe zu verleiten

in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob eine Anstiftung durch Unterlassen möglich ist. Wer den Strafgrund der Anstiftung in der Planherrschaft sieht, wird diese Möglichkeit wohl generell verneinen müssen. Aber auch wenn man den Strafgrund der Anstiftung in der kollusiven kommunikativen Beeinflussung erblickt, erscheint es höchst fraglich, ob Fallgestaltungen denkbar sind, in denen einem Unterlassen der Charakter einer zielgerichteten Aufforderung zukommt. Im Regelfall kann also in einem Unterlassen keine kollusive kommunikative Einwirkung auf den Täter erblickt werden, weshalb diese Form wohl nicht für ein Bestimmen iSd § 26 StGB ausreicht, falls nicht der reinen Verursachungstheorie gefolgt wird. Allerdings kann es Fälle geben, indenen aufgrund einer vorab getroffenen Vereinbarung einer Nichthandlung ein Aufforderungscharakter zukommt

376
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - b. Konkretisierung von Tat und Täter

A

b. Konkretisierung von Tat und Täter

das Bestimmen enthält des Weiteren die objektive Komponente einer konkreten Tat, zu der bestimmt, und eines konkreten Täters, der zur Tat bestimmt werden sollen

Fraglich ist, wie die Konkretisierung von Tat und Täter beschaffen sein muss

  • BGH: individualisierende Merkmale, die eine Anstiftung entahlten muss („Objekt, Ort, Zeit und sonstige Umstände der Tatausführung“). Bei einem völligen Fehlen dieser Merkmale sei die Tat so schwach umrissen, dass nicht mehr von einem Bestimmen gesprochen werden könne. Insofern ist zu fordern, dass die Tat als „konkret-individualisierbares Geschehen erkennbar“ wird. Im konkreten Fall fehlt es demnach an einer Konkretisierung
  • Roxin: ausreichend, dass die Tat in ihren wesentlichen Unrechtsdimensionen erkennbar ist; generell-abstrakte Umschreibung der Tat; Es soll genügen wenn „die Fixierung eines bestimmten Tatbestandes und der wesentlichen Dimensionen des Unrechts“ vorliegt. Die Dimension des Unrechts wird deutlich, „wenn neben dem Tatbestand die Tatobjekte nach allgemeinen Artmerkmalen festgelegt sind“. Nach Roxin muss also der konkrete TB, zu dem angestiftet werden soll, und die Unrechtsdimension erkennbar sein, denn die Aussage: „dann schlag doch zu“ umfasst sparchlich gleichermaßen die leichte Backpfeife einerseits und tödliche Schläge gegen den Kopf anderseits. Diese Offenheit müsse durch die wesentliche Konturierung der Unrechtsdimension eingegrenzt werden

bezüglich des Täters wird allgemein gefordert, dass es sich um einen bestimmten Personenkreis handelt, an den sich der Anstifter richtet. Bestimmt ist der Personenkreis, wenn sich angesprochene Personen aus der Sicht des Anstifters ermitteln lassen

377
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - c. omnimodo Facturus

A

c. omnimodo Facturus

§ 26 StGB verlangt als objektive Voraussetzung, dass die Bestimmungshandlung urrsächlcih für den Tatentschluss war. Falls also A versucht, D zu einem Handtaschendiebstahl anzustiften, zu dem D schon zuvor entschlossen war, so liegt hierin keine ursächliche Bestimmungshandluung

der omnimodo facturus ist bereits zur Tat entschlossen und kann daher nicht mehr angestiftet werden

Hier ist an eine versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB) sowie an eine psychische Beihilfe (§ 27 I StGB) zu denken

Der Fall des omnimodo facturus ist aber von zwei andern Fallgestaltungen zu trennen. Erfolgreich angestiftet werden kann noch die Person, die lediglich tatgeneigt ist. Als tetgeneigt werden Personen umschrieben, die noch unschlüssig sind, ob sie eine Tat begehen sollen oder nicht. Wenn eine solche Person zur Tatbegehung überredet wird, so liegt eine Anstiftung vor

Die zweite Fallgestaltung betrifft die allgemeine Bereitschaft einer Person, eine Straftat zu begehen. Wird diese allgemeine Bereitschaft im Wege eines kommunikativen Prozesses zu einer konkreten Tat bestimmt, so liegt ebenfalls Anstiftung vor.

378
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung

A

d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung

In diesem Zusammenhang werden die Fälle besprochen, dass ein bereits zu einer Tat Entschlossener vom Anstifter zu einer Änderung seines Entschlusses gebracht wird. Die Fälle, die hier besprochen werden, sind die Um-, Ab- und Aufstiftung

379
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung - aa. Umstiftung

A

d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung
aa. Umstiftung

die Umstiftung betrifft den Fall, dass bspw A den D, der bereits zu einem Diebstahl entschlossen war, dazu anstiftet, anstatt den Diebstahl einen Betrug, § 263 StGB, zu begehen. Hier liegt die Anstiftung des A zu einem Betrug vor

380
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung - bb. Abstiftung

A

d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung
bb. Abstiftung

bei der Abstiftung handelt es sich um den Fall, dass ein Täter, der zu einer Tat entschlossen ist, zu einer leichteren Begehungsweise an- bzw abgestiftet wird

  • Anstiftung scheidet aus; Täter war zu der Tat bereits entschlossen
  • evtl psychsiche Beihilfe
  • Rückgriff auf objektive Zurechnung
  • der potenzielle Gehilfe hat ein Risiko lediglich verringert; der durch psychische Beihilfe miterwirkte Taterfolg ist ihm nicht zurechenbar

diese Grundregeln der Abstiftung werden ebenfalls dann angewendet, wenn innerhalb desselben Delikts abgestiftet wird

381
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 4. „Bestimmen“ iSd § 26 StGB - d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung - Aufstiftung

A

d. das Bestimmen zu einer Entschlussänderung
cc. Aufstiftung

eine Person ist bereits zur Begehung einer Straftat entschlossen, der Anstifter wirkt allerdings auf ihren Entschluss dahingehend ein, dass sie eine schwerere Tat begeht

das Problem der Aufstiftung stellt sich nur bei einer Aufstiftung zu Qualifikationstatbeständen. Es wird nicht diskutiert, soweit eien Aufstiftung eine Anstiftung zu einem selbstständigen TB enthält (bspw Aufstiftung von Diebstahl, § 242 StGB, zu Raub, § 249 StGB; gesonderte, eigenständige TB des Raubs überwiegt im Unrechtsgehalt)

Zu den Rechtsproblemen der Aufstiftung haben sich folgende Theorien herausgebildet:

(1) Qualifikationstheorie
- in der Aufstiftung liege eine Anstiftung zur gesamten Tat, da jene in ihrem Unrechtsgehalt nicht teilbar sei. Diese neue Tat bilde ein selbstständiges, neues Unrecht und nicht lediglich ein Mehr an Unrecht. Der Täter sei also kein omnimodo facturus in Bezug auf den neuen, wesentlich erhöhten Unrechtsgehalt gewesen, der sich etwa in der Verwirklichung eines QualifikationsTB manifestiert

(2) Aliud-Theorie
- es könne lediglich zu einem aliud und nicht zu einem Mehr angestiftet werden. Soweit der Täter bereits zu einem Teil einer Straftat entschlossen war, ist er insoweit omnimodo facturus. Der Begriff des Steigerns entspreche nicht dem des Hervorrufens iSd § 26 StGB. Soweit es sich lediglich um ein Mehr handelt, ist an die Möglichkeit der psychischen Beihilfe, § 27 StGB, zu denken. Inwieweit der Qualifikationstatbetand ein aluid , also ein wesentlich erhöhten Unrecht, enthält, ist jeweils normativ zu ermitteln

(3) Unwertsteigerungstheorie (vgl BGHSt 19, 339)
- entscheidend sei, ob der Unrechtsgehalt des Tatbildes durch die Aufstiftung erheblich erhöht wird. Dies kann auch innerhalb ein und desselben Straftatbestandes der Fall sein.
- „weil die Täter zu dieser Ausführungsart von sich aus noch nicht bereit waren, der Angeklagte sie dazu erst verleitet hat, liegt nicht nur psychisch Beihilfe, sondern Anstiftung vor. Der Senat ist der Auffassung, dass es für diese Beurteilung nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Täter zur Verwirklichung eines anderen mit schwererer Strafdrohung bewehrten TB veranlasst werden, sondern auf den erheblich erhöhten Unrechtsgehalt, der auch in der gefährlichen Ausführungsart liegen kann, ohen dass sich an der rechtlichen Beurteilung der Tat etwas ändert.“

382
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 5. subjektive Voraussetzungen der Anstiftung - a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat - aa, bb

A

der Vorsatz des Anstifters muss sich sowohl auf die objektiven TBMerkmale der Haupttat (einschließlich ihrer Vollendung) als auch auf das Hervorrufen des Tatentschlusses beziehen. Man spricht vom Erfordernis eines doppelten Anstiftervorsatzes

a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat
aa. Bestimmtheit der Tat

der Vorsatz bezüglich der Haupttat muss sich auf eine bestimmte Tat beziehen

bb. Auswirkungen des error in persona des Haupttäters auf den Anstifter 

Fraglich ist, wie sich der error in persona des Haupttäters auf den Anstifter auswirkt

(1) Unbeachtlichkeitstheorie
- Der Irrtum, der für den Täter unbeachtlich ist, ist danach auch für den Anstifter unbeachtlich. Das folge aus der Akzessorietät der Teilnahme zur Haupttat. Ferner habe der Anstifter den Tatentschluss beim Täter hervorgerufen, was dafür spreche, ihm den Irrtum des Angestifteten zuzurechnen

(2) Wesentlichkeitstheorie
- Diese Theorie differenziert danach, ob der error in persona des Haupttäters eine wesentlich oder unwesentliche Abweichung im Kausalverlauf für den Vorsatz des Anstifters darstellt. Eine wesentliche Abweichung kommt in Betracht, wenn sich die Verwechslung nicht mehr im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält. Eine nur unwesentliche Abweichung liegt vor, wenn sie die Verwechslung noch im Rahmen dessen hält, was nach allgemeiner Lebenserfahrung voraussehbar war. Die Haupttat ist bei einer nur unwesentlichen Abweichung noch vom Vorsatz des Anstifters umfasst. Die entscheidende Frage ist also, wann eine Abweichung wesentlich oder unwesentlich ist. Überwiegend wird eine unwesentliche Abweichung angemommen, wenn dem Täter die Individualisierung des Opders überlassen wurde. Eine wesentliche Abweichung kommt dagegen in Betracht, wenn der Täter die Individualisierung des Opfers nach klaren Vorgaben des Anstifters vornehmen sollte. Wenn der Täter von diesen Vorgaben abweicht und das Opfer in einer anderen Weise als der vorgegebenen individualisiert, stellt sich eine Abweichung als wensentliche Abweichung dar. Diese wird dann als aberratio ictus behandelt.
Es ist also stets zu klären, inwieweit der Anstifter hinreichend solide Verwechslungsrisiken ausgeschlossen hat

(3) Aberratio-ictus-Theorie
- der errro in persona des Haupttäters stelle sich als aberratio ictus für den Anstifter dar. Für diese Lösung spreche die strukturelle Ähnlichkeit der Situationen. Der in Gang gesetze Kausalverlauf irre vom vorgestellten ab. Wie der aberratio ictus zu behandeln ist, hängt davon ab, welcher Theorie gefolgt wird.
Wer die aberratio ictus für unbeachtlich erklärt, kommt zu einer vollendeten Anstiftung.
Wer sie für beachtlich erklärt, kommt zu einer nach hM versuchten Anstiftung zum vollendeten Delikt

383
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 5. subjektive Voraussetzungen der Anstiftung - a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat - cc

A

a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat
cc. der Anstiftervorsatz beim Fall des agent provocateur

mit dem Begriff des agent provocateurs werden allgemein Personen bezeichnet, die eine andere Person zu einer Straftat überreden, damit diese bei Begehung der Straftat festgenommen werden kann. Bei der anstiftenden Person handelt es sich dabei üblicherweise um eine V-Person oder eine Lockspitzel der Polizei

Dabei ist zunächst anerkannt, dass es für eine Strafbarkeit des agent provocateurs nicht genügt, dass er bloß den Versuch der Haupttat in Kauf nimmt

im Übrigen werden verschiedene Ansätze vertreten:

  • Theorie der Rechtsgutsgefährdungsgrenze: die Strafbarkeit des agent provocateurs knüpft an das Merkmal der Rechtsgutsgefährdung an. Nur wenn der Anstifter eine solche nicht in seinem Vorsatz aufnehme und es lediglich zu einem Versuch ohne Rechtsgutsgefährdung kommen lassen wolle, liege keine vollendete Strafbarkeit vor. Soweit der Anstifter eine Rechtsgutsgefährdung also nicht ausschließen könne, liege eine vollendete Anstiftung vor
  • Lehre von der formellen Vollendungsgrenze: der Vorsatz des Anstifters müsse zumindest auch die Vollendung der Haupttat umfassen
  • Lehre von der materiellen Vollendungsgrenze: eine Strafbarkeit des Anstifters kommt nur dann in Frage, wenn er es zur Beendigung des Haupttat kommen lassen wolle; dass es nur zur Vollendung kommen sollte, sei nicht ausreichend
  • Theorie von der irreparablen Rechtsgutsverletzung: stellt darauf ab, ob der Täter eine irreparable Schädigung des Rechtsguts vorsätzlich in Kauf nimmt oder ob er diese auf jeden Fall verhindern und somit dem Opfer gerade kein Schaden zufügen will. In einem solchen Fall wolle der Anstifter keinen endgültigen Rechtsgutsangriff, der aber strafbarkeitsbegründend für die Teilnahme sei
384
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 5. subjektive Voraussetzungen der Anstiftung - a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat - dd

A

a. Vorsatz bezüglich der objektiven TBMerkmale der Haupttat
dd. Exzess des Haupttäters

weicht der Angestiftete von dem ab, was vom Anstiftervorsatz umfasst war, gilt grundsätzlich, dass der Anstifter nur so weit haftet, wie sein Vorsatz beschaffen war

  • der Anstifter haftet nicht für den Exzess des Täters, außer es liegt eine unwesentliche Abweichung der Tat vom Anstiftervorsatz vor, denn bei einer unwesentliche Kausalabweichung ist der Kausalverlauf vom Vorsatz umfasst (wenn die Tat über den Anstiftervorsatz hinausgeht, § 249 StGB statt § 242 StGB, liegt lediglich eine Anstiftung zum Diebstahl vor)
  • wenn der Angestiftete statt des Raubes, der vom Anstiftervorsatz umfasst war, lediglich einen Diebstahl begeht, so hat sich der Anstifter wegen einer vollendeten Anstiftung zum Diebstahl, §§ 242 I, 26 StGB in Tateinheit mit einer versuchten Anstiftung zum Raub, §§ 249 I, 30 I StGB, strafbar gemacht
385
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 5. subjektive Voraussetzungen der Anstiftung - b. Vorsatz bezüglich des Bestimmens des Täters zu der Tat

A

b. Vorsatz bezüglich des Bestimmens des Täters zu der Tat

Ferner muss der Anstiftende den Vorsatz haben, den Täter zu der konkreten Tat durch seine Handlungen zu bestimmen

386
Q

Anstiftung (§ 26 StGB) - 6. Sonderfälle

A

Als Sonderfälle der Anstiftung sind die Kettenanstiftung, die Beihilfe zur Anstiftung und die Anstiftung zur Beihilfe zu beachten

dabei ist die Anstiftung zur Anstiftung (Kettenanstiftung) wie eine Anstiftung zur Haupttat zu behandeln, während die Beihilfe zur Anstiftung und die Anstiftung zur Beihilfe als Beihilfe zur Haupttat zu qualifizieren sind

387
Q

Beihilfe (§ 27 StGB)

A

gem § 27 I StGB wird als Gehilfe bestraft, wer einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Die Beihilfe setzt somit objektiv das Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat und ein Hilfeleisten bei dieser Tat als Tathandlung des Gehilfen voraus. Subjektiv ist der (doppelte) Gehilfenvorsatz erforderlich. Gem § 27 II StGB richtet sich die Strafe für den Gehilfen nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist aber zwingend nach Maßgabe des § 49 I StGB zu mildern (obligatorische Strafmilderung)

I. TB

1. objektiver TB 
	a. vorsätzliche rechtswidrige Haupttat 
	b. Hilfeleisten zu dieser Tat 
2. subjektiver TB (sog doppelter Gehilfenvorsatz)
	a. Vorsatz bezüglich der Vollendung der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat 
	b. Vorsatz bezüglich des Hilfeleistens

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld

388
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 1. Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat

A

wie auch die Anstiftung ist die Beihilfe vom Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidirgen Haupttat abhängig (Akzessorietät der Teilnahme). Nicht notendig ist, dass die Haupttat auch schuldhaft verwirklicht wurde (Gruundsatz der limitierten Akzessorietät)

aufgrund dieses Akzessorietätsverhältnisses ist ium Gutachten zunächst die Strafbarkeit des Haupttäters zu untersuchen und erst dann die Frage nach der Beteiligung des anderen an dieser Tat zu klären

die Haupttat muss zunächst durch den Haupttäter vorsätzlich begangen worden sein. Eine Behilfe zu einer Fahrlässigkeitstat ist somit straflos. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass auch Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (Bsp.: § 227 StGB) gem § 11 II StGB als Vorsatztaten iSd Strafrechts gelten, so dass eine Beihilfe zu diesen Delikten möglich ist. Weiterhin muss die Haupttat rechtswidrig sein. Rechtswidrige Tat meint gem § 11 I Nr.5 StGB eine solche, die den TB eines Strafgesetzes verwirklicht (ohne dass Rechtsfertigungsgründe eingreifen)

als vorsätzliche rechtswidrige Haupttat kommt auch eine Behilfe in Betracht, so dass auch eine „Beihilfe zu Beihilfe“ oder „Kettenbeihilfe“ rechtlich möglich istt

389
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 2. Hilfeleisten zur Haupttat als Tathandlung des Gehilfen - a. Formen der Beihilfe

A

Hilfeleisten ist jede Handlung, die die Tat objektiv fördert oder erleichtert

a. Formen der Beihilfe

Hinsichtlich der Art der Hilfeleistungen können zwei Formen der Beihilfe unterschieden werden:

  • physiche Beihile
  • psychische Beihilfe

Beihilfe kann somit durch Rat (psychische Beihilfe) oder Tat (physiche Beihilfe) geleitet werden

aa. physische Beihilfe 

die Erbringung einer irgendwie gearteten äußerlichen Hilfeleistung durch den Gehilfen. Die Mittel der Hilfeleistung sind dabei unbegrenzt
—> Bsp.: Gewährung von Sachmitteln wie Waffen, Ablenken Dritter

bb. psychsiche Beihilfe 

wirkt auf die Innenwelt des Täter. Man unterscheidet:

(1) kognitive Beihilfe (technische Ratshilfe)
- Fälle, in denen der Gehilfe dem Täter dadurch Hilfe leistet, dass er ihm bestimmte Ratschläge, technsiche Hinweise oder sonstige Informationen vermittelt, die ihn bei der Begehung seiner Tat unterstützen (Bsp.: Einweisung in dem Umgang mit Waffen, Informationen über nicht alarmgesicherte Eingänge)

(2) voluntative Beihilfe (Bestärkung des Tatentschlusses), str
- e.A.: psychische Beihilfe durch die Bestärkung des Tatentschlusses werde abgelehnt
- hM: erkennt die Möglichekeit psychischer Beihilfe durch Bestärkung des Tatentschlusses insoweit an, als bei dem (auch ansonsten bereits zur Tat entschlossenen) Täter bestimmte Hemmungen beseitigt oder bestehedne Bedenken hinsichtlich der Tatausführung zerstreut werden. Sie macht aber auch Einschränkungen (Details siehe § 29 KK 816)

cc. Beihilfe ohne physischen oder psychischen Beitrag zur unmittelbaren Tathandlung (insbesonder im Zusammenhang staatlich organisierten Massenverbrechen)
390
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 2. Hilfeleisten zur Haupttat als Tathandlung des Gehilfen - b. Anforderungen an die Hilfeleistung

A

b. Anforderungen an die Hilfeleistung

es stellt sicih die Frage, ob sich die Hilfeleistung (bei Erfolgsdelikten) kausal im Erfolg niederschlagen muss

  • e.A.: Behilfe als abstraktes Gefährdungsdelikt: Vornahme einer nicht völlig ungeeigneten Hilfeleistung durch den Gehilfen ist ausreichend
  • Rspr.: es ist nicht erforderlich, dass die Gehilfenhandlung für die Haupttat ursächlich gewesen ist. Es genügt, wenn die Beihilfehandlung die Haupttat tatsächlich irgentwie gefördert hat
  • hL: der Gehilfenbeitrag muss für den konkreten Erfolg der Haupttat kausal geworden sein. Nachh den allgemeinen Kausalitätsregeln ist eine Mitwirkung iSe „Modifikationskausalität“ ausreichend (TBverwirklichung wurde ermöglicht, erleichtert, intensiviert oder abgesichert)
  • Risikoerhöhungslehre: velangt keine Kausalität des Gehilfenbeitrags, sonder lässt genügen, dass die Hilfeleistung die Erfoglschancen für die tatbestandsverwirklichende Handlung erhöht hat
391
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 2. Hilfeleisten zur Haupttat als Tathandlung des Gehilfen - c. Problematik neutraler (alltäglicher) Beihilfehandlungen

A

c. Problematik neutaler (alltäglicher) Beihilfehandlungen

mit der Formel des „Hilfeleisten“ umschreibt § 27 I StGB das tatbestandliche Verhalten relativ indifferent, so dass die Vielfalt der zur Hilfeleistung geeigneten Mittel unbegrenzt groß ist. Daraus resultiert das Problem, dass auch alltägliche Verhaltensweisen eine tatbestandliche Hilfeleistung darstellen können (sog neutrale Beihilfehandlungen)

es stellt sich die Frage, inwieweit solche Förderungshandlungen als sozialübliche Verhaltensweisen aus dem Bereich strafrechtlich relevanter Hilfeleistungen auszugrenzen sind

  • e.A.: Einschränkung der Beihilfe wird gänzlich abgelehnt
  • a.A.: Tatbestandsmäßigkeit der Hilfeleistungshandlung wird verneint (sozialübliches Verhalten werde nicht vom Merkmal des Hilfeleistens erfasst)
  • a.A.: eien objektive Zurechnung des Beihilfeerfolgs werde verneint, da es an der Schaffung einer rechtlich missbilligten Risikos fehle (unklare Grenze zwischen rechtlich noch erlaubtem Risiko infolge neutraler Beihilfe und rechtlich missbilligtem Risiko und strafbarer Beihilfe)
  • hM: unterscheidet im subjektiven TB der Beihilfe:
    - zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehenm und weis (dolus directus 2.Grades) dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten.
    - weiß der Hilfeleistende nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird oder hält es es lediglich für möglich (dolus eventualis), dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, dass von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Föderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ
  • nahekommender Ansatz der Linie der Rspr.: kombiniert objektive und subjektive Momente. Während subjektiv entsprechend der Linie der Rspr. nach dolus eventualis und dolus directus des möglichen Gehilfen hinsichtlich des Deliktsentschlusses des Haupttäters differenziert wird, stellt dieser Ansatz darüberhinausgehend darauf ab, ob der Gehilfenbeitrag objektiv einen „deliktischen Sinnbezug“ ausweist. Am „deliktischen Sinnbezug“ fehlt es, „wenn sich der fördernde Beitrag auf eine legale Handlung bezieht, die schon für sich allein genommen für den Täter sinnvoll und nützlich ist, dieser ihn aber außerdem zur Voraussetzung für ein davon unabhängiges, auf einem selbstständigen Entschluss beruhenden Deliktsverhalten macht“ (Roxin)
  • a.A.: bei neutralen Beihilfehandlungen werde nicht der TB der Beihilfe, sondern erst deren Rechtswidrigkeit verneint. Wie weit der Bereich neutraler Behilfe reicht, wird damit jedoch nichit geklärt. Im Übrigen erscheint es wenig konsequent, bei einer sozialüblichen Verhaltensweise den TB zu bejahen und erst die Rechtswidrigkeit entfallen zu lassen.
392
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 2. Hilfeleisten zur Haupttat als Tathandlung des Gehilfen - d. Zeitpunkt der Gehilfenhandlung

A

d. Zeitpunkt der Gehilfenhandlung (insbesondere sukzessive Beihilfe)

anders als bei der Mittäterschaft ist allgemein anerkannt, dass der Gehilfe seine Hilfestellung zur Tat auch schon im Vorbereitungsstadium der Haupttat erbringen kann (zB durch Beschaffen des Tatmittels)

ebenso unstreitig ist eine Beihilfe nach der materiellen Beendigung der Haupttat nicht mehr möglich.

umstritten ist (ähnlich wie bei der Mittäterschaft) der spätmöglichste Zeitpunkt der Hilfeleistung:

  • verbreitete LiteraturM.: die Möglichkeit einer sukzessiven Beihilfe endet mit der Vollendung der Haupttat (Ausnahme bei Dauerdelikten, bei denen das tatbestandsmäßige Verhalten über den Vollendungszeitpunkt hinaus fortgesetzt werden könne; sie blieben bis zur Beendigung beihilfefähig). Im Übrigen komme bei einem Tätigwerden nach Beendigung der Hauptat lediglich eine Begünstigung (§ 257 StGB) in Betracht.
  • hM: Möglichkeit einer Beihilfe über den Vollendungszeitpunkt hinaus bis in die Beendigungsphase der Haupttat

erkennt man mit der hM die Möglichkeit der Beihilfe bis in die Beendigungsphase der Haupttat an, stellt sich die Folgefrage nach dem Verhältnis zwischen Beihilfe zur Haupttat und Begünstigung (§ 257 StGB). Die Rspr. grenzt nach der inneren Willensrichtung des fraglichen Beteiligten ab:

  • will der fragliche Beteiligte die Haupttat beenden helfen, so liegt Beihilfe zu dieser Tat vor
  • will der fragliche Beteiligte dem Täter die Vorteile der Vortat sichern, so liegt Begünstigung vor

zu beachten ist schließlich, dass auf die Problematik sukzessiver Beihilfe nicht vorschnell abgehoben werden darf. Oftmals wird auch eine psychische Beihilfe gegeben sein, an die die Strafbarkeit geknüpft werden kann

393
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 3. doppelter Gehilfenvorsatz

A

der Vorsatz des Gehilfen muss sich nach den allgemeinen Regeln aus alle Merkmale des objektiven Behilfetatbestands beziehen. Erforderlich ist somit Vorsatz bezüglich:

  • Ausführung und Vollendung einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat
  • der eigenen Hilfeleistung

—> doppelter Gehilfenvorsatz

zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass hier oftmals die Einbruchsstelle für die Entscheidung des Streits über die Behandlung des ETI liegt.
Nach hM lässt der ETI des Haupttäters dessen Vorsatz unberührt, so dass die der Vorsatz des Gehilfen auf eine vorsätzliche Haupttat bezieht. Glaubt jedoch auch der Gehilfe an das Vorliegen einer rechtfertigenden Situation, unterliegt er also selbst im Hinblick auf die Haupttat einem Erlaubnistatumstand, fehlt es an seinem Vorsatz, eine rechtswidrige Haupttat unterstützen zu wollen. Insoweit liegt unproblematisch ein Tatumstandsirrtum gem § 16 I 1 StGB vor

394
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 4. Exkurs: notwendige Teilnahme

A

mit der Begrifflichkeit der „notwendigen Teilnahme“ bezeichnet man das Phänomen, dass ein Delikt die Beteiligung mehrerer Personen voraussetzt

nach der Wirkungsrichtung der einzelnen Personen lssen sich dabei Konvergenz- und Begegnungsdelikte unterscheiden

395
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 4. Exkurs: notwendige Teilnahme - a. Konvergenzdelikte

A

a. Konvergenzdelikte

setzen voraus, dass mehrere Personen in derselben Art und Richtung aus die Rechtsgutsverletzung hin zusammenwirken

Bsp.: Gefangenenmeuterei (§ 121 StGB), gemeinschaftlich begangene Körperverletzung (§ 224 I Nr.4 StGB)

in dogmatsicher Hinsicht werfen diese Delikte keine besonderen Probleme auf: Es sind alle Beteiligten nach der entsprechenden Vorschrift zu bestrafen

396
Q

Beihilfe (§ 27 StGB) - 4. Exkurs: notwendige Teilnahme - b. Begegnungsdelikte

A

b. Begegnungsdelikte

mehrere Beteiligte wirken in entgegengesetzter Richtung auf dasselbe Ziel hin

Bsp.: Wucher (§ 291 StGB)

die Bestrafung widerspricht in derartigen Fällen dem Rechtsempfinden. Die ganz hM trägt dem Rechnung und erklärt eine notwendige Teilnahme in diesen Fällen für straflos. Die Begründung der Straflosigkeit kann sich daher (je nach Situation und Delikt) auf unterschiedliche Ansatzpunkte stützen

aa. notwendiger Teilnehmer ist Träger des tatbestandlich geschützten Rechtsguts 

Zur Straflosigkeit der notwenigen Teilnahme führt regelmäßig schon der allgemein anerkannte Grundsatz, dass niemand seine eigenen Rechtsgutsträger in strafrechtlich relevanter Weise angreifen kann. Ist das tatbestandlich geschützte Rechtsgut gegenüber dem Teilnehmer nicht auch geschützt, so verübt er keinen Angriff auf ein ein (geschütztes) Rechtsgut und muss daher stets starflos sein. Das gilt unabhängig vom Ausmaß seiner Teilnahme

bb. Tatbestandsnotwendige Mindestmmitwirkung 

Konstellationen, in denen der Gedanke, dass der Teilnehmer als Träger des geschützten Rechtsguts keinen strafrechtlich relevanten Rechtsgutangriff unternehme, die Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers nicht zu tragen vermag

hM: wegen notweniger Teilnahme straflos, wenn sich ihre Mitwirkung an der Tat auf das zur TBVerwirklichung durch den Täter denknotwendige Mindestmaß beschränkt. Überschreitet der fragliche Beteiligte jedoch diesen Umfang und entfaltet darüberhinaus gehende Teilnahmeaktivitäten, wird er nach den allgemeinen aktivitäten bestraft.

397
Q

(limitierte) Akzessorietät der Teilnahme

A

Die Teilnahem verhölt sich akzessorisch zur Haupttat, dh eine Teilnahme ist vom Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat abhängig. Da es nicht notwendig ist, dass die Haupttat auch schuldhaft verwirklicht wurde, spricht man insoweit vom Grundsatz der limitierten Akzessorietät

grds wird bei der Teilnahme nach Akzessorietätsregeln zugerechnet: das Ausmaß der Teilnehmerstrafbarkeit bestimmt sich somit nach der Haupttat. Dem Teilnahmer werden alle Umstände der Haupttat zugerechnet, von denen er Kenntnis hat.

398
Q

Akzessorietätslockerungen

A

Ausnahmen von der Akzessorietät enthalten die §§ 28 f. StGB. Dabei bezieht sich § 29 StGB auf Schuldmerkmale, während § 28 StGB die Akzessorietät im Hinblick auf das Unrecht durchbricht

399
Q

Akzessorietätslockerungen - 1. Grundsatz der Schuldunabhängigkeit (§ 29 StGB)

A

gem § 29n StGB ist jeder Beteiligte (Täter oder Teilnehmer) ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld zu bestrafen. Entschuldigungs-, Schuldausschließungs- oder Schuldminderungsgründe gelten somit für den einzelnen Beteiligten, in dessen Person sie vorliegen. Im Rahmen der Schuld findet somit keine Zurechnung zwischen den Beteiligten statt

an der „vollen“ Strafbarkeit eines Täters, in dessen Person keine schuldrelevanten Defizite bestehen, ändert es daher nichts, wenn sein Mittäter nach § 20 StGB schuldunfähig war und/oder der Anstifter zur Tat in einem (auch vermeidbaren) Verbotsirrtum (§ 17 StGB) gehandelt hat

400
Q

Akzessorietätslockerungen - 2. Akzessorietätslockerungen im Bereich der Unrechtsmerkmale gem § 28 StGB

A

Im Bereich des Unrechts wird das von einem Beteiligten begangene Unrecht dagegen den anderen Beteiligten grds zugerechnet. In der Konsequenz werden alle Beteiligten grds aus demselben Strafrahmen bestraft (Ausnahem stets bei der Behilfe gem §§ 27 II, 49 I StGB). § 28 StGB bringt hier eine Lockerungen des Akzessorietät im Hinblick auf besondere persönliche Merkmale mit sich, so dass ein bestimmten Beteiligter nach einem anderen (stregeren oder milderen) Strafrahmen zur Verantwortung gezogen werden kann als weitere Beteiligte

401
Q

Akzessorietätslockerungen - 2. Akzessorietätslockerungen im Bereich der Unrechtsmerkmale gem § 28 StGB - a. besondere persönliche Merkmale

A

a. besondere persönliche Merkmale

Für den Begriff des „besonderen persönlichen Merkmals“ verweist § 28 I StGB auf § 14 I StGB. Dort werden die besonderen persönlichen Merkmale als „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände“ (allerdings kaum) geanuer erklärt

  • besonder persönliche Eigenschaften sind untrennbar mit der Person eines Menschen verbundene Merkmale geistiger, körperlicher oder rechtlicher Art; Bsp.: Alter und Geschlecht
  • besonder persönliche Verhältnisse sind solche, die die äußeren Beziehungen einer Person zu anderen Menschen, Institutionen oder Sachen kennzeichnen; Bsp.: Amtrsträger- oder Soldateneigenschaft
  • besondere persönliche Umstände stellen alle übrigen Merkmale dar, die einen Bezug zur Person des Täters haben
402
Q

Akzessorietätslockerungen - 2. Akzessorietätslockerungen im Bereich der Unrechtsmerkmale gem § 28 StGB - b. Tat- und Täterbezogenheit des besonderen persönlichen Merkmals

A

b. Tat- und Täterbezogenheit des besonderen persönlichen Merkmals

mit dem Vorliegen eines besonderen persönlichen Merkmals hat es iRs § 28 StGB jedoch noch nicht sein Bewenden: weiterhin ist nach hM zu klären, ob das jeweilige besondere persönliche Merkmal tat- oder täterbezogen ist. § 28 StGB erfasst nur täterbezogene Merkmale. Hinsichtlich tatbezogener Merkmale gelten die üblichen Akzessorietätsregeln

  • ein Merkmal ist tatbezogen, wenn es nur das objektiv verwirklichte bzw zu verwirklichende Unrecht subjektiv wiederspiegelt
  • ein Merkmal ist täterbezogen, wenn es sich nicht auf das objektive Unrecht der Tat bezieht

—> noch kein allgemeines Unterscheidungskriterium
—> Überblick über wichtige Merkmale auf § 30 KK 843

403
Q

Akzessorietätslockerungen - 2. Akzessorietätslockerungen im Bereich der Unrechtsmerkmale gem § 28 StGB - c. strafbegründende und strafmodifizierende persönliche Merkmale

A

c. strafbegründende und strafmodifizierende persönliche Merkmale

§ 28 StGB unterscheidet zwischen strafbegründenden (Abs.1) und strafmodifizierenden (Abs.2) besonderen persönlichen Merkmalen

aa. strafbegründende persönliche Merkmale 

fehlen bei einem Beteiligten besondere persönliche Merkmale, die strafbegründend wirken, so ist dessen Strafe gem § 28 I StGB nach Maßgabe von § 49 I StGB zu mildern. Der Teilnehmer wird wegen des gleichen Delikts wie der Haupttäter bestraft; der diesem Delikt zu entnehmende Strafrahmen ist jedoch nach Maßgabe von § 49 I StGB zu mildern

bb. strafmodifizierende persönliche Merkmale 

in § 28 II StGB bestimmt das Gesetz, dass besondere persönliche Merkmale, die die Strafe modifizieren, dh sie schärfen, mildern oder ausschließen, nur für den Beteiligten gelten, bei dem sie vorliegen. Damit ermöglicht § 28 II StGB eine Tatbestandsverschiebung: Während ein Beteiligter aufgrund des Vorliegens eines strafmodifizierenden besonderen persönlichen Merkmals wegen eines bestimmten Delikts strafbar sein kann, kann ein anderer Beteiligter, der dieses Merkmal in seiner Person nicht aufweist, wegen Beteiligung an einem anderen Delikt strafbar sein

cc. Das Verhältnis von § 18 I StGB zu § 28 II StGB

ob ein Merkmal strafbegründend oder strafmodifizierend wirkt, entscheidet sich insbesondere danach, wie man das Verhältnis in Betracht kommender Delikte zueinander sieht. Die Bestimmung des systematischen Verhältnisses kann somit Folgeprobleme nach sich ziehen, wie dies insbesondere im Hinblick auf die Tötungsdelikte der Fall ist (Einzelheiten dazu im BT, § 30 KK 848 f.)

§ 28 I StGB bezieht sich lediglich auf „Teilnehmer“, also Anstifter und Gehilfen
§ 28 II StGB ist mit dem Begriff des „Beteiligten“ weiter formuliert (auf Täter und Teilnehmer anwendbar)

im Gutachtenaufbau:

  • § 28 I StGB ordnet eine Strafmilderung an. Die Vorschrift ist daher nach der Schuld auf Strafzumessungsebene anzusprechen
  • § 28 II StGB bewirkt dagegen eine Tatbestandsverschiebung. Die Norm ist somit nach dem TB als Tatbestandsannex anzusprechen
404
Q

Akzessorietätslockerungen - 3. Verhältnis des § 28 StGB zu § 29 StGB

A

zum unbestrittenen Anwendungsbereich des § 28 StGB gehören alle besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale. Unbestritten ist auch, dass § 29 StGB jedenfalls die Schuld im eigentlichen Sinne betrifft, dh die Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe des AT erfasst.

Umstritten ist dagegen die Zuordnung der speziellen, in den TB des BT enthaltenen Schuldmerkmale

  • e.A.: alle Schuldmerkmale (allgemeine wie spezielle) seien nach § 29 StGB zu behandeln
  • hM: alle speziellen Schuldmerkmale seien nach § 28 StGB zu behandeln; § 29 StGB erfasst danach lediglich die Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe des AT

—> Relevanz dieses Meinungsstreits: Auswirkungen auf das Ergebnis hat der Streit nur im Bereich der strafbegründenden, nicht aber der strafmodifizierenden speziellen Schuldmerkmale. Handelt es sich dagegen um ein die Strafe schärfendes Merkmal, hat der Meinungsstreit keine Relevanz, denn egal ob § 28 II StGB oder § 29 StGB angewendet wird, ist das Ergebnis identisch.

405
Q

der Versuch der Beteiligung (§ 30 StGB)

A

§ 30 I StGB regelt den Fall der versuchten Anstiftung, § 30 II StGB stellt drei weitere Vorbereitungshandlungen (Sich-Bereiterklären, Annahme des Erbietens, Verbrechensverabredung) unter Strafe. Hinsichtlich aller Varianten ist die Beschränkung auf Verbrechen zu beachten

in der Fallbearbeitung ist § 30 StGB immer in Verbindung mit einem Verbrechenstatbestand zu erörtern (bspw „Strafbarkeit gem §§ 212, 30 I StGB“). Auf keinen Fall darf eine „Strafbarkeit gem § 30 StGB“ geprüft werden.

406
Q

versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB)

A

gem § 30 I 1 StGB wird bestraft, wer einen anderen zur Begehung eines Verbrechens oder zur Anstiftung zu einem Verbrechen zu bestimmen versucht. Die Strafe des Anstifters richtet sich nach der Strafdrohung des Versuchs des Verbrechens, ist aber gem § 30 I 2 StGB obligatorisch nach Maßgabe des § 49 I StGB zu mildern. Aus der Anordnung der Strafbarkeit für die versuchte Anstiftung folgt im Umkehrschluss die Straflosigkeit der versuchten Beteiligung

Strafgrund der versuchten Anstiftung ist, dass bereits mit der Einwirkung des Anstiftenden auf den Haupttäter ein nicht mehr beherrschbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wird. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand ein nicht mehr hinnehmbares Gefährdungspotential zugemessen, soweit ein Verbrechen in Rede steht

von der Konstellation der versuchten Anstiftung zu trennen ist die Fallgestaltung der Anstiftung zum Versuch. Während im Fall § 30 I StGB die Anstiftung im Versuchsstadium stecken bleibt, ist die Anstiftung in dieser Konstellation erfolgreich vollendet worden, jedoch gelangt die Haupttat (zB Totschlag) selbst nur in das Versuchsstadium. Der Anstifter wäre dann nach §§ 212, 22, 26 StGB wegen Anstiftung zum versuchten Totschlag strafbar

In den Fällen der vollendeten Anstiftung zur vollendeten oder versuchten Haupttat ist der Anstifter allein wegen Anstiftung zur vollendeten oder versuchten Tat strafbar. Die Strafbarkeit aus § 30 I StGB ist demgegenüber subsidiär und bedarf daher im Gutachten regelmäßig keiner Erwähnung

407
Q

versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB) - 1. Haupttat

A

die Tat, zu der angestiftet werden soll, muss, wie auch sonst bei der Anstiftung, in ihren Grundzügen und wesentlichen Merkmalen konkretisiert sein. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn Tatobjekt, -ort, -zeit und -modalitäten konkret benannt werden. Im Übrigen kann auf die Ausführung zur (vollendeten) Anstiftung verwiesen werden

408
Q

versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB) - 2. Verbrechenscharakter

A

weiterhin müsste es sich gem § 30 I 1 StGB bei der in Aussicht genommenen Haupttat um ein Verbrechen handeln. Das sind gem § 12 I StGB alle rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind

gem § 12 III StGB bleiben für diese Einteilung die Schärfung oder Milderungen, die nach den Vorschriften des AT oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, außer Betracht

die Beurteilung des Verbrechenscharakters der Haupttat kann Probleme aufwerfen, wenn der Verbrechenscharakter erst durch besondere persönliche Merkmale iSd § 28 StGB begründet wird, die nur bei einem Beteiligten vorliegen. Dann stellt sich die Frage, auf welche Person für die Bestimmung des Verbrechenscharakters abzustellen ist

  • Rspr.: für die Beurteilung kommt es auf die Person des Täters an
  • hL.: stellt auf die Person des Anstifters ab
409
Q

versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB) - 3. unmittelbares Ansetzen

A

der Beginn des Bestimmungsversuchs richet sich nach den allgemeinen Regeln des § 22 StGB. Entscheidend ist, ob der Anstifter nach seiner Vorstellung zum Bestimmen unmittelbar angesetzt hat. Stets muss aber untersucht werden, ob der Strafgrund der versuchten Anstiftung gegeben ist, dh ein unbeherrschbarere Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde. Dafür genügt nicht jeder Beginn des Einwirkens auf einen anderen. Der Täter muss das Geschehen vielmehr aus der Hand gegeben haben

umstritten ist, ob von einem unmittelbaren Ansetzen erst gesprochen werden kann, wenn eine verkörperte Erklärung des Anstifters dem Anzustiftenden zugegangen ist

-e.A.: ein unmittelbares Ansetzen könne nicht vor dem Zugang der Erklärung beim Anzustiftenden gesehen werden
hM.: der Zugang bei Anzustiftenden sei nicht erforderlich. Ein unmittelbares Ansetzen liegt bereits im Absenden der Erklärung

410
Q

Verbrechensverabredung (§ 30 II StGB)

A

auch § 30 II StGB stellt Vorbereitungshandlungen unter Strafe. Nach § 30 II StGB wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften. Diese Handlungen sind deshalb unter Strafe gestellt, weil der potentielle Täter, der mit anderen über seine Pläne kommuniziert hat, sich schwerer von seinem Entschluss lösen kann, als wenn er nur sich selbst verantwortlich wäre. Das Strafmaß ist wie bei § 30 I StGB zu bestimmen. § 30 II StGB ist gegenüber den intensiveren Mitwirkungen am späteren Verbrechen subsidiär.

I. objektiver TB

1. Bereiterklären, ein Verbrechen zu begehen bzw. dazu anzustiften oder 
2. Annehmen des Erbieten eines anderen, ein Verbrechen zu begehen bzw dazu anzustiften oder 
3. Verabredung mit einem anderen, ein Verbrechen zu begehen oder dazu anzustiften 

II. subjektiver TB: Vorsatz
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld

411
Q

Verbrechensverabredung (§ 30 II StGB) - 1. Sich-Bereiterklären (Var.1)

A

Sich-Bereiterklären meint die iS einer beabsichtigten Selbstbindung ernst gemeinte Kundgabe der Bereitwilligkeit zur Begehung eines Verbrechens ggü einem anderen

ein Sich-Bereiterklären ist in zwei Formen denkbar:

  • Initiative eines Dritten: Der Täter nimmt die Anstiftung eines anderen an
  • Initiative des Erklärenden: Der tatgeneigte, jedoch noch nicht fest zur Tat Entschlossene tritt an andere heran und bekundet ihnen ggü den Willen, unter bestimmten Voraussetzungen ein Verbrechen begehen zu wollen. Die Erklärung des Erklärenden muss ernst gemeint sein. Die subjektive Einstellung des Erklärungsempfängers hingegen ist unbeachtlich. Ein innerer Vorbehalt des Empfängers, die Tat nicht zu wollen, steht einer Strafbarkeit nach dieser Tatvariante nicht entgegen

wem ggü sich der Täter erklären muss, sagt das Gesetz nicht. Nach dem BGH muss die Bereitschaft nicht notwendig ggü einem potentiellen weiteren Tatbeteiligten, sondern kann auch ggü dem potenziellen Opfer selbst erklärt werden. Der Grund für die Strafbarkeit des Sich-Bereiterklärens, die Gefahr einer motivationalen Selbstbindung, greife ebenso bei einem Sich-Bereiterklären ggü dem Opfer

412
Q

Verbrechensverabredung (§ 30 II StGB) - 2. Annehmen des Erbietens (Var.2)

A

das Annehmen des Erbietens eines anderen ist die ernst gemeinte Erklärung, mit dem Angebot eines anderen, ein Vebrechen zu begehen, einverstanden zu sein

413
Q

Verbrechensverabredung (§ 30 II StGB) - 3. Verabredung (Var.3)

A

die Verbrechensverabredung ist die Vorstufe zur Mittäterschaft

eine Verabredung ist die (auch konkludente) ernst gemeinte Willensübereinkunft mindestens zweier Personen, ein Vebrechen als Mittäter zu behen oder einen Dritten gemeinsam zu einem Verbrechen anzustiften

die bloße Verabredung, als Gehilfe zur Tat eines anderen beizutragen, ist also straflos

nach hM setzt die Strafbarkeit nach § 30 II Var.3 StGB eine Willenseinigung von jedenfalls zwei tatsächlich zur Tatbegehung entschlossenen Personen voraus. Dabei muss das Tatgeschehen nicht bereits in alle Einzelheiten festgelegt worden sein, ausreichend ist die Konkretisierung der Tat in ihren wesentlichen Grundzügen. Ein innerer Vorbehalt eines Beteiligten schließt die Verabredung iSd § 30 II StGB aus. Daher ist selbst der fest Entschlossene straflos, wenn der andere oder die anderen den inneren Vorbehalt haben, sich tatsächlich nicht als Mittäter an der vereinbarten Tat beteiligen zu wollen

414
Q

Rücktritt vom Versuch der Beteiligung (§ 31 StGB)

A

für den Rücktritt vom Versuch der Beteiligung enthält § 31 StGB eine Sondervorschrift. Danach wird nach § 30 StGB nicht bestraft, wer freiwillig

  • den Versuch aufgibt, einen anderen zu einem Verbrechen zu bestimmen und eine etwa bestehende Gefahr, dass der andere die Tat begeht, abwendet (Nr.1)
  • nachdem er sich zu einem Verbrechen bereit erklärt hatte, sein Vorhaben aufgibt (Nr.2) oder
  • nachdem er ein Verbrechen verabredet oder das Erbieten eines anderen zu einem Verbrechen angenommen hatte, die Tat verhindert (Nr.3)

unterbleibt die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden oder wird sie unabhängig von seinem früheren Verhalten begangen, so genügt zu einer Straflosigkeit gem § 31 II StGB sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Tat zu verhindern

zu Einzelheiten zum Verständnis der TBMerkmale kann auf die Ausführung zu § 24 StGB (KK 562 ff.) verwiesen werden

gelangt das Verbrechen selbst in das Versuchsstadium, so führt der Rücktritt vom Versuch des Verbrechens gem § 24 StGB auch zur Straflosigkeit des nach § 30 StGB unter Strafe gestellten Verhaltens im Vorbereitungsstadium

415
Q

Konkurrenzfragen

A

für Konkurrenzfragen gilt grds, dass die stärke Beteiligungsformen der schwächeren vorgeht

Im Verhältnis zu den §§ 25-27 StGB folgt daraus die Subsidiarität des § 30 StGB, wenn eine Beteiligung an einer in das Versuchsstadium gelangten Tat vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn der Täter wegen Rücktritts vom Versuch am Ende straflos ist. Eine Wiederanwendung des § 30 StGB scheidet aus. In der Prüfung ist daher immer mit den §§ 25 ff. StGB zu beginnen, bevor § 30 StGB zur Sprache kommt. Der soeben aufgezeichnete Subsidiaritätsgrundsatz des § 30 StGB gilt allerdings nur in den Fällen, in denen sich die ausgeführte Tat und die durch § 30 StGB anvisierte Tat entsprechen. Ist dies nicht der Fall, besteht ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen den Taten

was soll das Konkurrenzverhältnis innerhalb des § 30 StGB angeht, so geht die Verbrechensverabredung des § 30 II Var. 3 StGB als stärkere Beteiligungsform den andern Beteiligungsformen vor. Neben sich dem Sich-Bereiterklären zu einem Verbrechen in der Form des Erbietens (§ 30 II Var. 1 StGB) ist für eine versuchte Anstiftung (§ 30 I StGB) kein Raum

416
Q

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - 1. Grundlagen

A

die Idealkonkurrenz (Tateinheit) beschreibt die Fallgestaltung, dass dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder mehrmals dasselbe Strafgesetz verletzt; sie ist in § 52 StGB geregelt

Die Idealkonkurrenz zieht nur eine Strafe nach sich. Die Idealkonkurrenz tritt in der Form auf, dass dieselbe Handlung

  • mehrere Strafgesetze verletzt (ungleichartige Idealkonkurrenz), oder
  • dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt (gleichartige Idealkonkurrenz)

nach § 52 StGB bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das die schwerste Strafe androht. Sie darf dabei jedoch nicht milder sein, als es die anderen anwendbaren Gesetze zulassen

bei der Realkonkurrenz (Tatmehrheit) hingegen verhält es sich so, dass mehrere selbstständige Handlungen vorliegen, die eine mehrfache Gesetzesverletzung begründen

die Realkonkurrenz ist in § 53 StGB geregelt und zieht eine Gesamtstrafe nach sich. Die Rechtsfolgen nach § 53 StGB sind:

  • § 53 I StGB: sind mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, wird auf eine Gesamtfreiheitsstrafe oder eine Gesamtgeldstrafe erkannt. Die Bildung der Gesamtsstrafe ist in § 54 StGB kodifiziert
  • § 53 II StGB: auch bei Zusammentreffen von Freiheitsstrafen mit Geldstrafe wird auf eine Gesamt(freiheits)strafe, vgl § 54 I 2 StGB, erkannt, allerdings kann das Gericht auch gesondert eine Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe verhängen (§ 53 II 2 StGB)

insofern stellt sich in der strafrechtlichen Fallbearbeitung zuerst die Frage, ob Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit vorliegt. Je nachdem ist dann auf § 52 StGB oder auf § 53 zurückzugreifen

417
Q

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - a. die Handlung im natürlichen Sinn

A

a. die Handlung im natürlichen Sinn

bei der Handlung im natürlichen Sinn liegt nur ein Handlungsentschluss vor, der sich in lediglich einer Willensbestätigung ausdrückt

(Fälle der mittelbaren Täterschaft etc, Unterlassungsdelikte auf § 32 KK 870)

418
Q

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - b. natürliche Handlungseinheit

A

b. natürliche Handlungseinheit

bei der natürlichen Handlungseinheit liegen zwar mehrere Handlungen vor, diese erscheinen aber aufgrund des Umstandes, dass die von einem einheitlichen Willen getragen sind, eine im Wesentlichen gleichartigen Charakter aufweisen und aufgrund ihres engen räumlich-zeitlichen Zusammenhangs als ein zusammengehöriges Tun

Gemeimhin wird davon gesprochen, dass eine natürliche Betrachtungsweise es verbiete, diese gleichartigen Handlungen im Wege rechtlicher Betrachtung zu zerreißen

problematisch erweist sich die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit allerdings, wenn eine von einem einheitlichen Willen getragenes Geschehen, das einen engen räumlichen Zusammenhang aufweist, mehrere höchstpersönliche Rechtsgüter betrifft
—> Realkonkurrenz; es fehlt an der nur quantitativen Steigeruung des Unrechts

zur Annahme der wesentlichen Steigerung des Erfolgsunrechts: § 32 KK 872

419
Q

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - c. tatbestandliche Handlungseinheit

A

c. tatbestandliche Handlungseinheit

bei der tatbestandlichen Handlungseinheit verbindet der gesetzliche TB mehrere natürliche Willensbetätigungen zu einer rechtlich-sozialen Bewertungseinheit

hinunter fallen mehraktige Delikte (zB § 146 I Nr.3 StGB), zusammengesetzte Deliktstatbestände (zB § 249 StGB), pauschalisierende tatbestandliche Handlungsbeschreibungen (zB Ausüben geheimdienstlicher Agententätigkeit bei § 99 StGB), mehrere Behilfehandlungen zu einer einzigen Haupttatt sowie Dauerdelikte (zB §§ 123, 239 StGB)

ferner werden mehrere gleichartige Tätigkeitsdelikte zusammengefasst, wenn sie auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen und innerhalb desselben Vorganges den gleichen Strafbestand in unmittelbarer Aufeinanderfolge schrittweise oder wiederholt verwirklichen. In dem Zusammenhang ist zu sehen, dass der BGH in seiner Dagobert-Entscheidung festgestellt hat, dass die Entscheidung, wann eine Tat im rechtlichen Sinn vorliegt, anhand der Kriterien bewertet wird, die auch für die Fragestelltung gelten, ob ein Versuch fehlgeschlagen ist oder nicht

zu der Ausführung des BGH siehe § 32 KK 873

420
Q

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - d. Verklammerung - Handlungseinheit aufgrund von partieller Handlungsidentität

A

d. Verklammerung - Handlungseinheit aufgrund von partieller Handlungsidentität

die Handlungseinheit aufgrund von partieller Handlungsidentität beschreibt die Fallgestaltung, dass aufgrund teilweise übereinstimmender TBHandlungen eine rechtliche Handlungseinheit angenommen wird

Fraglich ist die Behandlung des Zusammenfalls von Unterlassungs- und Begehungstat bei partieller Handlungsidentität

Bsp.: nach einem selbstverschuldeten Unfall, bei dem die F schwer verletzt wird, flieht A

hier fallen § 323c StGB (möglicherweise auch §§ 212 I, 13 StGB) und § 142 StGB zusammen. Teilweise wird argumentiert, dass gegen eine Annahme von Handlungseinheit der verschiedenartige Unrechtscharakter von Handlungs- und Unterlassungsunrecht spreche

in diesem Zusammenhang fällt die Fragestellung, wie sich das Verhältnis von begangenen Delikten darstellt, die zeitlich parallel neben einem Dauerdelikt begangen werden

Voraussetzung für Klammerwirkung ist, dass die TB, die verklammert werden sollen, eine partielle Handlungsidentität zu dem klammernden Delikt aufweisen. Ferner darf das Klammerdelikt zwar im Vergleich zu einem der zu verklammernden Delikten, nicht aber im Vergleich zu beiden einen minderen Unrechtsgehalt aufweisen.
Denkbar erscheint es, weitergehend zu verlangen, dass das Klammerdelikt im Vergleich zu beiden zu verklammernden Delikten einen vergleichbaren Unrechtsgehalt aufweist

die hM erkennt es an, dass auch im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung Tateinheit über die Verklammerung bewirkt werden kann

421
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 1. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungseinheit

A

Im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängte Strafgesetze werden im Schuldspruch des Urteils nicht erscheinen. Das verdrängte Strafgesetz hat aber uU Bedeutung bei der Strafzumessung, beim Rücktritt vom qualifizierten Versuch, für Nebenstraftaten und Maßnahmen nach § 11 I Nr.8 StGB

Puppe empfiehlt, sich klarzumachen, dass es eigentlich nur zwei Formen der Gesetzeskonkurrenz gibt: die von ihr sog echte Konkurrenz (Spezialität: der Unrechtsgehalt des generellen ist komplett im speziellen Delikt enthalten; das verdrängte Delikt findet keine Berücksichtigung in der Strafzumessung wegen des Doppelverwertungsverbots) und die unechte Konkurrenz (das verdrängte Delikt wird in der Strafzumessung berücksichtigt und ist gerade nicht komplett - deshalb „unecht“ - im dominierenden Delikt enthalten: Subsidiarität, Konsumtion). In Fällen klarer Spezialität sollte man diese so benennen. Ansonsten sollte man sich nicht auf den begrifflichen Streit einlassen und nur davon sprechen, dass eine TBVerwirklichung hinter die andere zurücktritt

422
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 1. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungseinheit - a. Spezialität

A

a. Spezialität

die Konkurrenzform der Spezialität kennzeichnet den Sachverhalt, dass eine Strafvorschrift begriffsnotwendig alle Merkmale einer Strafvorschrift enthält

in dem Fall geht die speziellere Vorschrift der generellen vor.

  • Bsp.: Spezialität besteht zwsichen der Qualifikation und der Privilegierung zum GrundTB
  • Bsp.: zwischen Abwandlungen eigenständiger Art zum AusgangsTB
  • Bsp.: zwischen erfolgsqualifizierten Delikten (die gem § 18 StGB wenigstens Fahrlässigkeit hinsichtlich der besonderen Folge voraussetzen) zum FahrlässigkeitsTB

stehen die Verwirklichungen zweier Strafgesetze in einem Spezialverhältnis zueinander, so darf die Verwirklichung des generellen Strafbestandes nicht straferschwerend berücksichtigt werden (darin liegt ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, § 46 III StGB; wenn eine gefährliche Körperverletzung verwirklicht ist, darf also nicht erschwerend berücksichtigt werden, dass auch eine einfache Körperverletzung begangen wurde)

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Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 1. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungseinheit - b. Subsidiarität

A

b. Subsidiarität

bei der Konkurrenzform der Subsidiarität ist ein Straftatbestand nur hilfsweise anwendbar und tritt daher zurück

die Subsidiarität ist zT ausdrücklich geregelt (ausdrückliche oder formelle Subsidiarität), vgl bspw § 316 I StGB

die Subsidiaritätsklauseln erleichtern die Fassung des Urteilstenors, verfolgen aber keinen weiteren inhaltlichen Zweck. Daher finden subsidiäre TBVerwirklichungen auch in der Strafzumessung Berücksichtigung

man unterscheidet spezielle Subsidiaritätsklauseln, die Subsidiarität nur ggü bestimmten Strafgesetzen bestimmen (zB § 183a StGB), von generellen Subsidiaritätsklauseln, die ihrem Wortlaut nach auf sämtliche mit schwererer Starfe bedrohte Strafgesetze verweisen (zB § 265a I StGB)

besteht keine ausdrücklich angeordnete Subsidiarität, wird Subsidiarität mittels Auslegung und Betrachtung des Sinnzusammenhangs ermittelt (materielle Subsidiarität), zB zwischen konkreten Gefährdungsdelikten und Verletzungsdelikten, zwischen Versuch und Vollendung, zwischen Teilnahme und Täterschaft, zwischen Behilfe und Anstoftung

im Einzelnen handelt es sich dabei um Fragen der Auslegung hinsichtlich der TB des BT, so dass die an gegebener Stelle zu erörtern sind

424
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 1. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungseinheit - c. Konsumtion

A

c. Konsumtion

bei der Konsumtion verhält es sich so, dass eine tatbestandliche Ausführungshandlung den Unrechts- und Schuldgehalt einer anderen Tat typischerweise erfasst

zB konsumieren die §§ 242, 243 I 2 Nr.1 StGB sowie § 244 I Nr.3 StGB die typischen Begleittaten zu diesen TB nach § 123 StGB und § 303 StGB, weil ein Wohnungseinbruchsdiebstahl typischerweise unter gleichzeitiger Verwirklichung eines Hausfriedensbruch und eine Sachbeschädigung begangen wird (str)

425
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 2. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungsmehrheit

A

dies betrifft den Fall der mitbestraften Vor- oder Nachtat

eine solche Fallgestaltung kennzeichnet den Sachverhalt, dass die Verwirklichung eines Strafbestandes den Unrechts- und Schuldgehalt einer vorausgegangenen selbstständigen Handlung oder einer nachfolgenden Verwertungshandlung mit einschließt

sowohl bei Konstellationen der mitbestraften Vor- wie der Nachtat sind jeweils (mindestens) zwei Straftaten verwirklicht worden. Insofern bedarf es eines Entscheidungskriteriums, das bestimmt, welche Tat perspektivgebend ist. Zurück tritt die weniger schwerwiegende TBVerwirklichung

es ist streitig, ob die Fälle von mitbestraften Vor- und Nachtat als Konsumtion, Subsidiarität oder gar als „tatbestandliche Handlungseinheit“ einzuordnen sind. In der Sache spielt das aber keinr Rolle. In der Klausur kann man eine diesbezügliche Positionierung dadurch vermeiden, dass man nur von der vorbestraften Vor- und Nachtat spricht, die hinter die schwere TBVerwirklichung zurücktritt

426
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 2. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungsmehrheit - a. mitbestrafte Vortat

A

a. mitbestrafte Vortat

bei der mitbestraften Vortat ist Konsumtion oder Subsidiarität möglich. Verbrechensverabredung (§ 30 II StGB) ist als selbstständige Handlung eine mitbestraften Vortat zur durchgeführten Tat (Subsidiarität). Unterschlagung eines Kfz-Schlüssels ist mitbestrafte Vortat zum anschließenden Diebstahl des Fahrzeugs (Konsumtion). Gleiches gilt für die versuchte Anstiftung, wenn der Täter das Verbrechen später selbst begeht oder dies zumindest versucht

427
Q

die Gesetzeskonkurrenzen - 2. Gesetzeskonkurrenzen bei Handlungsmehrheit - b. mitbestrafte Nachtat

A

b. mitbestrafte Nachtat

bei der mitbestraften Nachtat handlt es sich um Fälle, bei denen nur eine Auswertung oder Sicherung der durch die Vortat erlangten Position stattfindet, ohne dass hierdurch weitere Personen geschädigt werden, der Schaden wesentlich erweitert oder ein anderes Rechtsgut verletzt wird

die mitbestrafte Nachtat erlangt jedoch eine eigenständige Bedeutung, wenn die Haupttat nicht nachweisbar oder verjährt ist, in dem Fall kann die Nachtat nämlich selbstständig bestraft werden. Bei der mitbestraften Nachtat handelt es sich immer um den Fall der Konsumtion