Inhalte und Theorien Flashcards
Voraussetzungen der Notwehr (§ 32 StGB)
- Notwehrlage
- gegenwertiger, rechtswidriger Angriff
- Notwehrhandlung
- geeignet
- erforderlich (fehlt Erforderlichkeit —> womöglich entschuldigender Notwehrexzess nach § 33 StGB)
- geboten
- subjektives Rechtfertigungselement
- Kenntnis der rechtfertigenden Umstände
- Verteidigungswille
Kern- und Nebenstrafrecht
Das Kernstrafrecht umfasst all dei Normen, die Eingang in das StGB gefunden haben, das somit die Kernmaterie des Strafrechts regelt
Das Nebenstrafrecht bezeichnet die Strafnormen, die nicht im StGB, sondern in anderen Gesetzen zu finden sind (bspw Steuerhinterziehung § 370 AO, Betäubungsmitteldelikte §§ 29 ff BtMG)
> die Einteilung in Kern- und Nebenstrafrecht impliziert nicht die Bedeutung der Strafnormen für die Gesellschaft
bürgerliches Recht - öffentliches Recht - Strafrecht
bürgerliches Recht - Prinzip der Gleichordnung
öffentliches Recht - Prinzip des Über-/ Unterordnungsverhältnisses
Strafrecht - formal betrachtet ein Teil des öffentlichen Rechts (Aspekt der hohen Bedeutung einer strafrechtlichen Verurteilung - schärfste Eingriffsnorm in die bürgerliche Freiheit)
Aufgabe des Zivilrechts, öffentlichen Rechts und Strafrechst
Aufgabe Zivilrecht
- sozialen Beziehungen zwischen Bürgern einen rechtlichen Rahmen verleihen - Ausgleich von Interessenkonflikten
Aufgabe öffentliches Recht
- setzt gesetzliche Vorgaben, die vor allem das Verhältnis der Mensch zum Staat und daneben die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander regeln
Aufgabe Strafrecht
- sichert den Rechtsfrieden, indem es die Rechtsordnung sichert und durchsetzt, die selbst die Grundlage eines geordneten menschlichen Zusammenlebens ist (BVerfGE 123, 267, 408)
Dieser Schutz wird dadurch gewährleistet, dass die Rechtsordnung bestimmte sozialschädliche Verhaltensweisen bei Strafe verbietet und dadurch ein „sozialethisches Unwerturteil gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht wird“ (Wessels/ Becke/ Satzger AT Rn. 4)
das Strafrecht ist abzugrenzen zum …
Strafverfahrensrecht
- Vorschriften , die die Aufklärung von Straftaten und Durchsetzung des staatlichen Bestrafungsrechts regeln
Strafzumessungsrecht
- Regeln, die für Art und Höhe der zu verhängenden Strafe maßgeblich sind
Strafvollzugsrecht
- Regeln, die übe den Vollzug der Freiheitsstrafe/ freiheitsentziehenden Maßnahme entscheiden
Jugendstrafrecht
- bei Straftaten Jugendlicher steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund
Kriminologie
- Kriminalität und der gesellschaftliche Umgang damit
Kriminalistik
- Lehre der Bekämpfung von Straftaten
Kriminalpolitik
- politische Bemühungen (bis hin zu Gesetzen) rund um das Kriminalrecht
Allgemeine Teil (AT)
Besonderer Teil (BT
Allgemeiner Teil (§§ 1-79b StGB): Rechtsnormen , die für alle Tatbestände des besonderen Teils gelten
- allgemeine Voraussetzung der Strafbarkeit - generelle Aussagen zu den Rechtsfolgen strafbaren Verhaltens
Besonderer Teil (§§ 80-358 StGB): Auflistung der einzelnen Straftaten einschließlich der jeweiligen Strafandrohung - innerhalb des BT geordnet nach Rechtsgütern
Gesetzgebungskompetenz im Strafrecht
faktisch liegt das Kriminalstrafrecht in der Zuständigkeit des Bundes
Art. 74 I Nr. 1 GG
Art. 72 I GG
Strafrecht im materiellen und formellen Sinn
Wenn vom Strafrecht die Rede ist, wird i.d.R vom Strafrecht im materiellen Sinn gesprochen
Strafrecht im formellen Sinne: Strafprozessrecht
- dient der Verwirklichung des materiellen Strafrechts - es bestimmt, wie der staatliche Strafanspruch geltend gemacht werden kann - formelle Strafrecht in StPO geregelt
Verbrechensbegriff im formellen Sinne
Summe aller Vorschriften, die Voraussetzungen oder Folgen eines mit Strafe oder einer Maßregel zur Besserung und Sicherung bedrohten Verhaltens regeln
—> Strafe und Maßregel werden zum Bezugspunkt strafrechtlich Verhaltens
die Sanktionierung eines Verbotes mittels Strafe oder Maßregel kennzeichnet die Strafrechtsnorm (nicht die Normierung von Ge- oder Verboten; solche Ge-/ Verbote gibt es auch in andern Rechtsmaterien)
Jede Strafe setzt Schuld des Täters bei der vergangenen Tat voraus
jede Maßregel setzt eine fortdauernde Gefährlichkeit des Täters für die Zukunft voraus
- Strafe und Maßregeln stehen in keinem Alternativitätsverhältnis (können auch kumulativ angeordnet sein)
Verbrechensbegriff im materiellen Sinn
der materielle Verbrechensbegriff orientiert sich nicht am geltenden Recht und dessen formalen Kriterien (Norm, die Strafe oder Maßregel als Sanktion anordnet)
- sondern widmet sich der Frage „wie ein Verhalten beschaffen sein muss, damit der Staat berechtigt ist, es unter Strafe zu stellen“ (Roxin/Greco AT I § 2 Rn. 1)
orientiert sich an der Aufgabe des Strafrechts, subsidiären Rechtsgüterschutz zu gewährleisten
Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts
Das Strafrecht soll den Rechtsgüterschutz gewährleisten. Jede strafrechtliche Sanktion (Strafe/ Maßregel) setzt die Verletzung (teilweise Gefährdung) eines Rechtsguts voraus
(auch das öffentliche und bürgerliche Recht kodifizieren Rechtsgüterschutz)
Formen von Rechtsgütern
individuelle Rechtsgüter
- Bsp. Leben, vgl § 212 StGB, Gesundheit, vgl. § 223 StGB, Vermögen, vgl § 263 StGB
kollektive Rechtsgüter
- Bsp. Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs, vgl. § 146 StGB
Mischformen
- bspw. § 164 StGB, der nach h.M gleichermaßen die Rechtspflege als Kollektivgut und individuell den Angeschuldigten vor falsch Verdächtigungen zu schützen sucht
inhaltliche Anforderungen an das Strafrechstgut
- keine rein ideologischen Zwecksetzungen
- keine bloßen Moralwidrigkeiten
- keine rein ideelle Zweckverfolgung
- sozialschädliches Verhalten als Anknüpfungspunkt
- Notwendigkeit der Letztbezüglichkeit auf die Gesellschaft bzw. die sie konstituierenden Gesellschaftsmitglieder der Strafrechtsgüter
—> keine Strafnorm darf ausschließlich an Kollektivrechtsgut schützen (aufgrund der verfassungsrechtlichen Zielsetzung des Strafrechts: Sicherung der freien Entfaltung der Bürger)
Straftheorien - Sinn und Zweck des Strafens
- deskriptiver Ansatz
- normativer Ansatz
deskriptiver Ansatz
- aus historischer, soziologischer, evolutionspsychologischer Sicht zu ergründen, warum eine Gesellschaft tatsächlich zum Mittel der Strafe greift
normativer Ansatz
- darauf ausgerichtet, eine Rechtfertigung der Strafe zu liefern
absolute (Straf-)Theorie
die Strafe dient der Vergeltung
- bestraft, weil und wenn eine Tat vorliegt - nicht um beim Täter etwas zu bewirken - die Strafe soll von ihrer gesellschaftlichen Wirkung losgelöst erfolgen
die Strafe hat einen rein repressiven Charakter
Immanuel Kant als Vertreter
Kritik: nicht mit der elementaren Aufgabe des Strafrechts (Rechtsgüterschutz) vereinbar
—> Strafe darf nicht von allen sozialen Zwecken absehen
relative (Straf-)Theorie
die Strafe dient der Verhinderung weiterer Straftaten zum Schutz der Gesellschaft
- präventiver Charakter - Strafe soll sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auswirken
der Zweck, den die Bestrafung somit verfolgt, ist daher auch auf zukünftige Taten gerichtet
relative (Straf-)Theorien
a. Generalprävention
negative Generalprävention
- Kenntnis von Gegenstand und Umfang des Verbotes sowie Androhung der Strafe, Strafverfahren, Verhängung und Vollzug der Strafe sollen andere potentielle Straftäter von der Begehung einer Straftat abhalten
—> Lehre vom psychologischen Zwang: potenzielle Täter soll die mögliche Strafe mitberücksichtigen
positive Generalprävention
- Strafandrohung- und Vollzug sollen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsordnung stärken (Rechtstreue der Bevölkerung stärken)
Kritik: Strafe auch sinnvoll, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht
Generalprävention —> der Einzelne droht zum Objekt staatlichen Handelns zu werden (Verstoß gegen die Menschenwürde i.S.v. Art. 1 I GG)
relative (Straf-)Theorie
b. Spezialprävention
negative Spezialprävention
- der einzelne Straftäter soll von der Begehung künftiger Straftaten abgehalten werden (Abschreckung) und die Allgemeinheit soll durch die Inhaftierung des Täters geschützt werden (Sicherung)
positive Spezialprävention
- Strafvollzug soll der Resozialisierung des Täters dienen (Besserung als Schutz vor Rückfälligkeit)
Kritik: im Einzelfall besteht oft keine Wiederholungsgefahr. Eine nachhaltige Umerziehung zu legalem Verhalten in der gegenwärtigen Form des Strafvollzugs erscheint schwer zu realisieren
Vereinigungstheorie
- präventiv
- vergeltend
präventive Vereinigungstheorie
- Verzicht auf den Vergeltungsmoment
vergeltende Vereinigungstheorie
- die Rechtssprechung und das BVerfG folgen den vergeltenden Vereinigungstheorien
—> Aufgabe des Strafrechts vom BVerfG: elementare Werte des Gemeinschaftslebens schützen
—> Strafsanktionen: Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung, Sühne, Vergeltung (vgl. BVerfGE 45, 187, 253 f)
Zweck von Maßregeln
ausschließlich präventive Zwecke: Sicherung und Besserung
—> therapeutisch ausgerichtete Unterbringung soll die von ihm attestierte Gefährlichkeit überwinden + Schutz der Allgemeinheit solange die Gefährlichkeitsprognose aufrecht erhalten wird
die primär spezialpräventive Ausrichtung wird dabei von gerneralprävenitven Elementen ergänzt
Schuldausgleich darf kein Zweck von Maßregeln sein —> keine schuldhaft begangene Straftat voraussetzt
—> die Maßregeln werden vom Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt (nicht vom Ausmaß der Schuld) —> dieses lässt tiefgreifende Eingriffe in ie Rechtsposition des Bürgers zu
—> Rechtfertigung der Maßregeln: die Freiheit könnte entzogen werden, wenn ihr Gebrauch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beeinträchtigung andere führe
Tat- und Täterstrafrecht
Tatstrafrecht
- gesetzliche Regelung: Strafbarkeit knüpft an eine tatbestandlich umschrieben einzelne Handlung an
—> Sanktion als Antwort auf die Einzeltat und nicht auf die Lebensführung des Täters
- deutsches Strafrecht: Tatstrafrecht (im Bereich der Strafzumessung können täter spezifische Aspekte/ Einstellungen eine Rolle spielen)
Täterstrafrecht
- Regelung bei der die Strafe an die Persönlichkeit des Täters anknüpft
—> Asozialität entscheidet über Sanktion
- im deutschen Strafrecht: allenfalls zu akzeptieren, dass täterstrafrechtliche Aspekte im Rahmen eines festgestellten tatstrafrechtlichen Tatvorwurfs strafschärfend oder -mildernd Berücksichtigung finden
Strafbestände und Strafandrohung
Strafverhängung; Strafvollzug
Strafbestände und Strafandrohung: dienen generalpräventiv der Abschreckung
Strafverhängung (Urteil)
—> dient der negativen Spezialprävention (Abschreckung des Täters), der negativen Generalprävention (Abschreckung Dritter) und der positiven Generalprävention
Strafvollzug
—> dient allein der Resozialisierung (positive Spezialprävention), wirkt während der Verhängung auch negativ spezialpräventiv
Gedanke der Genugtuung
Fokus liegt aus dem Deliktsopfer und dessen Genugtuungsinteresse
—> Bedeutung des staatlichen Bestrafungsaktes für das Opfer (nicht: Befriedigung von Rachewünschen)
—> Staat kommuniziert gegenüber dem Opfer, dass ihm Unrecht und kein Unglück wieder fahren ist und darauf reagiert wird
die so verstandene Genugtuung wird bereits durch den Ausspruch der Strafe selbst erreicht
—> daher: Zuordnung zu den absoluten Straftheorien
das Gestzlichkeitsprinzip
Art. 103 II GG = § 1 StGB
Eine Tat kann nach Art. 103 II GG nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde
- Verbot und Gewohnheitsrecht
- Bestimmtheitsgebot
- Rückwirkungsverbot
- Analogieverbot
das Gesetzlichkeitsprinzip
- Verbot von Gewohnheitsrechten
das Verhalten muss in einem förmlichen Gesetz für strafbar erklärt werde. Ungeschriebenes Recht (Gewohnheitsrecht) ist keine zulässige Grundlage für eine Bestrafung
- in andern Rechtsgebieten (bspw im Privatrecht) ist Gewohnheitsrecht möglich
- die Anwendung strafausschließenden und strafmildernden Gewohnheitsrechts ist zulässig (wirkt sich zugunsten des Täters aus )
Problem: durch Gewohnheitsrecht dürfen im BT de StGB keine neuen Strafbestände, Strafandrohungen und Verfolgungsmöglichkeiten geschaffen werden (umstritten: im AT des StGB strafbegründetes und strafschärfendes Gewohnheitsrecht gilt)
das Gesetzlichkeitsprinzip
- Bestimmtheitsgebot
sowohl Tatbestand als auch Strafandrohung müssen gesetzlich bestimmt sein, damit der Einzelne sein Verhalten danach ausrichten kann
—> das Gesetz muss einerseits abstrakt genug sein, um alle Sachverhalten zu erfassen, die bestraft werden sollen, und es muss anderseits konkret genug sein, um allen anderen Fälle auszuschließen, die nicht bestraft werden sollen, auszugrenzen
das Gesetzlichkeitsprinzip
- Rückwirkungsverbot
ein strafrechtliches Gesetz darf nicht rückwirkend ein Verhalten unter Strafe stellen; ein Richter darf ein Gesetz nicht auf Taten anwenden, die vor Inkrafttreten der Norm begangen wurde
- ansonsten würden die Grenzen der Freiheit des Einzelnen nicht mehr bestimmbar sein (Vertrauen in die Strafrechtsordnung wäre nicht mehr möglich)
- das Rückwirkungsverbot umfasste die Strafbarkeit als solche sowie Art und Höhe der Strafe
- das Rückwirkungsverbot gilt auch für die Nebenfolgen der Tat
(eine Änderung der Rechtssprechung in Bezug auf bereits verübte Taten ist zulässig. Die Änderung der Rechtssprechung ist keine rückwirkende Änderung des Gesetzes, denn nur gesetzliche Bestimmungen sind von der Garantie des Art. 103 II GG umfasst. In einer geänderten Rechtssprechung drückt sich der Gesetzeswille aus (wie er schon immer bestanden hat, aber erst jetzt richtig anerkannt wurde)
das Gesetzlichkeitsprinzip
- Analogieverbot
Im Strafrecht ist eine Analogie zu Ungunsten des Täters ausgeschlossen. Denn für einen Fall, der einem gesetzlich geregelten Fall nur ähnlich ist, ist die Strafbarkeit nicht gesetzlich bestimmt
- in andern Rechtsbereichen gehört die Analogie zu den üblichen Mitteln der Rechtsfindung
(die Tätigkeit des Auffindens der richtigen Deutung nennt man Auslegung. Die Grenze zulässiger Auslegung bildet den möglichen Wortsinn —> jenseits des Wortsinns beginnt die im Strafrecht verbotene Analogie)
Auslegungsregeln
Wortauslegung
- Ermittlung der Wortbedeutung nach natürlichem und juristischem Sprachgebrauch
historische Auslegung
- Frage, welchen Inhalt der Gesetzgeber dem Strafgesetz geben wollte
systematische Auslegung
- Frage, welchen Inhalt ein Gesetz im Hinblick auf den Systemzusammenhang des gesamten Gesetzes hat
teleologische Auslegung
- Frage, nach Inhalt eines Gesetzes im Hinblick auf Sinn und Zweck
—> Korrektiv: verfassungskonforme/ menschenrechtskonforme Auslegung - von mehreren möglichen Auslegungen ist diejenige zu bevorzugen, die mit der Verfassung bzw der EMRK im Einklang steht)
Einfluss des Verfassungsrechts
- Strafrecht
a. Schuldprinzip (nulla poena sine culpa)
- folgt aus Art. 2 I, 1 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip - Strafbegründungsschuld: Eine Strafe darf nur verhängt werden, wenn die Tat dem Täter zum Vorwurf gemacht werden kann - Schuld-Unrecht-Kongruenz: Alle Elemente des Unrechtsvorwurfs müssen vom Schuldvorwurf erfasst werden - § 46 I 1 StGB: “die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe”
b. Rechtsgüterschutz
Einfluss des Verfassungsrechts
- Strafprozessrecht
a. Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 I GG
- grundrechtsgleiches Recht und konkretisiert den Gedanken der Menschenwürde (Art 1. I GG) —> keine Person darf zum Objekt richterlicher Rechtsfindung gemacht werden (im Sinne eines selbstbestimmten Wesens auch eigenständig in das Verfahren eingreifen)
b. ne bis in idem, Art. 103 III GG
- Verbot von Doppelbestrafung wegen derselben Tat (Problem ist hier die inhaltliche Auslegung des Begriffes Tat) - Art. 103 III GG gilt nur innerstaatlich
c. in dubio pro reo
- Im Zweifel für den Angeklagten —> kein eindeutiger Sachverhalt im Strafprozess: der Richter hat sein Urteil auf Basis des für den Angeklagten günstigeren Sachverhalts auszusprechen - prozessuale Entscheidungsregel (non liquet); der Grundsatz bietet keine möglichst tätergünstige Auslegung des Gesetzes
d. Recht auf ein faires Strafverfahren
Einfluss des Verfassungsrecht
- Verhältnismäßigkeitsprinzip
das Verhältnismäßigkeitsprinzip leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus den einzelnen Grundrechten ab
—> gilt für das materielle Strafrecht und Strafprozessrecht (insbesondere für strafprozessuale Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen)
Zusammensetzung aus Eignung, Erfoderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
Einfluss des Verfassungsrechts
- Verhältnismäßigkeitsprinzip
a. Eignung
das Strafgesetz muss zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet sein
- das zu schützende Rechtsgut muss im Vordergrund stehen - eine bloß appellative oder normstabilisierende Wirkung darf hier keine Rolle spielen
Einfluss des Verfassungsrechts
- Verhältnismäßigkeitsprinzipb. Erforderlichkeit
c. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
b. Erforderlichkeit
- Strafgesetz muss erforderlich sein —> Erforderlichkeit liegt dann vor, wenn zur Erreichung des Erfolgs das mildest gleich wirksame Mittel eingesetzt wird
c. Angemessenheit
- ein Strafgesetz darf nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen —> Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordert eine Abwägung zwischen dem Nutzen des Strafgesetzes und der dadurch herbeigeführten Beeinträchtigung —> bei der Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne räumt das BVerfG staatlichen Organen einen Entscheidungsspielraum ein, indem es einen Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nur bei deutlicher Unangemessenheit annimmt
Strafrechtsdogmatik und Strafrechtssystem
- Aufgaben der Dogmatik und des Systems des Strafrechts
Strafrechtsdogmatik
- Auslegung, Systematisierung und Fortbildung der gesetzlichen Anordnungen und wissenschaftlichen Lehrmeinungen
—> Systematisierung: Gliederung der Gesamtheit der Ergebnisse in ein “geordnetes Ganzes” —> innerer Zusammenhang der einzelnen Dogmen sichtbar machen (logische Ordnung der gewonnenen Einzelkenntnisse)
formeller Verbrechensbegriff
jedes strafbare Verhalten weist (min.) vier gemeinsame Merkmale auf
- Handlung
- Tatbestandsmäßigkeit
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
formeller Verbrechensbegriff
a. Handlung
b. Tatbestandsmäßigkeit
c. Rechtswidrigkeit
d. Schuld
e. sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
a. Handlung
- Systemstufe zur Ausscheidung rechtlich völlig irrelevanter Geschehnisse: Naturkräfte, Verletzung durch Tiere sowie Gedanken und Gesinnungen
b. Tatbestandsmäßigkeit
- die Handlung muss tatbestandsmäßig sein, d.h einer der Verbrechensbeschreibungen entsprechen, die sich vorwiegend im BT finden (§§ 80 ff. StGB)
c. Rechtswidrigkeit
- die Tat ist rechtswidrig, wenn sie verboten ist - weil der Tatbestand ein Verhalten beschreibt, das typischerweise verboten sein soll, ist die Rechtswidrigkeit des Verhaltens durch dessen Tatbestandsmäßigkeit indiziert —> Dieses Indiz wird widerlegt, wenn (ausnahmsweise) ein Rechtfertigungsgrund (bspw § 32 oder § 34 StGB) eingreift - fehlt es an der Rechtswidrigkeit des Verhaltens, so ist es erlaubt und muss von jedermann hingenommen werden. Niemand kann sich dem Täter dann rechtsmäßig zu Wehr setzen
d. Schuld
- der Täter handelt schuldhaft, wenn er für die Tat verantwortlich gemacht werden kann - Schuld bedeutet individuelle Vorwerfbarkeit des normwidrigen Verhaltens - Voraussetzungen sind Schuldfähigkeit gem. §§ 19, 20 StGB, § 3 JGG sowie das Fehlen von Entschuldigungsgründen (z.B § 17 oder § 35 StGB) - fehlt es an der Schuld des Täters, so bleibt das Verhalten missbilligt und verboten , der Täter wird lediglich nicht bestraft. Das Täterverhalten muss aber nicht vom Opfer hingenommen werden, viel mehr kann es ggf (nach §§ 32, 34 StGB) rechtmäßig gegen den Täter vorher (zivilrechtlich)
e. sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
- eine tatbestandsmäßig, rechtswidrige und schuldhafte Handlung ist i.d.R strafbar. Nur nein einzelnen Delikten verlangt das Gesetz weitere Voraussetzungen für die Strafbarkeit: —> fehlen persönlicher Strafausschließungsgründe (§ 258 VI StGB) —> objektive Bedingung der Strafbarkeit (z.B die Begehung einer rechtswidrigen Tat in § 323a StGB) —> fehlt einer der sonstigen Strafbarkeitsvoraussetzungen, so bleibt das Verhalten verboten und schuldhaft; der Täter wird lediglich nicht bestraft
Unrecht und Schuld
Unrecht und Schuld sind zwei von einander strikt zu trennende Wertungsstufen
- Unrecht einer Tat: Kombination aus Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verhaltens —> Unrecht wird nur begangen, wenn der Täter ein tatbestandsmäßiges Verhalten vornimmt, das nicht gerechtfertigt ist. Das Gesetz versteht darunter gem. § 11 Nr.5 StGB eine “rechtswidrige Tat” - davon unabhängig ist die Schuld (individuelle Vorwerfbarkeit des unrechten Verhaltens) —> Unrecht liegt also auch dann vor, wenn es (nur) an der Schuld des Täters fehlt —> vorliegen einer Straftat: nur bei Unrecht + Schuld
teleologisch-kriminalpolitisches Systemdenken
- Vorzüge und Gefahren des Denkens in einem System
Vorzüge des Denkens in einem System
- sichere, berechenbare Anwendung des Strafrechts frei von Willkür - Erleichterung der Fallprüfung - gleichmäßige und differenzierte Rechtsanwendung - Vereinfachung und bessere Handhabung des Rechts
Gefahren des Denkens in einem System
- Vernachlässigung der Einzelfallgerechtigkeit - kriminalpolitisch nicht legitimierbare Systemableitung - Verwendung zu abstrakter Begriffe
teleologisch- kriminalpolitisches Systemdenken
- Problemdenken als Alternative
Problemdenken als eine vom Einzelproblem ausgehende Suche nach Möglichkeiten „dieses sachgerecht und zweckmäßig“ zu lösen
- Bedenken: der Erfolg hängt maßgeblich von einer integren entscheidenden Person ab (nicht von einem anerkannten System), es bedarf vergleichbare Fälle —> Rechtsunsicherheit: keine gleichmäßige und berechenbare Rechtsanwendung mehr gewährleistet —> Gesetzlichkeitsprinzip: Rechtsfindung per Analogie, praeter legem oder kraft Gewohnheitsrecht ist im Strafrecht gerade nicht möglich
Exemplifizierungen des teleologisch-kriminalpolitischen Systemdenkens
ein modernes Strafrechtssystem muss teleologisch strukturiert sein (auf wertenden Zwecksetzungen aufbauen)
die leitenden Zwecksetzungen (die das Strafrechtssystem konstituieren) können nur kriminalpolitischer Art sein
Exemplifizierungen des teleologisch-kriminalpolitischen Systemdenkens
a. Handlung
b. Unrecht
c. Tatbestand
d. Verantwortlichkeit
a. Handlung
- kriminalpolitischer Zweck —> durch die Bewertung als Nichthandlung wird alles ausgeschieden, was den Kategorien des strafrechtlich Erlaubten und Verbotenen von vornherein nicht unterliegt
b. Unrecht
- kriminalpolitischer Zweck —> Lösung von Interessenkollisionen, Anknüpfungspunkt für Maßregeln und andere rechtliche Wirkungen, Verzahnung des Strafrechts mit der Gesamtrechtsordnung
c. Tatbestand
- kriminalpolitischer Zweck —> durch die Aufnahme eines bestimmten Verhaltens in einen Strafbestand soll der Einzelne zur Unterlassung des darin beschriebenen Verhaltens motiviert werden (Generalprävention)
d. Verantwortlichkeit
- kriminalpolitischer Zweck —> Ausscheidungen von Fallkonstellationen, in denen trotz Unrechtsverwirklichungen eine präventive Bestrafungsnotwenidigkeit nicht besteht
Verhältnis zwischen Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik
strafrechtliches und kriminalpolitisches Denken stellen bei genauerer Betrachtung keine strengen Gegensätze dar
—> Rechtsfindung ist mehr als ein Subsumtionsautomat
—> kriminalpolitisches Denken fließt mit ein
Kriminalpolitik kann durch die Richter wegen des Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 II GG) und des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 III GG) nur innerhalb der Auslegungsgrenzen betrieben werden
—> Aufgabe des Gesetzgebers: Gesetze infolge kriminalpolitischer Erwägungen ändern
Geltungsbereich des deutschen Strafrechts
hat ein Sachverhalt einen Auslandsbezug, muss vor der Prüfung einer Strafbarkeit nach dem StGB erst die Anwendbarkeit dieses Gesetzes festgestellt werden.
Dies regelt das Strafanwendungsrecht §§ 3-9 STGB
Territorialitätsprinzip
das Territorialitätsprinzip bedeutet, dass dem deutschen Strafrecht alle Straftaten unterliegen, die im Inland begangen werden, § 3 StGB. Dabei ist die Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers irrelevant
Anwendung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten
a. Flaggenprinzip, § 4 StGB
b. Personalitätsprinzip
c. Schutz- und Realprinzip
d. Universal- und Weltrechtsprinzip
e. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege
die strafrechtliche Handlungslehre
die strafrechtliche Handlungslehre betrifft eine Grundlage der Strafbarkeit. Eine Strafe kann nur an eine Handlung angeknüpft werden
—> ein menschliches Verhalten ist nur dann strafrechtlich relevant, wenn die handelnde Person Steuerungsfähigkeit besaß
die naturalistisch- kausale Handlungslehre
umreißt die Handlung als ein gewillkürtes Körperverhalten
—> hierbei soll die willkürliche Handlung zur Abgrenzung von Naturereignissen dienen
—> diese Handlungslehre berücksichtigt nicht, dass das menschliche Verhalten mit potenziell strafrechtlicher Relevanz einen sozialen Bedeutungsgehalt hat
die finale Handlungslehre
die finale Handlungslehre definiert das menschliche Verhalten als eine zweckgerichtete Tätigkeit
—> Mensch zeichne sich durch eine Fähigkeit aus, planend und zweckgerichtet in das Sozialleben einzugreifen
—> Kritik: Unterlassungen und fahrlässiges Handeln können nicht angemessen aufgenommen werden
die personale Handlungslehre
die personale Handlungslehre umreißt Handlungen als Persönlichkeitsäußerungen
—> Kritik: fahrlässiges Handeln verstehe sich nur schwer als eine individuelle Persönlichkeitsäußerung (zu hoher Fokus auf das Individuum —> Sozialerheblichkeit vernachlässigt)
die sozialen Handlungslehren
dei sozialen Handlungslehren verstehen die strafrechtliche Handlung als eine vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares, sozialerhebliches Verhalten
—> Sozialerheblichkeit dient als Abgrenzungskriterium
Nichthandlungen
- Reflexbewegungen
- vis absoluta (mit unwiderstehlicher Gewalt erzwungene Handlungen)
- Körperbewegungen im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit
- Verhalten eines Unternehmens (im Unternehmen handeln zwar natürliche Personen, diese Handlungen werden dem Unternehmen lediglich zivilrechtlich zugeordnet)
Bedeutung des Tatbestands
- Systematik
- Garantiefunktion
- dogmatische Aufgabe
Systematik
- Elemente der Verbrechenslehre, die im Gesetzeswortlaut des konkreten Delikts nur unvollkommen zum Ausdruck kommen (z.B Kausalität und objektive Zurechnung bei § 212 StGB, dessen Wortlaut nut die Handlung „töten“ nennt), erhalten einen „Oberbegriff“, worunter sie (in einem Rechtsgutachten) systematisch zu fassen sind
Garantiefunktion
- weil nach Art. 103 II GG, § 1 StGB eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit des Verhaltens vor der Tatbegehung gesetzlich bestimmt war, ist die Bürgerin sowie der Bürger davor geschützt, für ein Verhalten bestraft zu werden, das im Gesetz nicht als tatbestandlich genannt wird
dogmatische Aufgabe
- der Tatbestand umschreibt auch diejenigen Merkmale, auf die sich der Vorsatz des Täter erstrecken muss. Denn kennt er eins der im gesetzlichen Tatbestand vorausgesetzten Merkmale nicht, handelt er gem. § 16 I 1 StGB insoweit unvorsätzlich
die Entwicklung des Tatbestands
- Tatbestand war geprägt durch Objektivität und Wertfreiheit
Objektivität - TB umfasst nur äußerlich erkennbaren Sachverhalt
—> aus subjektive Kriterien kann nicht verzichtet werden, da auch sie des Deliktstypus wesentlich mitbestimmen
Wertfreiheit - Feststellung des TB einhält noch kein Unwerturteil
—> der TB enthält über deskriptive Merkmale hinaus auch normative Merkmale und enthält somit selbst schon einen Wertung
das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit
wer ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an den Tag legt, handelt in der Regel rechtswidrig
die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens indiziere dessen Rechtswidrigkeit
demnach hängen also Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit in den Sinne zusammen, dass erst eine Gesamtschau der unrechtsbegründeten Merkmale des Tatbestands und der unrechtsausschließenden Merkmale der Rechtfertigungsgründe ein Urteil über das Unrecht der Tat zulässt
der objektive Tatbestand
Tatsubjekt
- bestimmt den Kreis möglicher Täter (z.B „wer“ in § 303 StGB)
Tathandlung
- beschreibt das Verbotene Verhalten des Tatsubjekts (z.B „eindringen“ in § 123 StGB)
Tatobjekt
- beschreibt die Person bzw. den Gegenstand, an dem die Tat begangen werden kann (z.B „fremde Sache“ bei § 303 StGB)
ggf Taterfolg (einschließlich Kausalität und objektiver Zurechnung)
- bestimmt ein verbotenes Ergebnis einer Tat (z. B „beschädigen oder zerstören“ bei § 303 StGB)
subjektiver Tatbestand
a. Vorsatz
b. subjektive Tatbestandsmerkmale
a. Vorsatz
- das Wissen und Wollen hinsichtlich sämtlicher Merkmale des objektiven Tatbestands
die Zugehörigkeit des Vorsatzes zum subjektiven Tatbestands ist heute allgemein anerkannt, da:
- der tatbestandliche Deliktstypus ganz wesentlich durch den Vorsatz mitbestimmt wird
- der Vorsatz beim Versuch zum Tatbestand gehört, so dass er beim vollendeten Delikt nicht einfach wieder daraus verschwinden kann
b. subjektive Tatbestandsmerkmale
- über den allgemeinen Vorsatz hinaus setzen einige Delikte spezielle subjektive Tatbestandsmerkmale voraus (z.B §§ 242, 253, 265 StGB)
- nicht jedes subjektive Merkmal, das die innere Vorstellungswelt bzw den psychisch- seelischen Bereich betrifft, ist auch subjektives Tatbestandsmerkmal (kann auch der Schuld zuzuordnen sein)
- die Abgrenzung bestimmt sich danach, ob sich das fragliche Merkmal auf den Deliktytyp bezieht (dann subjektives Tatbestandsmerkmal) oder ein lediglich davon abhängiges (oft schärfendens) Motiv, ein Gefühl oder eine Gesinnung umschreibet (dann Schuldelement)
- die Relevanz der Unterscheidung zwischen subjektivem Tatbestandsmerkmal und Gesinnungsmerkmal liegt (neben einem konkreten Prüfungsaufbau im Rechtsgutachten) vor allem in der Frage, ob bei Beteiligungsfragen § 28 StGB oder § 29 StGB zur Anwendung kommt
Handlungs- und Erfolgsunwert im Tatbestand
Handlungunwert
- wird durch die Art und Weise des Handlungsvollzugs bestimmt (rechtswidrig ist die Handlung als Werk des Täters) - wird von der ganz h.M. in das Unrecht einbezogen
Erfolgsunwert
- wird durch die Verletzung oder Gefährdung des Schutzgutes bestimmt
Einwände gegen eine Berücksichtigung auch des Erfolgsunwerts:
- nur eine Handlung, nicht aber ein Erfolg kann Gegenstand eines Verbotes sein - Erfolgseintritt auch vom Zufall abhängig, weshalb er für das Unrecht irrelevant sein muss
Einer damit verbundenen alleinigen Orientierung am Handlungsunwert steht jedoch entgegen:
- es lassen sich Erfolge verbieten, die sich als planmäßige/ adäquate Folge bestimmter Verhaltensweisen darstellen - der Zufall wird aus der strafrechtlichen Betrachtung ohnehin ausgeschlossen, weil nur Erfolge zugerechnet werde, die als „Werk des Täters“ erscheinen - Gefahr der Einebnung des wertungsmäßigen Unterschieds zwischen Versuch und Vollendung: bei Abstellen alleine auf den Handlungsunwert hat der Täter, der das Opfer trifft, und derjenige, der das Opfer verfehlt, das gleiche (Handlungs-)Unrecht begangen
Arten von Tatbeständen
a. Erfolgsdelikte
b. Tätigkeitsdelikte
Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte lassen sich nach der Beziehung zwischen Handlung und Erfolg unterscheiden
a. Erfolgsdelikte
- setzen den Eintritt eines von der Tathandlung gedanklich abgrenzbaren Erfolgs voraus (z.B setzt § 212 StGB über die auf die Todesverursachung gerichtete Handlung als Erfolg der Tat auch den Tod des Opfers voraus)
—> Beschaffenheit der Handlung irrelevant („irgendeine“ Handlung reicht aus)
—> Maßgeblich ist nur der Eintritt des gesetzlich vertypten Erfolgs
b. Tätigkeitsdelikte
- setzten keinen solchen Erfolg voraus und sind vielmehr allein durch das im Gesetz beschriebene Tätigwerden erfüllt (z.B stellt § 153 StGB allein die Tätigkeit des Falsch-Aussagens unter Strafe, unabhängig von einem Erfolg i.S. einer Täuschung des Gerichts)
—> Maßgeblich ist nur die Vornahme der gesetzlich vertypten Handlung
—> Eintritt eines Erfolgs für TB-Verwirklichung irrelevant
Relevanz der Unterscheidung: nur bei Erfolgsdelikten muss nach einem Ursachen- und Zurechnungszusammenhang (Kausalität und objektive Zurechnung) zwischen Handlung und Erfolg gefragt werden
Dauer- und Zustandsdelikte
Dauer- und Zustandsdelikte lassen sich danach differenzieren, ob ein widerrechtlicher Zustand nur herbeigeführt oder aufrechterhalten wird
a. Dauerdelikte
- der Täter führt einen rechtswidrigen Zustand nicht nur herbei, sondern hält diesen auch aufrecht (z.B § 239 StGB, da das Opfer für die Dauer bis zu seiner Befreiung seiner Freiheit beraubt bleibt)
b. Zustandsdelikte
- das tatbestandliche Verhalten erschöpft sich dagegen in der schlichten Herbeiführung des widerrechtlichen Zustands (z.B § 223 StGB, weil es dem Tatbestand nur darauf ankommt, dass der Zustand der Körperverletzung (auch nur kurz) einmal bestand)
Relevanz der Unterscheidung: grundsätzlich sind nur bei Dauerdelikten nach Herstellung des widerrechtlichen Zustands noch Mittäterschaft und Beihilfe möglich
erfolgsqualifiziere Delikte
erfolgsqualifizierte Delikte sind ein spezieller Fall der Erfolgsdelikte. Sie knüpfen an die Verwirklichung eines Grunddelikts an und verlangen darüberhinausgehend den Eintritt eines besonderen Erfolgs als Folge der Verwirklichung des Grunddelikts
Bsp. Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB): über die Verwirklichung des § 223 StGB als Grundtatbestand der Körperverletzung hinaus wird der Einritt eines Erfolgs in Form des Todes des Verletzten verlangt
Relevanz dieser Deliktart: Abweichend von § 15 StGB genügt bei diesen Delikten hinsichtlich des besonderen Erfolgs Fahrlässigkeit (§ 18 StGB)
Verletzungs- und Gefährdungsdelikte
die Unterscheidung von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten betrachte die Intensität der Beeinträchtigung des jeweils geschützten Rechtsguts
a. Verletzungsdelikte
- setzen eine Beeinträchtigung (Verletzung) des Rechtsguts voraus, also eine tatsächliche Werteinbuße (z.B verlangt § 303 StGB, dass die fremde Sache - das Eigentum als das geschützte Rechtsgut - tatsächlich beschädigt oder gar zerstört sein muss)
b. Gefährdungsdelikte
- es muss keine Verletzung des Rechtsguts eingetreten sein; das Gesetz lässt bei ihnen ausreichen, dass eine diesbezügliche Gefahr geschaffen wurde (z.B verlangt § 221 I StGB nicht den Tod des Ausgesetzten, sondern lässt die Gefahr des Todes ausreichen)
Im Bereich des Schutzes kollektiver Rechtsgüter dominieren Gefährdungsdelikte- statt Verletzungsdelikte, da eine einzelne Handlung kaum jemals ein Kollektivrechtsgut zu verletzen vermag.
Wiederum nach der Intensität der vorausgesetzten Beeinträchtigung des Handlungsobjekts lassen sich die Gefährdungsdelikte weiter in konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte unterscheiden.
- a. konkrete Gefährdungsdelikte (bspw. § 221 StGB)
—> setzen voraus, das das jeweilige Rechtsgut konkret gefährdet ist (fassbare Gefährdung)
—> Erfolgsdelikte (Gefährdungserfolg, Gefährdungsvorsatz)
- b. abstrakte Gefährdungsdelikte (bspw. § 316 StGB) —> setzen nicht den Eintritt einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut voraus —> bestimmtes Verhalten ist generell gefährlich für das geschützte Rechtsgut (nicht nur im Einzelfall) —> Gefährlichkeit als gesetzgeberisches Motiv, kein spezielle zu prüfendes objektives TB-Merkmal
Kausalität -Äquivalenztheorie
Jeder Umstand, der zum Eintritt des Erfolges führt, stellt eine Ursache dar
(Gleichwertigkeit aller Bedingungen = Äquivalenztheorie, äquivalent heißt gleichwertig)
Kausalität - conditio sine qua non - Formel
Ursächlich ist jede Bedingung eines Erfolges, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg (in seiner konkreten Gestalt) entfiele.
- die sogleich dargestellten Problemfälle zeigen die Unzulänglichkeiten der csqn-Formel auf
Ihr heuristischer (Heuristik ist die Lehre von der Gewinnung neuer Erkenntnisse) Wert ist damit stark beschränkt. Um bestimmen zu können, ob ein Ereignis hinweggedacht werden kann, ohne damit ein bestimmter Erfolg entfällt, muss die Kausalität ja bereits bekannt sein - die Formel bedarf bereits im Ausgangspunkt der Einschränkung über das Merkmal „Erfolg in seiner konkreten Gestalt“
- die Formel bedarf ferner einer Anpassung für Fälle der alternativen Kausalität
Kausalität - lehre von der gesetzmäßigen Bedingung
Ein Verhalten ist dann ursächlich für einen Erfolg, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von Veränderungen (natur)gesetzmäßig verbunden ist. Dies ist nach der allgemeinen oder sachverständigen Erfahrung zu beurteilen
Problemfälle - Alternative Kausalität
BSp.: T1 und T2 geben O unabhängig voneinander jeweils eine tödlich wirkende Menge gift - O stirbt.
Problem:
- zwei Ursachen führen zum selben Erfolg. Jede Ursache kann alternativ (einzeln), aber nicht kumulativ (zusammen) hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele.
Folge:
- beide Täter wären in Bezug auf das vollendete Delikt nach der csqn-Formel straflos
Lösung:
- von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede ursächlich, sog. modifizierte Äquivalenztheorie. Also sind beide strafbar. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bestimmung kommt zum gleichen Ergebnis, da beide Gifte im Körper des O wirksam werden.
Problemfälle - kumulative Kausalität
Bsp.: T1 und T2 geben in den Kaffee des O jeweils eine für sich nicht tödlich wirkende Dosis Gift, ohne von der Tat des anderen zu wissen. O stirbt an der Gesamtdosis.
Problem:
- zwei Ursachen führen ebenfalls zum konkreten Erfolg, aber nur durch das Zusammenwirken beider Ursachen. Jede allein würde nicht zum Erfolg führen
Folge:
- Beide kausal, das weder die Handlung des einen, noch die des anderen hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Zudem sind im Sinne der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung bei Giftmengen mit dem Tod des O naturgesetzmäßig verbunden
Lösung:
- nicht im Rahmen der Kausalität, sondern im Rahmen der objektiven Zurechnung: Tatbeitrag des einen kann dem andern nicht zugerechnet werden, es fehlt am Risikozusammenhang. Beide kausal, aber mangels objektiver Zurechnung nur strafbar wegen versuchten Totschlags und vollendeter Körperverletzung
Problemfälle - überholende bzw. abbrechende Kausalität
Bsp.: T1 vergiftet O. Bevor O an der Vergiftung stirbt, wird er von T2 erschossen
Problem:
- ein Täter setzt eine Ursache für einen Erfolg. Bevor sich dieser Erfolg realisieren kann, setzt ein zweiter Täter eine neue Ursache, die einen früheren Erfolgseintritt bewirkt
Folge:
- denkt man die Vergiftungshandlung des T1 weg, wäre O dennoch an dem Schuss des T2 gestorben
Lösung:
- Kausal ist die Ursache, die zum konkreten Erfolg geführt hat. diese hat T2 gesetzt. T2 ist daher wegen vollendeter Tat zu bestrafen. Die Ursache die T1 gesetzt hatte, wirkt nicht bis zum Tötungserfolg fort, die Kausalität wurde abgebrochen. T1 ist nur wegen Versuchs strafbar
Problemfälle - Hypothetische Kausalität
Bsp.: T vergiftet O, der stirbt. O wäre sowieso kurz danach an einer Krankheit gestorben
Problem:
- Erfolg wäre im selben Moment oder später auch durch eine andere Sache eingetreten
Folge:
- Handlung des Täters könnte hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. T wäre nicht wegen des vollendeten Delikts strafbar
Lösung:
- hypothetische Kausalverläufe bleiben unberücksichtigt! Verbot des Hinzudenkens von Ersatzursachen. Es ist auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt abzustellen. Die Vergiftung durch T ist also kausal. T ist strafbar
Übersicht: Tätigkeitsdelikte, Erfolgsdelikt und Kausalität
keine Kausalität notwendig:
- Tätigkeitsdelikte = kein konkreter Erfolg wird vorausgesetzt - abstrakte Gefährdungsdelikte = kein Eintritt einer konkreten Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt
—> steigende Intensität der Beeinträchtigung des jeweiligen geschützten Rechtsguts —>
P: Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg im Einzelfall:
- Erfolgsdelikte = setzten Eintritt eines von der Tathandlung abgrenzbaren Erfolgs voraus - konkrete Gefährdungsdelikte = konkrete Gefahr im Einzelfall vorausgesetzt - Verletzungsdelikte = Beeinträchtigung des Rechtsguts im Einzelfall vorausgesetzt
Kausalität - Adäquanz- / Relevanztheorie
die Möglichkeit des Erfolgseintritts aufgrund der gesetzten Bedingung darf nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeiten liegen. Bei der Bewertung dieser Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Wertungsfrage.
die Relevanztheorie geht insofern über die Adäquanztheorie hinaus, als sie zwischen Kausalzusammenhang von Handlung und Erfolgs einerseits und strafrechtlicher Relevanz dieses Kausalzusammenhangs anderseits unterscheidet. Allerdings ist es den Vertretern dieser Lehre nicht gelungen, die Kriterien der Relevanz konkret herauszuarbeiten
die Adäquanztheorie sowie die Relevanztheorie befassen sich nur vordergründig mit Fragen der Ursächlichkeit, tatsächlich setzen sie Kausalität voraus und begrenzen diese
Problemfälle - atypischer Kausalverlauf
die überholende Kausalität darf nicht mit einem nur atypischen Kausalverlauf verwechselt werden: Hier tritt der Erfolg zwar letztendlich auch durch eine andere Ursache ein, diese knüpft aber an die vorhergehende Handlung an. Nach der csqn-Formel ist jede Bedingung kausale Ursache für den Erfolg
keine Zurechnung, wenn eine ganz ungewöhnliche, atypische Schadensfolge eintritt, oder wenn es zu einem nicht vorhersehbaren, außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Geschehensablauf kommt
Grundaussagen zur objektiven Zurechnung
die Funktion der objektiven Zurechnung liegt in erster Linie in der Zielsetzung, die Weite des Kausalitätskriteriums - Verkauf der Tatwaffe als kausaler Beitrag zum Taterfolg - durch eine normative Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg zu begrenzen
das Kriterium der Eingrenzung ist die Fragestellung: Kann dem Täter der von ihm verursachte Erfolg normativ (=bewertend) als dessen Werk zugerechnet werden?
- dies ist der Fall, wenn die Handlung des Täters eine rechtlich missbilligte Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen und sich diese Gefahr im konkreten Erfolg tatbestandstypischer Weise verwirklicht hat
- Gefahrschaffung
—> Der Täter muss durch sein Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen oder erhöht haben,… - Gefahrrealisierung
—> … die sich im eingetretenen Erfolg realisiert hat
objektive Zurechnung - Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr für das tatbestandlich geschützte Objekt
- Handlung ist für das Tatobjekt objektiv riskant (Gefahr = objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts)
- das Risiko ist neu, weil es die bisherige Situation noch nicht oder nur in geringem Umfang enthielte
- das Risiko wird von der Rechtsordnung nicht gebilligt
- das Risiko kann nicht ausschließlich für den Täter fremden Verantwortungsbereichen zugeordnet werden (eigenverantwortliche Selbstgefährdung, einverständliche Fremdgefährdung, fremder Verantwortungsbereich bei mittelbaren Fremdgefährdungen)
objektive Zurechnung - Verwirklichung dieser Gefahr im Erfolg
der Erfolg stellt sich als Verwirklichung des vom Täter geschaffenen unerlaubten Risikos dar und nicht lediglich als die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos oder des von einem anderen geschaffenen Risikos. Dies setzt u.a .voraus:
- das verwirklichte Risiko greift in den Schutzbereich der verletzten Norm ein
- es ist kein rechtmäßiges hypothetisches Alternativverhalten des Täters erkennbar, das den Erfolg in gleicher Weise herbeigeführt hätte
- ein vom Handelnden verursachter Erfolg ist dem objektiven Tatbestand nur dann zuzurechnen, wenn das Verhalten des Täters eine nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckte Gefahr für das Handlungsobjekt geschaffen und sich diese Gefahr auch im konkreten Erfolg verwirklicht hat
Fallgruppen der objektiven Zurechnung - fraglich eigene Gefahrschaffung
a. allgemeine Lebensrisiko - erlaubtes bzw. rechtlich nicht missbilligtes Risiko
- Bsp.: T überredet ihre Erbtante E zu einer Flugreise und hofft, dass das Flugzeug abstürzt. So geschieht es.
—> keine Zurechnung, das das mit jeder Flugreise verbundene Absturzrisiko kein Risiko ist, das die Rechtsordnung verbietet = erlaubtes Risiko
—> keine Zurechnung auch bei tödlichen Unfallfolgen im Straßenverkehr, die bei verkehrsgerechter Teilnahme eintreten = allgemeine Lebensrisiko
b. Risikoverringerung
- diese Fallgruppe liegt vor, wenn eine bereits im Gang befindliche Ursachenreihe gebremst und die von ihr ausgehende Gefahr für das Opfer herabgesetzt wird
- Bsp.: Abmilderung von Verletzungen bzw. Sachschäden; zeitliches Hinausschieben des Erfolges
- in diesen Konstellationen ist die Kausalität zu bejahen, weshalb eine Korrektur durch die objektive Zurechnung notwendig wird. Die Zurechnung wird mit der Argumentation ausgeschlossen, dass das Handeln dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter dient (kein Schaffen einer rechtlich missbilligten Gefahr)
- Achtung: Risikoverringerung nur, wenn eine bereits in Gang gesetzte Ursachenreihe gebremst wird, nicht wenn eine neue, eigenständige Ursachenreihe (also Gefahr) eröffnet wird
Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung des Opfers (Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen)
Selbstschädigung
- Fälle, in denen das Opfer die Möglichkeit der Verletzung des eigenen Rechtsguts erkennt und sich mit dieser zumindest abfindet
Selbstgefährdung
- wenn das Opfer zwar bewusst fahrlässig handelt, jedoch auf das Ausbleiben des Verletzungserfolgs vertraut
Prinzip der Eigenverantwortlichkeit
jeder ist nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich
(Einem Täter können demnach solche Erfolge nicht zugerechnet werden, für allein das Opfer die Verantwortung trägt, auch wenn er sich daran beteiligt haben mag)
die Unterbrechung der Zurechnungszusammenhangs erfordert zwei Voraussetzung (Thema Fallgruppen mit abzugrenzenden Verantwortungsbereichen- freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung)
zunächst muss ein freiverantwortliches Verhalten des späteren „Opfers“ vorliegen. Von Freiverantwortlichkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Gefährdete überhaupt in der Lage ist, bezüglich der Preisgabe seiner Rechtsgüter selbstverantwortlich zu entscheiden
diese Voraussetzung ist problematisch bei:
- mangelnder Reife oder Erfahrung des Gefährdeten - überlegenem Sachwissen des Täters
Abgrenzung Selbstgefährdung - Fremdgefährdung
Selbstgefährdung: liegt die Handlungsherrschaft beim Opfer
Fremdgefährdung: liegt die Handlungsherrschaft beim Täter (wenn sich jemand durch einen anderen drohende Gefahr aussetzt, sodass sein Schicksal in den Händen des Täters liegt)
eigenverantwortliche Selbstgefährdung
a. Selbstbestimmtheit
prüfen, ob der Schädigende auch selbstbestimmt handelte. Problematisch ist die Eigenverantwortlichkeit vor allem, wenn diese mit Mängeln behaftet ist. Strittig ist hierbei, nach welchen Kriterien die Eigenverantwortlichkeit zu beurteilen ist.
Ansicht 1
- die Vertreter der Einwilligungslösung stellen zur Bestimmung der Eigenenverantwortlichkeit auf die Maßstäbe der Einwilligung ab - bei Gefährdung des eignen Lebens ist entscheidend, ob das Opfer „ernstlich“ i.S.d. § 216 StGB eingewilligt hat. Eigenverantwortlichkeit ist demnach etwa dann abzulehnen, wenn die Einwilligung bspw. auf arglistiger Täuschung, Depression, Trunkenheit oder Drogeneinfluss beruht —>Kritik: das Kriterium der Ernstlichkeit gibt den Gerichten einen großen Interpretationsspielraum, was ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG darstellt
Ansicht 2
- andere stellen in analoger Anwendung auf die Exkulpationsregeln (z.B §§ 20, 35 I StGB; § 3 JGG) ab - gefragt wird danach, ob der Selbstgefährdende als Täter (nicht gegen sich selbst, sondern gegen einen Dritten) entschuldigt wäre. Nicht eigenverantwortlich handeln demnach z.B Kinder, Geisteskranke, Volltrunkene —> Kritik: damit die Entschuldigungsgründe überhaupt greifen können, muss strafbares Unrecht vorliegen. Aber genau daran fehlt es bei Selbstschädigungen. Nicht erfasst werden zudem Fälle, in denen der Außenstehende durch das Hervorrufen von Motivirrtümern beim Opfer dessen selbstgefährdendes Verhalten erst auslöst
eigenverantwortliche Selbstgefährdung
b. Straflosigkeit
kommt man zu dem Ergebnis, dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt, so ist einhellige Ansicht, dass die Mitwirkung daran straflos ist. Allerdings werden hierzu verschiedene Begründungsansätze vertreten
Ansicht 1
- nach dem BGH wird bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung kein Strafbestand erfüllt. Daher kann ein Beteiligter mangels Haupttat nicht nach den §§ 26 f. bestraft werden
—> Kritik: auch wenn der Beteiligte aus Akzessorietätsgründen straffrei ist, so kommt immernoch eine täterschaftliche Begehung in Frage. Außerdem kann diese Begründung nicht auf Gefährdungsfälle übertragen werden, da dort nur die materielle Begründung fehlenden Unrechts die Straflosigkeit ergeben kann
Ansicht 2
- andere stellen auf den Schutzzweck der jeweiligen Norm ab. Der Schutzbereich einer Norm soll an der Stelle enden, an der der Verantwortungsbereich des Einzelnen für sich selbst beginne
einverständliche Fremdgefährdung
kommt die Abgrenzung zu dem Ergebnis, dass eine Fremdgefährdung vorliegt, so ist auf deren rechtliche Behandlung einzugehen
Ansicht 1
- einer Ansicht nach soll bereits der Tatbestand entfallen, wenn die einverständliche Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung gleichsteht
—> Kritik: es besteht ein Unterschied darin, ob sich eine Person selbst gefährdet und das Geschehen in der Hand hat oder ob sie sich einem andern ausliefert
Ansicht 2
- andere bejahen noch den Tatbestand, lassen die Strafbarkeit dann aber auf der Ebene der Rechtswidrigkeit entfallen, wenn der Dritte wirksam in die Gefährdung eingewilligt hat
eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
die Verantwortung des Erstverursachers endet grundsätzlich, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue, selbstständige Gefahr begründet, die sich dann allein im Erfolg realisiert
(die objektive Zurechnung ist aber zu bejahen, wenn der Täter die rechtlich relevante Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften schafft, die gerade dem Schutz vor Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten Dritter dienen, oder wenn das Verhalten des Dritten so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint)
wann schließt das Dazwischentreten Dritter den Zurechnungszusammenhang aus?
die Verantwortung des Erstverursachers endet grundsätzlich, wenn ein Dritter voll verantwortlich eine neue, selbstständige Gefahr begründet, die sich dann allein im Erfolg realisiert.
Dabei gilt es folgende Konstellationen zu unterscheiden:
I. Schaffung einer Gefahr, die gerade das Risiko des Eingreifens Dritter beinhaltet
- schafft der Ersttäter eine Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften, die gerade das Risiko des Eingreifens Dritter beinhaltet, so ist die objektive Zurechnung zu bejahen
II. vorsätzliches Dazwischentreten Dritter, das typischerweise in der Ausgangsgefahr enthalten ist
- führt ein eingreifender Dritter den Erfolg vorsätzlich herbei, so ist anhand der Kriterien der objektiven Zurechnung zu entscheiden, ob der Erfolg dem Ersttäter noch zugerechnet werden kann. Entscheidende Kriterien hierbei sind: Ist die Tat noch als Werk des Täters anzusehen oder fällt sie durch das Dazwischentreten des Dritten in seinen Verantwortungsbereich? Realisiert sich im Erfolg noch die Ausgangsgefahr, oder eine andere, neue Gefahr?
III: unvorsätzliches Fehlverhalten von Ärzten und Rettern
- in dem fahrlässigen Fehlverhalten von Ärzten und Rettern realisiert sich immer noch eine Gefahr, mit der man rechnen muss und die deshalb in den Verantwortungsbereich des Täters fällt
sog Retterfälle
eine Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es dann, wenn „der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliege Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für Rettungsmaßnahmen schafft“
vorsätzliches Dazwischentreten eines Täters
nicht nur ein Dritter, sondern auch der Täter selbst kann den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrechen. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Realisierung einer von ihm gesetzten Gefahr im Erfolg verhindert, indem er durch eine Zweithandlung vorsätzlich eine neue Gefahr schafft, die sich allein im Erfolg verwirklicht
Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - atypischer Kausalverlauf
ein atypischer Kausalverlauf liegt vor, wenn der eingetretene Erfolg völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch in Rechnung zu stellen ist.
Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - Pflichtwidrigkeitszusammenhang
die Zurechnung entfällt, wenn der durch pflichtwidriges Verhalten verursachte Erfolg auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre
sog Risikoerhöhungslehre
nach der Risikoerhöhungslehre ist die Zurechnung nur in zwei Konstellationen abzulehnen:
- wenn der Erfolg mit Sicherheit bei sorgfaltsgemäßen Verhalten eingetreten wäre, weil dann sicher sei, dass sich die Gefahrerhöhung nicht im konkreten Fall realisiert habe - wenn Zweifel bestehen, ob sich das Risiko überhaupt erhöht hat; dann ist auch nach dieser Lehre in dubio pro reo die Zurechnung zu verneinen.
Fallgruppen mit fraglicher Gefahrrealisierung - Schutzzweck der verletzen Norm
im konkreten Erfolg muss sich diejenige rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht haben, deren Eintritt nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm vermieden werden sollte. Keine Zurechnung wenn ein Erfolg eintritt, der außerhalb des Schutzzweckes der Norm liegt.
Schutzzweckzusammenhang
objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn durch das Verhalten des Täters eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen worden ist und sich genau diese Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat
von einer rechtlich relevanten Gefahr ist nur dann auszugehen, wenn die verletzte Verhaltensnorm gerade dem Schutz des betreffenden Rechtsguts dient. Entscheidend für die Beurteilung ist folglich der Schutzzweck der Norm
Tatbestandsausschluss
wird in das individuelle Rechtsgut einer Person eingegriffen und ist dieser betroffene Rechtsgutträger mit dem Eingriff einverstanden, so kann keine Rechtsgutverletzung vorliegen. Denn individuelle Rechtsgüter werden nur zu dem Zweck geschützt, der freien Entfaltung des Einzelnen zu dienen (Art. 2 I GG).
Grundlagen und Erscheinungsformen des Vorsatzes (der subjektive Unrechtstatbestand)
Vorsatz ist als subjektive Komponente der Wille zur Verwirklichung eines Strafbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände
Vorsatz = Wissen + Wollen der Tatbestandsverwirklichung
Unterscheidung von drei Vorsatzformen (nach der Willensbeziehung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung):
- Absicht (dolus directus 1. Grades) - direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades) - bedingter Vorsatz (dolus eventualis)
soweit sich aus der gesetzlichen Beschreibung eines Delikts nichts anders ergibt, muss der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes gem § 15 StGB vorsätzlich handeln.
Absicht (dolus directus 1. Grades) - Erscheinungsform des Vorsatzes
Absicht ist ein zielgerichteter Erfolgswille
Er ist gegeben, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs herbeizuführen oder den Umstand zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt
der zielgerichtete Erfolgswille kann, muss aber nicht zugleich auch Beweggrund des Täters zur Tat sein
der angestrebte Erfolg muss nicht notwendig das Endziel des Täters sein, sondern er kann sich auch als Zwischenziel auf dem Weg dorthin darstellen
dagegen sind zwar sichere, aber nicht bezweckte Nebenfolgen der Handlung nicht Gegenstand der Absicht
Zielgerichtetes Handeln ist erforderlich, wenn es um eine für den Täter günstige Position geht (z.B §§ 242, 263 StGB)
direkter Vorsatz genügt, wenn es um eine für einen Dritten ungünstige Position geht (z.B § 274 StGB)
direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades) - Erscheinungsform des Vorsatzes
direkter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter weiß oder als sicher anerkennt, dass sein Handeln zur Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes führt
dem direkten Vorsatz des Täters steht es nicht entgegen, wenn dem Täter der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs an sich unerwünscht ist; ausreichend ist, dass der Täter den tatbestandlichen Erfolg als notwendige Folge seines Handeln erkennt
das Gesetz setzt diese Vorsatzform durch Formulierungen wie „wissentlich“ (§ 259 StGB) oder „wider besseren Wissens“ (§§ 164, 187 StGB) voraus
bedingter Vorsatz (dolus eventualis) - Erscheinungsformen des Vorsatzes
der bedingte Vorsatz ist die schwächste Vorsatzform. Er kommt in Betracht, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung weder anstrebt noch für sicher hält, also er nicht mit dolus directus 1. oder 2. Grades agierte
der bedingte Vorsatz genügt prinzipiell immer dann, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich eine qualifizierte Vorsatzform (dolus directus) verlangt
der dolus eventualis liegt im Grenzbereich zur bewussten Fahrlässigkeit. Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist nämlich gemein, dass der Täter die Gefahr erkennt, aufgrund derer sein Verhalten den jeweiligen gesetzlichen Tatbestand erfüllen kann
bedingter Vorsatz - a. Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt auf dem intellektuellen Vorsatz-Element
eine Strömung beurteilt die Abgrenzung vorwiegend unter Bezugnahme auf das Wissens-Element des Vorsatzes und verzichtet auf die voluntative Komponente
Wissen - bedingter Vorsatz schon (+), wenn Möglichkeit bzw Wahrscheinlichkeit der TB-Verwirklichung erkannt
Wollen- Irrelevant für Eventualvorsatz
aa. Möglichkeitstheorie:
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die konkrete Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkannt und dennoch gehandelt hat
bb. Wahrscheinlichkeitstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für wahrscheinlich, d.h mehr als möglich, aber weniger als überwiegend wahrscheinlich, hält
(Probleme dieser Theorie auf KK 201)
bedingter Vorsatz - b. Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt auf dem voluntativen Vorsatz-Element
andere beziehen das voluntative Vorsatz-Element mit ein und sehen das entscheidende Differenzierungspotential gerade in dieser Komponente
Wissen - Mindestvoraussetzung des Eventualvorsatzes: Erkennen der Möglichkeit der TB-Verwirklichung
Wollen - darüber hinaus ist voluntativ aber erforderlich: Billigung, Gleichgültigkeit, Abfinden
aa. Billigungstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlich Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und ihn billigend in Kauf genommen hat
- „nur“ bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbeatandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage drauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg würde nicht eintreten. Dieses Vertrauen darf aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sonder muss tatsachenbasiert sein
bb. Gleichgültigkeitstheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter die von ihm für möglich gehaltene Tatsbestandsverwirklichung aus Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut in Kauf genommen hat
cc. Ernstnahmetheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ernstlich rechnet, um des erstrebten Zieles willens aber trotzdem weiterhandelt und sich damit einer eventuellen Tatbestandsverwirklichung abfindet. Diese Theorie deckt sich regelmäßig mit der Billigungstheorie, da auch dort das Billigen nicht als „Gutheißen“, sondern mehr als „Abfinden“ verstanden wird
bedingter Vorsatz - c. normative Riskotheorien
schließlich gibt es eine Gruppe von Ansätzen, die das Problem mit einer wertenden Betrachtungsweise zu lösen versucht
Wissen/Wollen - Wertung: Manifestation des Vermeidewillens, unabgeschirmtes Risiko, Kombinationstheorie
aa. Theorie der Manifestation des Vermeidewillens
- Dolus eventualis liegt vor, wenn der Wille des Täters auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtet war. Dagegen liegt lediglich bewusste Fahrlässigkeit vor, wenn der Täter Gegenfaktoren einsetzt, mit deren Hilfe er den Ablauf so zu steuern versucht, dass es nicht zur Tatbestandsverwirklichung kommt
bb. Normative Risikotheorie
- Dolus eventualis liegt vor, wenn sich der Täter bewusst für ein Verhalten entschieden hat, das mit einer in der Rechtsordnung geltenden Risikomaxime unverträglich ist
cc. Kombinationstheorie Schünemanns
- maßgeblich ist eine Synthese aus normativer Risikotheorie und Möglichkeitstheorie: Löst der Täter ein nicht mehr tolerables Risiko aus, steuert es das Geschehen sehenden Auges gegen das Rechtsgut, woran auch eine emotionale Distanzierung durch die Hoffnung, es werde schon gut gehen, nichts ändert. Somit ist das Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ausreichend. Der an der Möglichkeitstheorie kritisierten Ausdehnung der Strafbarkeit wird durch eine Korrektur auf Ebene der Vorsatzschuld begegnet
Unterscheidung bedingter Vorsatz und bedingter Handlungswille
vom bedingten Vorsatz ist der bedingte Handlungswille zu unterscheiden
a. Zustand der Unentschlossenheit
- hier liegt kein Vorsatz vor, da hierzu eine definitive Willensentscheidung gehört
b. Tatentschluss auf hypothetischer Tatsachengrundlage
- wird auf den tatbestandlichen Erfolg im Bewusstsein der Gefährdung des Handlungsobjekts hingearbeitet, so liegt Vorsatz auch dann vor, wenn die Verwirklichung der Tat noch von Bedingungen abhängig ist, die der Täter nicht (allein) in der Hand hat.
c. Tatentschluss mit Rücktrittsvorbehalt
- eine Rücktrittsvorbehalt für den Fall, dass sich die Tat erübrigen sollte, ändert nicht an dem Vorsatz
die zeitliche Dimension des Vorsatzes: dolus antecedens und dolus subsequens
gem. § 16 I 1 StGB muss der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen (Simultanitäts- und Koinzidenzprinzip).
gem. § 8 S.1 StGB ist eine Tat zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wann der Erfolg eintritt, ist dagegen nicht maßgebend
daraus folgt, dass weder dolus antecedens noch dolus subsequens für den Tatbestandsvorsatz genügen.
Dolus antecedens:
- meint den Vorsatz vor Beginn der Tatausführung, also im Vorbereitungsstadium
Dolus subsequens:
- meint den Vorsatz erst nach Ende der Tatausführung
Vorbereitungsstadium - rechtlich irrelevant: dolus antecedens
Tatbegehung - maßgeblicher Zeitraum: Vorsatz muss bei Tatbegehung vorliegen
nach Tatbegehung - rechtlich irrelevant: dolus subsequens
die Tatbestandsbezogenheit und der dolus alternatives
weil Vorsatz Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung bedeutet, muss er immer auf einen konkreten Tatbestand bezogen sein und für jeden Tatbestand gesondert geprüft werden
a. Dolus cumulativus
- Fälle, in denen der Täter sowohl die Verwirklichung des einen als auch des andern Tatbestands will und zeitgleich „erledigen“ kann.
b. Dolus alternativus
- Sachverhaltsgestaltungen, in denen sich der Vorsatz des Täters der Art nach auf mehrere einander ausschließende Tatbestände, der Zahl nach jedoch nur auf einen richtet
der Tatbestandsirrtum - die Kenntnis und Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen
kennt der Täter einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht, so handelt er gem. § 16 I 1 StGB nicht vorsätzlich
bei diesem sog Tatumstandsirrtum verkennt der Täter also das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzung, von denen das Gesetz die objektive Tatbestandsmäßigkeit abhängig macht
die Kenntnis und Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen
a. deskriptiver (beschreibende) Tatbestandsmerkmale
b. normative (wertausfüllungsbedürftige) Tatbestandsmerkmale
a. deskriptiver (beschreibende) Tatbestandsmerkmale
- bringen durch eine einfache Beschreibung zum Ausdruck, was Gegenstand des Tatbestands sein soll (z.B Sache, Mensch, beweglich, wegnehmen). Es handelt sich um solche Tatbestandsmerkmale, die ohne Berücksichtigung der zugrundeliegen Rechtsordnung versteh- bzw erklärbar sind. Bei deskriptiven Merkmalen reicht es aus, wenn der Täter diese tatsächlich sinnlich wahrgenommen hat. Daher ist bei ihnen das Vorliegen eines Tatumstandsirrtums vergleichsweise einfach zu bestimmen
b. normative (wertausfüllungsbedürftige) Tatbestandsmerkmale
- können nicht sinnlich wahrgenommen werden. Sie müssen erst eine Wertung aufgrund rechtlicher oder sozialer Kriterien ausgefüllt werden (z.B „fremd“ - die Fremdheit einer Sache sieht man ihr nicht an). Ohne Berücksichtigung der zugrundeliegenden Rechtsordnung sind diese Tatbestandsmerkmale also nicht verständlich. Auch bei ihnen kann das Vorliegen eines Tatumstandsirrtums vergleichsweise einfach zu bestimmen sein
bei normativen Tatbestandsmerkmalen muss der Täter aber auch die das Merkmal ausfüllende Wertung richtig erkennen, um Vorsatz annehmen zu können
ausreichend (aber auch erforderlich) ist, dass der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Merkmals nach Laienart richtig erfasst (sog Parallelwertung in der Laiensphäre)
der Täter muss all das erkannt haben, was zur juristischen Definition des Merkmals gehört
Unterscheidung des Tatumstandsirrtums gegenüber dem Verbotsirrtum
der Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB ist strikt vom (auf der Schuldebene relevanten) Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu unterscheiden. Beim Verbotsirrtum fehlt dem Täter die Einsicht, Unrecht zu tuen. Dies kann darauf beruhen, dass …
- der Täter einen Tatbestand garnicht kennt
- ihn für ungültig hält oder
- infolge falscher Auslegung zu einer Fehlvorstellung über seinen Geltungsbereich gelangt und sein Verhalten als nicht verboten ansieht.
gem § 17 S.1 StGB handelt der Täter, der einen solchen Irrtum nicht vermeiden konnte, schuldlos. War der Irrtum vermeidbar, kann die Strafe gem §§ 17 S.2, 49 StGB gemildert werfen
zur Unterscheidung von Tatumstands- und Verbotsirrtum:
- irrt der Täter auf tatsächlicher Ebene (über eine Tatsache oder über den sozialen Sinngehalt eines Tatumstands), liegt ein Tatumstandsirrtum vor - irrt der Täter auf rechtlicher Ebene (über das Verbot der Handlung), liegt ein Verbotsirrtum vor
die erforderliche Deutlichkeit des Bewusstseins beim Kennen von Tatumständen
das kognitive Vorsatzelement setzt die Kenntnis der Tatumstände voraus. Die Anforderungen an den Vorsatz würden dabei jedoch überspannt, wenn man für diese Kenntnis ein aktuell reflektiertes Wissen i.S eines ausdrücklichen Daran-Denkens über den einzelnen Tatumstand fordern würde
es ist daher allgemein anerkannt, dass ein sog sachgedankliches Mitbewusstsein bzw ein ständig verfügbares Begleitwissen genügen.
Gegenstand des Tatbestandsvorsatzes
Umstände des gesetzlichen Tatbestandes i.S.v. § 16 I 1 StGB sind solche des objektiven Tatbestands.
Bei einem Irrtum über Qualifikationsmerkmale bleibt die Strafbarkeit wegen des Grunddelikts bestehen.
Beim Irrtum über Tatbestandsalternativen verwirklicht der Täter tatsächlich eine andere Tatbestandsalternative als die, die er zu erfüllen glaubt. In diesen Fällen ist zu differenzieren:
- sind die fraglichen Tatbestandsalternativen nur Auffächerungen eines einheitlichen Schutzgegenstandes oder Angriffsmittels, ist der Irrtum unbeachtlich. - bei qualitativ verschiedenen Schutzgegenständen oder Angriffsarten ist der Irrtum dagegen beachtlich
§ 16 II StGB enthält eine Sonderregel für den Irrtum über strafmildernde Umstände. Hinter der Vorschrift steht der Gedanke, dass jeder nur insoweit für das begangene Unrecht als Vorsatztäter zur Verantwortung gezogen werden kann, wie es von seinem Wissen und Wollen umfasst war
Übersicht objektive Zurechnung
objektiv zurechenbar ist ein durch menschliches Verhalten verursachter Erfolg, nur dann, wenn dieses Verhalten
- 1. eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen oder erhöht hat - 2. gerade diese Gefahr sich im konkreten Erfolg realisiert hat
zwei Elemente
- Schaffung oder Erhöhung einer rechtlich missbilligten Gefahr (= rechtlich relevantes Risiko) - Verwirklichung gerade dieser Gefahr sich im konkreten Erfolg (= Risikozusammenhang)
dient der Korrektur des Kausalitätsergebnisses
—> hier wird eine normative Wertung getroffen: Kann dem Täter der Erfolg als sein Werk zugerechnet werden?
„gewöhnliche“ Kausalabweichungen
beim Erfolgsdelikt gehört neben der Handlung und Erfolg auch auch der ursächliche Zusammenhang zwischen beiden zum objektiven Tatbestand, so dass sich der Vorsatz des Täters auch darauf beziehen muss.
unwesentliche Abweichung
- da es sich beim Kausalverlauf um eine Prognose handelt und alle Einzelheiten des Geschehensablaufs nie genau vorausgesehen werden können, schließen unwesentliche Abweichungen des tatsächlich eingetretenen vom vorgestellten Kausalverlauf den Vorsatz des Täter nicht aus. Eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf liegt vor, wenn sie sich „noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt“ - Bsp.: A stößt O von einer Brücke, damit er als Nichtschwimmer ertrinkt. Tatsächlich stirbt O an einem Genickbruch beim Aufschlag auf einen Brückenpfeiler
Bsp für eine wesentliche Abweichung
- O wird nicht (wie geplant) unmittelbar durch den Schuss des A getötet, sondern infolge durchgehender Pferde, die durch den Schuss aufgeschreckt wurden
Error in persona vel objecto
ein Irrtum über das Handlungsobjekt (error in persona vel objecto) meint eine Fehlvorstellung des Täters über die Identität oder sonstige Eigenschaften des Tatobjekts.
Im Falle einer error in persona tritt der tatbestandliche Erfolg an dem Objekt ein, das der Täter auch anvisiert hat; das Tatobjekt ist jedoch ein anderes, als sich der Täter vorstellt. Für die rechtliche Einordnung ist zwischen der rechtlichen Ungleichwertigkeit und der rechtlichen Gleichwertigkeit der Tatobjekte zu unterscheiden.
Error in persona vel objecto -
- rechtliche Ungleichwertigkeit der Tatobjekte
- rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte
- rechtliche Ungleichwertigkeit der Tatobjekte
- der error in persona vel objecto stellt sich bei rechtlicher Ungleichwertigkeit des getroffenen gegenüber dem vorgestellten Tatobjekt als Tatumstandsirrtum nach § 16 I 1 StGB dar
- Bsp.: A will O erschießen; was sie für O hält, ist tatsächlich jedoch eine Vogelscheuche
- rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte
- dagegen stellt sich der error in persona vel objecto bei rechtlicher Gleichwertigkeit des getroffenen gegenüber dem vorgestellten Tatobjekt als für den Vorsatz unbeachtlicher Motivirrtum dar
- Bsp.: A will B töten; in der Dämmerung legt sie auf eine Person an, die sie aufgrund ihrer Statur für B hält und erschießt diese; wie sich später herausstellt, war diese Person in Wahrheit jedoch C
Aberratio ictus
Im Gegensatz zum error in persona spricht man von einem Fehlgehen der Tat (aberratio ictus) in einer Situation, in der sich der Vorsatz des Täters auf ein bestimmtes Tatobjekt richtet, der Angriff auf dieses jedoch aufgrund eines vom Täter nicht vorhergesehenen Kausalverlaufs fehltgeht und ein anders Objekt getroffen wird
rechtliche Gleichwertigkeit der Tatobjekte in Fällen der aberratio ictus
rechtliche Gleichwertigkeit:
Gleichwertigkeitstheorie
- nach teilweise vertretener Ansicht soll in diesem Fall trotzdem Vorsatz im Hinblick auf die Tötung des getroffenen Objekts anzunehmen sein
Konkretisierungstheorie
- die hM sieht den auf ein bestimmtes Objekt konkretisierten Vorsatz daher als „aliud“ gegenüber dem Vorsatz, irgendein Objekt der Gattung zu verletzen. Danach liegt kein Vorsatz im Hinblick auf das tatsächlich getroffene, aber nicht anvisierte Tatobjekt vor. In Betracht kommt stattdessen eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung am tatsächlich getroffenen Objekt und wegen versuchter Tatbegehung am eigentlich anvisierten Objekt
rechtliche Ungleichwertigkeit: unstreitig liegt ein nach § 16 I 1 StGB beachtlicher Tatumstandsirrtum bei der rechtlichen Ungleichwertigkeit des anvisierten und tatsächlich getroffenen Tatobjekts vor
Vorsatzwechsel
kein Vorsatzproblem besteht, wenn der Täter auf der Suche nach Stehlenswertem sein primäres Ziel (nämlich teuere Notebooks) nicht findet, dafür aber andere attraktive Diebstahlsobjekte. Der Vorsatz im Hinblick für die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache bliebt dieselbe, auch wenn er sich im Rahmen eine einheitlichen Tat hinsichtlich des Diebstahlsgegenstands verengt, erweitert oder ändert.
Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Täter bei einem Diebstahlsversuch seinen ursprünglichen (Raub-/Diebstahls-)Entschluss zunächst vollständig aufgibt, bevor er einen gänzlichen neuen, andersartigen Raub- oder Diebstahlsvorsatz fasst
Dolus generalis und verwandte Fallgestaltungen
Von dolus generalis spricht man zunächst in Fallgestaltungen, in denen der Täter willentlich und wissentlich eine Gefahr für eine beliebige Vielzahl von Rechtsgütern schafft oder er sich in Folge einer Unsicherheit über das Ausreichen einer Ersthandlung noch eine Zweithandlung vornimmt, um sein tatbestandliches Ziel zu erreichen.
Bsp.: ein terrorist A deponiert an einer belebten Stelle eine Bombe un durch dessen Explosion möglichst viele Menschen zu töten (A hat einen generellen Tötungs- und Verletzungswillen hinsichtlich aller späteren Opfer)
Schließlich wird das Vorliegen eines dolus generalis auch für Konstellationen verwendet, in denen der Täter glaubt, den tatbestandsmäßigen Erfolg schon durch einen ersten Akt verwirklicht zu haben, der Erfolg jedoch objektiv erst durch einen zweiten Akt des Täters bedingt wird.
die Lehre vom dolus generalis:
- sieht in beiden Akten ein einheitliches Geschehen, das auch im zweiten Teil vom Tötungsvorsatz getragen wird
Versuchslösung:
- sehen in den Teilakten zwei selbstständige Handlungen und halten den Tötungsvorsatz bei Vornahme der Zweithandlung für erloschen
Vollendungslösung:
- nach hM sind diese zweiaktige Geschehensabläufe nach den Grundsätzen der (un-)wesentlichen Abweichungen vom Kausalverlauf zu lösen. A hätte ohne den ersten Akt (Würden und Sand in den Mund stopfen) keinen Grund für den zweiten Akt (entsorgen der vermeintlichen Leiche) gehabt. Beide Akte können daher nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Todeserfolg entfiele. Anknüpfungspunkt ist dann der mit Tötungsvorsatz vorgenommene erste Akt. Der hierdurch ausgelöste zweite Akt stellt eine unwesentliche Abweichung des vorgestellten vom tatsächlichen Geschehensablauf dar. Unwesentlich sei die Abweichung, wenn sich der eingetretene Erfolg im Rahmen des Vorhersehbaren hält und mit Blick auf den Verwirklichungswillen des Täters kein inadäquates Ereignis (hier: spätere Entsorgung der Leiche war geplant) darstellt
dolus generalis umgekehrt
die umstrittene Konstellation des dolus generalis lässt sich umgekehrt auch dergestalt vorstellen, dass ein tatentschlossener Täter nach Eintritt in das Versuchsstadium den Erfolg vorzeitig bereits durch die Ersthandlung und nicht, wie eigentlich beabsichtigt, durch die Zweithandlung herbeiführt
die Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit
sind der objektive und der subjektive TB erfüllt, liegt idR auch die Rechtswidrigkeit vor
—> die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit
in bestimmten Ausnahmefällen kann es aber an der Rechtswidrigkeit fehlen, obwohl eine vorsätzliche, tatbestandsmäßige Handlung vorliegt
—> das tatbestandsmäßige Verhalten kann ausnahmsweise erlaubt sein
Zweck von Strafbeständen:
- genereller Schutz eines Rechtsguts
Zweck von Rechtfertigungsgründen:
- ausnahmsweise wird Verletzung eines Rechtsguts zugelassen
Konsequenzen für das Gutachten:
- idR keine längeren Ausführungen zur Begründung der Rechtswidrigkeit. „Der Täter handelt rechtswidrig.“ - nur wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, ist genau zu untersuchen, ob das tatbestandsmäßige Verhalten ausnahmsweise durch einen Rechtfertigungsgrund erlaubt wird
die Begriffe Rechtswidrigkeit und Unrecht
- die Rechtswidrigkeit charakterisiert eine Eigenschaft der tatbestandsmäßigen Handlung, nämlich ihren Widerspruch zu den Verboten und Geboten des Strafrechts.
- das Unrecht meint dagegen die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung selbst: der Begriff fasst die drei Verbrechenskategorien (Handlung-Tatbestandsmäßigkeit-Rechtswidrigkeit) zusammen
Rechtswidrigkeit und Einheit der Rechtsordnung
- Erlaubnisse zivil- oder öffentlich-rechtlicher Art
- Zivil- oder öffentlich-rechtliche Vebrbote
Einheit bzw Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung - Wechselwirkungen zwischen Zivil-, Straf- und öffentlichem Recht
- Erlaubnisse zivil- oder öffentlich-rechtlicher Art
- ist ein Verhalten nach zivil- oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften erlaubt, so wirkt die das Verhalten gestattende Norm wegen der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht als Rechtfertigungsgrund
- Bsp.: § 758 ZPO erlaubt dem Gerichtsvollzieher das Betreten einer Wohnung - Er ist daher nicht nach § 123 I StGB wegen Hausfriedensbruch strafbar.
- Zivil- oder öffentlich-rechtliche Verbote
- umgekehrt kann aber ein bestimmtes Verhalten auch nach zivil- oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften verboten sein. Es fragt sich dann, ob dieses zivil- oder öffentlich-rechtliche Verbot unter allen Umständen bedeutet, dass das Verhalten auch strafrechtliches Unrecht darstellt, wenn es den Strafbestand eines Strafgesetzes erfüllt.
- die h.L. versucht diese Lösung dadurch zu erklären, dass sie an der Einheit der Rechtsordnungen festhält, den verschiedenen Rechtsgebieten aber die Möglichkeit abweichender Rechtsfolgeregelungen zugesteht
Systematisierung von Rechtfertigungsgründen
- Monistische Theorien
- Pluralistische Theorien
- Bedeutung
Aufgrund der Vielseitigkeit von Rechtfertigungsgründen und denkbaren Umständen, die das Unrecht einer Tat ausschließen, konnte bisher noch keine ergiebige Systematisierung von Rechtfertigungsgründen vorgenommen werden.
- Monistische Theorien
- versuchten, alle Rechtfertigungsgründe auf ein einziges Grundprinzip zurückzuführen, dass im Vorrang des gerechtfertigten Verhaltens gegenüber der Tatbestandsverwirklichung gesehen wurde
- Pluralistische Theorien
- führen die Rechtfertigungsgründe dagegen auf mehrere Grundprinzipien zurück
—> Prinzip des überwiegenden Interesses (z.B. § 34 StGB)
—> Prinzip des mangelnden Interesses (z.B. die mutmaßliche oder rechtfertigende Einwilligung)
- führen die Rechtfertigungsgründe dagegen auf mehrere Grundprinzipien zurück
- Bedeutung
- aus der Systematisierung sind jedoch keine konkreten Ergebnisse ableitbar. Als umfassendes Prinzip von Rechtfertigungsgründen bleibt nur, dass sie jeweils die sozial richtige Regulierung kollidierender Interessen bezwecken.
Verhältnis verschiedener Rechtfertigungsgründen
Im Grundsatz gilt, dass von mehreren Rechtfertigungsgründen, die auf denselben Sachverhalt zutreffen, alle zumeist unabhängig voneinander und daher nebeneinander anwendbar sind.
Bsp.: Wer einen mit der Beute fliehenden Dieb auf frischer Tat ertappt und festhält, ist sowohl nach § 127 I 1 StPO als auch nach § 32 StGB gerechtfertigt
nur in wenigen Konstellationen sind Konkurrenzregeln zwischen den Rechtfertigungsgründen zu beachten:
- §§ 228, 904 BGB sind speziell auf die Beschädigung von Sachen zugeschnitten und daher leges speciales gegenüber dem im Hinblick auf die möglichen Tatobjekte tatbestandlich weiteren § 34 StGB - idR darf bei § 34 StGB keine andere Interessenabwägung getroffen werden, als sie eine ausdrückliche gesetzliche Konfliktentscheidung an anderer Stelle vorsieht (z.B keine Rechtfertigung nach § 34 StGB zur Festnahme eines Täters Wochen nach der Tat - sonst würde das Erfordernis der „Tatfrische“ des 127 StPO unterlaufen
die Notwehr § 32 StGB
- Selbstverteidigungsprinzip
- Rechtbewährungsprinzip
§ 32 StGB regelt den Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Dabei ist die Notwehr der Rechtfertigungsgrund, der ein tatbestandsmäßiges Verhalten am weitreichendsten rechtfertigen kann.
Anders als § 34 StGB macht § 32 StGB keine Abwägung zwischen dem verteidigten und dem verletzten Rechtsgut verlangt. Im Gegenzug sind die Voraussetzung, die für die Notwehr vorliegen müssen, höher als bei andern Rechtfertigungsgründen.
die hM begründet das Notwehrrecht dualistisch:
Selbstverteidigungsprinzip
- In der Notsituation ist es jedem erlaubt, seine Rechtsgüter selbst zu verteidigen.
Rechtsbewährungsprinzip
- In der Notlage ist der Angegriffene immer auch Repräsentant des Rechts und dessen aktueller Verteidiger gegen das Unrecht.
—> die Kenntnis der das Notwehrrecht tragenden Prinzipien ist unerlässlich, da sich durch sie bestimmte Begrenzungen des Notwehrrechts, idR über die Gebotenheit der Verteidigung, nachvollziehen lassen.
Voraussetzungen der Notwehrlage
- Notwehrlage
a. Angriff
gem § 32 II StGB ist die Notwehr, die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
- Notwehrlage:
- § 32 II StGB setzt zunächst das Vorliegen eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs voraus.
a. Angriff
- ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines notwehrfähigen Rechtsguts (es muss dabei kein Strafbestand verwirklicht werden)
- ausgeschieden werden durch dieses Merkmal: —> Tierangriffe —> Verhalten, dem die Handlungsqualität fehlt (bspw ein epileptischer Krampf) - Umstritten ist, ob ein Angriff durch Unterlassen möglich ist —> nach hM stellt ein Unterlassen ein Angriff dar, wenn im Unterlassen ein Verstoß gegen eine Garantenpflicht iSd § 13 StGB liegt.
zu den notwehrfähigen Rechtsgütern zählen alle Individualrechtsgüter und sonstigen rechtlich geschützten Interessen. Rechtsgüter der Allgemeinheit sind dagegen grds nicht notwehrfähig, denn der Staat kann sich regelmäßig selbst helfen und Staatsnothilfe ist die absolute Ausnahme des Art. 20 IV GG.
Zu beachten ist aber, dass notwehrfähige Individualrechtsgüter (bspw Eigentum, Vermögen) auch dem Staat zustehen können. So ist Nothilfe gegen den Dieb, der einen im Landeseigentum stehenden PC stiehlt, denkbar.
Voraussetzungen der Notwehr
- Notwehrlage
b. Rechtswidrigkeit des Angriffs
- Notwehrlage
b. Rechtswidrigkeit des Angriffs
- der Angriff ist rechtswidrig, wenn er nicht von einer Erlaubnisnorm gedeckt ist
- gegen einen durch Notwehr oder einen anderen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigten Angriff ist also keine Notwehr möglich - Fraglich ist, ob ein rechtswidriger Angriff (kann auch fahrlässiges Verhalten sein) auch bei einem objektiv pflichtgemäßen Verhalten vorliegt —> nach hM liegt in einem objektiv pflichtgemäßen Verhalten kein rechtswidriger Angriff - Uneinheitlich wird auch die Frage beurteilt, ob der Angreifer schuldhaft handeln muss —> die hM geht davon aus, dass die Schuld des Angreifers keine Voraussetzung des Notwehrrechts ist
Voraussetzungen der Notwehr
- Notwehrlage
c. Gegenwärtigkeit des Angriffs
- Notwehrlage
c. Gegenwärtigkeit des Angriffs
- gegenwärtig ist ein Angriff, der im Sinne einer akut bedrohlichen Lage unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert
—> unmittelbar bevor steht ein Angriff bei einem Verhalten, das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll oder umzuschlagen droht (bspw Ausholen eines Schlags), sodass durch weiteres Zuwarten entweder der Erfolg der Verteidigungshandlung gefährdet würde oder sich der Verteidigende selbst in die Gefahr erheblicher eigener Verletzungen bringen würde
—> hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist
—> besteht der Angriff in der Begehung einer Straftat, findet er gerade statt, wenn der Angreifer die Grenze zum Versuch überschritten hat. Der Angriff dauert fort bis zur materiellen Beendigung der Tat. Bei Dauerdelikten ist er dann bspw so lange gegenwärtig, wie der rechtswidrige Zustand andauert.
- an der Gegenwärtigkeit fehlt es dagegen, wenn der Angriff erst in Zukunft zu erwarten ist. Das gilt auch, wenn es mehr oder minder sicher ist, dass es zu einem Angriff kommen wird. Wie derartige Präventivmaßnahmen zu behandeln sind, ist umstritten
Voraussetzungen der Notwehr
- Notwehrhandlung
a. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
- Notwehrhandlung
a. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
- gem § 32 II StGB ist die Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff nur in den Grenzen der Erforderlichkeit zugelassen. Die hM entnimmt der Erforderlichkeit implizit auch das Merkmal der Geeignetheit.
- Geeignetheit bedeute dabei, dass die Maßnahme grundsätzlich dazu in der Lage ist, den Angriff entweder ganz zu beenden oder ihm wenigstens ein Hindernis in den Weg zu legen. Auch Verteidigungshandlungen, die den Angriff lediglich abmildern, sind dabei als geeignet anzusehen.
- Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die das relativ mildeste der in Betracht kommenden Verteidigungsmittel ist
—> das mildeste Mittel ist jenes, das bei gleicher Wirksamkeit den geringsten Schaden anrichtet
—> für die Bewertung der Erforderlichkeit kommt es maßgeblich auf die konkrete Kampfeslage an, die daher im Gutachten regelmäßig umfassend herausgearbeitet werden muss.
—> Hierfür gilt : siehe KK 281 ! - war die Verteidigungshandlung erforderlich, steht es einer § 32 II StGB genügenden Verteidigung nicht entgegen, dass durch sie eine ungewollte schwere Auswirkung erwächst
- im Hinblick auf die erforderliche Verteidigungshandlung sind schließlich Fälle der Drittwirkung des Notwehrrechts zu untersuchten
—> nach nahezu einhelliger Auffassung soll das Notwehrrecht keine Drittwirkung entfalten, so dass § 32 StGB nur Verteidigungshandlungen gegenüber dem Angreifer zu rechtfertigen mag.
Voraussetzungen der Notwehr
- Notwehrhandlung
b. die Gebotenheit der Notwehr
aa. Bagatellangriffe; bb. krasses und unerträgliches Missverhältnis und weitere Fallgruppen
- Notwehrhandlung
b. die Gebotenheit der Notwehr
- das Merkmal der Gebotenheit dient der sozialethischen Restriktion der Notwehr und ermöglicht es zu berücksichtigen, dass es Fälle gibt, in denen trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des § 32 II StGB die das Notwehrrecht tragenden Prinzipien in deren Hintergrund treten und eine Verletzung des Angreifers nicht mehr zu legitimieren vermögen
aa. Bagatellangriffe
- das Notwehrecht besteht zunächst nur eingeschränkt für Verhaltensweisen, die an der Grenze des sozial Adäquaten liegen und nur zu unerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen führen (bspw Vordrängeln)
—> das Rechtsbewährungsprinzip tritt bei minimalen Beeinträchtigung in den Hintergrund
bb. Krasses und unerträgliches Missverhältnis (Fallgruppe ist restriktiv zu behandeln)
- bei einem krassen und unerträglichen Missverhältnis zwischen verteidigtem und angegriffenen Rechtsgut ist die Ausübung der Notwehrrechts rechtsmissbräuchlich und deshalb ausgeschlossen
—> das Recht will nicht um einen Preis verteidigt werden, der zum drohenden Schaden völlig außer Verhältnis steht. Das Rechtsbewährungsprinzip tritt dementsprechend auch hier zurück.
weiter Fallgruppen ab KK 286:
cc. Einschränkung durch Art. 2 I EMRK
dd. Garantenbeziehung
ee. Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder
ff. Notwehr gegen selbst provozierte Angriffe
(1) Absichtsprovokation
(2) sonst verschuldete Notwehrlage
(a) rechtswidriges Vorverhalten
(b) rechtmäßiges Vorverhalten
gg. Abwehrprovokation
hh. Notwehr gegen erpresserische Angriffe
(1) bloße Schweigegelderpressung
(2) Schutzgelderpressung
ii. Rettungsfolter als Nothilfe?
Voraussetzungen der Notwehr
- subjektives Rechtfertigungselement
nach heute hM bedarf es bei der Notwehr (wie auch bei allen andern Rechtfertigungsgründen) auch eines subjektiven Rechtfertigungselementes. Der Täter muss jedenfalls um die Notwehrlage wissen. Umschritten ist dabei, ob über diese Kenntnis (kognitives Element) auch ein zielgerichteter Wille, also eine Verteidigungsabsicht (voluntatives Element), erforderlich ist.
Außerdem ist umstritten, welche Rechtsfolge eintritt, wenn das subjektive Rechtfertigungselement fehlt (teilweise wird wegen Vollendung und teilweise wegen Versuchs bestraft)
Fälle der Nothilfe
Angegriffener und Verteidiger müssen nicht identisch sein. Die Nothilfe richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Kriterien wir die Notwehr. Darüberhinaus ist es aber erforderlich, dass der Angegriffene mit der Verteidigung zumindest mutmaßlich einverstanden ist
antizipierte Notwehr
antizipierte Notwehr
- Fälle der selbstständig wirkenden Abwehrvorrichtungen (bspw Aufstellen elektrischer Zäune oder Installation von Selbstschussanlagen)
Werden durch solche Vorrichtungen Verletzungen bei einem Eindringling verursacht, stellt sich hinsichtlich möglicher Tatvorwürfe der §§ 212, 223 f. gegen den Aufsteller zunächst die Frage der objektiven Zurechnung. Bei „sozialadäquaten Vorkehrungen“ wie üblicher Umfriedung einer Grundstücks (Stacheldrahtzaun o.ä) ist bereits kein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen. Bei nicht sozialadäquaten Vorrichtungen ist zu prüfen, ob der „Angreifer“ erkannte, dass er sich bei Betreten eines Grundstücks in Gefahr begibt (bspw. weil ein gut sichtbarere Warnhinweis am Zaun angebracht wurde) und deshalb eine einverständliche Selbstgefährdung anzunehmen ist, die bereits den Tatbestand ausschließt
Wird der Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen, stellt sich bei der Frage einer Rechtfertigung gemäß § 32 StGB zunächst die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Dass es an einem gegenwärtigen Angriff fehlte, als die Vorkehrung erstmalig installiert wurde, ist unschädlich, solange sie erst wirkt, sobald das Grundstück widerrechtlich betreten wird.
Die (automatisierte) Notwehrhandlung ist allerdings nur dann auch erforderlich, wenn die automatische Anlage technisch so eingerichtet ist, dass sie bei keinem der zu erwartenden Angriffe das jeweils erforderliche Maß überschreitet. Deshalb ist ein System „stufenweiser gesteigerter Abwehrmechanismen“ einzurichten, also hintereinander geschaltete, immer stärker werdende Abwehrmaßnahmen.
die Grundvorschriften nach § 34 StGB:
1.Notstandslage
gem § 34 S.1 StGB setzt das Gesetz für eine Notstandslage das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut voraus
- Notstandslage - a. Notstandsfähige Rechtsgüter
notstandsfähig sind nach hM alle Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit, soweit sie in der konkreten Situation schutzbedürftig und schutzwürdig sind. Exemplarisch nennt § 34 S.1 StGB Leben, Leib, Ehre und Eigentum.
besondere Beachtung des Notstands zugunsten von Rechtsgütern der Allgemeinheit. Im Ergebnis dürfte ein Notstand zugunsten von ihnen kaum annehmbar sein:
- regelmäßig wird die Gefahr auf andere Weise (insbesondere durch die Anrufung des Staates) anwendbar sein - die Notwehrunfähigkeit von Rechtsgütern der Allgemeinheit darf durch Gewährung eines Notstands nicht unterlaufen werden.
(sofern Kollektivrechtsgüter aber als notstandsfähig bewertet werden, wird praktisch eine Rechtfertigung mangels Erforderlichkeit regelmäßig nicht in Betracht kommen)
- Notstandslage - b. Notstandsbegünstigte
eng verknüpft mit der Frage nach den notstandsfähigen Rechtsgütern ist das Problem, zu wessen Gunsten von den Notstandsbefugnissen Gebrauch gemacht werden darf. § 34 S.2 StGB spricht davon, dass „die Gefahr von sich oder einem anderen“ abgewendet werden soll. „Sich“ bezeichnet eindeutige den Notstandstäter, der eine Gefahr für seine eigenen Rechtsgüter abwehrt. Die hM erkennt in der Formulierung hingegen lediglich die „Klarstellung“, dass das gefährdete Rechtsgut auch ein dem Täter fremdes sein könne.
- siehe KK 306
- Notstandslage - c. Gegenwärtige Gefahr
eine gegenwärtige Gefahr ist ein Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden
der Gefahrenursprung ist gleichgültig: auch Naturereignisse, Kriegswirren o.ä. sind erfasst.
Der Begriff der Gefahr ist daher gegenständlich weiter als der des Angriffs iSd § 32 StGB. Hieraus wid geschlossen, dass der Begriff der gegenwärtigen Gefahr auch in zeitlicher Hinsicht über den gegenwärtigen Angriff bei der Notwehr hinausgeht.
Unter § 34 StGB fällt damit auch die sog Dauergefahr.
die Grundvorschriften nach § 34 StGB: 2. Notstandshandlung
Nach § 34 S.1 StGB darf die Gefahr nicht anders anwendbar sein, was nichts anderes als die Erforderlichkeit bei der Notwehr bedeutet. Damit ist auch hier die Voraussetzung der Geeignetheit implizit enthalten.
- Notstandshandlung - a. Geeignetheit
Dabei sind an die Geeignetheit des Mittels strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht nutzlos in fremde Rechtsgüter eingegriffen wird.
Jedoch ist ein Mittel nicht schon deswegen ungeeignet, weil es den den Schaden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abwenden kann
- Notstandshandlung - b. Mildestes Mittel
Im Unterschied zur Notwehr ist hier jede erreichbare Hilfe zur Gefahrenabwehr herbeizuholen und von einer bestehenden Ausweichmöglichkeit zwingend Gebrauch zu machen
auch die Verletzung geschützter Interessen Dritter kann das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr sein. Ist ihre Inanspruchnahme bereits durch einen anderen Rechtfertigungsgrund gedeckt (z.B durch Einwilligung des Berechtigten), ist sie idR auch das mildeste Mittel iSd § 34 StGB. Dies bedeutet aber nicht, dass derjenige, in dessen Rechtsgüter eingegriffen wird, stets als „milderes Mittel“ zunächst um seine Einwilligung gebeten werden muss.
die Grundvorschrift nach § 34 StGB: 3. Abwägung der widerstreitenden Interessen
zur Rechtfertigung der Tat setzt § 34 S.1 StGB überdies voraus, dass bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte
In die Abwägung sind alle schutzwürdigen Interessen einzubeziehen, die als Erhaltungs- oder Eingriffsgut durch den konkreten Konflikt unmittelbar oder mittelbar betroffen sind. Dazu gehört eine Reihe von Aspekten, von denen keiner absolute Geltung beanspruchen kann. Vielmehr wird jeder Aspekt von andern ergänzt und relativiert.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - aa. Strafrahmenvergleich
aa. Strafrahmenvergleich
sind sowohl gefährdendes als auch abwehrendes Verhalten auf eine Tatbestandsverwirklichung gerichtet, können aus einem Strafrahmenvergleich Schlüsse auf das Rangverhältnis der geschützten Rechtsgüter gezogen werden
Bsp.: die Strafandrohung von §§ 123, 177 StGB deuten darauf hin, dass durch Notstand gerechtfertigt ist, wer zur Verhinderung einer Vergewaltigung fremdes Hausrecht verletzt.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - bb. Wertgefälle der Rechtsgüter
bb. Wertgefälle der Rechtsgüter
auch ist das Wertverhältnis der widerstreitenden Rechtsgüter zu betrachten, wobei sich drei Leitlinien aufstellen lassen:
- Ordnungsvorschriften treten hinter den Schutz vor konkreten Beeinträchtigungen zurück - die Persönlichkeitswerte sind den Sachgütern vorzuziehen - der Schutz von Leib und Leben begründet ein höheres Interesse auch gegenüber der Bewahrung anderer Persönlichkeitswerte oder überindividueller Rechtsgüter
—> diese Regeln gelten nicht ausnahmslos: wenn bspw Terroristen für die Schonung einer Geisel die massive Beeinträchtigung wichtiger Staatsinteressen verlangen, verdient das Leben der Geisel nicht unter allen Umständen den Vorzug
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - cc. Intensität der drohenden Rechtsgutverletzung
cc. Intensität der drohenden Rechtsgutverletzung
insbesondere bei einem ähnlichen Rang der bedrohten Rechtsgüter kann dem Ausmaß der drohenden Rechtsgutverletzung entscheidende Bedeutung zukommen. Aber auch bei unterschiedlichem Rangverhältnis kann das Ausmaß der Rechtsgutverletzung den Wertunterschied relativieren. So kann z.B auch eine kurzfristige, folgenlose Freiheitsberaubung von wenigen Minuten zur Verhinderung eines sehr hohen Sachschadens gerechtfertigt sein.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - dd. Grad der drohenden Gefahr
dd. Grad der drohenden Gefahr
wer zur Abwehr eines ansonsten mit Sicherheit eintretenden Schadens eine Rettungshandlung vornimmt, die ein anders Rechtsgut nur in geringem Maße gefährdet, wird idR das überwiegende Interesse auf seiner Seite haben
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ee. keine Abwägung Leben gegen Leben
ee. keine Abwägung Leben gegen Leben
In Konfliktlagen, in denen sich Leben und Leben gegenüberstehen, ist der Grundsatz absoluten Lebensschutzes zu beachten, der eine Abwägung Leben gegen Leben entgegensteht: menschliches Leben ist nicht quantifizierbar
umstritten: Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens auch in den Fällen der sog Gefahrengemeinschaft
—> Konstellationen, in denen mehrere Menschen gemeinsam in Gefahr sind und einer geopfert wird, um den Tod der übrigen zu verhindern
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ff. das Autonomieprinzip
ff. das Autonomieprinzip
zu Lasten den verteidigten Rechtsguts muss ggf. berücksichtigt werden, dass die Notstandssituation zu Lasten der Rechtsgüter eines Unbeteiligten wird (Fall des aggressiven Notstands, der seinen Niederschlag in § 904 BGB gefunden hat.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - gg. Wertung anderer gesetzlicher Regelungen
gg. Wertung anderer gesetzlicher Regelungen
für die Abwägung maßgeblicher Faktoren sind auch oft Wertungen, die sich in gesetzlichen Regelungen außerhalb des § 34 StGB niedergeschlagen haben
Ausnahmsweise wird man aber eine Rechtfertigung nach § 34 StGB zulassen müssen, wenn die drohende Gefahr so exorbitant und atypisch ist, dass sie in die Abwägung der gesetzlichen Spezialregelungen nicht eingegangen ist
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - hh. Verschuldung der Notstandslage
hh. Verschuldung der Notstandslage
ein Verschulden der Notstandslage schließt die Berufung auf § 34 StGB nicht aus. Das Verschulden bzw. Nicht-Verschulden der Notstandslage muss aber bei der Interessenabwägung Berücksichtigung finden.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ii. Tätigwerden auf der Seite des Unrechts
ii. Tätigwerden auf der Seite des Unrechts
Umstritten ist die Frage, wie die Konstellation zu lösen ist, in der der in fremde Rechtsgüter eingreifende Täter durch die Nötigung eines Dritten in die Gefahrenlage gebracht wird
Bsp.: A wird durch eine Todesdrohung zu einem Meineid oder einem Diebstahl veranlasst
—> dieses Problem des sog Nötigungsnotstandes wird im Rahmen des § 35 StGB behandelt
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - jj. besondere Pflichtenstellungen
jj. besondere Pflichtenstellungen
auch besondere Pflichtenstellungen können zur Verschiebung der Interessensabwägung führen. Der Soldat, Polizist oder Feuerwehrmann wird in machen Fällen auch um des Schutzes und der Rettung von Sachwerten willen Leib- und Lebensgefahren auf sich nehmen müssen, sodass er sich nicht unter Berufung auf § 34 StGB der Gefahr entziehen darf. Zu bedachten ist jedoch, dass die Gefahrtragungspflichten keine Aufopferungs-, sondern nur Risikopflichten sind: Sind er Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, ist das Ausweichen auch bei Bestehen einer besonderen Pflichtenstellung wieder durch § 34 StGB gerechtfertigt.
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - kk. individuelle Bedeutung der Schäden für die jeweils Betroffenen
kk. individuelle Bedeutung der Schäden für die jeweils Betroffenen
eine bei der Abwägung zu berücksichtigender Faktor ist ferner die Bedeutung der konkreten Sache für die Betroffenen, die nach objektivem Maßstab, aber unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten zu beurteilen ist
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - a. Abwägungsgesichtspunkte - ll. Entstehung der Gefahr aus der Sphäre des Eingriffsopfers
ll. Entstehung der Gefahr aus der Sphäre des Eingriffsopfers
auch kann zu berücksichtigen sein, dass es sich um einen Fall des Defensivnotstandes handelt. § 228 BGB enthält für den Fall der von einer Sache ausgehenden Gefahr eine Spezialregelung, während bei der Abwehr einer vom Menschen ausgehenden Gefahr regelmäßig schon § 32 StGB eingreift.
Roxin/Greco unterscheiden aber vier Ausnahmefallgruppen, in denen weder § 228 BGB noch § 32 StGB einschlägig sind und sofern Raum für § 34 StGB bleibt:
- Bedrohung durch eine Nichthandlung (z.B ein auf die Gegenfahrbahn geschleudertes Auto)
- Gefährdung trotz sorgfaltsgemäßer Handlung (z.B droht ein Autofahrer einen Fußgänger trotz Einhaltung aller Verkehrsregeln zu überfahren)
- Perforation (Tötung des Kindes während der Geburt zur Rettung der Mutter)
—> nicht überzeugend: die Tötung des Kindes vor Beginn der Eröffnungswehen bzw der Öffnung des Uteruses kann bei Lebens- und Gesundheitsgefahr für die Mutter idR über § 218a II StGB gerechtfertigt werden, nach Beginn der Eröffnungswehen bzw Öffnung des Uterus ist das Kind dagegen als Mensch zu behandeln. Eine Anwendung des Gedankens des § 228 BGB würde dann zu einer Abwägung Leben gegen Leben führen, die sich jedoch verbietet. - Präventiv-Notwehr
hier kann der Rechtsgedanke des § 228 BGB in die Bewertung der Rechtfertigung mit einfließen. Daher kann in diesen Fällen, wie bei § 228 BGB, bereist dann von einer Rechtfertigung ausgegangen werden, wenn der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht
- Abwägung der widerstreitenden Interessen - b. wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses
b. wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses
der Wortlaut des § 34 S.1 StGB („wesentlich überwiegt“) spricht dafür, dass ein graduell gesteigertes Überwiegen der geschützten Interessen verlangt wird. Nach dem Grundgedanken der Norm kann es auf ein solches „qualifiziertes“ Übergewicht aber nicht ankommen:
da Satz 1 Ausdruck des allgemeinen Rechtfertigungsprinzips des überwiegenden Interesses ist, bei dem zu fragen ist, ob das mit der Tat geschützte Interesse höher zu veranschlagen ist als das Interesse am Unterlassen der fraglichen Handlung, sind begrifflich die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung schon gegeben, wenn überhaupt ein Übergewicht in diesem Sinne besteht
Darum ist die Wesentlichkeitsklausel so auszulegen, dass ein Interessenübergewicht zweifelsfrei und eindeutig sein muss, wenn eine Rechtfertigung erfolgen soll und bei unklarem Abwägungsergebnis keine Rechtfertigung erfolgen kann
die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 4. Angemessenheitsklausel (§ 34 S.2 StGB)
die Angmessenheitsklausel des § 34 S.2 StGB beruht historisch auf dem Gegensatz von Güterabwägungs- und Zwecktheorie. Weil aber schon nach S.1 alle Umstände des Einzelfalls in die Abwägung einzubeziehen sind, ist schwer vorstellbar, wie eine Notstandshandlung nicht angemessen sein soll, wenn bereits die Abwägung ergeben hat, dass die geschützten Interessen die Beeinträchtigten wesentlich überwiegen.
Nach hM dient die Klausel dazu, ein zusätzliches Korrektiv zu gewinnen, das sicherstellt, dass eine Rechtfertigung nur angenommen wird, wenn das Verhalten des Notstands auch nach den anerkannten Wertvorstellungen der Allgemeinheit als eine sachgemäße und dem Recht entsprechende Lösung der Konfliktlage erscheint
die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 5. Notstandsbefugnisse von Hoheitsträgern
ob sich Hoheitsträger aus § 34 StGB berufen können, ist ähnlich umstritten wie bei der Notwehr
- die hM lässt die Berufung eines Hoheitsträgers auf § 34 StGB unter Anführungen verschiedener Voraussetzungen zu
—> sofern der Gesetzgeber ein Interessenkonflikt wegen seiner Ungewöhnlichkeit nicht vorausgesehen hat
—> sofern eine Notstandskonstellation sich wie bei einer Freipressung von Gefangenen durch Geiselnehmer einer generalisierenden gesetzlichen Regelung entzieht
—> sofern der Gesetzgeber mit einer den § 34 StGB konkretisierenden Kodifizierung noch abwarten möchte
die Grundvorschrift nach § 34 StGB - 6. das subjektive Rechtfertigungselement
auch beim Notstands bedarf es eines subjektiven Rechtfertigungselements
der zivilrechtliche Notstand (§§ 228, 904 BGB)
Mit den §§ 228, 904 BGB kennt auch das Zivilrecht zwei Notstandsregelungen, die wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht zu beachten sind
Im Hinblick auf die Beschädigung oder Zerstörung von Sachen sind diese Normen leges speciales gegenüber § 34 StGB. Im Gutachten hat dies zur Konsequenz, dass die zivilrechtlichen Notstandsregelungen vor § 34 StGB angesprochen werden sollten
der zivilrechtliche Notstand - 1. der aggressive Notstand (§ 904 BGB)
§ 904 BGB regelt den aggressiven Notstand
Damit bezeichnet man eine Situation, in der sich der Täter einer Notstandssituation dadurch entledigt, dass er zur Gefahrenabwehr auf eine fremde Sache einwirkt, von der die Gefahr selber jedoch nicht ausgeht.
- Bsp.: Um einen Kampfhund von sich abzuhalten, entreißt A dem B seinen Regenschirm, der durch die Bisse des Hundes Schaden nimmt. § 303 StGB am Schirm wird durch § 904 BGB gerechtfertigt
die Konstellation würde, wenn es § 904 BGB nicht geben würde, auch über § 34 StGB zu lösen sein, doch stellt § 904 BGB klar, dass ein wesentliches Überwiegen der vom Notstandstäter verfolgten Interessen erst anzunehmen ist, wenn der abgewendete Schaden gegenüber dem angerichteten unverhältnismäßig hoch ist
der zivilrechtliche Notstand - 2. der defensive Notstand (§ 228 BGB)
§ 228 BGB regelt den Fall des Defensivnotstands
In dieser Konstellation geht die Gefahr von einer Sache aus. Der Täter bewältigt die Notstandslage dadurch, dass er auf diese gefahrbringende Sache einwirkt
- Bsp.: Um den Kampfhund des B von sich abzuhalten, erschließt A den Hund. § 303 StGB am Hund wird durch § 228 BGB gerechtfertigt. Achtung: Wenn der Kampfhund vom Eigentümer zum Angriff aufgehetzt wurde, so ist schon § 32 StGB einschlägig
Weil der Täter hier auf die gefährliche Sache selbst einwirkt (und sich nicht wie beim aggressiven Notstand auf Kosten eines Dritten der Notlage entledigt) sind die Anforderungen an die Rechtfertigung im Falle des § 228 BGB auch geringer: Während beim Aggressivnotstand des § 904 BGB der abgewendete Schaden im Verhältnis zum angerichteten unverhältnismäßigen groß sein muss, darf er hier sehr viel geringer sein, solange er nur nicht außer Verhältnis zum herbeigeführten Schaden steht.
die rechtfertigende Pflichtenkollision
eine Pflichtenkollision liegt vor, wenn mehrere rechtlich begründete Handlungspflichten derart an den Adressaten der Norm gerichtet sind, dass er die eine nur auf Kosten der andern Erfüllen kann. Er muss also notwendig eine von ihnen verletzen, egal wie er sich auch verhält
-Bsp.: die beiden Kinder des V sind vom Ertrinken bedroht, V kann aber nur einem Kind zur Rettung kommen
Unterscheiden werden zwei Fallgruppen: Ungleichwertige und gleichwertige Pflichten. Das Rangverhältnisder kollidierenden Pflichten hängt vom Wert der gefährdenden Güter, der rechtlichen Stellung des Normadressaten zum geschützten Objekt, von der Nähe der Gefahr und von der mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ab
kein Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision liegt beim Widerstreit zwischen einer Handlungs- und einer Unterlassungspflicht. Denn gegen eine Unterlassungspflicht verstößt grds jeder, der in ein fremdes Rechtsgut eingreift. Diese Fälle sind über § 34 StGB angesichts der dort zu berücksichtigenden Prinzipien bei der Interessenskollision zu behandeln.
die rechtfertigende Pflichtenkollision- 1. Ungleichwertige Pflichten
umstreitig ist, dass das Recht von niemandem Unmögliches verlangen kann. Daher handelt der Täter bei einer Pflichtenkollision dann nicht rechtswidrig, wenn er von rangverschiedenen Pflichten die höherrangige auf Kosten der zweitrangigen Pflicht erfüllt. Auch diese Fälle werden von Teilen der Literatur schon unter § 34 StGB subsumiert.
- Bsp.: die Pflicht zur Rettung von Menschenleben geht der Pflicht zur Rettung von Sachgütern vor
Umstritten ist, ob die Qualität der Pflicht (Garatenpflicht, § 13 StGB, gegenüber Solidarpflicht nach § 323c StGB) zu einer Ungleichwertigkeit der Pflichten führt.
- Bsp.: T sieht, wie seine Ehefrau E und deren Freundin F zu ertrinken drohen. Er rettet F, E ertrinkt. die hM verneint den Rechtfertigungsgrund der rechtfertigenden Pflichtenkollision beim Totschlag durch Unterlassen aufgrund der unterschiedlichen Qualität der Pflichten.
Nach § 323c I StGB muss dem Unterlassenden die Hilfeleistung auch zuzumuten, insbesondere ohne Verletzung andere wichtiger Pflichten möglich sein. Eine Garantenpflicht ist eine solche andere wichtige Pflicht. Daher führt bei gleichwertigen Güterschutzpflichten die Erfüllung einer Garantenpflicht dazu, dass die unterlassene Hilfeleistung wegen Unzumutbarkeit der Hilfeleistung gar nicht von. § 323c I StGB erfasst wird.
Die Pflichten kollidieren also nicht, da die Pflicht aus § 323c StGB erst gar nicht entstehen.
Nach § 13 kann man sich wegen eines Erfolgsdelikts auch durch Unterlassen strafbar machen, wenn man rechtlich dazu verpflichtet ist, den Erfolg abzuwenden. Erforderlich hierfür ist eine sog Garantenstellung, die z.B aus einer engen familiären Verbundenheit resultieren kann.
§ 323c StGB hingegen, der die unterlassen Hilfeleistung unter Strafe stellt, enthält eine allgemeine Solidarpflicht, für die keine Garantenstellung erforderlich ist
die hM konstatiert, die Pflciht aus § 13 StGB und diejenige aus § 323c StGB seien nicht gleichwertig, sondern die Garantenstellung weise eine höhere „Qualität“ auf. Daher sei eine rechtfertigende Pflichtenkollision nicht gegeben, wenn man der Pflicht aus § 323c StGB nachkommt und die aus § 13 StGB vernachlässigt
die rechtfertigende Pflichtenkollision - 2. gleichwertige Pflichten kollidieren miteinander
Bei der Kollision gleichrangiger Pflichten tritt eine Rechtfertigung bereits dann ein, wenn der Täter eine der beiden Pflichten erfüllt. Im Widerstreit gleichwertiger Rettungspflichten lässt die Rechtsordnung dem Normadressaten also die Wahl, sich für die eine oder andere zu entscheiden. Verlangt wird auch nicht, dass die vom Notstandstäter getroffene Wahl auf einer Gewissensentscheidung oder auch nur auf moralisch billigenswerten Motiven beruht
Triage
In Fällen der Ex-ante-Triage und Ex-post-Triage ist fraglich, ob sich die behandelnde Ärzte wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 I StGB) strafbar gemacht haben, wenn der eine nicht behandelte Patient stirbt
Ex-ante-Triage:
- A und B werden zeitgleich ins Krankenhaus eingeliefert. A wird an das letze freie Beatmungsgerät angeschlossen, B kann nicht behandelt werden
- Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision (sind beide Handlungspflichten rechtlich gleichwertig, muss der Arzt eine von beiden erfüllen, er hat die Wahl)
—> woran sich der Arzt bei seiner Entscheidung orientiert, welche der gleichrangigen Pflichten er erfüllt, ist aus strafrechtlicher Sicht egal (ethisches Auswahlkriterium: Zufallsprinzip - wahrt den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit jedes Lebens - gleiche Chance auf Behandlung)
Ex-post-Triage
- A wird bereits im Krankenhaus behandelt, als B eingeliefert wird. Weil B bessere Überlebenschancen hat, wird As Behandlung abgebrochen und stattdessen B an das Beatmungsgerät angeschlossen
- eine Unterlassungspflicht (Abbruch der laufenden Behandlung) kollidiert mit einer Handlungspflichten (Behandlung des neuen Patienten)
—> nicht zwei Handlungspflichten: von der hM nicht als rechtfertigende Kollision eingestuft
—> möglich ist nur eine Rechtfertigung über § 34 StGB, die aber wegen des Grundsatzes absoluten Lebensschutzes ausscheidet
Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung
ein Eingriff in die Rechtsgüter einer Person, der mit deren Wille erfolgt, ist kein Unrecht. Denn individuelle Rechtsgüter werden nur zu dem Zweck geschützt, der freien Entfaltung des Einzelnen zu dienen (Art. 2 I GG). Dann kann aber auch keine Rechtsgutverletzung vorliegen, wenn eine Handlung auf der Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, seine freie Entfaltung also nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr deren Ausdruck ist. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Beschränkung der individuellen Freiheit im Allgemeininteresse zwingend geboten ist
Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung - 1. Unterscheidungskriterium
Einverständnis
- wirkt tatbestandsausschließend: Die Billigung des Opfers führt dazu, dass schon der TB eines Deliktes nicht gegeben ist, weil das Delikt notwendig ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Opfers voraussetzt; z.B § 123 StGB: „Eindringen“ bedeutet das Betreten des Raumes ohne oder gegen den Willen des Berechtigten. Wird der Raum im Einklang mit dem Willen des Berechtigten betreten, ist § 123 StGB schon tatbestandlich nicht gegeben.
Einwilligung
- wirkt rechtfertigend: Trotz Billigung des Opfers bleibt das Täterverhalten tatbestandsmäßig. Das Gesetz macht die Tatbestandsverwirklichung also nicht vom Willen des Opfers abhängig. Die Tatbestandsverwirklichung wird jedoch durch die Einwilligung des Opfers gerechtfertigt (z.B § 223 StGB).
Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung- 2. Unterschiede in der rechtlichen Behandlung
- beim Einverständnis soll alleine der innere Wille maßgeblich sein, auch wenn dieser nicht nach außen hervorgetreten ist
- bei der Einwilligung sei eine Kundgabe nach außen erforderlich
- das Einverständnis setzt nur den „natürlichen Willen“ voraus
- die Einwilligung demgegenüber die Einsichtsfähigkeit des Opfers
- Willensmängel (Irrtum, Täuschung und Zwang) sollen beim Einverständnis unbeachtlich sein
- bei der Einwilligung jedoch zur Unwirksamkeit führen
- die irrtümliche Annahme einer nicht vorhandenen Zustimmung schließt, wenn sie ein Einverständnis betrifft, nach § 16 StGB den Vorsatz aus (Tatumstandsirrtum)
- wenn der Täter über eine Einwilligung irrt, befindet er sich hingegen in einem Erlaubnistatumstandsirrtum
die Einwilligung als Tatbestandausschließungsgrund
Jede wirksame Zustimmung des Rechtsgutsträgers ist eine tatbestandsausschließende Wirkung beizumessen.
Der Erfolgs- und Handlungsunwert entfällt bei einer wirksamen und dem Täter bekannten Einwilligung.
Eine Handlung die kein anderes Rechtsgut tangiert und auch nicht tangieren will, kann daher nicht tatbestandsmäßig sein.
Zudem würde eine rechtfertigende Einwilligung im System der Rechtfertigungsgründe, die maßgeblich auf den Prinzipien der Interessenabwägung und der Erforderlichkeit beruhen, einen Fremdkörper darstellen.
Bei der Einwilligung geht es nicht um Konfliktsituationen, da der Rechtsgutsträger sein Interesse am Rechtsgut aufgibt. Hier hilft nur das zweite Standbein der Rechtfertigungsprinzipien (Prinzip des mangelnden Interesses), das aber ehr künstlich für die Einwilligung geschaffen erscheint und harmonisch allein zur mutmaßlichen Einwilligung passt.
eine klare Grenzziehung zwischen Einverständnis und Einwilligung ist nicht möglich und die Zweiteilungslehre damit nicht durchführbar.
Dass bereits der Gesetzeswortlaut § 228 StGB der Einwilligung rechtfertige Wirkung zumisst, ist so nicht zutreffend. Nach § 228 StGB handelt der Täter bei einer Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten nur dann rechtswidrig, „wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt“. Nach § 11 I Nr.5 StGB ist eine „rechtswidrige Tat nur eine solche, die den TB eines Strafgesetzes verwirklicht“. „Rechtswidrig“ in §§ 228 StGB kann also auch als „tatbestands-rechtswidrig“ gelesen werden.
eine solche Einordnung der Einwilligung als Tatbestandsausschliueßungssgrund bedeutet keine Relativierung des des Rechtsgutsschutzes, sondern lediglich eine konsequente Ausrichtung am individuellen Rechtsgutsträger
Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 1. Disponibilität des geschützten Rechtsguts
der Verzicht auf das geschützte Interesse muss überhaupt rechtlich zulässig sein.
—> Disponibel sind alle Individualrechtsgüter mit Ausnahme des menschlichen Lebens (arg. § 216 StGB)
über Rechtsgüter der Allgemeinheit (z.B. das Vertrauen in die Unbestechlichkeit des Beamtenapparates) kann der Einzelne somit nicht wirksam disponieren
Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 2. Verfügungsberechtigung
der Einwilligende muss auch verfügungsberechtigt, d.h Träger des geschützten Interesses oder sonst (z.B. als Vertreter des Rechtsgutsträgers) zur Disposition über das Rechtsgut befugt sein
denn selbstverständlich kann nicht jeder beliebige Dritte über eine Sache des Eigentümers bestimmen
Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung - 3. Kundgabe, Zeitpunkt und Widerruflichkeit
die Einwilligung muss vor der Tat ausdrücklich erklärt oder konkludent zum Ausdruck gebracht worden sein, da ein nicht hervorgetretener Gedanke mangels Feststellbarkeit nicht zur Anknüpfung von Rechtsfolgen geeignet ist.
bis zur Tatbegehung ist die Einwilligung frei widerruflich.
ausreichend ist auch eine nach Beginn, aber vor Vollendung der Tat erteilte Einwilligung.
eine nachträgliche Genehmigung ist bedeutungslos, da der Geschädigte sonst über einen einmal entstandenen staatlichen Strafanspruch disponieren könnte, was jedoch dem Offizialprinzip widerspricht.
bei einer konsequent rechtsgutsorientierten Betrachtungsweise müsste man für die Einwilligung allerdings bereits die innere Zustimmung ausreichen lassen. Das Feststellbarkeitsargument der hM läuft Gefahr, das Vorliegen der Einwilligung von einer bloßen Beweisfrage abhängig zu machen.