StGB AT Flashcards

0
Q

Abgrenzung Täterschaft/Teilnahme nach st. Rspr.

A

Ausgangspunkt ist die subjektive Abgrenzung, jedoch ergänzt um objektive Gesichtspunkte bei der Ermittlung des Willens. Zur Feststellung des Täterwillens sind im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zusätzlich der Grad des Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft und der Wille zur Tatherrschaft zu berücksichtigen.
(+) objektive Gesichtspunkte verhindern die gesetzeswidrigen Ergebnisse einer extrem-subjektiven Theorie
(-) Rechtsunsicherheit, da wegen der Vielzahl der Kriterien (die auch nur „Anhaltspunkte“ sein sollen) bei entsprechender Schwerpunktsetzung jedes Ergebnis möglich ist

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1
Q

Tatherrschaftslehre (hL, Roxin)

A

Täter ist, wer als Zentralfigur des Geschehens die planvoll-lenkende oder mitgestaltende Tatherrschaft besitzt. Tatherrschaft ist dabei das vom Vorsatz umfasste „In-den-Händen-Halten“ des Tatgeschehens. Entscheidend für die Täterschaft ist, ob und inwieweit der einzelne Beteiligte nach Art und Gewicht seines objektiven Tatbeitrags sowie auf Grund seiner Willensbeteiligung das Ob und Wie der Tatbestandsverwirklichung beherrscht oder mitbestimmt, so dass der Erfolg als das Werk (auch) seines zielstrebig lenkenden oder mitgestaltenden Willens erscheint. Diese Tatherrschaft existiert in folgenden Ausprägungen:

  • als Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft;
  • als Willensherrschaft oder Herrschaft kraft überlegenen Wissens bei der mittelbaren Täterschaft;
  • als funktionelle Tatherrschaft bei der Mittäterschaft.

Allen „Unterformen“ ist gemeinsam, dass der Täter eine maßgeblich steuernde Rolle im Tatablauf hat. Teilnehmer ist hingegen, wer ohne eigene Tatherrschaft als „Randfigur“ des realen Geschehens die Begehung der Tat veranlasst oder fördert.

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2
Q

Vrss. Mittäterschaft

A

B) Strafbarkeit der weiteren Beteiligten als Mittäter
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) keine eigenhändige Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale durch die geprüfte Person
b) Zurechnung der Tatbeiträge anderer Beteiligter nach § 25 II StGB

aa) gemeinsamer Tatplan, bewusstes und gewolltes Zusammenwirken

bb) gemeinsame Tatausführung:
Hier erfolgt die Abgrenzung zur Teilnahme: Für die Annahme von Mittäterschaft müssen die Tatbeiträge des Einzelnen nach der h.L. so wesentlich für die Verwirklichung des Tatbestandes sein, dass sie ihm funktionelle („arbeitsteilige“) Tatherrschaft verleihen. Die abweichende Position der Rspr. wird dann auch an dieser Stelle diskutiert. Gelangen beide Ansätze zum selben Ergebnis, kann die Entscheidung offen gelassen werden.

  1. Subjektiver Tatbestand
    a) Vorsatz bezüglich sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale (inkl. der Voraussetzungen des § 25 II)
    b) Sonstige subjektive Merkmale
    II. Rechtswidrigkeit
    III. Schuld
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3
Q

Anforderungen an den Tatbeitrag im Rahmen der Mittäterschaft

A

A. Rspr.
Auf der Grundlage der subjektiv akzentuierten Ansicht der Rechtsprechung kann auch jemand, der nur im Vorbereitungsstadium mitwirkt, als Täter behandelt werden, solange er insbesondere ein hinreichend starkes Tatinteresse hat.

B. Tatherrschaftslehre
a) wohl überwiegende Ansicht
Tatherrschaft liegt vor, wenn der geleistete Tatbeitrag sich im Ausführungsstadium auswirkt. Ein „Minus“ im Bereich der Tatausführung kann durch ein „Plus“ an anderer Stelle (u.U. bei der Vorbereitung) ausgeglichen werden, solange der Tatbeitrag die „funktionelle Tatherrschaft“ des Handelnden begründet.
(+) Banden- und Organisationskriminalität kann nur so angemessen erfasst werden; Wichtig ist, wann sich Tatherrschaft auswirkt, nicht wann Tatbeiträge gesetzt wurden.
(-) Hat jemand die Herrschaft über eine Tat, der „machtlos“ zu Hause sitzt? Die Grenzen der Mittäterschaft werden verwischt, obwohl eine Bestrafungsmöglichkeit wegen Teilnahme besteht (die beim Anstifter sogar „gleich einem Täter“, d.h. ohne Strafmilderung, erfolgt); die sehr ergebnisorientierte Ausdehnung der Tatherrschaft auf den im Hintergrund planenden Bandenchef ist daher unnötig.

b) Gegenansicht (zB Roxin)
Die Annahme von Mittäterschaft ist nur bei einer wesentlichen Mitwirkung im Ausfüh-rungsstadium (wenn auch ggf. ohne Anwesenheit vor Ort) gerechtfertigt.
(-) Der Bandenchef, der die Tatausführung bis ins Detail festlegt und nur die ‚Arbeit vor Ort andere erledigen lässt, wird nicht als Täter bestraft, obwohl die Tat als „sein Werk“ erscheint.
(+) Echte Tatherrschaft setzt eine gewisse Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeit zum Zeitpunkt der Tatausführung voraus; Klare Kontur eines solchen Begriffs der Tatherrschaft.

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4
Q

Exzess eines Mittäters

A

Der Tatentschluss (Tatplan) ist zugleich Grund und Grenze der wechselseitigen Zurechnung von Tatbeiträgen.

Wer über einen eindeutigen Tatplan hinausgeht, steht für diesen Exzess daher alleine ein; eine Zurechnung zu Lasten der übrigen Mittäter ist ausgeschlossen, wenn diese mit der weiteren Begehung weder gerechnet noch diese in Kauf genommen haben.

Aber: Bei der Annahme eines Exzesses ist Zurückhaltung geboten:

  • Tatpläne sind häufig recht offen gestaltet (hier ist eine „Auslegung“ des Tatentschlusses erforderlich). Kleine Abweichungen vom ursprünglichen Tatplan sind deshalb unerheblich, wenn mit ihnen gerechnet werden muss und der Schwere- und Gefährlichkeitsgrad der Tat nicht verändert wird.
  • Zum anderen ist eine stillschweigende Erweiterung des Planes durch die Beteiligten im Ausführungsstadium denkbar.
  • Ebenso ist der Beteiligte für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist und deswegen darauf geschlossen werden kann, dass er sie billigt.

(!) Achtung: Wenn eine Handlung eines Mittäters nicht vom ursprünglichen Tatplan gedeckt ist, kann das erforderliche Einvernehmen ausdrücklich oder stillschweigend noch während der Tatbegehung herbeigeführt werden (soweit unstr.).

Nach sehr str. Ansicht der Rspr. ist darüber hinaus bis zur Beendigung des Delikts sogar eine sukzessive Mittäterschaft möglich.
- Vollständig abgeschlossene (= beendete) Tatbeiträge können nicht mehr zugerechnet werden. Davon ist auszugehen, wenn der Hinzutretende den Erfolgseintritt nicht mehr fördern kann
− Eine bloße nachträgliche Billigung durch einen Beteiligten genügt nicht für die Erwei-terung des ursprünglichen Tatplans, vielmehr ist ein (konkludenter oder verbaler) Kommunikationsvorgang erforderlich

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5
Q

Versuchsbeginn bei der Mittäterschaft

A
  1. h.M. Gesamtlösung
    Sobald ein Mittäter zu seiner tatbestandlichen Ausführungshandlung dem gemeinsamen Tatplan entsprechend unmittelbar ansetzt, kann dies – als Folge des Prinzips der Gesamtzurechnung – allen anderen als Versuchshandlung zugerechnet werden.
    (+) Struktur der Mittäterschaft (Gesamtzurechnung): Zurechnung objektiver Merkmale unter arbeitsteilig agierenden Tätern. Daher erscheint es nur konsequent, auch den Eintritt ins Versuchsstadium wechselseitig zuzurechnen, denn alle Tatbeiträge sind so zu betrachten, wie wenn sie von einer Person erbracht werden.
  2. Einzellösung (Roxin)
    Entscheidend ist, wann der einzelne Mittäter zu seinem Tatbeitrag unmittelbar ansetzt.
    (+) Prinzip der Eigenverantwortlichkeit
    (-) Verlagert in manchen Fällen die Versuchsstrafbarkeit zu stark vor – nämlich wenn einer der Mittäter nur im Rahmen der Vorbereitung aktiv werden soll. (Das wiederum ist dann kein Problem, wenn man mit Teilen der Lit. Mittäterschaft ohnehin nur bei Leis-tung von Beiträgen im Ausführungsstadium der Tat annimmt)
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6
Q

sog. vermeintliche Mittäterschaft

A

Genügt es für Versuchsstrafbarkeit, dass sich der Täter ein unmittelbares Ansetzen des vermeintlichen Mittäters nur vorstellt?
1. BGH: Ja
Es liegt ein Fall des untauglichen Versuchs vor. Nach der Vorstellung des Täters setzt sein (vermeintlicher) Mittäter zur Tat an.
(+) Gem. § 22 ist bzgl. des unmittelbaren Ansetzens auf die Tätervorstellung von der Tat abzustellen

  1. h.L.: Versuchsstrafbarkeit nur bei eigenem Ansetzen
    Auch ein untauglicher Versuch setzt ein unmittelbares Ansetzen voraus. Setzt der Täter (wie hier) nicht selbst an, muss ihm das Ansetzen eines Anderen zurechenbar sein – da die Voraussetzungen des § 25 II objektiv nicht vorliegen, fehlt es hieran.
    (+) Um zurechnen zu können, müssen wenigstens die Voraussetzungen der Zurechnungsnorm vorliegen. Hier fehlt es aber objektiv an den Voraussetzungen einer Mittäterschaft. Die Zurechnung wird hier ersetzt durch den subjektiven Glauben daran.
    Nach BGH wäre ein Mittäter schon dann wegen Versuchs zu bestrafen, wenn er sich bloß vorstellt, dass der andere Mittäter unmittelbar ansetzt, dieser aber in Wirklichkeit gar nichts tut.
    Der BGH vernachlässigt daher die objektive Komponente des unmittelbaren Ansetzens (die hier ja fehlt). Folge: Bedenkliche Nähe zu Gesinnungsstrafrecht.
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7
Q

Vrss. mittelbare Täterschaft

A

B) Strafbarkeit des Hintermanns als mittelbarer Täter
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) besondere Tätermerkmale
b) keine eigenhändige Verwirklichung aller TB-Merkmale [= Ausgangspunkt für die weitere Diskussion]
c) Zurechnungsvoraussetzungen gem. § 25 I Var. 2

aa) kausaler Tatbeitrag: Einwirkungshandlung auf den Tatmittler

bb) Täterschaftliche Qualität dieser Einwirkung: Überlegener Wille des Hintermanns? Regelmäßig unstr. bei Strafbarkeitsdefizit („Defekt“) des Tatmittlers. Grds. aber an dieser Stelle zu behandeln: Streit zwischen Rspr. und Tatherrschaftslehre
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. aller Elemente des obj. TB (inkl. Tatherrschaftswille)
b) sonstige subj. TB-Merkmale
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld

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8
Q

Überblick: welche Defizite können die mittelbare Täterschaft begründen?

A

• Objektiver Tatbestand

  • Werkzeug handelt tatbestandslos (Bsp.: Suizid)
  • Werkzeug fehlt Tätereigenschaft, „qualifikationslos-doloses Werkzeug“ (str.)

• Subjektiver Tatbestand
- Werkzeug handelt ohne Vorsatz; „vorsatzlos-doloses Werkzeug“
- Werkzeug fehlt besondere Absicht, „absichtslos-doloses Werkzeug“ (str.)
• Rechtswidrigkeit: Werkzeug handelt gerechtfertigt / in Erlaubnistatbestandsirrtum (beachte: je nach Einordnung des Irrtums entfällt ggf. auch die [Vorsatz]Schuld!)

• Schuld
- Werkzeug ist nicht schuldfähig
- Werkzeug handelt entschuldigt
• darüber hinaus str.: „Täter hinter dem Täter“
-,Organisationsherrschaft
- vermeidbarer Verbotsirrtum des Handelnden (Katzenkönig-Fall)
- Werkzeug unterliegt einem für ihn unbeachtlichen error in persona (Dohna-Fall, Rose-Rosahl-Fall)
- Hintermann täuscht über Unrechts- und Schuldumfang

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9
Q

Unmittelbares Ansetzen des mittelbaren Täters

A

Unstr. Versuchsbeginn spätestens dann, wenn das Werkzeug zur Vornahme der Tatbestandshandlung unmittelbar ansetzt. Str. ist, ob unm. Ansetzen schon früher zu bejahen ist:

  1. Gesamtlösung
    Hintermann tritt ins Versuchsstadium ein, wenn Vordermann unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt.
    (+) Einwirkung des Täters und Verhalten des Tatmittlers bilden normative Einheit (Zurech-nungsstruktur; Parallele zur Gesamtlösung bei Mittäterschaft); Einschaltung eines Tatmittlers darf nicht zur Vorverlegung der Strafbarkeit führen; regelmäßig gerät Rechtsgut erst mit der Ausführungshandlung des Vordermanns unmittelbar in Gefahr
    (-) anders als Mittäterschaft ist mittelbare Täterschaft nicht durch arbeitsteiliges Vorgehen gekennzeichnet. Hier gibt es eigentlich nur einen Angreifer – den Hintermann. Deshalb ist auch auf diesen abzustellen.
  2. Strenge Einzellösung
    Hintermann tritt ins Versuchsstadium ein, wenn er zu der von ihm vorzunehmenden Einwirkungshandlung unmittelbar ansetzt.
    (+) Mittelbare Täterschaft ist im Gegensatz zur Mittäterschaft Alleintäterschaft. Tatbestandsmäßige Handlung ist die Einwirkung auf das Werkzeug, also muss Versuchsbeginn sich daran orientieren.
    (-) Zu starke Vorverlagerung; Solange Täter Einfluss nehmen kann, wird nach seiner Vorstellung von der Tat i.d.R. kein unmittelbares Ansetzen zur Deliktsverwirklichung vorliegen � § 22 (-).
  3. Modifizierte Einzellösung (h.M.)
    Abstellen auf den Moment, in dem aus der Sicht des Täters das betroffene Rechtsgut unwiederbringlich gefährdet ist. Wichtige Indizien: Hat mittelbarer Täter das Geschehen aus der Hand gegeben? Soll ohne wesentliche Zwischenschritte bzw. ohne längere Unterbre-chung das Rechtsgut gefährdet werden?
    (+) nach der Vorstellung des Hintermannes wird häufig nicht erst dann eine unmittelbare Gefährdung des Opfers eintreten, wenn der Vordermann (oder Tatmittler) zur Tat an-setzt, sondern schon früher.
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10
Q

Vrss. Anstiftung, § 26 StGB

A

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand

a) tatbestandsmäßige, rechtswidrige Haupttat
b) Anstifterhandlung: „Bestimmen zur Tat“
2. Subjektiver Tatbestand – „Doppelvorsatz“ (dolus eventualis genügt jeweils)
a) Vorsatz hinsichtlich der Vollendung (!) der tbm, rw Haupttat (genauer unten Fall 3)
b) Vorsatz hinsichtlich des Bestimmens
3. § 28 II (nur ansprechen, wenn besondere persönliche Merkmale eine Rolle spielen)

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. § 28 I (nur ansprechen, wenn besondere persönliche Merkmale)

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11
Q

Fallgruppe Risikoverringerung (Objektive Zurechnung)

A

Die Fallgruppe der Risikoverringerung im Rahmen der obj. Zurechnung wird unterschied-lich gehandhabt (vgl. Roxin: Kein Zurechnungsausschluss, wenn Täter Risiko nicht verringert, sondern durch ein anderes, weniger gewichtiges, ersetzt).

• Bloße Bremsung der Ursachenreihe ➡️ obj. Zurechnung (-)

Bsp.: A lenkt einen auf B zufliegenden Stein so ab, dass er B am Bein anstatt am Kopf trifft.

• Schaffung einer neuen Ursachenreihe ➡️ obj. Zurechnung (+), aber § 34

Bsp.: A verhindert, dass B durch einen Steinwurf verletzt wird, indem er ihn zur Seite stößt und dabei sein Hemd zerreißt.

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12
Q

Wie muss der Tatentschluss bei § 26 hervorgerufen werden?

A

Wie muss der Tatentschluss bei § 26 hervorgerufen werden?

Ansicht 1: jede Verursachung genügt, also z.B. auch die Schaffung einer sozial-inadäquat anreizenden Lage
(+) so können auch die mit subtileren Methoden arbeitenden, und daher besonders gefähr-lichen Täter als Anstifter erfasst werden.
(-) Anstifter wird „gleich einem Täter“ bestraft, also hohe Strafdrohung; Mit Wortsinn „bestimmen“ kaum vereinbar

Ansicht 2 (h.M.): Anstiftung verlangt Willensbeeinflussung durch geistigen Kontakt bzw. durch kommunikativen Akt mit hinreichend bestimmter Gedankenerklärung (auch konkludent möglich).
Bsp.: Überredungen, Anregungen, Belohnung, Drohung, Herbeiführung Motivirrtum, etc.
(+) Einschränkendes Erfordernis geistiger Beeinflussung durch kommunikativen Akt ergab sich zwingend aus § 48 a.F., der Modalitäten wie Versprechen, Drohung u. ä. nannte. An dieser Voraussetzung sollte durch § 26 n.F. nichts geändert werden. ; Wortlaut „Bestimmen“ spricht für irgendwie geartete Kommunikation ; Für erhöhte Anforderung an Qualität der Anstiftungshandlung spricht die im Vergleich zur (psychischen) Beihilfe höhere Strafdrohung („gleich dem Täter“).

Ansicht 3: Anstiftung verlangt gesteigertes Zusammenwirken von Anstifter und Täter im Sinne eines „Unrechtspaktes“
(+) Bestrafung des Anstifters „gleich einem Täter“
(-) Anforderungen an „Unrechtspakt“ unklar; Grenze zur Mittäterschaft wird verwischt

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13
Q

sog. agent provocateur

A

Behandlung der Tatprovokation durch polizeiliche Lockspitzel?

  1. Ansicht (EGMR ; Teil der Lit.): Prozesshindernis möglich
    (+)Präventionspflicht des Staates wird ins Gegenteil verkehrt, wenn er Unrecht provoziert. ; staatliche Tatprovokation verletzt Art. 6 I EMRK (Recht auf faires Verfahren) folglich besteht eine Pflicht zur Kompensation bis hin zur Annahme eines Prozesshindernisses.
  2. Ansicht (BGH): Strafzumessungslösung, also lediglich Strafmilderung
    (+) Provokateur darf nicht über staatlichen Strafanspruch disponieren können ; Auch sonst führen selbst schwerste Rechtsverstöße, etwa bei § 136a StPO nicht zu Pro-zesshindernis
  3. Lit: Strafausschließungsgrund in extremen Fällen, sonst wie BGH
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14
Q

Anforderungen an den Anstiftervorsatz bezüglich der Haupttat

A

Stufe 1 (allg. Meinung): Will der agent provocateur nur, dass die Haupttat ins Stadium des Versuchs gelangt, liegt kein ausreichender Vorsatz vor. Grund: Strafgrund der Teilnahme (Mitverursachung der Rechtsgutsverletzung) nicht erfüllt.

Stufe 2: Strittig ist aber, wie weit darüber hinaus der Bereich der Straflosigkeit zu ziehen ist:

  1. Ansicht: keine weiteren Voraussetzungen (Theorie der formellen Vollendungsgrenze)
    (+) Anbindung an Gesetzesvorgaben (Vollendung ergibt sich aus Tatbeständen)
    (-) kriminalpolitisch oft sinnvoll, Vollendung abzuwarten, um Täter überführen zu können
  2. Ansicht: Vorsatz bzgl. Beendigung nötig (Theorie der materiellen Vollendungsgrenze)
    (+) kriminalpolitisches Argument von oben
    (-) Beendigung oft schwer feststellbar, deshalb unsichere Grenzziehung
  3. Ansicht (h.M.): Theorie der irreparablen Rechtsgutsverletzung Vorsatz (+), wenn Anstifter dem Rechtsgutsinhaber Schaden zufügen will (etwas weiter als Ansicht 2, da Vorsatz gerade bzgl. irreparabler Schädigung des Rechtsguts gefordert wird)
    (-) schwer bestimmbare Grenzziehung
    (+) bei sicherer Beherrschung des Geschehens auch keine Einbuße im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz • Einsatz von Lockspitzeln zur Kriminalitätsbekämpfung wird nicht unnötig eingeschränkt
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15
Q

Vrss. Beihilfe, § 27 StGB

A

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand

a) teilnahmefähige (= vorsätzliche und rechtswidrige) Haupttat
b) Hilfe leisten (=physisches oder psychisches Fördern der Haupttat)
2. Subjektiver Tatbestand: („Doppel-„) Vorsatz bzgl.
a) teilnahmefähiger Haupttat
b) Hilfeleisten

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld

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16
Q

Anforderungen an die Hilfeleistung bei § 27

A

Ansicht 1 (Rspr., Teil der Lit.): Reine Förderung genügt
Es genügt, dass die Handlung des Haupttäters (egal ob mit dessen Wissen) irgendwie tatsächlich gefördert, u.U. auch nur erleichtert wurde
Bsp.: Auch erfasst: Von dem Gehilfen gelieferter Nachschlüssel wird mitgeführt, aber für Einbruch nicht benö-tigt, weil Fenster offen steht
Beachte aber: In vielen Fällen, in denen die Rspr. betont hat, dass keine Kausalität erforderlich sei, lag diese in Wirklichkeit sogar vor, weil bei der Kausalitätsbestimmung hypotheti-sche Kausalverläufe (wie immer) nicht hinzugedacht werden dürfen.
Bsp.: Gehilfe trägt dem Dieb die Leiter, die dieser auch selbst hätte tragen können – für das konkrete Erschei-nungsbild der Tat war der Beitrag des Gehilfen (sogar) kausal!
(+) Wortlaut: § 27 spricht nur von Hilfeleisten; Kausalbeziehung sei Grundlage einer (Erfolgs-)Zurechnung; da Gehilfe kein Täter ist, müsse ihm aber nichts zugerechnet werden; Ob Täter auf den vom Gehilfen geleisteten Beitrag tatsächlich angewiesen ist, hängt letztlich vom Zufall ab und soll deshalb nicht über Strafbarkeit entscheiden.

Ansicht 2 (h.L.): Kausalität erforderlich
Der Tatbeitrag des Gehilfen muss kausal für die Tat geworden sein. Oft wird zwar gesagt, dass die conditio-sine-qua-non-Formel hier nicht passe; stellt man jedoch konsequent auf die Verursachung der Tat in ihrer konkreten Erscheinungsform ab, erscheint dies nicht zwingend (s. das obige Bsp.).
Bsp.: Nicht erfasst: Von dem Gehilfen gelieferter Nachschlüssel wird mitgeführt, aber für Einbruch nicht benö-tigt, weil Fenster offen steht
(+) Strafgrund der Teilnahme ist der akzessorische Rechtsgutsangriff durch Mitverursachung der Haupttat.; Wortlautargument der Rspr. überzeugt nicht: Handlung des Täters zielt auf Tatbestandsverwirklichung, also kann sie nur durch ein Verhalten gefördert werden, das sich ebenfalls auf die Verwirklichung des Tatbestands auswirkt. ; Verzicht auf Kausalität umgeht Straflosigkeit der versuchten Beihilfe.

Ansicht 3: Risikoerhöhungslehre (a.A. innerhalb Lit.): Der Gehilfenbeitrag muss das Risiko des Erfolgseintritts erhöhen.

Bsp.: Erfasst: Gehilfe begleitet Täter zum Tatort, muss dort aber nicht eingreifen, weil Täter die Lage auch allein im Griff hat.
(-) Beihilfe wird in Gefährdungsdelikt umgedeutet, das findet weder eine Stütze im Wort-laut noch im Strafgrund der Teilnahme (Mitverursachung der Haupttat).

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17
Q

Anforderungen an das Hilfeleisten bei psychischer Beihilfe

A

Ausgangspunkt: Unstr. ist psychische Beihilfe bei der Erteilung von Ratschlägen anzunehmen, wenn sich diese auf die Tat auswirken. Str. ist die Annahme psychischer Beihilfe, wenn nur der Tatentschluss bestärkt wird.

e.A.: Voraussetzung ist zumindest Intensivierung des Tatentschlusses Erforderlich ist eine Modifizierung des äußeren Tatbildes (bspw. durch Anfeuerungsrufe, die Täter zu stärkeren Verletzungen ermutigen).

dafür: • Wortlaut: Gefördert werden muss die Tat, nicht der Täter.

• Abgrenzung von strafloser versuchter und vollendeter Beihilfe wird sonst verwischt.

h.M.: Ausreichend ist auch Stabilisierung des Tatentschlusses Erscheinungsbild der Tat muss sich nicht ändern, es genügt, wenn Entschluss dazu gefes-tigt wird, bspw. durch Lieferung weiterer Motive.

dafür: • Wortlautargument der a.A. überzeugt nicht: Förderung des Täters und Förderung der Tat lassen sich nicht wirklich trennen.

• Wahrscheinlichkeit, dass Tat begangen wird, erhöht sich, dadurch wird zusätzliches Risiko für Opfer geschaffen – Strafgrund der Teilnahme passt daher.

Beachte:

Es genügt nach allg. Meinung nicht eine für den Tatentschluss irrelevante Billi-gung/Zustimmung (= bloße Gesinnungsbekundung), ebensowenig die bloße Kenntnisnah-me oder eine rein passive Anwesenheit (sonst würde Unterlassen in Tun umgedeutet und Erfordernis einer Garantenpflicht umgangen)

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18
Q

Nach wessen Sichtweise bestimmt sich die Verbrechensqualität i.S.d. § 30?

A

Bsp.: O verlangt ernstlich von A, sie zu töten. A versucht vergeblich, T zur Tötung der O zu bewegen, aller-dings ohne T vom Verlangen der O zu berichten. Strafbarkeit des A?

Aus der Sicht des A stellt sich die Tat lediglich als Tötung auf Verlangen dar (§ 216), die nur Vergehen ist. Aus Sicht des potenziellen Haupttäters T wäre die Tat allerdings als Verbrechen (Totschlag, ggf. auch Mord) zu bewerten, da er vom Verlangen der O keine Kenntnis hatte. => ?

Ansicht 1: (BGH)
relevant ist Verbrechenseigenschaft der Tat für den (gewünschten) Haupttäter

(+) Zweck des § 30, Vorfeldhandlungen zu besonders gefährlichen Taten zu bestrafen

Ansicht 2: (h.Lit)
relevant ist die Verbrechenseigenschaft der Tat für den Anstifter

(+) volle Geltung des § 28 II auch bei der versuchten Anstiftung und damit keine Widersprüche zwischen versuchter und vollendeter Anstiftung

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19
Q

Vrss. versuchte Anstiftung § 30 I

A

Vorprüfung
1. Nichtvollendung der Anstiftung
2. Strafbarkeit der versuchten Anstiftung: nur bei Verbrechen, § 30 I
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Tatentschluss
a) Vorsatz zumindest hinsichtlich der Vollendung (!) der tbm, rw Haupttat

b) Vorsatz hinsichtlich des Bestimmens
2. unmittelbares Ansetzen zur Anstiftung

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld

IV. Rücktritt nach § 31 I Nr. 1 oder II

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20
Q

Vrss. § 30 II

A

I. Tatbestand

  1. Objektiver Tatbestand
    a) Bezugstat: Endgültig und konkret geplantes Verbrechen
    b) Tathandlung: Vorbereitungshandlung in Form
    - des Sich-Bereit-Erklärens oder
    - des Annehmens des Erbietens oder
    - der Verabredung,

ein Verbrechen täterschaftlich zu begehen oder dazu anzustiften

  1. Subjektiver Tatbestand: Erfolgswille bzgl. der Tat und Wille zur Beteiligung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Rücktritt nach § 31 I Nr. 2, 3 oder II

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21
Q

Vrss. Notwehr

A
  1. Objektive Voraussetzungen
    a) Notwehrlage: gegenwärtiger rechtswidriger Angriff
    b) Notwehrhandlung
    - gegen den Angreifer gerichtet
    - erforderlich = geeignet und relativ mildestes Mittel
    - geboten
  2. Subjektive Voraussetzung
    = Kenntnis der Notwehrlage / Verteidigungswille
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22
Q

Grundgedanken der Notwehr

A

§ 32 gewährt dem Verteidiger ein sehr weitreichendes Eingriffsrecht in Rechtsgüter des Angreifers. Dieses „schneidige“ Notwehrrecht lässt sich damit begründen, dass in § 32 zwei Grundgedanken verwirklicht sind:
o Individualschutz: = Schutzrecht des Einzelnen, Folge: Nur Individualrechtsgüter sind notwehrfähig.

o Rechtsbewährung (Gedanke der Generalprävention): Der Verteidiger handelt (stellvertretend) für die Gemeinschaft der Rechtstreuen und das Notwehrrecht soll auch in Abwesenheit von Staatsorganen von Unrecht abschrecken („Recht braucht Unrecht nicht zu weichen“). Folge: Grundsätzlich keine Güterabwägung

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23
Q

Nothilfe

A

Das angegriffene Rechtsgut kann sowohl dem Verteidiger selbst (Notwehr) als auch einem Dritten (Nothilfe) zustehen. Für die Nothilfe sind ebenfalls nur Individualrechtsgüter relevant, bei Angriffen auf Kollektivrechtsgüter ist insoweit der Staat zur Sicherung berufen.

zusätzlich zu prüfen, ob kein Fall der „aufgedrängten Nothilfe“ vorliegt: Möchte der Rechtsgutsinhaber den Angriff nicht abwehren oder sich selbst verteidigen, so fehlt es an der Gebotenheit der Notwehrhandlung des Nothelfers

Notwehrvoraussetzungen und Einschränkungen sind allein im Verhältnis Angreifer – Angegriffener zu ermitteln

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24
Q

Fallgruppen fehlende Gebotenheit der Notwehr

A
  • Krasses Missverhältnis zw. verteidigtem und geopfertem Rechtsgut und absolute Bagatellangriffe
  • Angriffe von Kindern, ersichtlich Irrenden, sonst schuldlos Handelnden: Trutz-wehr ist hier nur unter größtmöglicher Schonung des Angreifers zulässig. Häufiger Fehler: Es kommt nicht darauf an, ob Schuldlosigkeit für den Verteidiger erkenn-bar ist. Fehlt es hieran, kommt aber Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht.
  • enge familiäre Beziehung / Angriff innerhalb Garantenbeziehungen: Grund: Ga-rantenstellung i.S.d. § 13 verpflichtet zu Erfolgsabwendung und steht in unmittel-barem Gegensatz zum Eingriffsrecht auf Grund von § 32. Konsequenz – Stufenfol-ge: Ausweichen, Schutzwehr, nur als ultima ratio u.U. tödliche Schutzwehr.
  • Aber: Neuere Tendenz in Lit. (s. auch BGH JZ 2003, 50): Dies droht dazu zu füh-ren, dass der drangsalierte Ehepartner ein gewisses Maß an Misshandlungen nur wegen familiärer Beziehung hinnehmen müsste (bislang h.M.: nur bei intensiven Misshandlungen entfällt Einschränkung des Notwehrrechts) � Tendenz zu Abkehr von Einschränkung des Notwehrrechts auf Grund enger familiärer Beziehung.
  • Notwehrprovokation (s. sogleich): Wird teils nicht über die Gebotenheit gelöst, sondern über eine Verneinung des subjektiven Rechtfertigungselements oder über die Figur der sog. actio illicita in causa, bei der ähnlich dem Gedanken der actio libera in causa (dort bzgl. der Schuld) auf das rechtswidrige provozierende Vorver-halten als Tathandlung abgestellt wird: Wer gezielt einen Angriff provoziert, um dann im Schutz des Notwehrrechts eine Verletzungshandlung zu begehen, soll sich nicht auf die formale Rechtmäßigkeit seines Tuns zum Zeitpunkt der Verletzung berufen können
  • Art. 2 II EMRK: Relevanz bei „absichtlicher“ Tötung zur Verteidigung von Sach-werten (vgl. Wortlaut des Abs. 2); aber h.M.: Art 2 betr. nur Verhältnis Staat – Bür-ger (sehr str.).
  • Folterverbot
  • Aufgedrängte Nothilfe (soweit nicht schon Erforderlichkeit verneint)
  • Erpressungsangriff / Chantage: Sonderproblem der Notwehr gegen die Schwei-gegelderpressung (= „Chantage“). Nach h.M. (mit verschiedenen Begründungen) hat Erpressungsopfer gegenüber Erpresser, der z.B. droht, diskreditierende Fotos zu veröffentlichen, nur eingeschränktes Notwehrrecht: Wird z.T. als Fallgruppe fehlender Gebotenheit angesehen , aber in der neue-ren Literatur eher bei der Erforderlichkeit diskutiert (Einschaltung der Polizei für Erpressten i.d.R. zumutbar, Geheimhaltungsinteresse bzgl. wahrer Tatsache nicht ohne Weiteres schutzwürdig). S. auch BGHSt 48, 207, wo zumindest bei „gemischter Drohkulisse“ aus Schutz- und Schweigegelderpressung eine Notwehreinschränkung verneint wurde.
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25
Q

Behandlung der Notwehrprovokation

A

I. Lehre von der Actio illicita in causa
II. Dagegen heute ganz hM: Einschränkung Notwehrrecht
Anknüpfung beim Merkmal der Gebotenheit, zwei Fallgruppen :

  1. Absichtsprovokation
    Objektive Anforderungen: Jeder Verursachungsbeitrag, ausreichend sind auch Sticheleien unterhalb der Schwelle des § 185; subjektive Anforderungen: Absicht, eigene Notwehrlage herbeizuführen. Die Konsequenzen sind umstritten:
    hM: gänzlicher Wegfall Notwehrrecht
    aA: abgestuftes Notwehrrecht (erst Schutz-, dann Trutznotwehr)
  2. In sonstiger Weise vorwerfbares Verhalten
    ➡️ nur eingeschränktes Notwehrrecht, Maß der Einschränkung bemisst sich nach Grad der Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens. Grundsätzlich: „3-Stufen-Theorie“:
  • Ausweichen
  • (nur wenn Ausweichen nicht möglich) Schutzwehr, d.h. bloße Abwehr der aktuellen Angriffshandlung, z.B. durch Parieren eines Schlages, Drohung mit Waffe
  • (nur wenn Schutzwehr nicht ausreichend) Trutzwehr, d.h. Gegenangriff zur Unterbindung weiterer Angriffshandlungen
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26
Q

Sonst vorwerfbare Notwehrprovokation

A

Sonst vorwerfbare Notwehrprovokation

  1. überwiegende Literaturansicht: Rechtswidrigkeit des Vorverhaltens erforderlich (auch nach dieser Ansicht kommt es aber nicht darauf an, ob das Vorverhalten auch strafbar ist).
    (+) Klares Kriterium, gerade das schneidige Notwehrrecht sollte nicht von so unscharfen Kriterien wie der sozialen Missbilligung abhängen.
  2. Rechtsprechung: Schon „sozialethisch missbilligtes Verhalten“, das „seinem Gewicht nach schwerer Beleidigung“ gleichkommt, genügt. Voraussetzung ist aber, dass zwischen der Provokation und dem provozierten Angriff ein enger räumlich-zeitlicher Ursachenzusammenhang besteht und dass der Provokateur Kenntnis davon hatte, dass sein Verhalten geeignet war, einen Angriff auszulösen (= objektiver und subjektiver Provokationszusammenhang).
    (-) Kriterien zu unklar; Nur Verstoß gegen das Recht führt dazu, dass Täter sich insgesamt nicht mehr auf Rechtsbewährung berufen kann.
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27
Q

Angriff i.S.d. § 32 durch Unterlassen?

A
  1. Ansicht (h.M.): Ja, aber nur, wenn Garantenpflicht des Unterlassenden besteht.
    (+) Wenn auf Tatbestandsebene Unterlassen nur bei bestehender Garantenpflicht mit Tun gleichgestellt wird, so muss dies auch bei Rechtfertigungsvoraussetzung („Tatbestandsvoraussetzung des Erlaubnistatbestands“) der Fall sein.
  2. Ansicht: Immer, also auch bei Jedermann-Rechtspflicht wie bei § 323c.
    (-) Echtes Unterlassen ist nur als Verletzung der allg. Hilfspflicht (nur Allgemeingut) und nicht als handlungsgleiche Verletzung des hier beeinträchtigten Rechtsguts (körperli-che Integrität des Unfallopfers) strafbar, kann daher auch keinen Angriff darstellen
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28
Q

Subjektives Rechtfertigungselement

A

Problem 1: Ist ein subjektives Rechtfertigungselement überhaupt erforderlich?

Heute allgemeine Meinung: Ja Vollständige Rechtfertigung kommt nur in Betracht, wenn sich der Täter zumindest der Rechtfertigungslage bewusst war (zum Streit um weitere Voraussetzungen s.u.).

dafür: • Das Unrecht des Vorsatzdelikts wird durch den objektiven Tatbestand (Erfolgsunrecht) und den subjektiven Tatbestand (Handlungsunrecht) gekennzeichnet.

• Das objektive Vorliegen einer Rechtfertigungslage mag zwar das Erfolgsunrecht aus-gleichen, bei Unkenntnis des Täters von der Situation kann aber zumindest das Hand-lungsunrecht nicht kompensiert werden.

Problem 2: Welche Anforderungen sind an das subj. Rechtfertigungselement speziell im Rahmen des § 32 zu stellen?

  1. Ansicht (Rspr.): Verteidigungswille, wobei dieser nicht das einzige Motiv darstellen muss, solange er nicht ganz „zurücktritt“.

dafür: • Wortlaut § 32: „um einen Angriff abzuwehren“.

  1. Ansicht (Roxin und h.Lit.): Kenntnis der Notwehrsituation genügt.

dafür: • „Zurücktreten“ eines entsprechenden Willens ist nicht prozessual feststellbar.

• Verlangt man mehr als Kenntnis, gelangt man zu Gesinnungsstrafe, weil bestraft wird, nur weil der Betreffende nicht in Notwehr etc. handeln wollte.

Ergänzender Hinweis: Wegen der geringen Anforderung, die Rspr. an Verteidigungswillen stellt, sind hier kaum ergebnisrelevante Unterschiede vorstellbar.

Problem 3: Was ist die Folge, wenn das subj. Rechtfertigungselement fehlt?

  1. Ansicht: Vollendungslösung
    Der Täter wird wegen vollendeten Delikts bestraft.
    (+) Derjenige, der sich in Angriffsabsicht gegen das Recht wendet und so gerade auch den Taterfolg herbeiführt, kann nur aus vollendetem Delikt strafbar sein.
  2. Ansicht: Versuchslösung bzw. entsprechende Anwendung der Versuchsregeln. Ist der Versuch nicht mit Strafe be-droht, führt dies zur Straflosigkeit.
    (+) Das Vorliegen einer Rechtfertigungslage kompensiert das vom Täter herbeigeführte Erfolgsunrecht. Übrig bleibt das Handlungsunrecht, das ohne Kenntnis der Rechtfertigungslage nicht ausgeglichen werden kann. Eine solche Konstellation (volles Hand-lungsunrecht / fehlendes Erfolgsunrecht) entspricht aber dem Unrecht des Versuchs)

• Die Tatsache, dass der Täter den Erfolg herbeiführt, ist kein Argument für eine Vollendungsstrafbarkeit, da dies auch in Fällen vollständiger Rechtfertigung gegeben ist.

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29
Q

Vrss. Notstand, § 34 StGB

A
  1. Objektive Voraussetzungen
    a) Notstandslage: gegenwärtige Gefahr für notstandsfähiges Rechtsgut

b) Notstandshandlung:
- Erforderlichkeit: geeignetes und relativ mildestes Mittel
- Interessenabwägung
- Angemessenheit [kann auch nach dem subj. Element geprüft werden
2. Subjektive Voraussetzung (= subjektives Rechtfertigungselement)

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30
Q

Notstandslage

A

Notstandsfähiges Rechtsgut: Rechtsgüter aller Art (egal, ob Individual- oder Allge-meinheitsrechtsgüter, unabhängig von ihrem Schutz durch strafrechtliche Vorschrif-ten), des Täters (Notstand) oder eines Dritten („Notstandshilfe“ – aber dabei unzuläs-sig: Aufgedrängte Notstandshilfe, vgl. Parallele bei § 32).

  • Gefahr für Rechtsgut, wenn aus der Sicht eines objektiven Beobachters, dem auch ein etwaiges Sonderwissen des Notstandstäters zugrunde zu legen ist, der Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens nicht ganz unwahrscheinlich erscheint.
  • Gegenwärtigkeit der Gefahr, wenn mit Eintritt/Intensivierung des Schadens ernstlich zu rechnen ist, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (zeitliches Krite-rium). Also:

o Schadenseintritt in allernächster Zeit möglich (Normalfall)
o Schadenseintritt jederzeit möglich (Dauergefahr i.e.S.)
o Schadenseintritt droht erst nach Ablauf einer gewissen Zeit, eine wirksame Scha-densverhinderung erfordert aber sofortiges Tätigwerden (Dauergefahr i.w.S.,)

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31
Q

Notstandshandlung

A

a) Erforderlichkeit
• Geeignet ist diejenige Abwehrhandlung, die eine sofortige Beendigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lässt und deren endgültige Beseitigung am besten gewährleistet.
• Die Handlung muss aus Sicht eines obj. Betrachters das relativ mildeste Mittel zur Abwendung der Gefahr sein. Dafür darf es keine anderen geeigneten, gleich wirksamen Mittel geben, die weniger einschneidend sind. Ausweichmöglichkeiten und erreichbare obrigkeitliche Hilfe sind vorrangig (im Gegensatz zur Notwehr).

b) Interessenabwägung – Prüfung in zwei Schritten:
• Ausgangspunkt ist abstraktes Rangverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter zueinander. Orientierung: Reihenfolge in § 34, grundgesetzliche Wertung, Strafrahmen. Achtung: Rechtsgut Leben nicht abwägbar!
• Zweiter Schritt: Entscheidend ist konkrete Abwägung der Interessen. Kriterien:
o Grad der drohenden Gefahren (insoweit auch minimale gegen ganz hohe Lebensgefährdung abwägbar)
o Ausmaß drohender Rechtsgutsverletzungen
o Größe der Rettungschance
o Verhalten beteiligter Personen, z.B. schuldhafte Herbeiführung der Notstandslage. Bei Absicht kein § 34, da kein Anspruch auf Solidarität. Bei sonstigem Verschulden: Reduzierte Eingriffsbefugnisse
o Gefahrtragungspflichten
o Blick auf die Rechtsordnung insgesamt: Sprechen allgemeine Rechtsprinzipien / höchste Rechtswerte gegen eine nach obigen Kriterien möglichen Rechtfertigung?
Bsp.: Mittelloser Schwerkranker darf nicht einen Millionär bestehlen, um an Geld für eine lebensrettende OP zu kommen; dies ist Aufgabe der Sozialgemeinschaft.

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32
Q

Handeln auf dienstliche Weisung

A

Unterscheide verbindliche und unverbindliche Weisungen:

• Weisungen sind grds. verbindlich. Dies gilt in Ausnahmefällen auch bei rechtswidriger Weisung (etwa zur Begehung einer OWi), vgl. z.B. § 11 II SoldG. Handeln aufgrund verbindlicher Weisung ist gerechtfertigt.

• Weisungen sind u.a. dann unverbindlich, wenn durch ihre Ausführung eine Straftat begangen, die Menschenwürde verletzt oder gegen allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts verstoßen würde (vgl. z.B. § 11 II SoldG)
Handeln auf unverbindliche Weisung ist dann aber Entschuldigungsgrund, wenn der Handelnde sie als verbindlich angesehen hat, die Unverbindlichkeit für ihn nicht hin-reichend erkennbar war und die Strafbarkeit des Handelns nicht erkennbar war (beachte allerdings die Privilegierung von Soldaten, hier ist Entschuldigung nur ausgeschlossen, wenn die Strafbarkeit offensichtlich erkennbar war, § 11 II 2 SoldG, § 5 I WStG)

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33
Q

Wann sind Handlungspflichten gleichwertig?

A

Im Grundsatz gilt: Das Rangverhältnis der Pflichten beurteilt sich
• nach der Nähe der Gefahr, der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (hier in allen Fällen identisch)
• nach dem Wert der gefährdeten Güter (ebenso)
• nach der rechtlichen Stellung des Normadressaten zum geschützten Objekt

Umstritten ist die Frage, ob es einen Unterschied macht, dass bereits zur Rettung des einen Opfers angesetzt wurde die Frage der schuldhaften Verursachung der Gefahr

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34
Q

Vrss. § 127 I StPO

A

A) Objektive Voraussetzungen

I. Festnahmelage

  1. Berechtigter iSd § 127 I: Jedermann, also Personen der Polizei, der StA und Privatpersonen (nicht notwendig durch Tat Verletzter)
  2. Festnahmesituation: Auf frischer Tat betroffen oder verfolgt
    a) Tat i.S.v. § 127 ist eine Straftat (auch Versuch, wenn strafbar, § 23 I StGB), die zum Erlass eines Haftbefehls (§ 112 StPO) oder Unterbringungsbefehl (§ 126 a StPO) berechtigen würde.
    b) auf frischer Tat betroffen ist, wer bei der Begehung der Tat oder unmittelbar danach am Tatort oder dessen unmittelbarer Nähe gestellt wird (örtlicher u. zeitlicher Zusammenhang zur Tat“)
  3. Festnahmegründe:
    a) Fluchtgefahr: Voraussetzungen von § 112 II Nr. 2 StPO nicht erforderlich, genügend nach er-kennbaren Umständen des Falles unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrung Annahme ver-nünftigerweise gerechtfertigt, dass Betroffene sich der Verantwortung durch Flucht entzieht.
    b) Unmöglichkeit der Identitätsfeststellung: An Ort und Stelle nicht möglich ohne Vernehmung / weitere Nachforschung

II. Festnahmehandlung

Alle zur Festnahme unmittelbar erforderlichen Handlungen: Nötigung und Festnahme (+); Körperverlet-zung (+), soweit zur Festnahme erforderlich; NICHT aber ernsthafte Beschädigung der Gesundheit; Durchsuchung (-); Gezielter Schusswaffengebrauch (-) (s. Beulke, StPO Rn. 237, str.)

B) Subjektive Voraussetzungen Kenntnis bzgl. Festnahmelage und Zweck, Täter der Strafverfolgung zuzufüh-ren (Festnahmewille)

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35
Q

Erziehungs- und Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund

A

Nach Neufassung des § 1631 II BGB ist str., inwieweit das Erziehungs- bzw. Züchtigungsrecht noch als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden kann:
o Bzgl. Körperverletzungen ist dies grundsätzlich zu verneinen.
Aber: Nach wohl h.M. muss Spielraum für maßvolle erzieherische Maßnahmen bleiben, auch wenn diese unter einen Straftatbestand wie § 223 subsumiert werden könnten, Bsp.: „Klaps“ auf den Hintern. Begründung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz / verfassungskonforme Reduktion des Tatbestands (Art. 6 I GG!) oder Rechtfertigung, da diese Maßnahmen keinen entwürdigenden Charakter haben, so dass § 1631 II BGB nicht entgegensteht.

o Bzgl. anderen Tatbeständen, die dürfte dieser Rechtfertigungsgrund weiter rele-vant sein – Bsp.: Eltern nehmen dem 12jährigen Sohn ein Playboy-Heft ab, das ihm von einem älteren Kumpel geschenkt wurde und werfen es weg (§ 303) oder wol-len es selbst behalten (je nach Fallgestaltung §§ 242 / 246).

  • Nach Ansicht aller wäre unzulässig: Zufügung blutender Wunden; Schläge mit Rohr-stock auf nackten Po, ungewöhnlich starke Ohrfeigen gegenüber 14-Jähriger, die zwei Wochen blutunterlaufene Backen hat
  • Jedenfalls kein Züchtigungsrecht besitzen Dritte (z.B. Lehrer).
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36
Q

BAK Faustregeln der Rechtsprechung

A

(!) bloße Indizien, stets Einzelfallprüfung (!)

  • BAK unter 2,0 ‰: es ist regelmäßig von der vollen Schuldfähigkeit auszugehen
  • BAK von 2,0 bis 3,0 ‰ (bei Tötungsdelikten ab 2,2‰, hier spielt auch die sog. „Hemmschwellentheorie“ der Rspr. eine Rolle, s. auch Einheit 7): Evtl. verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21, bei verschuldeter Trunkenheit aber i.d.R. zu verneinen, da § 21 eine bloße „Kann“-Regelung ist (vgl. BGH 3. Senat, NStZ 2003, 597).
  • BAK ab 3,0 ‰ (bei Tötungsdelikten und anderen schweren Straftaten erst ab 3,3‰): Schuldunfähigkeit ist hier regelmäßig nicht mehr auszuschließen.
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37
Q

Prüfung actio libera in causa

A

I. Prüfung der actio subsequens
- Diskussion des Ausnahmemodells in der Schuld
Als Ausnahme zu § 20 (zeitliche Koinzidenz zwischen Unrecht und Schuldvorwurf) wird für den Fall der vorsätzlichen alic auf die Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt verzichtet. Es ge-nügt die schuldhafte Setzung der Ursache des Sich-Betrinkens.
(+) Gewohnheits- und richterrechtliche Anerkennung der alic Figur, die auch dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 20 bekannt war und durch ihn nicht beseitigt werden sollte ; im Allgemeinen Teil gilt das Gesetzlichkeitsprinzip nur eingeschränkt (str.) ; teleologische Reduktion des § 20 soll Rechtsmissbrauch verhindern
(-) Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG, § 1 StGB), das auch für AT gilt, ist verletzt, da das Ausnahmemodell entgegen dem Wortlaut des § 20 zu einer Strafbarkeit gelangt; strafbarkeitsbegründendes Gewohnheitsrecht verstößt gegen Art. 103 II GG; außerdem ist die Figur seit jeher sehr umstr., so dass von einer ständigen Übung in Rechtsüberzeugung (Voraussetzung für Entstehen von Gewohnheitsrecht), keine Rede sein kann

II. Prüfung der actio praecedens
- bei objektiver Zurechnung oder Schuld:
h.M.: Tatbestandsmodell / Vorverlagerungsmodell
Von den meisten Vertretern dieser Ansicht wird als Beginn der Tatbestandsverwirklichung bereits die – im Zustand der Schuldfähigkeit erfolgende – Herbeiführung des Defektzustandes herangezogen. Anders als beim Ausnahmemodell ist tatbestandliches Verhalten also die Herbeiführung der Schuldunfähigkeit (actio praecedens), nicht die Tat, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wird (actio subsequens).

Die Anwendung der alic auf eigenhändige Delikte (bzw. verhaltensgebundene/reine Tätig-keitsdelikte) wie § 315 c StGB wird mit dieser Konstruktion abgelehnt (BGH, s.u. Fall 8).

(+) Wahrung des Koinzidenzprinzips, weiter Begriff der „Begehung der Tat“ in § 20 StGB, dadurch Wortlautgrenze nicht überschritten
• auch in anderen Konstellationen (z.B. Schreiben eines beleidigenden Briefes, der erst Tage später beim Opfer ankommt) muss nicht während der gesamten Begehungsphase die Schuldfähigkeit gegeben sein
• z.T.: Vergleich mit Situation der mittelbaren Täterschaft, wobei der schuldlos handeln-de Täter gleichsam sein eigenes Werkzeug ist (� daraus folgt eine Einschränkung hin-sichtlich eigenhändiger Delikte, da bei diesen eine mittelbare Täterschaft ausscheidet)
• es gilt, Strafbarkeitslücken zu vermeiden, ohne Art. 103 II GG zu verletzen

(-) das Herbeiführen eines Defektzustandes ist etwas anderes als die Tatbegehung (z.B. Sich-Berauschen ist nicht Töten); warum sollte „Begehung der Tat“ in § 20 StGB ab-weichend von §§ 8, 16, 17 StGB zu verstehen sein?

  • Straftat beginnt frühestens mit unmittelbarem Ansetzen (§ 22), was aber mit dem Sich-Berauschen noch nicht bejaht werden kann, sondern erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur tatbestandlichen Ausführungshandlung
  • wegen § 323a entstehen regelmäßig keine Strafbarkeitslücken
  • es ist Aufgabe des Gesetzgebers, eine mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbare Figur in das Strafrecht einzuführen
  • der z.T. angestellte Vergleich mit mittelbarer Täterschaft hinkt, da § 25 I 2. Alt voraus-setzt, dass „ein anderer“ die Tat begeht. Die Person des Täters bleibt jedoch identisch.
  1. Unvereinbarkeitstheorie: Die alic ist mit dem geltenden Recht unvereinbar.

(+) Gegenargumente bei beiden vorgenannten Theorien

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38
Q

Voraussetzungen Notwehrexzess § 33 StGB

A

III. Schuld: Notwehrexzess nach § 33?

  1. Vorliegen einer Notwehrlage; Problem: extensiver Notwehrexzess
  2. Asthenischer Affekt, der (mit-) kausal für konkrete Handlung ist
    = (auf Schwäche beruhende) Affekte: “Verwirrung, Furcht oder Schrecken”
    - sog. sthenische Affekte, d.h. auf Stärke beruhende Gemütsregungen (z.B. Wut, Kampfeslust), sind
    - müssen nicht einziges Motiv, nicht einmal vor-herrschend in einem Motivbündel sein; dürfen aber wiederum nicht lediglich völlig nebensächliche Motivation sein
  3. Überschreiten der Grenzen der Notwehr: Mangelnde Erforderlichkeit
  4. Str.: Einschränkungen, die aus Erwägungen der Gebotenheit der Notwehr folgen?
  5. Str.: Verteidigungswille
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39
Q

dolus eventualis

A

Billigungstheorie / Ernstnahmetheorie:

Erforderlich für bedingten Vorsatz ist nach h.Lit., dass der Täter den Erfolgseintritt als möglich voraussieht, diese Möglichkeit auch ernst nimmt, sich aber damit abfindet und weiter handelt.

Die Rspr. stellt dagegen auf ein „billigendes In-Kauf-Nehmen“ ab. In der Sache ergeben sich aber kaum Unterschiede, da der BGH „billigen“ im Rechtssinn versteht, vgl. BGHSt 7, 363, 369 („Lederriemenfall“): „Im Rechtssinne billigt er diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles Willen, notfalls, d.h. sofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, dass seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will“.

Faustformel: Wenn Täter auf Ausbleiben des Erfolgs vertraut („wird schon gut gehen“) bewusste Fahrlässigkeit, andernfalls („na wenn schon“) bedingter Vorsatz

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40
Q

Objektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung

A

Objektiv voraussehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegebenen Umständen auf Grund der all-gemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.

• Umfang der Voraussehbarkeit:

o der Erfolg in seiner konkreten Gestalt (bei schlichten Tätigkeitsdelikten muss die Tatbestandsverwirklichung als solche erkennbar sein)

o der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Grundzügen

  • Maßstab: ex-ante-Betrachtung auf der Grundlage der dem Täter in der Tatsituation bekannten und erkennbaren Umstände
  • Beachte: Aus dem eben Dargestellten ergibt sich, dass objektive Voraussehbarkeit und objektive Sorgfaltspflichtverletzung zwar verschiedene Fragestellungen, aber keine iso-liert zu betrachtenden Kriterien sind, sich vielmehr ergänzen. Insbesondere in den Fäl-len, in denen keine generalisierten Regeln mit Indizwirkung existieren, wird bei der Frage der Sorgfaltspflicht die objektive Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts eine entscheidende Rolle spielen.
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41
Q

Objektive Zurechenbarkeit

A

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolg realisiert hat.

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42
Q

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

A

Die vom Täter durch seine objektive Sorgfaltspflichtverletzung geschaffene Gefahr realisiert sich im tatbestandlichen Erfolg nur, wenn dieser Erfolg seinen Grund gerade in der Sorgfaltspflichtverletzung als solcher hat.

  • Das ist jedenfalls gegeben, wenn der Erfolgseintritt bei sorgfaltsgemäßem Verhalten in der konkreten Tatsituation sicher oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre (rechtmäßiges Alternativverhalten). Umgekehrt wird der Zurechnungszusammenhang gerade nicht durch ein eigenes pflichtwidriges Verhalten des Opfers ausgeschlossen, wenn der Erfolg selbst bei rechtmäßigem Opferverhalten sicher eingetreten wäre.
  • Ob dies auch dann noch der Fall ist, wenn der Erfolg bei sorgfaltsgemäßem Verhalten nur wahrscheinlich oder möglicherweise ausgeblieben wäre, ist umstritten
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43
Q

Tatbestandsausschließendes Einverständnis

A

Lässt bereits den Tatbestand entfallen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich der Unwert der Tat gerade daraus ergibt, dass sie gegen oder ohne den Willen des Verletzten erfolgt.

Das trifft z.B. für die §§ 123, 248b, 235-237 und 242 StGB sowie für diejenigen Straftaten zu, die einen Angriff auf die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung enthalten. Das Einverständnis muss denknotwendig bereits zum Zeitpunkt der Ausführungshandlung vorliegen. Insoweit ist aber nicht vorauszusetzen, dass der Täter in Kenntnis des Einverständnisses handelt; in diesen Fällen ist jedoch an einen Versuch zu denken.

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44
Q

Atypischer Kausalverlauf

A

Schließt die objektive Zurechnung aus. Als atypisch kann nur ein Geschehen gelten, das fernab jeder Wahrscheinlichkeit liegt.
Es liegt zB in der Natur des Menschen, dass nicht jeder körperlich gleich robust ist.

45
Q

Aufbauschema erfolgsqualifizierter Versuch

A

Vorprüfung:

  1. keine Vollendung
  2. Voraussetzungen der Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs:
    - Versuch auch bei Vorsatz-Fahrlässigkeitskonstruktion möglich: § 11 II (insgesamt Vorsatztat)
    - Strafbarkeit des Versuchs des Grunddelikts
    - Im betreffenden TB knüpft qual. Folge an Gefährlichkeit der Handlung (nicht Erfolg) an (h.M.)

I. Tatbestand

  1. Versuch des Grunddelikts
    - Tatentschluss
    - Unmittelbares Ansetzen
  2. Fahrlässige Herbeiführung der schweren Folge (wie beim normalen Fahrlässigkeitsdelikt)
  3. Spezifischer Gefahrzusammenhang zwischen Versuch des Grunddelikts und schwerer Folge

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld (inkl. subj. Fahrlässigkeit, d.h. subj. Voraussehbarkeit des Eintritts der schweren Folge)

IV. Kein Rücktritt

46
Q

Rückritt bei Erfolgsqualifikationen trotz Eintritt der schweren Folge?

A
  1. h.M. (BGH): Wortlaut und Systematik des Gesetzes zwingen dazu, einen Rücktritt vom Grunddelikt auch nach Eintritt der schweren Folge zuzulassen, obwohl dies häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen führt

dafür: • Wortlaut § 24: Der Rücktritt des Täters bezieht sich auf „die Tat“, also primär den Grund-tatbestand (die Erfolgsqualifikation beinhaltet ja nur eine unselbständige zusätzliche Folge). Nachdem der GrundTB nur versucht ist, muss ein Rücktritt möglich sein
• Mit Entfallen des Grunddelikts fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für die schwere Folge
• Bei Versagung des Rücktritts würde man das Grunddelikt in ein Unternehmensdelikt umwandeln [Dagegen: Bei Unternehmensdelikt wird Versuch wie Vollendung bestraft. Hier erfolgt dagegen auch bei Versagung des Rücktritts nur eine Bestrafung als Versuch]

  1. a.A. (Roxin): Auch geltendes Recht ermöglicht es, Rücktritt zu verneinen

dafür • Die pönalisierte Gefahr hat sich bereits verwirklicht. Der Rücktritt kann deshalb nicht die geringere Gefährlichkeit der Handlung zeigen, so dass die Annahme einer Rücktritts der ratio legis widerspräche
• Nach Eintritt der schweren Folge kann Rücktritt die eingetretene Rechtserschütterung nicht mehr beseitigen, Strafgrund des Versuchs besteht also fort

dagegen: • Strafzwecktheorie: Wer sich vom Eintritt einer schweren Folge so beeindrucken lässt, dass er den Versuch des Grunddelikts abbricht, bedarf insoweit keiner Bestrafung.

47
Q

Aufbauschema Versuch der Erfolgsqualifikation

A

Vorprüfung

  1. Nichteintreten des qualifizierten Erfolgs
  2. Strafbarkeit des Versuchs des Grunddelikts (str.)

I. Tatbestand
1. Tatentschluss
Entweder: hinsichtlich der Verwirklichung des Grunddelikts und hinsichtlich der Verursachung der schweren Folge
Oder: Vollendetes Grunddelikt und Tatentschluss bzgl. der schweren Folge
2. Unmittelbares Ansetzen

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Kein Rücktritt

48
Q

Versuch der Erfolgsqualifikation ohne Versuchsstrafbarkeit beim Grunddelikt?

A

Bsp.: Der erfahrene Bergsteiger A lockt B auf eine Bergtour. Er hat vor, ihn in einsamem und gefährlichem Gelände zurückzulassen, um ihn los zu werden. Gerade als A sich unter dem Vorwand einer „Pinkelpau-se“ aus dem Staub gemacht hat, kommt Wanderer W des Wegs, der ein guter Freund des B ist. B schließt sich W an, so dass er nie in Gefahr gerät.

Ausgangspunkt:
A könnte sich gem. §§ 221 I, III, 22, 23 I (Versuch der EQ) strafbar gemacht haben. Wie wirkt es sich nun aus, dass der Versuch des Vergehens § 221 I mangels Anordnung nicht strafbar ist, der des Verbrechens § 221 III jedoch schon (§ 23 I)?

Die Problematik darf nicht überschätzt werden: Diese Konstellation kommt nur noch selten vor (z.B. §§ 221 II, III, 238 III, 235 V). Zudem sind bei entsprechendem Tötungsvorsatz die §§ 212, 211 einschlägig.

  1. e.A.: Ja, Versuch des Grunddelikat muss strafbar sein

dafür: • § 18 bestimmt, dass der Eintritt der qualifizierenden Folge eine “schwerere Strafe” nach sich zieht. Ist der Versuch des Grunddelikts ohne qualifizierte Folge straflos, so wäre der Eintritt der qualifizierten Folge aber strafbegründend.

  1. a.A.: Nein, Versuch des Grunddelikts muss nicht strafbar sein

dafür: • Schwere Folge ist beim Versuch der EQ notwendigerweise (s.o.) vom Vorsatz umfasst – insofern ist Rückgriff auf § 18 und Behandlung als eq Delikt nicht nötig.
• Höheres Handlungsunrecht wegen Vorsatz bzgl. schwerer Folge

49
Q

Aufbauschema des fahrlässigen Begehungsdelikts (bei Erfolgsdelikt)

A

I. Tatbestand

  1. Erfolgseintritt
  2. Kausalität
  3. objektive Sorgfaltspflichtverletzung
    a) Sorgfaltswidrigkeit: Verletzung der erforderlichen Sorgfaltspflicht
    b) objektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
  4. objektive Zurechnung i.Ü., insb. Pflichtwidrigkeitszusammenhang und Schutzzweckzusammenhang

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld, insb.
1. subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Voraussehbarkeit des tatbestandsmäßigen Erfolgs
2. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

50
Q

Wird die bewusste Notwehrüberschreitung von § 33 erfasst?

A

Gemeint ist die Situation, dass der Täter mit Unrechtsbewusstsein handelt, also die Überschreitung der Notwehrgrenze als solche erkennt. Oft wird hier jedoch von „vorsätzlichem“ und „unvorsätzlichem“ Exzess gesprochen, obwohl das Unrechtsbewusstsein gemeint ist (das ist nicht dasselbe).

M.M: Nein
• § 33 erfasst seinem Zweck nach nur Situationen, in denen der Täter aufgrund des Affekts den Sachverhalt unvollständig bzw. unrichtig wahrnimmt

Ganz h.M.: Ja (Roxin)
(+) • Wortlaut des § 33 verlangt keine unbewusste Überschreitung.
• Gesetzgeber hat bei Beratungen entsprechende Einschränkung diskutiert, aber verwor-fen (Historische Auslegung)
• Auch wer weiß, was er tut, kann sich in so starker psychischer Ausnahmesituation be-finden, dass ihm kein Vorwurf gemacht werden kann (Normzweck).

51
Q

Prüfung entschuldigender Notstand, § 35

A

I. Objektive Voraussetzungen

  1. Notstandslage:
    a) gegenwärtige Gefahr
    b) für Leben, Leib oder Freiheit
    c) des Täters oder einer ihm nahe stehenden Person
  2. Notstandshandlung:
    a) Erforderlichkeit: relativ mildestes geeignetes Mittel
    b) Angemessenheit: jedenfalls kein offensichtliches Missverhältnis
    c) Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme: § 35 I 2 benennt zwei Regelbeispiele:
    aa) Täter hat Gefahr selbst verursacht:
    - „Verursachung“ allein ist für Schuld irrelevant und darf nicht zu Gefahrtragungspflicht führen. Daher: Sozialadäquates Vorverhalten begründet keine Gefahrtragungspflicht.
    - Umstr. ist ob pflichtwidriges oder sogar schuldhaftes Vorverhalten erforderlich ist.

bb) Bestehen eines besonderen RechtsverhältnissesI. Objektive Voraussetzungen
1. Notstandslage:
a) gegenwärtige Gefahr
b) für Leben, Leib oder Freiheit
c) des Täters oder einer ihm nahe stehenden Person
2. Notstandshandlung:
a) Erforderlichkeit: relativ mildestes geeignetes Mittel
b) Angemessenheit: jedenfalls kein offensichtliches Missverhältnis
c) Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme: § 35 I 2 benennt zwei Regelbeispiele:
aa) Täter hat Gefahr selbst verursacht:
- „Verursachung“ allein ist für Schuld irrelevant und darf nicht zu Gefahrtragungspflicht führen. Daher: Sozialadäquates Vorverhalten begründet keine Gefahrtragungspflicht.

  • Umstr. ist ob pflichtwidriges oder sogar schuldhaftes Vorverhalten erforderlich ist.
    bb) Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses: Pflichtenstellungen ggü Allgemeinheit
  • Berufliche Pflichtenstellungen, gemeint: Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, jeweils soweit es um berufstypische Gefahren geht.
  • Gesetzliche Duldungspflichten (z.B. § 81a StPO; zu Unrecht zu Freiheitsstrafe Verurteilter)
    cc) Sonstige Zumutbarkeitsgründe:
  • Garantenstellung: Obhutsgarant ist zu höherer Gefahrtragung verpflichtet, um von ihm zu schützende Personen zu retten.
  • Krasses Missverhältnis zwischen Folgen der Rettung und den drohenden Schäden (selten).

II. Subjektive Voraussetzungen:
Kenntnis der Gefahrenlage und Handeln mit Ziel der Gefahrenabwehr bzw. Rettungswille. (Zusätzliches subj. Erfordernis der Rspr.: Pflicht zur Prüfung, ob Gefahr auf andere zumutbare Weise abwendbar ist (h.L. zu Recht ablehnend, da von § 35 nicht vorausgesetzt). : Pflichtenstellungen ggü Allgemeinheit

  • Berufliche Pflichtenstellungen, gemeint: Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, jeweils soweit es um berufstypische Gefahren geht.
  • Gesetzliche Duldungspflichten (z.B. § 81a StPO; zu Unrecht zu Freiheitsstrafe Verurteilter)
    cc) Sonstige Zumutbarkeitsgründe:
  • Garantenstellung: Obhutsgarant ist zu höherer Gefahrtragung verpflichtet, um von ihm zu schützende Personen zu retten.
  • Krasses Missverhältnis zwischen Folgen der Rettung und den drohenden Schäden (selten).

II. Subjektive Voraussetzungen:

Kenntnis der Gefahrenlage und Handeln mit Ziel der Gefahrenabwehr bzw. Rettungswille. (Zusätzliches subj. Erfordernis der Rspr.: Pflicht zur Prüfung, ob Gefahr auf andere zumutbare Weise abwendbar ist (h.L. zu Recht ablehnend, da von § 35 nicht vorausgesetzt).

52
Q

Prüfung übergesetzlicher entschuldigender Notstand

A

I. Objektive Voraussetzungen

  1. Notstandslage: gegenwärtige Kollision existentieller Rechtsgüter
  2. Notstandshandlung:
    a) Rechtsgutseingriff, der weder nach
    - § 34 (Verbot „Leben gegen Leben“…) zu rechtfertigen, noch nach
    - § 35 zu entschuldigen ist (weil nicht von Personenkreis des § 35 erfasst).
    b) Ethische Gesamtbetrachtung:
    - Angerichtetes Übel muss gegenüber verhindertem Übel wesentlich weniger schwer wiegen.
    - Keine Gefahrtragungspflichten des Geretteten, § 35 I 2 entspr.

II. Subjektive Voraussetzung: Gefahrabwendungswille
(Rspr. verlangt gewissenhafte Prüfung des Vorliegens einer Notstandssituation, str. )

53
Q

Ist § 32 auch auf Hoheitsträger zur Rechtfertigung hoheitlichen Han-delns anwendbar (z.B. insbes. auch polizeilicher Schusswaffengebrauch)?

A

Ansicht 1: Nein; jedenfalls dann keine Anwendung, wenn der betreffende Amtsträger nicht-rein zu Zwecken des Selbstschutzes handelt
dafür: • für Befugnisse von Amtsträgern gibt es spezielle Regelungen (zB PAG). Die darinaufgestellten Voraussetzungen für eine Befugnis – v.a. die Anforderungen an Grundrechts-eingriffe – könnten unterlaufen werden, wenn daneben auf allgemeine Rechtfertigungsgründe abgestellt werden könnte.
• Hoheitsträger sind per se umfassenderen Gefahrtragungspflichten unterworfen (vgl. etwa § 35 I 2 StGB).

Ansicht 2 (wohl h.M.): Ja.  
dafür: • Polizisten sind keine Bürger minderen Rechts – vgl. Art. 60 II PAG: Vorschriften über-Notwehr auch bei Handeln eines Polizisten anwendbar. 
• Warum soll sich strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens eines Amtsträgers nach Befugnissen ÖR richten? „Allgemeine“ RF-Gründe sind ja nicht auf bestimmte Perso-nenkreise beschränkt – warum soll Polizist dann nicht wie Bürger behandelt werden? 
• Darf der Hoheitsträger in Notwehrsituationen weniger als der Bürger, so könnte das als Versagen des Staates, der eine Pflicht zum Schutz der Bürger hat, aufgefasst werden.   

Ansicht 3: Eine durch § 32 zu rechtfertigende, aber nicht durch Ordnungsrecht legitimierte Handlung ist verwaltungs-, nicht aber strafrechtswidrig.

54
Q

Prüfungsreihenfolge Konkurrenzen

A
  1. Schritt: Befindet man sich im Anwendungsbereich des § 52 oder des § 53, m.a.W.: Handelt es sich um Tateinheit oder Tatmehrheit?
    - Von Tateinheit i.S.d. § 52 (= eine materielle Tat) ist auszugehen, wenn
    a) eine Handlung vorliegt
    b) mehrere Handlungen teilweise identisch sind oder
    c) mehrere Handlungen miteinander verklammert werden
  2. Schritt: Werden Delikte durch andere verdrängt (sog. Gesetzeskonkurrenzen)?
  3. Schritt Ergebnisfeststellung
55
Q

Eine Handlung: 3 Fallgruppen

A
  1. eine Handlung im natürlichen Sinn
    Def.: Ein Handlungsentschluss realisiert sich in einer Willensbetätigung
    Bsp.: A schießt durch ein geschlossenes Fenster auf B und verletzt ihn. § 223 I und § 303 I wurden durch eine natürliche Handlung verwirklicht.
  2. tatbestandliche Handlungseinheit
    Def.: Das Gesetz fasst mehrere Handlungen zu einem TB zusammen, etwa in Form einer pauschalen tatbestandlichen Handlungsbeschreibung, oder weil die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des Delikts mehrere Handlungen erfordert.

Das ist nicht nur, aber insb. der Fall bei:
- mehraktigen und zusammengesetzten Delikten
Bsp.: § 249 I – Gewaltanwendung und Wegnahme (zwei Handlungen im natürlichen Sinn) sind zu einer tatbestandlichen Handlung zusammengefasst
- Dauerdelikten – bei diesen erschöpft sich das Unrecht nicht in der Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustands, sondern wird auch geprägt durch das anschließen-de pflichtwidrige Aufrechterhalten des Zustands, z.B. § 239, § 123
Bsp.: A packt B und schiebt ihn in ein Zimmer, wo er ihn einsperrt – eine Freiheitsberaubung

  1. natürliche Handlungseinheit
    Diese durch die Rspr. (z.B. BGHSt 10, 230) entwickelte Kategorie ist in den unten genannten ersten beiden Fallgruppen der iterativen und suk-zessiven Tatbegehung auch durch die Lit. weitgehend anerkannt. Umstritten ist sie wegen der nicht immer eindeutig handhabbaren Kriterien v.a. bzgl. der Verbindung verschiedenartiger Tatbestände.

Voraussetzungen:

  • Einheitlicher Willensentschluss
  • Enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang
  • Erscheinungsbild: Einheitliches Geschehen bei natürlicher Betrachtungsweise
  • besonders str.: Gleichartige Straftatbestände
  • Variante 1: Iterative Tatbegehung
    Bsp.: A geht in einen Supermarkt stehlen und steckt dort erst eine Mettwurst, dann eine Seife, dann eine Packung Butter ein
  • Variante 2: Sukzessive Tatbegehung
    Bsp.: A will B töten und versucht erst, ihn zu erwürgen, dann ihn mit Faustschlägen zu erschlagen, bevor ihm sein Vorhaben mit einem Stich ins Herz gelingt
  • Variante 3: Fortsetzungszusammenhang (von Rspr. aufgegeben)
    [Bsp. (nach früherer Rspr.) A sammelt Mercedessterne und bricht deshalb über mehrere Jahre an jedem Mercedes, an dem er vorbeikommt, den Stern ab]
  • Variante 4: Verschiedenartige Straftatbestände (Rspr. verzichtet auf Gleichartigkeit der Straftatbestände)
    Bsp.: A betritt eine fremde Garage, nimmt daraus 4 Winterreifen mit und zündet die Garage an, nachdem er sie verlassen hat – nach Rspr. natürliche Handlungseinheit zwischen Diebstahl und Brandstiftung (+)
56
Q

Teilidentität mehrerer Handlungen

A

Eine Handlung verwirklicht jeweils einen Teil verschiedener Tatbestände. Das kommt insb. bei Dauerdelikten und mehraktigen Delikten vor und ist auch zwischen Vollendung und Beendigung noch möglich:
Bsp.: A bricht eine Tür auf (§ 303 I), um einen Hausfriedensbruch (§ 123 I)zu begehen. B dringt in ein fremdes Haus ein (§ 123 I), um dort zu stehlen (§ 242 I). A schlägt B (§ 223), um ihm etwas wegzunehmen (Körperverletzung ist zugleich Nötigungsteilakt des § 249).

• Abgrenzung: Gemeinsamer Bestandteil muss eine identische Handlung sein, bloße Zeitgleichheit zweier Handlungen genügt nicht. Insbes. genügt es nicht, wenn lediglich bei Gelegenheit der Begehung eines Delikts ein anderes Delikt verwirklicht wird.

Bsp.: A hat B eingesperrt (§ 239 I) und beleidigt ihn währenddessen (§ 185). A begeht eine Unfallflucht (§ 142) und unterlässt es gleichzeitig, den Verletzten zu retten (§§ 212, 13; Beispiel ist umstritten, vgl. Roxin AT II § 33 Rn. 88)

• Umstritten ist das Zusammentreffen von Dauerdelikt und Zustandsdelikt: Unstr. genügt auch hier bloße Gleichzeitigkeit nicht für Tateinheit. Teile der Lit. lassen es aber genügen, dass beide Delikte in einem Mittel-Zweck-Bezug stehen, also das Zustandsdelikt Mittel zur Begehung des Dauerdelikts ist oder umgekehrt

Wichtig bei Dauerdelikten: Entschluss, ein neues Delikt zu verwirklichen, kann zu Zäsur führen (Bsp.: Trunkenheitsfahrt, dann Unfall; Entschluss zur Unfallflucht ist Zäsur, so dass Weiterfahrt eine neue Trunkenheitsfahrt darstellt),

57
Q

Verklammerung mehrerer Handlungen

A

Grundidee: Zwei unabhängig voneinander verwirklichte Delikte können durch ein drittes verbunden werden, wenn sie jeweils mit diesem dritten teilidentisch sind.

• Das verklammernde Delikt musste nach früherer Rspr. im Unrechtsgehalt schwerer wiegen als beide verklammerten Delikte, nach neuerer Rspr. nur noch schwerer als eines der verklammerten Delikte.

Problem: Können mehrere Delikte durch ein drittes verklammert werden?
1. Teil der Lehre: Nein
dafür: • Schuldprinzip: Wer ein zusätzliches verklammerndes Delikt begeht, soll nicht durch Annahme von Tateinheit besser stehen als derjenige, der nur zwei (isolierte) Delikte begeht (näher Roxin AT II § 33 Rn. 108)

  1. Rspr.: Ja, wenn verklammerndes Delikt schwerer wiegt als zumindest eines der beiden anderen Delikte
    dafür: • Ohne Verklammerung müsste § 239 I einmal in Tateinheit mit § 21 I Nr. 1 StVG in Ansatz gebracht werden, einmal in Tateinheit mit § 223 I StGB; dadurch würde der Täter für eine Freiheitsberaubung zweimal bestraft (ebenfalls Kollision mit Schuldprinzip)
    • A.A. führt zu unnatürlicher Aufspaltung eines einheitlichen Vorgangs
58
Q

Fallgruppen Gesetzeskonkurrenz

A

Bei Tateinheit

• Fallgruppe 1: Spezialität
Def.: Das eine Delikt ist vollständig in dem anderen enthalten
Bsp.: §242 I in § 249 I; Grund-TB in Qualifikation

• Fallgruppe 2: Subsidiarität
Def.: Ein Delikt beansprucht nur Geltung, wenn nicht bereits ein anderes eingreift.
Bsp.: § 246 I ggü. § 242 I (wegen ausdrücklicher Anordnung „formelle“ Subsidiarität); § 223 I ggü § 212 (sog „materielle“ Subsidiarität). Ausnahme: Die Klarstellungsfunktion kann es gebieten, Tateinheit zwischen Versuch und vollendetem subsidiären Delikt anzunehmen, um deutlich zu machen, dass das Rechtsgut Eigentum tatsächlich beeinträchtigt worden ist.

• Fallgruppe 3: Konsumtion
Def.: Ein Delikt trifft typischerweise mit einem anderen Delikt zusammen, so dass sein Unwertgehalt mit dem anderen Delikt miterfasst wird.
Bsp.: Aufreißen eines fremden Briefs, um ihn zu lesen: § 303 I wird durch § 202 I Nr. 1 StGB verdrängt; str: § 243 I 2 Nr. 1 und §§ 303, 123 I Var. 1 (s.o.)

Bei Tatmehrheit

• Fallgruppe 4: Mitbestrafte Vor- bzw. Nachtat
Def.: Unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und der Konsumtion können auch bei Handlungsmehrheit Delikte verdrängt werden
Bsp.: Wenn A in Fall 12 plant, den Z 3 samt Schlüssel zu behalten (und hinreichende zeitliche Zäsur zwischen Ergreifen des Schlüssels und Wegnahme des Pkw besteht), ist § 242 I / § 246 I bzgl. des Schlüssels mitbestrafte Vortat und tritt zurück.

59
Q

Wahlfeststellung

A

a) Reine Tatsachenalternativität (unechte oder gleichartige Wahlfeststellung)

• Es steht fest, dass der Täter einen bestimmten Tatbestand verwirklicht hat, es lässt sich aber nicht restlos klären, durch welche Handlung.

Bsp.: A tätigt in einem Gerichtsverfahren zwei sich widersprechende Zeugenaussagen. Welche davon wahr ist, und welche als Falschaussage unter § 153 fällt, lässt sich nicht klären.

• Behandlung: Es wird aus dem sicher verletzten Gesetz verurteilt, nur auf „wahldeutiger Tatsachengrundlage“; die Grundsätze der „echten“ Wahlfeststellung (s.u.) gelten nicht.

b) „Echte“ (oder ungleichartige) Wahlfeststellung

• Der Täter hat von mehreren in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten irgendeine sicher verwirklicht; es lässt sich aber nicht klären, welchen.

Bsp.: Bei A wird Diebesgut gefunden und es steht sicher fest, dass A dieses entweder selbst gestohlen oder aber in voller Kenntnis des Sachverhalts vom Dieb erworben hat.

  • Es muss dann geklärt werden, ob zwischen den denkbaren Fallvarianten ein Hierar-chieverhältnis besteht, wie z.B. zwischen Beihilfe und Täterschaft. Falls ja, kann – in dubio pro reo – nur nach dem weniger schwerwiegenden Delikt abgeurteilt werden.
  • Im letzten Schritt ist – zumindest nach der Rechtsprechung – festzustellen, ob die bei-den Delikte „rechtsethisch und psychologisch vergleichbar“ sind. Kriterien dafür kön-nen eine Ähnlichkeit der betroffenen Rechtsgüter und eine deshalb ähnliche sittliche Bewertung sowie eine vergleichbare Einstellung des Täters zur Tat sein. Aus Be-stimmtheitsgründen stellt ein Teil der Lehre stattdessen auf den Unrechtskern ab.

c) Post- und Präpendenz

• Es liegt eine nur einseitige Sachverhaltsungewissheit vor, man weiß also, welche von zwei nacheinander liegenden Sachverhaltsvarianten der Täter sicher verwirklicht hat. Ist dies die frühere, spricht man von Präpendenz, ist es die spätere, dann von Postpen-denz. Weil jedoch die Möglichkeit besteht, dass der Täter auch die andere verwirklicht hat (was sich nicht näher aufklären lässt), wäre es rechtlich nicht möglich, den Täter wegen der sicher feststehenden Sachverhaltsvariante zu bestrafen.

Bsp.: Postpendenz: Man weiß, dass A sich bösgläubig von einem Dritten Diebesgut verschafft hat. Es lässt sich aber nicht klären, ob er Mittäter des Dritten war, oder ihm die Sache schlicht nach dessen Diebstahl abgenommen hat. [Falls dem so wäre schiede eine Strafbarkeit gem. § 259 mangels Vor-tat eines anderen aus.]

Bsp.: Präpendenz: Man weiß, dass A mit Dritten verabredet hat (§ 30 II), den X zu töten. Tatsächlich stirbt X unter mysteriösen Umständen, es lässt sich aber nicht klären, ob A hieran beteiligt war.

• Die Behandlung dieser Fälle ist umstritten:

  1. Rechtsprechung und h.M.
    Es ist wegen des sicher feststehenden Sachverhalts abzuurteilen.
    dafür:

Eine sicher feststehende Strafbarkeit solle nicht dadurch entfallen, dass der Täter möglicherweise zusätzliches strafbares Unrecht verwirklicht hat

  1. Teil der Literatur
    Es ist zu differenzieren: Eine eindeutige Verurteilung wegen des feststehenden Verhaltens soll erfolgen, wenn die andere Sachverhaltsvariante die Bestrafung deswegen nur auf Kon-kurrenzebene betreffen würde (wie im Bsp. bzgl. § 30 II). Dagegen sollen die Grundsätze der Wahlfeststellung gelten, wenn die andere mögliche Sachverhaltsvariante sich auf die Tatbestandsmäßigkeit der sicher feststehenden Variante auswirkt (wie im Bsp. bzgl. § 259).

dafür: Da der Tatbestand betroffen ist, wirkt sich die Unklarheit des Sachverhalts auf die rechtli-che Bewertung des feststehenden Verhaltens aus. Es muss deshalb eigentlich der Grundsatz „in dubio pro reo“ eingreifen. Die Grundsätze der Wahlfeststellung passen somit in solchen Fällen besser und ermöglichen auch eine sachgerechte Lösung.

60
Q

Aufbauschema Wahlfeststellung

A
  1. Verbleibende Unklarheit des Sachverhalts trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten
  2. Strafbarkeit nach allen Sachverhaltsvarianten
  3. Sind die zusätzlichen Anforderungen an die Wahlfeststellung zu prüfen?
    a) Post- / Präpendenz (eine Sachverhaltsvariante steht sicher fest): Nach wohl h.M. Verurteilung wegen des feststehenden Sachverhalts, nur nach a.A. [s. Kasten] ggf. weiter mit Voraussetzungen der Wahlfeststel-lung
    b) „unechte“ Wahlfeststellung (keine Sachverhaltsvariante steht fest, Strafbarkeit aber jeweils nach dem gleichen Tatbestand): keine zusätzlichen Anforderungen
    c) „echte“ Wahlfeststellung (keine Sachverhaltsvariante steht fest, Strafbarkeit nach verschiedenen Tatbe-ständen): zusätzliche Voraussetzungen (3. bis 4.) sind zu prüfen
  4. Kein normatives Stufenverhältnis zwischen den in Betracht kommenden alternativ verwirklichten Delikten
  5. Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit
61
Q

Aufbauschema Versuch

A

Vorprüfung:

  • Fehlen der Deliktsvollendung (Feststellung, dass und aus welchem Grund der objektive Tatbestand nicht vollständig erfüllt ist)
  • Strafbarkeit des Versuchs, §§ 23 I, 12 StGB

I. Tatbestand
1. Tatentschluss

a) Vorsatz bezüglich aller objektiver Merkmale des Tatbestands endgültig gefasst (h.M.: auch dolus eventualis, soweit er zur Deliktsvollendung ausreicht) - Abgrenzung von der bloßen Tatgeneigtheit
b) Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale

  1. Unmittelbares Ansetzen
    - hier Abgrenzung von der straflosen Vorbereitungshandlung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Kein Rücktritt

62
Q

Untauglicher Versuch

A

Untauglicher Versuch = die Ausführung des Tatentschlusses kann entgegen der Vor-stellung des Täters aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur vollständigen Verwirklichung des obj. Straftatbestands führen

• Die Untauglichkeit des Versuchs kann sich ergeben aus der Untauglichkeit des:
o Tatsubjekts, z.B. bei Körperverletzung im Amt, § 340 StGB, durch einen nur ver-meintlichen Beamten, dessen Ernennung unwirksam war. Beachte aber: str. ist Abgrenzung zum Wahndelikt, s.u.!
o Tatobjekts (A schießt auf Vogelscheuche, die er für B hält);
o Tatmittels (Abtreibungsversuch mit Magentabletten, die mit Abtreibungspille ver-wechselt werden).
Der untaugliche Versuch ist grds. strafbar, Umkehrschluss aus § 23 III.

• Grob unverständiger Versuch (§ 23 III StGB): Bei ganz abwegigen Vorstellungen von gemeinhin bekannten Ursachenzusammenhängen, die für jeden normal informierten Menschen klar sind, liegt ein grob unverständiger Versuch gem. § 23 III StGB vor (Na-turgesetze werden anerkannt, aber missverstanden).
Bsp.: „Vergiftung“ mit Vitamin C, „Abtreibung“ mit Kamillentee
Folge (§ 23 III): fakultatives Absehen von Strafe oder Strafmilderung nach § 49 II StGB

• Abergläubischer (= irrealer) Versuch
Versuch mit irrealen, die Naturgesetze negierenden Mitteln (Totbeten, Voodoo,…). Dieser Versuch ist wegen des fehlenden Tatentschlusses grds. straflos mit unterschiedlicher Begründung:
o Meinung 1: Der Täter wünscht den Erfolg nur und will ihn nicht im Sinne des Strafrechts herbeiführen: Wenn man sich etwas wünscht, stellt man sich keinen Einfluss auf dessen Eintritt vor. Dagegen: Der Täter hat dabei durchaus den Willen ein Rechtsgut zu verletzen.
o Meinung 2: Keine Handlung im strafrechtlichen Sinne, weil die entsprechenden Mittel (nach der sozialen Handlungslehre) keine strafrechtliche re

63
Q

Wahndelikt

A

Täter nimmt irrig an, das in tatsächlicher Hinsicht richtig erkannte Ver-halten falle unter eine (in Wahrheit nicht oder nicht so existierende) Strafnorm.

• Auftreten kann diese Konstellation auf allen Stufen der Deliktsprüfung
• i.E. immer straflos; zu diskutieren ist es auf der Prüfungsebene, auf welcher der Irrtum seinen Ursprung hat
Bsp.: A betrügt seine Ehefrau im Glauben, Ehebruch sei strafbar (kein Tatbestand erfüllt)
Bsp.: A “leiht” sich heimlich von B kurz dessen Bohrschrauber und glaubt, dies sei gem. § 242 I strafbar. („umgekehrter Subsumtionsirrtum“, kein Tatbestand erfüllt)
Bsp.: A schlägt Dieb D in die Flucht, glaubt aber, Notwehr sei nur gegen Angriffe auf sein Leben zulässig („umgekehrter Erlaubnisirrtum“, A ist gerechtfertigt gem. § 32)
Bsp.: A hilft seinem polizeilich gesuchten Bruder B bei der Flucht und glaubt, dies sei strafbar (Irrtum über pers. Strafausschließungsgrund des § 258 VI, dieser greift trotz des Irrtums ein)

• Abgrenzung zum untauglichen Versuch:
o Unproblematisch: Strafnorm existiert nur in der Vorstellung des Täters („lesbische Liebe“, Ehebruch) = Wahndelikt
o Problematisch: Täter subsumiert zu seinen Ungunsten, dehnt also eine wirklich existierende Strafnorm über ihren Anwendungsbereich aus = Irrtum über rechtli-che Voraussetzungen � Ähnlichkeit zum untauglichen Versuch
o Zum Verständnis: So wie der untaugliche Versuch das Spiegelbild des Tatbe-standsirrtums darstellt, lässt sich das Wahndelikt (vereinfacht) als Spiegelbild des Verbotsirrtums begreifen.
o Faustformel zur Abgrenzung = Umkehrprinzip: Wahndelikt bei Irrtum über Um-stände, deren Nichtkenntnis den Täter im Fall ihres obj. Vorliegens nicht entlasten würde; untauglicher Versuch bei Irrtum über Umstände, deren Nichtkenntnis den Täter im Fall ihres obj. Vorliegens entlasten würde (§ 16 I)

64
Q

Analogiefähigkeit der Vorschriften über tätige Reue

A

Ausgangspunkt: Ist die Tat vollendet, obwohl der Täter versucht hat, die Vollendung noch zu verhindern (und damit in die Legalität zurückkehren wollte), scheidet ein Rücktritt aus.

eA: Ja
Strafmilderung durch Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Regelungen der tätigen Reue im Einzelfall möglich
(+) • gesetzlich geregelten Fällen liegt nur das Prinzip des Zufalls zu Grunde

h.M.: Nein, keine Analogiefähigkeit
(+) • Analogie zwar denkbar, da zu Gunsten des Täters; aber keine planwidrige Regelungs-lücke, da Gesetzgeber bewusst nur wenige Ausnahmevorschriften geschaffen hat.
• Verhalten des Täters kann über § 46 II 2 berücksichtigt werden.

Klausurtipp: Führen Sie diesen Streit v.a. aus, wenn ein Rücktritt fehlschlägt und Sie ausreichend Zeit haben. Sie fahren billige Punkte ein.

65
Q

Gibt es einen Teilrücktritt von der Qualifikation?

A
  1. Rspr. (BGH JZ 84, 680): Nein

dafür: • qualifizierendes Merkmal muss nur zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbe-ginn und Beendigung vorliegen

  1. h.L. (vorzugswürdig): Teilrücktritt möglich

dafür: • Gründe der Rücktrittsregelung passen auch hier: kein höheres Strafbedürfnis; Täter erweist sich als weniger gefährlich, insoweit kann ihm auch hinsichtlich der qualifizie-renden Umstände eine goldene Brücke gebaut werden

66
Q

Rücktritt des Einzeltäters, § 24 I 1 StGB

A

I. Kein (subjektiv) fehlgeschlagener Versuch – Problem: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Tätervorstellung?

� hM: Gesamtbetrachtungslehre, d.h., es kommt auf die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausfüh-rungshandlung an

II. Klassifizierung unbeendeter (§ 24 I 1 Alt. 1)/ beendeter Versuch (§ 24 I 1 Alt. 2)

  1. unbeendet: Wenn der Täter nach seinem Plan noch nicht alles zur Ausführung Erforderliche getan hat und weiteres Handeln (ggf.) den Erfolg bringen würde.
  2. beendet: Wenn der Täter nach seinem Plan alles zur Ausführung Erforderliche getan hat, um den tatbe-standlichen Erfolg herbeizuführen.

� Problem: Maßgeblicher Zeitpunkt für die relevante Vorstellung des Täters:

hM: Korrigierter Rücktrittshorizont: Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung (s. unten)

III. Rücktrittsleistung

  1. Falls unbeendeter Versuch: Aufgeben der weiteren Tatausführung
  2. Falls beendeter Versuch: Verhinderung der Vollendung (objektiv: Ingangsetzen einer für die Vollendung (mit-)ursächlichen Kausalkette; subjektiv: Verhinderungswille)
  3. Sonderfall: Rücktritt vom aussichtslosen Versuch, § 24 I 2 StGB: Ernsthaftes Bemühen um Vollendungs-verhinderung (die Vollendung ist nicht, bzw. nicht in einer dem Täter zurechenbaren Weise eingetreten).

IV. Freiwilligkeit

67
Q

Bezugspunkt für die Einordnung als fehlgeschlagener Versuch

A

Ausgangspunkt: Halten Sie hierbei grds. zwei Problemkreise auseinander: Zum einen ist str., ob der Rücktrittshorizont anhand des Zeitpunkts des sog. korrigierten Rücktrittshorizonts oder nach der Tatplantheorie zu beurteilen ist, zum anderen, ob sich diese Vorstellung auf das gesamte Geschehen oder den einzelnen Akt beziehen muss.

  1. Tatplantheorie (ältere Rspr., mittlerweile aber aufgegeben) Grundlage bildet der ursprüngliche (d.h.: vor Beginn der Ausführungshandlung) Tatplan: Fehlschlag, wenn Tatplan vollständig ausgeführt wird und angestrebter Erfolg nicht eintritt. Nur wenn der Tatplan nicht fest umrissen war, ist auf den Rücktrittshorizont abzustellen.
    dagegen: • begünstigt besonders gefährliche Täter, die sich schon von Anfang an mehrere Bege-hungsalternativen vorstellen.
  2. Einzelaktstheorie Das Gesamtgeschehen ist in Einzelakte aufzuteilen, d.h. es kommt auf die Vorstellung des Täters nach der ersten Ausführungshandlung an. Hat der Täter durch eine – von ihm als ausreichend erachtete – Tathandlung (= Einzelakt) das Geschehen derart aus der Hand ge-geben, dass er (im Falle des Gelingens) den Erfolgseintritt nicht mehr hätte verhindern kön-nen, so ist sein Versuch fehlgeschlagen, ein Rücktritt damit ausgeschlossen.
    dagegen: • reißt einheitlichen Lebensvorgang auseinander.
  • Begrenzt die Rücktrittsmöglichkeit zu stark (widerspricht Opferschutz)
  • Untragbare Konsequenz: Bei einem Täter, der nach neun fehlgegangenen Schüssen sein Opfer mit dem zehnten tötet, müsste man konsequenterweise neben einer Bestra-fung wegen vollendetem zu neunfachem versuchten Mord gelangen.
  1. h.M.: Gesamtbetrachtungslehre (bzw. Lehre vom Rücktrittshorizont) Entscheidend ist die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshand-lung eines einheitlichen Geschehens (= sog. Rücktrittshorizont). Kriterium für Vorliegen eines einheitlichen Geschehens: Kann aus Sicht des Täters der Erfolg mit den verfügbaren Mitteln ohne wesentliche zeitliche Zäsur herbeigeführt werden?

dafür: • Opferschutz: Täter wird möglichst lang Straffreiheit für das Ablassen vom Opfer gebo-ten.

• Verdienstlichkeits- und Strafzweckgedanke: Wer nach schon begangenen Teilakten von der ihm immer noch möglichen Tatverwirklichung durch einen weiteren Teilakt absieht, ist (bzgl. des versuchten Delikts) nicht strafwürdiger als jemand, der vor dem ersten Akt von der Tat absieht.

68
Q

Unterscheidung von beendetem und unbeendetem Versuch

A

Definitionen (nach der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre)

o Beendet ist ein Versuch, wenn der Täter meint, alles zur Vollendung Nötige getan zu haben bzw. die nahe liegende Möglichkeit des Eintritts der Vollendung erkennt.

o Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter meint, noch nicht alles zur Vollendung Nötige getan zu haben.

o Achtung: Unbeendet ist nach h.M. ein Versuch auch dann, wenn sich der Täter nach der letzten Ausführungshandlung gar keine Gedanken über die weiteren Fol-gen seines Handelns macht bzw. diese ihm gleichgültig sind. Grund: keine Privile-gierung des Gleichgültigen. Dies soll nur nicht gelten, wenn der Erfolgseintritt von einem Verhalten des Opfers abhängt und ohne weitere Handlungen des Täters „nicht ohne weiteres zu erwarten“ ist

69
Q

Rücktritt trotz außertatbestandlicher Zielerreichung? (Denkzettelproblematik)

A

Ausgangspunkt:
Fraglich ist, ob ein Täter noch zurücktreten kann, wenn sein Handeln den ursprünglich geplanten Erfolg noch nicht herbeigeführt hat, er dieses erkennt, aber trotzdem nicht weiterhandelt, weil er sein außertatbestandliches Ziel bereits erreicht hat. Vorsicht: Bei dem außertatbestandlichen Ziel kann es sich um beliebige Dinge handeln (lehrreich auch in dieser Beziehung ist der berühmte „Parklückenfall“ von Jakobs). Die entsprechenden Konstellationen sind in der Klausur daher u.U. schwer zu erkennen, da das „nicht weiter Handeln“ des Täters ja konsequent ist und daher im Sachverhalt nicht zwingend betont werden muss.

  1. Rechtsprechung und Teil d. Lit.

Der Rücktritt bleibt möglich. Entscheidend ist, dass der Täter eine konkrete Tat im Sinne des § 11 Nr. 5 StGB, d.h., die Tathandlung (z.B. Töten) und den Taterfolg (z.B. Tod), aufgibt. Dies tut er auch in den so genannten Denkzettelfällen. Weitergehende Beweggründe, Ziele oder Absichten seien hingegen unbeachtlich.

dafür: • Gesetzeswortlaut: § 24 stellt auf die Tat im rechtlichen Sinne (§ 11 Nr. 5 StGB) also z.B. § 212) ab, nicht auf außertatbestandliche Absichten und Ziele.
• Kriminalpolitisches Argument (Opferschutz): Der Täter soll auch in dieser Situation zu einem Rücktritt angehalten werden.
• Vergleich mit Absichts-Täter: Ein Täter, der bzgl. des tatbestandlichen Erfolgs nur mit dolus eventualis handelt, wäre sonst schlechter gestellt als (gefährlicherer!) Absichts-Täter, der in gleicher Situation noch zurücktreten kann.

  1. Gegenansicht (besonders dezidiert Roxin ATII § 30 Rn. 33ff.)

Der Rücktritt scheidet in diesen Fällen aus. Wer sein eigentliches Handlungsziel längst er-reicht hat, kann gar nichts mehr aufgeben.

dafür: • Kein Wegfall des Strafbedürfnisses: Rechtserschütternder Eindruck (vgl. Grund der Ver-suchsstrafbarkeit Einheit 11) ist nicht revidiert. Der Täter hat sich auch nicht als weniger gefährlich erwiesen
• Keine Aufgabe: Ursprünglicher dolus eventualis ist mit Zielerreichung erloschen; er kann nicht mehr aufgegeben werden
• Keine Umbesinnung als Mindestvoraussetzung eines Rücktritts. Erreichung des außer-tatbestandlichen Ziels war aber nie intendiert (nur in Kauf genommen). Verzicht hierauf ist keine Umbesinnung. Anerkennung eines Rücktritts ist hier kriminalpolitisch unsinnig.

70
Q

Muss der Täter für § 24 I 1 Alt. 1 die Tat endgültig aufgeben?

A
  1. Abstrakte Betrachtungsweise (frühere Rspr.)
    Der Täter muss von seinem gesamten Tatplan endgültig Abstand nehmen.

dafür: • Aufgeben heißt nicht Aufschieben

dagegen: • § 24 behandelt den Rücktritt von der konkreten Tat – ob der Täter es irgendwann ir-gendwo noch einmal probiert, kann keine Rolle spielen.

• Eine (zurückbleibende) grundsätzliche Tatgeneigtheit ist als solche beim Zurücktreten-den so wenig strafbar wie sonst auch

• 2. Eingeschränkt abstrakte Betrachtungsweise (wohl h.M.)
Der Täter muss von der konkreten Ausführungshandlung und von solchen Fortsetzungs-handlungen Abstand nehmen, die mit dem bereits begangenen Versuch

a) qualitativ gleichwertig sind und
b) materiell-rechtlich eine Tat bilden würden (einheitlicher Lebensvorgang, natürliche Handlungseinheit)

dafür: • wenn das Vorbehaltene bzgl. Angriffsobjekt und Ausführungsweise dem Versuch weit-gehend entspricht, hat der Täter vom Tatziel nicht hinreichend Abstand genommen

  1. Konkrete Betrachtungsweise (z.B. Joecks StGB § 24 Rn. 19 m.w.N.)

Es genügt, wenn der Täter von der konkreten Ausführungshandlung Abstand nimmt. Aus-geschlossen wird ein Rücktritt nur bei Vorbehalt weiterer Akte, die mit dem aufgegebenen eine „natürliche Handlung“ bilden (begrifflich unklar, aber enger gedacht als Ansicht 2).

dagegen: • wenn Täter die ursprüngliche Begehungsweise unmittelbar durch eine gleichwertige ersetzt, kann von einer Rückkehr in die Legalität keine Rede sein

71
Q

Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch, § 24 I 1 Alt. 2

A

• die Verhinderungshandlung besteht nach Rspr. und h.L. aus obj. und subj. Element

o objektiv: der Täter muss eine neue Kausalkette in Gang setzen, die für das Aus-bleiben der Vollendung wenigstens mitursächlich (str., s.u.) wird

o subjektiv: Verhinderungswille erforderlich, wobei der Täter davon ausgehen muss, dass das an den Tag gelegte Verhinderungsverhalten geeignet ist, auch wenn er daneben andere Ziele mitverfolgt

72
Q

Anforderungen an die Verhinderungshandlung (§ 24 I 1 2. Alt)

A

Ausgangspunkt:
Unstreitig erforderlich ist für eine Erfolgsverhinderung, dass das aktive Handeln des Täters objektiv kausal für das Ausbleiben des Erfolgs geworden ist (sonst kommt es nach § 24 I 2 auf das ernsthafte Bemühen des Täters an) und dass die Erfolgsabwendung dem Täter ob-jektiv zurechenbar ist. Die Rettung darf also nicht nur Zufallsergebnis sein, sondern muss als „Werk des Täters“ erscheinen (vgl. z.B. Wessels/Beulke AT Rn. 644; Roxin ATII Rn. 213).Unstreitig ist weiterhin, dass der Täter subjektiv den Wunsch haben muss, den Erfolg abzuwenden (Rettungswille).

Die näheren subjektiven Erfordernisse sind str., etwa zu der Frage, ob ein verbleibender dolus even-tualis bzgl. des Erfolgseintritts einen Rücktritt ausschließt, wenn dem (insoweit allein tätig werden-den, vgl. unten Ansicht 3) Täter ein verlässlicheres Mittel zur Erfolgsabwendung zur Verfügung steht. Teils bildet dies den Hintergrund für den Meinungsstreit darüber, ob zusätzliche, über Kausalität und Zurechenbarkeit hinausgehende objektive Erfordernisse zu verlangen sind.

  1. „Chanceneröffnungstheorie“ (h.M.; z.B. BGHSt 48, 147 = NJW 2003, 1058; Wes-sels/Beulke Rn. 644; Sch/Sch-Eser § 24 Rn. 59):

Objektiv genügt (Mit-)Ursächlichkeit für das Ausbleiben des Erfolgs. Dabei wird heute überwiegend vorausgesetzt, dass der Täter zudem subjektiv die aus seiner Sicht notwendi-gen und verlässlichen Mittel ergreift. Dabei muss der Täter nicht das aus seiner Sicht beste und sicherste Mittel wählen, er darf die Rettung aber auch nicht dem Zufall überlassen (so z.B. LK-Lilie/Albrecht § 24 Rn. 295).

dafür: • Wortlaut § 24 I 1 2. Alt. („verhindert“), auch im Umkehrschluss zu § 24 I 2 (ernsthaftes Bemühen)

• Opferschutz: Anreiz für Umkehr (auch wenn nicht optimales Verhalten erbracht wird) ist kriminalpolitisch sinnvoll

  1. „Bestleistungstheorie“ (MK-Herzberg § 24 Rn. 154ff.; Jakobs AT 26. Abschnitt Rn. 21):

Ein optimales bzw. zumindest sorgfaltsgemäßes Verhinderungsverhalten ist erforderlich.

dafür: • „Dolus-eventualis-Argument“: Wer nur „halbherzig“ handelt und bewusst eine vermeid-bare Gefahr in Kauf nimmt, erbringt keine Umkehrleistung

  • Verdienstlichkeitstheorie: Schonung verdient nur, wer sich anstrengt
  • Vergleich mit Maßstab des § 24 I 2 (ernsthaftes Bemühen)
  • Vergleich zum Unterlassenstäter mit Ingerenzgarantenstellung: Ihn entlastet nur Aus-nutzung aller seiner Möglichkeiten

dagegen: • Opferschutz ; Strafe bei erfolgreichem Ausgang aus präventiven Gründen verzichtbar
3. Differenzierende Auffassung (Roxin AT II § 30 Rn. 243ff.; SK-Rudolphi § 24 Rn. 27d) Unterschieden wird zwischen eigenem Tätigwerden des Täters (Chanceneröffnung genügt) und der Inanspruchnahme Dritter (z.B. Notarzt; dann Bestleistung erforderlich):

dafür:

  • Wer den Erfolg eigenhändig verhindert, dokumentiert damit ausreichend seinen Willen zur Rückkehr in die Legalität. Der „Erfolg gibt ihm Recht“. Dabei soll sogar ausdrücklich unschädlich sein, wenn beim Täter dolus eventualis bzgl. des Erfolgseintritts verbleibt, der Täter also nur „halbherzig“ handelt (Roxin a.a.O. Rn. 244).
  • Wer auf die Hilfe Dritter zurückgreife, soll die beste ihm erkennbare Rettungsmöglich-keit ergreifen. Insbesondere zwinge hier der Wortlaut des § 24 I 1 2. Alt. nicht, die blo-ße Kausalität für die Erfolgsabwendung genügen zu lassen, da es hier jedenfalls nicht der Täter allein ist, der den Erfolg „verhindert“.
73
Q

Wonach bemisst sich die Freiwilligkeit eines Rücktritts?

A
  1. Frank’sche Formel (früherer Maßstab)

Freiwillig ist der Rücktritt, wenn sich der Täter sagt: „Ich will nicht, selbst wenn ich könn-te“, unfreiwillig dann, wenn er sagt: „Ich kann nicht, selbst wenn ich wollte“.

dagegen: • Formel sagt gerade über die „Freiheit“ des Willens nichts aus. Formel zur Unfreiwillig-keit ist nach heutiger h. Lehre Umschreibung des untauglichen Versuchs
2. Normative Lösung (Lehre von der Verbrechervernunft, Roxin, ATII § 30 Rn. 379ff.)

Freiwillig ist der Rücktritt, wenn der Täter entgegen der Verbrechervernunft handelt und sich von der Tat innerlich distanziert. Maßstab ist dabei der „hartgesottene, Chancen und Risiken des konkreten Tatplans kalt abwägende Delinquent“
dafür: • Täter kehrt in Legalität zurück, so dass Strafe aus spezial- wie generalpräventiven Gründen nicht notwendig ist.

dagegen: • für eine normative Lösung fehlen hinreichend verlässliche Abgrenzungskriterien, die Verbrechervernunft ist ein rein fiktiver Maßstab. • Wortlaut § 24 (Art. 103 II GG): Der Begriff „Freiwilligkeit“ impliziert ein Abstellen auf psychologische Gegebenheiten, daher keine rein normative Bestimmung zulässig
3. Psychologisierende Lösung (Lehre von den autonomen Motiven, h.M.)

Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe, sondern durch eine eigene autonome Entscheidung des Täters (“Herr seiner Entschlüsse”) veran-lasst ist, wobei ein sittlich hochwertiges Motiv nicht verlangt wird. Unfreiwillig ist der Rück-tritt demnach, wenn er durch heteronome Gründe veranlasst wird, die vom Willen des Tä-ters unabhängig sind.

�� � � autonome Motive:

Bsp.: Gewissensbisse, Reue, Scham, Mitleid, Angst vor Strafe

Merke: „Herr seiner Entschlüsse“ kann Täter auch dann noch sein, wenn der Anstoß zur Umkehr von außen kommt oder er nach Tatbeginn schuldunfähig wird (zu letzterem BGH NStZ 2004, 324). Auch die Furcht vor Entdeckung schließt die Freiwilligkeit nicht grds. aus, insbes. wenn es dem Täter gar nicht auf die Heimlichkeit ankommt (s. dazu JuS 2012, 82).

�� � � heteronome Motive:

Bsp.: nachträgliche Risikoerhöhung durch wesentliche Änderung der Sachlage, so dass Täter Fortsetzung der Tat nicht mehr für vertretbar hält (z.B. Täter hält sich für entdeckt, Polizist kommt um die Ecke o.ä.)

Bsp.: unüberwindliche Hemmungen zwingen Täter zur Umkehr (Täter kann kein Blut sehen)

Eine autonome Entscheidung liegt dann nicht vor, wenn der Täter zwar erkennt, dass die Vollendung noch möglich ist, jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Vollendung kom-men wird, mittlerweile gering ist, so dass aus Sicht des Täters keine hinreichenden Erfolg-saussichten mehr bestehen.

74
Q

Ernsthaftes Bemühen um Vollendungsverhinderung (§ 24 I 2)

A

o Ein Teil d. Lit. hält eine „Bestleistung“ für erforderlich (z.B. Roxin ATII § 30 Rn. 276), wofür spricht, dass das Merkmal des Bemühens das Äquivalent für die fehlende Ursächlichkeit der Vollendungsverhinderung ist

o Auch die Rechtsprechung stellt wegen des Wortlauts strengere Anforderungen an das Rücktrittsverhalten als bei der Vollendungsverhinderung gem. § 24 I 1 Alt. 2: Unter mehreren verhinderungstauglichen Mitteln muss Täter nicht das Optimale wählen. Hat Täter sich für ein Mittel entschieden, so muss es jedoch geeignet sein; er muss es ausschöpfen und in diesem Sinne „optimal“ anwenden. Besonders hohe Anforderungen bestehen dabei, wenn Gefahr für ein Menschenleben besteht.

75
Q

Schema Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten, § 24 II

A

I. Vollendungsverhinderung, § 24 II 1

  • Kein Fehlschlag
  • Vollendungsverhinderung muss – wie bei § 24 I 1 – „Werk des Rücktrittswilligen“ sein
  • Freiwilligkeit

II. Vollendung bleibt unabhängig von Verhinderungsbemühungen aus: § 24 II 2 Alt. 1

  • Kein Fehlschlag
  • Abgrenzung von § 24 II 1: Nichtvollendung erscheint nicht als „Werk des Rücktrittswilligen“
  • Freiwilliges und ernsthaftes Bemühen

III. Vollendung tritt unabhängig von früherem Tatbeitrag ein: § 24 II 2 Alt. 2

  • Kein Fehlschlag bzgl. Tatbeitrag des Rücktrittswilligen
  • Abgrenzung von § 24 II 1 und II 2 Alt. 1: Vollendung ist eingetreten
  • Freiwilliges und ernsthaftes Bemühen
76
Q

Erfordernis von kognitiven (unstr.) und voluntativen (h.M.) Vorsatzelementen

A

o Eventualvorsatz (dolus eventualis): Täter hält Erfolgseintritt ernstlich für möglich, findet sich damit aber ab (wohl h.L.) / nimmt ihn „billigend in Kauf“(Rspr.); zum Streit um das Erfordernis du die Anforderungen an das voluntative Element s. Ein-heit 7. Eventualvorsatz ist überall dort ausreichend, wo das Gesetz keinen stärke-ren Vorsatzgrad voraussetzt.

o direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades): Täter weiß oder sieht als sicher voraus, dass sein Verhalten zum Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs führen wird, egal, ob er diese Folge begrüßt oder ihm dies innerlich unerwünscht ist

Bsp.: §§ 145d, 164, 187 („wider besseres Wissen“); „wissentlich“ (§§ 145, 258)

o Absicht (dolus directus 1. Grades): „zielgerichtetes Wollen“, Täter kommt es darauf an, den tatbestandlichen Erfolg (u.U. auch als notwendiges Zwischenziel) herbeizuführen; unerheblich ist, ob er genau weiß, dass der Erfolg eintreten wird, oder ob er dies nur für möglich hält

Bsp.: Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht (§ 211); Absicht rechtswidriger Zueignung (§ 242)

77
Q

Tatbestandsirrtum, § 16 I 1

A

Irrtum über tatsächliche Umstände, die für die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands relevant sind.

Bsp.: Jäger J schießt auf Pilzsammler P, weil er ihn im Dämmerlicht für ein Wildschwein hält; § 212 (-)

  • Behandlung: führt unter den Voraussetzungen des § 16 I StGB zum Vorsatzausschluss, Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bleibt aber ggf. möglich (§ 16 I 2)
  • Prüfungsstandort: subjektiver Tatbestand
78
Q

Bsp. Parallelwertung in der Laiensphäre

A

Bsp.: A ist leidenschaftlicher Fan des TSV 1860 München. Um seiner Liebe zum Verein frönen zu können, hat er sich gemeinsam mit seinem Bruder, dem Bayern-Fan B einen Plasmafernseher gekauft. Als Franck Ribéry im Viertelfinale des DFB-Pokals die „Löwen“ mit einem Elfmeter aus dem Wettbewerb katapultiert, brennen bei A die Sicherungen durch und er schleudert die soeben geleerte Bierflasche in den Fernseher. Dem protestierenden B sagt er, mit seinem Eigentum könne er schließlich tun, was er wolle. Strafbarkeit gem. § 303 I?

� A erkennt den Fernseher als denjenigen, den er mit B gekauft hat. Er müsste aber auch laienmä-ßig die Bedeutung des Merkmals fremd verstanden haben. A dachte, der Fernseher sei für ihn nicht fremd und er könne damit tun, was er wolle. Er hat somit nicht einmal laienmäßig die Wertungen des Sachenrechts bzgl. des Miteigentums nachvollzogen. Vorsatz gem. § 16 also (-)

� Anders, wenn A erkennt, dass er Schadensersatz leisten muss: Dann versteht er, dass auch B an dem TV eine Berechtigung hat. Mehr ist von einem Laien nicht zu erwarten. Vorsatz wegen zutref-fender Parallelwertung in der Laiensphäre somit (+). In der Schuld käme dann ein Verbotsirrtum in Betracht (§ 17): Da A erkennt, dass er möglicherweise Ersatz leisten muss, erkennt er, dass die Zer-störung des Fernsehers nicht rechtens ist, bzw. er hätte zumindest Grund gehabt, Rechtsrat einzu-holen. Damit war der Irrtum – wenn man ihn überhaupt bejaht – vermeidbar. Schuld (+)

79
Q

Irrtum über deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale

A
  • deskriptive (d.h. beschreibende) Merkmale: solche, bei denen das Gesetz auf Begriffe aus der Umgangssprache zurückgreift, bzw. die unmittelbar sinnlich wahrnehmbar sind, z.B. „Mensch“, „tötet“ � Subsumtion unproblematisch, Täter muss natürlichen Sinngehalt erfassen
  • normative Merkmale: solche, die ausfüllungsbedürftig sind, weil die Entscheidung über ihr Vorliegen von einer rechtlichen Wertung abhängig ist, z.B. „Urkunde“, „fremd“, „Amtsträger“, „Rechtswidrigkeit der Bereicherung“ (vgl. BGH 2 StR 547/11)

� Täter muss den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt nach Laienart richtig erfassen (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre)

• Vorsatz bzgl. normativer TB-Merkmale erfordert „Erkennen und Verstehen“. Bei Irrtümern ist deshalb zu unterscheiden: Haben sie ihren Ursprung in einer Fehleinschätzung tatsächlicher Umstände oder in einer falschen Wertung?

80
Q

BGH Formel zur Unterscheidung relevanter und irrelevanter Abweichungen vom Kausalverlauf

A

Irrelevant sind Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf, wenn sie „sich in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.“ (BGHSt 7, 325; 14, 193)

  • Beachte aber: Fahrlässigkeitsvorwurf kann bestehen bleiben (§ 16 I 2)
  • Beachte ferner: Zumeist entfällt hier nach h.L. bereits die obj. Zurechnung, da es sich regelmäßig um atypische, obj. nicht vorhersehbare Kausalverläufe handeln wird � bereits der obj. TB ist zu verneinen. Nur wenn die Abweichung zwar obj. vorhersehbar, von der Vorstellung des Täters aber nicht erfasst war, kann die Konstellation auch nach h.L. Relevanz gewinnen.
81
Q

Behandlung der Dolus-generalis Fälle (str.)

A

Ausgangspunkt: Frühere Theorie des „dolus generalis“ (kurze Darstellung in Klausur genügt!): Anknüpfung an 2. Akt; zumindest wenn der Täter von Anfang an beide Akte geplant hat, erstrecke sich der Vorsatz hinsichtlich der Erfolgsherbeiführung auch auf den zweiten Akt. → Lösung: Gleich den zweiten Akt prüfen

dagegen: • Koninzidenzprinzip: Vorsatz ist im Moment der Tathandlung erforderlich. Bei Verwirklichung des zweiten Akts aber kein Tötungsvorsatz

  1. e.A.
    Beide Akte sind getrennt zu betrachten: 1. Akt bleibt im Versuchsstadium stecken (mangels obj. Zurechnung / wegen Irrtum über Kausalverlauf), 2. Akt ohne Vorsatz

→ Lösung: Versuch (1. Akt) + Fahrlässigkeit (2. Akt)

dagegen: • zu pauschal, lässt Regeln der obj. Zurechnung außer Acht: Allein dass der Erfolg unmit-telbar erst durch einen 2. Akt herbeigeführt wird, schließt den Zurechnungszusam-menhang zum ersten Akt nicht aus: Dass ein Opfer zu früh für tot gehalten wird und erst bei der Beseitigung stirbt, ist kein ganz atypischer Verlauf.
2. h.M. (Rspr.)

Anzuknüpfen ist an den 1. Akt. Wenn der Eintritt des Erfolgs erst durch den 2. Akt keine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf darstellt, so ist eine Bestrafung des 1. Akts wegen vollendeter vorsätzlicher Tat möglich.

→ Lösung: Beurteilung der obj. Zurechnung nach herkömmlichen Regeln

dafür: • Täter gibt Geschehen mit 1. Akt quasi aus der Hand; daher ist es möglich, Erfolg die-sem Akt zuzurechnen (daher auch Kritik der Gegenansicht unberechtigt, es würde dem Täter hier ein nicht mehr gegebener Vorsatz unterstellt: Bei Akt 1 war Vorsatz gegeben und nur Akt 1 wird zugerechnet)

• Hält sich im Rahmen der üblichen Zurechnungsdogmatik und ermöglichst so differenzierte Ergebnisse

  1. differenzierende Auffassung (Roxin)

Wie h.M.: Anzuknüpfen ist an 1. Akt. Dabei aber Unterscheidung nach Vorsatzformen: Nur wenn bei 1. Akt mit Absicht gehandelt wird, lässt sich Erfolgsverursachung durch 2. Akt noch als Verwirklichung des Täterwillens bei unwesentlicher Abweichung ansehen. Liegt bei 1. Akt nur dolus eventualis vor, liegt wesentliche Abweichung vor.

82
Q

Dolus-generalis Fälle

A

gemeint sind zwei- (oder mehraktige) Geschehensabläufe, bei denen der Täter irrig davon ausgeht, bereits durch den ersten Akt – wie beabsichtigt – den Erfolg herbeige-führt zu haben, während in Wirklichkeit erst der (häufig zur Verdeckung der Tat vorgenommene) folgende Akt diesen Erfolg mit sich bringt

83
Q

Wesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf in dolus-generalis-Fällen?

A
  1. h.M. (Rspr.)
    Konsequenterweise ist nach h.M. auch im Rahmen des subjektiven Tatbestands auf die allgemeinen Grundsätze abzustellen.

dafür: • Hält sich i.R.d. Zurechnungsdogmatik und ermöglichst so differenzierte Ergebnisse

  1. differenzierende Auffassung Roxins
    Unterscheidung nach Vorsatzformen: Nur bei Absicht bzgl. Erfolgseintritt während 1. Akt soll Eintritt durch spätere Handlung Verwirklichung des ursprünglichen Plans sein

dagegen: • Der Unterscheidung von Vorsatzformen kommt auch sonst keine Bedeutung zu, wenn sie nicht vom Gesetz verlangt wird.
• Wenn der mit dol. ev. ausgeführte 1. Akt zum Erfolg geführt hätte, diese Ursache aber durch den 2. Akt „überholt“ wird, wäre nach der Differenzierung auch hier nur wegen Versuchs (Akt 1) und Fahrlässigkeit (Akt 2) zu bestrafen. Die tödliche Beseitigung des Opfers würde den Täter entlasten!

84
Q

error in persona vel obiecto

A
  • Grundregel: Ein Irrtum über das Handlungsobjekt wirkt sich nur vorsatzausschließend aus, wenn vorgestelltes und getroffenes Objekt nicht tatbestandlich gleichwertig sind (d.h. wenn sie nicht unter dasselbe TBM subsumiert werden können)
  • Erklärung: Umschreibt das Gesetz ein Merkmal nur „gattungsmäßig“ (Bsp.: „Mensch“ in § 212), dann ist dessen Identität kein Tatbestandsmerkmal, so dass man sich darüber auch nicht i.S.d. § 16 I irren kann.
85
Q

Prüfungsreihenfolge bei error in persona vel obiecto

A
  1. Vollendungsstrafbarkeit hinsichtlich des eingetretenen Erfolges?
    - bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit: Vorsatz (+)
    - bei tatbestandlicher Ungleichwertigkeit: kein Vorsatz (s. § 16 I 1)
  2. (ggf.) Fahrlässigkeit hinsichtlich des eingetretenen Erfolgs, § 16 I 2
  3. (ggf.)Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des anvisierten Handlungsobjekts
86
Q

Fall 2: Die Mittäter A und B fliehen getrennt aus der Bank, die sie gerade überfallen ha-ben. Sie hatten vereinbart, zur Not auf Verfolger zu schießen. Als A hinter sich Schritte hört, dreht er sich um und schießt, wobei er in Kauf nimmt, den Verfolger tödlich zu verletzen. Hinter ihm lief aber B, den er auch trifft, wodurch dieser eine schmerzhafte Schusswunde erleidet (vgl. BGHSt 11, 268). Strafbarkeit des B wegen des Schusses?

A

Lösung s. Einheit 8 S. 7 ff.

Versuchter Mord in Mittäterschaft (+)
KV in Mittäterschaft (-)
Versuchte KV in Mittäterschaft (+)

87
Q

Aberratio ictus

A

Abgrenzung zum Irrtum über das Handlungsobjekt:

o Konstellation „error in persona vel objecto“: Täter verletzt das Objekt, das er auch anvisiert hatte. Formel: verletztes Objekt = Zielobjekt

o Konstellation „aberratio ictus“: Täter verletzt nicht das Objekt, das er anvisiert hatte. Formel: verletztes Objekt ≠ Zielobjekt

88
Q

Folgen einer aberratio ictus

A
  1. „Gleichwertigkeitstheorie“

Bestrafung wegen vollendeten Delikts, wenn das Ziel- und das Verletzungsobjekt tatbestandlich gleichwertig sind (= Gleichbehandlung mit error in persona/objecto)

dafür: • Parallele Argumentation wie bei error in persona: Identität des Tatobjekts ist kein Tatbestandsmerkmal.
• Maximaler Schutz aller i.S.d. jeweiligen Tatbestands tauglichen Tatobjekte (bei § 212 „einen Menschen“), da Vorsatz (Wissen und Wollen) diesbezüglich vorhanden ist

dagegen: • entspricht nicht dem realen Sachverhalt (daher auch nicht nur unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf), macht unnötigerweise Gattungsvorstellung zur Entscheidungsgrundlage des Täters
• Täter hat anvisiertes Objekt richtig erkannt und individualisiert, daher Situation anders gelagert als bei error in persona.

  1. Konkretisierungstheorie (hM)

Versuch bzgl. Zielobjekts und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bzgl. verletzten Objekts (Tateinheit) – falls Versuch bzw. Fahrlässigkeit insoweit strafbar sind

dafür: • aberratio ictus und error in persona/objecto unterscheiden sich grundlegend: Sobald ein konkretes Ziel räumlich anvisiert wird, beschränkt sich der Vorsatz auf dieses. Beim error in persona gelingt dies, bei der aberratio ictus nicht. Konstitutiv für den Vorsatz ist also die räumlich-zeitliche Dimension des Tatobjekts, nicht die Identität.

  • Ob ein gleichwertiges Objekt getroffen wird oder ein ungleichwertiges, oder ob die Tat vollkommen ins Leere geht, ist allein vom Zufall abhängig.
  • Annahme, der Täter habe Vorsatz bzgl. jedes tatbestandlich gleichwertigen Objekts – egal ob anvisiert oder nicht – ist eine nicht mit dem Schuldprinzip vereinbare Fiktion
  1. Materielle Gleichwertigkeitstheorie (differenzierende Ansicht)
    bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter (z.B. Leben, körperliche Integrität) wie hM, bei der Verletzung individualitätsunabhängiger Rechtsgüter wie 1.

dafür: • Vorsatzkonkretisierung ist dort ohne Bedeutung, wo die Individualität des Rechtsgutsträgers des Angriffsobjekts ohne Bedeutung für das Unrecht ist, hier ist jede weitere Individualisierung ein unbeachtliches Motiv

dagegen: • Kein Grund für Differenzierung: Vorsatz ist bei aberratio ictus auf ein Objekt konkretisiert – egal, ob es sich um ein höchstpersönliches oder ein sonstiges Rechtsgut handelt.

Hinweis:
Hat der Täter tatsächlich auch (bedingten) Vorsatz bzgl. des letztlich getroffenen Objektes („na wenn schon“; sog. „dolus alternativus“), dann gilt: Strafbarkeit wegen Versuchs hinsichtlich des Zielobjekts und vollendete Vorsatztat hinsichtlich des getroffenen Objekts.

89
Q

Auswirkungen des error in persona des Haupttäters auf den Anstifter

A

Ansicht 1: Rspr. (Rose-Rosahl-Fall, Hoferbenfall), Teile der Lit:

Error in persona des Täters ist auch für Anstifter grds. unbeachtlich, es sei denn die Abweichung liegt nicht mehr im Bereich des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorstellbaren. Konkreter: Anstiftervorsatz (+), wenn Haupttäter sich an vom Anstifter vorgegebenen Spielraum zur Individualisierung des Opfers hält (d.h. wenn Anstifter auf Beschreibung passendes Opfer tötet)

dagegen: • „Blutbadargument“ (Karl Binding): Unterlaufen dem Täter mehrere Verwechslungen und tötet er so lange, bis er das richtige Opfer trifft, müsste A als Anstifter des „ganzen Gemetzels“ bestraft werden, obwohl sich sein Vorsatz nur auf eine Tötung bezog.
Aber: Schon der zweite Totschlag lässt sich als unbeachtlicher Exzess ansehen, z.B. Rengier AT § 45 Rn. 61)]
• Kriterium der „Vorhersehbarkeit“ stammt aus Bereich der Fahrlässigkeit; i.R.d. Vorsatzes kommt es darauf an, was konkret vom Vorsatz umfasst war.
Aber: Wenn nicht ersichtlich ist, dass Anstifter darauf vertraut hat, es werde der Richtige getroffen werden, kann allg. Vorhersehbarkeit – wie sonst – Indiz für Vorsatz sein

dafür: • was für Täter unbeachtlich ist, kann für Anstifter nicht beachtlich sein, weil dieser gerade den Vorsatz des Täters hervorgerufen hat (streng akzessorische Betrachtung).
• Wortlaut des § 26 sagt, dass Anstifter „gleich dem Täter“ zu bestrafen ist.
• Der Anstifter verzichtet – wie der Täter bei Distanzfällen – auf eine Kontrolle des Geschehens bis zuletzt. Dieser Umstand soll ihn nicht entlasten

Ansicht 2 (h.L..; z.B. Roxin):

Error in persona des Täters stellt sich für Anstifter als aberratio ictus dar -> versuchte Anstiftung zur geplanten Tat und ggf. fahrlässige (tatsächliche) Tat.

Vereinzelt wird eine Anstiftung zur versuchten Tat bejaht; dies setzt jedoch voraus, dass man bzgl. des Täters neben der Vollendungsstrafbarkeit bzgl. des getroffenen Opfers auch eine Versuchsstrafbarkeit des vorgestellten Opfers bejaht. Dies liefe auf die Fiktion eines Vorsatzes zu zwei Tötungen hinaus.

dafür: • Vorsatz des Anstifters bezieht sich auf konkrete Tat; das ausgewählte Tatmittel (= der Angestiftete) geht jedoch fehl – das entspricht der Konstellation bei der aberratio ictus.

dagegen: • Letztlich hat der Anstifter die Tat verursacht, wird aber ggü. Haupttäter privilegiert.
schlagene – Umsetzung verwirkte Versuchsunrecht nicht ausreichend.
dagegen: • Täter darf wegen bewussten In-Rausch-Versetzens keine Besserstellung erfahren (wie oben bei Ansicht 2.)

90
Q

Ist der Anstiftervorsatz im Vorsatz zur Tatbegehung als mittelbarer Täter enthalten?

A
  1. Ansatz: Nein

Vorsatz bzgl. mittelbarer Täterschaft und derjenige zur Anstiftung sind strukturell unterschiedlich, so dass es in der vorliegenden Konstellation beim Fehlen eines Anstiftervorsatzes bliebe.

dafür: • Bei der Anstiftung bedarf es der Überzeugung einer voll verantwortlichen Person, bei § 25 I Var. 2 hingegen nicht, so dass sich an ein aliud-Verhältnis denken lässt.
• Sonst Verstoß gegen Art 103 II GG (Wortlaut des § 26)

  1. Ansatz: Ja (z.B. Roxin)
    Anstiftervorsatz sei als „wesensgleiches Minus“ im Vorsatz zur mittelbaren Täterschaft ent-halten. Dann könnte hier Vorsatz bzgl. Anstiftung bejaht werden.

dafür: • Wer sich als mittelbaren Täter sieht, stellt sich selbst eine größere Einflussnahmemöglichkeit vor als ein Anstifter; dieser Unterschied erscheint eher als Ausprägung eines Stufenverhältnisses.

91
Q

Verbotsirrtum, § 17

A

o Unvermeidbarer Verbotsirrtum, § 17 S. 1: Schuld (-), somit: Straflosigkeit

o Vermeidbarer Verbotsirrtum, § 17 S. 2: fakultative Strafmilderung, § 49 I. Ver-meidbar ist der Irrtum, wenn der Täter (1) durch gehörige Gewissensanspannung unter Einsatz aller seiner geistigen Erkenntniskräfte oder (2) durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats bei Dritten (soweit Anlass hierfür besteht, BGH) das Unrecht seines Verhaltens hätte erkennen können.

Beachte: Im Zweifel ist im Kernstrafrecht wegen der zu unterstellenden Kenntnis der grundlegenden rechtlichen Regeln ein unvermeidbarer Verbotsirrtum ausge-schlossen (Ausnahme: Täter aus anderem Kulturraum u.ä.). Anders im Nebenstraf-recht, das komplexe, für viele völlig unbekannte Strafvorschriften enthält.

  • Nicht erforderlich ist Kenntnis der Strafbarkeit oder gar des Straftatbestandes, es genügt eine Parallelwertung nach Laienart.
  • Der Überzeugungstäter, der weiß, dass er ein Gesetz verletzt, aber die Verbindlichkeit der Norm für sich ablehnt, handelt dagegen bewusst gegen die Wert- und Rechtsordnung und somit nicht in einem Verbotsirrtum.
92
Q

Folgen eines Erlaubnistatbestandsirrtums

A
  1. Strenge Schuldtheorie: § 17

Diese Theorie wendet § 17 streng nach dem Wortlaut an: Das Unrechtsbewusstsein ist Schuldmerkmal; fehlt es, weil der Täter an die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes glaubt, ist der Irrtum gem. § 17 nur relevant, wenn er unvermeidbar war.

dafür: • Kein Bruch mit dem durch §§ 16, 17 konstituierten Strafrechtssystem erforderlich

  • Wortlaut: § 17 passt auch auf ETBI („Unrechtsbewusstsein“)
  • Alle Irrtümer über die Rechtswidrigkeit der Tat (d.h. sowohl Irrtümer im tatsächlichen, als auch solche im rechtlichen Bereich) werden einheitlich gem. § 17 behandelt.

dagegen: • Wer im Erlaubnistatbestandsirrtum handelt, ist eigentlich rechtstreu (ähnlich demjeni-gen, der im Tatbestandsirrtum handelt) – er ist also „Schussel und nicht Schurke“ und verdient daher nicht die strengere Behandlung nach § 17

• Historisches Argument: Im Rahmen der Reform des AT sollte der ETBI ursprünglich im Sinne der eingeschränkten Schuldtheorie über eine Ausnahmevorschrift zu den heuti-gen §§ 16, 17 geregelt werden (vgl. § 20 E 1962). Nicht Gesetz geworden ist diese Lö-sung nur deshalb, weil man die Frage schließlich weiterhin Rechtsprechung und Lehre überlassen wollte.

  1. Eingeschränkte Schuldtheorien

Auch diese Ansichten teilen die Grundaussage der Schuldtheorie: Das Unrechtsbewusstsein ist Schuldmerkmal, nicht Bestandteil des Tatbestandsvorsatzes. „Eingeschränkt“ wird die Schuldtheorie jedoch für die Konstellation des ETBI: Auf sie soll nicht § 17, sondern (analog oder in seinen Rechtsfolgen) § 16 angewandt werden:

a) Unrechtverneinende eingeschränkte Schuldtheorie: § 16 analog

Das Vorsatzunrecht (=Tatbestandsvorsatz) entfällt, weil der durch den Vorsatz begründete Handlungsunwert „kompensiert“ wird, wenn man an eine rechtfertigende Sachlage glaubt. Das Fahrlässigkeitsunrecht dagegen bliebe bestehen.

dafür: • Spiegelbildliche Konstellation zum ETBI ist das Fehlen des subj. Rechtfertigungsele-ments. H.L.: Versuchsstrafbarkeit (vgl. Einheit 3), weil das Erfolgsunrecht kompensiert wird und nur das Vorsatzunrecht bleibt. Beim ETBI wird das Vorsatzunrecht durch die Vorstellung einer Rechtfertigung kompensiert, das Fahrlässigkeitsunrecht bleibt.

• Notwehr gegen den Irrenden bleibt möglich (Fahrlässigkeitsunrecht!)

dagegen: • Wenn die Tat des Irrenden kein Unrecht darstellt, ist daran keine Teilnahme möglich – auch wenn der Teilnehmer bösgläubig ist [Dagegen: Bei bösgläubigem Teilnehmer läge wohl immer mittelbare Täterschaft vor]
b) Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie:

Es entfällt lediglich die „Vorsatzschuld“. Der ETBI wird somit lediglich in seinen Rechtsfol-gen dem Tatbestandsirrtum gleichgestellt.

dafür: • der Täter handelt nicht aus rechtsfeindlicher Gesinnung, so dass der Gesinnungsunwert der Tat entfällt und diese daher dem Täter nicht vorwerfbar ist

  • die Bestrafung des bösgläubigen Teilnehmers bleibt möglich
  • Voraussetzungen einer Analogie (zu § 16) zweifelhaft, da angesichts der Existenz des § 17 von einer echten planwidrigen Regelungslücke für diese Konstellation nicht aus-gegangen werden kann.

dagegen: • Vor. und RF einer Norm werden in unzulässiger Weise unterschiedlich behandelt
c) Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen: § 16 gilt direkt

Die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe sind als Merkmale des allgemeinen Un-rechtstatbestandes (Unrecht = TB + RW) „Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören“ i.S.v. § 16 – sie sind in jede Strafnorm negativ hineinzulesen

dagegen: • setzt einen zweistufigen Deliktsaufbau (TB, Schuld) voraus, während das Gesetz (z.B. in § 32, „nicht rechtswidrig“, s. auch § 228) von einem dreistufigen Aufbau ausgeht

  • § 1 I 2 OEG, der das Handeln in der „irrtümlichen Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes“ einem vorsätzlichen und rechtswidrigen Angriff gleichstellt [aber natürlich mit der Opferentschädigung ein ganz anderes Ziel verfolgt].
  • Mangels tatbestandsmäßiger Haupttat ist eine Bestrafung bösgläubiger Teilnehmer un-möglich.
93
Q

sog. Doppelirrtum

A

Ein sog. Doppelirrtum ist gegeben, wenn sich der Täter gleichzeitig über tatsächliche Voraussetzungen und über Existenz / Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungs-grundes irrt. Der Täter stellt sich Umstände vor, die tatsächlich nicht vorliegen, die aber selbst bei ihrem Vorliegen zu keiner Rechtfertigung führen würden.

Bsp.: L, Studienrätin an einem staatlichen Gymnasium, ist wegen ihrer autoritären Erziehungsmethoden berüchtigt. Als im Unterricht ein Gegenstand nach vorne fliegt, während sie etwas an die Tafel schreibt, glaubt sie, K als Übeltäter erkannt zu haben. In Wahrheit war es aber dessen Nachbar N. L schlägt dem K ihren schweren Schlüsselbund ins Gesicht im Glauben, ihr stünde ein solches Züch-tigungsrecht zu. Strafbarkeit der L gem. §§ 340 I 1, III, 223 I, 224 I Nr. 2?

� Rechtswidrigkeit: Notwehr § 32 (-), da kein rechtlich geschütztes Interesse der L ersichtlich ist, das angegriffen worden sein könnte. Zudem war K nicht der Angreifer, und auch das subj. Rechtfer-tigungselement fehlt, da L sich nicht verteidigen, sondern nur den bereits beendeten “Angriff” re-pressiv bestrafen wollte. Auch ein Züchtigungsrecht des Lehrers als Rechtfertigungsgrund nicht an-erkannt, erst-recht-Schluss zum durch § 1631 II BGB zumindest stark eingeschränkten „Züchti-gungsrecht“ der Eltern (vgl. Einheit 3).

� Erlaubnistatbestandsirrtum: (-), zwar Irrtum über Tatsachen (Züchtigung richtet sich gegen K, der tatsächlich keinen Züchtigungsanlass geliefert hatte), aber auch bei hypothetisch unterstelltem Angriff durch K griffe kein von der Rechtsordnung anerkannter Rechtfertigungsgrund ein.

� Schuld: L irrte auch in der rechtlichen Bewertung ihrer Tat (Konstellation des Erlaubnisirrtums), denn selbst wenn K den Gegenstand geworfen hätte, hätte die L ihn nicht mit dem Schlüsselbund schlagen dürfen. Behandlung: allein nach § 17, weil ein zusätzlicher Irrtum über den Sachverhalt einen im Erlaubnisirrtum handelnden Täter nicht entlasten bzw. besser stellen kann. Hier: vermeid-barer Irrtum, § 17 S. 2, Strafbarkeit somit (+)

94
Q

Irrtümer über persönliche Straffreistellungsgründe

A
  1. h.M.: nur objektive Lage entscheidend; Irrtum unbeachtlich

dafür: • Strafausschließungsgründe stehen jenseits von Unrecht und Schuld und müssen nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein

  1. a.A.: Differenzierend:

Die objektive Lage sei entscheidend, wenn Strafbefreiung in staatspolitischen Erwägungen oder kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen wurzelt (zB § 36: Schutz der parla-mentarischen Redefreiheit)

Dagegen sei allein die subjektive Kenntnis des Täters entscheidend, wenn Strafausschluss auf schuldmindernden Erwägungen beruht, d.h. insbesondere wenn sich Täter in not-standsähnlicher Konfliktlage befindet (z.B. § 258 VI)

dafür: • Nähe zu Entschuldigungsgründen; dort kann Irrtum beachtlich sein, vgl. § 35 II

95
Q

Aufbauschema unechte Unterlassungsdelikte

A

Vorprüfung: Abgrenzung zwischen Tun oder Unterlassen

I. Tatbestand

  1. Objektiver Tatbestand
    a) Erfolgseintritt

b) Nichtvornahme der gebotenen erfolgshindernden Handlung trotz physisch-realer Abwehrmöglichkeit
• Unterlassen bedeutet die Nichtvornahme der in der Gefahrenlage rechtlich gebotenen Rettungshandlung trotz ihrer (physisch-realen) Möglichkeit.
• Geboten ist die Handlung, die objektiv erforderlich ist, um den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden. Erforderlichkeit meint damit v.a. Geeignetheit: Was nicht erfolgverspre-chend ist, muss auch nicht getan werden. Zwischen mehreren Handlungsweisen, deren Vornahme das Ausbleiben des Erfolgs gleich sicher erwarten lässt, kann der Täter eine auswählen. Beurteilungsgrundlage ist der konkrete Einzelfall.
• Was objektiv unmöglich ist, kann auch nicht unterlassen werden. Man kann nur Mögli-ches verlangen – genauer gesagt: Etwas, das individuell möglich ist. Relevant ist nur, ob objektiv eine Handlungsmöglichkeit besteht. Ob diese Handlung pflichtwidrig ist, spielt erst in der Rechtswidrigkeit eine Rolle (rechtfertigende Pflichtenkollision).
• Fehlt es an der individuellen Handlungsfähigkeit, ist der obj. Tatbestand nicht erfüllt. (Bsp.: Nichtschwimmer kann Ertrinkenden nicht retten)
• Nach e.A. ist die Zumutbarkeit der Rettungshandlung Tatbestandsmerkmal, nach ganz h.M. wird sie dagegen erst in der Schuld relevant. Hierfür spricht die Nähe zu Ent-schuldigungsgründen (Unzumutbarkeit taucht z.B. auch auf in § 35) und die explizite Erwähnung in § 323c (Umkehrschluss: bei § 13 nicht erforderlich).

c) Quasi-Kausalität des Unterlassens für den konkreten Erfolg
d) Objektive Zurechnung

e) Garantenstellung
• Garant für die Abwendung des Erfolges ist, wer aufgrund einer besonderen Pflichtenstellung rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt; eine bloße sittliche Pflicht ist nicht ausreichend.
• Täter kann nur sein, wer selbst Garant ist - alle anderen können nur Anstifter oder Gehilfen sein. Ob eine Garantenpflicht deshalb ein (strafbegründendes) besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 I ist, ist str.
- Diff. Garantenstellung und -pflicht

f) Entsprechungsklausel
2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz und ggf. besondere subjektive Merkmale

II. Rechtswidrigkeit, insbesondere die rechtfertigende Pflichtenkollision

III. Schuld, insbesondere die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens

96
Q

Abgrenzung Tun - Unterlassen

A
  1. Rspr./h.M.: Schwerpunktformel

Die Abgrenzung ist eine Wertungsfrage. Entscheidend ist, wo (bei normativer Betrachtung) der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit/ des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt.

dafür: • das Abstellen auf den sozialen Sinn des Geschehens erlaubt sachgerechte Ergebnisse

dagegen: • Rechtsunsicherheit, weil konkrete Kriterien zur Abgrenzung fehlen
2. a.A.: Lehre vom Energieeinsatz

Aufwenden von Energie in bestimmte Richtung = Tun, Nichtaufwenden = Unterlassen

dagegen: • bei vielen Abgrenzungsfällen wird sowohl Energie eingesetzt als auch nicht eingesetzt (nächtliches Fahrradfahren (= Energieeinsatz) ohne Licht (= Nichteinsatz von Energie)), so dass damit kein klareres Kriterium gefunden wird
3. a.A.: im Zweifel wird ein aktives Tun angenommen
dagegen: • dann müsste man auch in Konstellationen, die zwar unklar sind, bei denen aber dem Tun eine nur völlig untergeordnete Rolle zukommt, ein Tun annehmen, was ersichtlich unbillig wäre (X sieht, wie O vom Feuer erfasst wird, dreht sich um und geht)
4. a.A.: Lehre von der Begehungskausalität

Begehungsdelikt, wenn Tun für Erfolg kausal ist; Unterlassen, wenn es daran fehlt (man schaut, ob am Beginn der Kausalkette ein Tun oder ein Unterlassen steht)

dagegen: • es bleibt unklar, wie weit die Kausalkette zurückzuverfolgen ist; allerdings kann dieses Kriterium die Schwerpunkttheorie präzisieren: wenn ein Tun kausal ist, liegt dort der Schwerpunkt des Vorwurfs (wobei die Fallgruppen der h.M. unten zu beachten sind)

97
Q

Omissio libera in causa (olic)

A

Die olic ähnelt von der Struktur und dem Grundgedanken her der actio libera in causa (s. Einheit 4) sowie der actio illicita in causa (Einheit 3 Fall 2): Im Zeitpunkt des relevanten Tatverhaltens (hier des „Unterlassens“) fehlt es an der tatbestandlich vorausgesetzten Mög-lichkeit der Erfolgsabwendung. Im Vorfeld hat der Täter aber gerade dafür gesorgt, dass er später diese Erfolgsabwendungsmöglichkeit nicht mehr hat. Fraglich ist also

  • ob ein Tun oder ein Unterlassen vorliegt; und in Folge davon
  • wie die physisch-reale Handlungsfähigkeit zu beurteilen ist
98
Q

Quasi-Kausalität

A
  1. Die Rechtsprechung arbeitet mit einer Umkehrung der bei Begehungsdelikten üblichen „Hinwegdenk“-Formel:

o „Ursächlich ist ein Unterlassen, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hin-zugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit entfiele.“
- Diese Formulierung ist bewusst enger als bei den Begehungsdelikten: Kausalität ist danach schon zu verneinen, wenn der Erfolg in irgendeiner Weise auch bei Vor-nahme der gebotenen Handlung eingetreten wäre. Dies führt entgegen der allgemeinen Regeln zur Relevanz von Reserveursachen und begrenzt so die Unterlas-sensstrafbarkeit. Dagegen kann man jedoch einwenden, dass derartige Wertungsfragen solche der objektiven Zurechnung und nicht bereits der Kausalität sind.

  1. Ein Teil der Literatur will deshalb die „Hinzudenk“-Formel ganz analog zu den Begehungsdelikten formulieren
    o „Ursächlich ist ein Unterlassen, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.“
    o Teils wird auch bezweifelt, dass bei Unterlassensdelikten überhaupt eine „Kausalität“ vorauszusetzen ist. Für die Klausur empfiehlt es sich jedoch, entweder Rspr. oder h.Lit. zu folgen.
99
Q

Garantenstellung aus familiärer Verbundenheit

A

(P) Kreis der Garanten, Vrss. an das Näheverhältnis
- jedenfalls: je weiter das familiäre Verhältnis ist, desto eher wird es auf dessen tatsächliche Ausge-staltung (im Sinne eines bestehenden Nähe- und Obhutsverhältnisses) ankommen, z.B. bei Geschwistern untereinander
• Eltern gegenüber ihren Kindern
o sicher (+) bei im Haushalt lebenden minderjährigen Kindern (übrigens auch zulasten des anderen Elternteils, also z.B. wenn ein Elternteil das Kind sexuell missbraucht; nach BGH besteht trotz des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 I Nr. 2 StPO eine Anzeigepflicht), vgl. auch §§ 1626 ff. BGB
o str. bei volljährigen Kindern: (+) solange familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht, weil weiterhin gegenseitig Schutz übernommen wird (ggf. aber begrenzt auf Schutz von Leib, Leben, Freiheit). Str., wenn Kinder Elternhaus verlassen haben (je nachdem, ob man eine abstrakte oder eine konkrete Betrachtung anwendet)

• Kinder gegenüber ihren Eltern
o (+), arg. §§ 1601, 1618 a BGB – nach der Rspr. auch für volljährige Kinder; wegen der Eigenverantwortung der Eltern wohl nur Personen-, nicht Vermögenssorge)
o str., wenn volljährige Kinder Elternhaus verlassen haben (wie oben abstrakte oder konkrete Betrachtung entscheidend).

• Ehegatte gegenüber Ehegatte (auch: eingetragene Lebenspartnerschaft)
o (+), denn mit der Ehe gehen die Ehegatten freiwillig eine Verbindung ein, die auf gegenseitigen Schutz und gegenseitige Fürsorge angelegt ist, vgl. § 1353 I 2 BGB
o aber (-) wenn dieses Vertrauensverhältnis tatsächlich nicht mehr besteht; nach BGH ist dies der Fall, wenn sich ein Ehegatte vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherzustellen, arg. §§ 1353 II, 1565 I, 1566 BGB (wobei hierfür nicht die Einhaltung des Trennungsjahres erforderlich ist!)
o Es besteht keine Position als Überwachergarant, also keine Pflicht, den anderen an Straftaten zu hindern; Beschützergaranten müssen nur Gefahren vom zu Beschützenden abwehren, nicht Dritte vor Gefahren bewahren, die von der zu beschützenden Person ausgehen könnten, da jede Person grds. selbst für ihr Tun und Lassen verantwortlich ist (Ausnahme Aufsichtsstellungen)

100
Q

Garantenstellung aus enger Gefahren- oder Lebensgemeinschaft

A
  • nichteheliche Lebensgemeinschaften
    (+), wenn wie Ehe auf Dauer angelegt und auf gegenseitige Hilfe gerichtet
    (-) bloße Freundschaft
    (-) bloße Liebesbeziehung
  • Gefahrengemeinschaften
    (+), wenn ihrer Natur nach (typischerweise) auf ggs. Unterstützung angelegt
    (-) bloße Zufallsgemeinschaft wie Zechgemeinschaft
    (-) zufällige Unglücksgemeinschaft (Schiffsunglück)
  • Haus- und Wohngemeinschaften
    nur (+), wenn im Einzelfall zu gegenseitiger Schutzgemeinschaft entwickelt (meist dann ohnehin Übernahme einer Obhutspflicht)
101
Q

Garantenstellung durch tatsächliche, freiwillige Übernahme

A

• Grundgedanke: durch faktische Übernahme wird besonderes Vertrauen begründet, das dazu führt, dass andere Schutzmaßnahmen nicht vorgenommen werden � auf die zivil-rechtliche Wirksamkeit eines Vertrages kommt es nicht an � der Vertragsschluss als solcher genügt noch nicht zur Begründung der Garantenstellung

Bsp.: Übernahme der ärztlichen Behandlung, Übernahme einer Bergführung, Übernahme der Aufsicht über Kinder, dauerhafte enge Geschäftsbeziehungen

  • Die Garantenstellung kann dem Zuständigen gegenüber auch wieder beendet werden – einseitig allerdings nur, solange sich das zu schützende Rechtsgut noch nicht in einer kritischen Lage befindet, denn diese Gefahren abzuwenden ist ja gerade Sinn und In-halt der Übernahme.
  • Wer eine Hilfeleistung im Sinne des § 323c nur zusagt und anschließend nichts tut o-der eine Hilfeleistung beginnt und nicht zu Ende führt, erhält dadurch keine Garanten-stellung, sondern macht sich nur nach § 323c strafbar – arg.: Gleichstellung mit dem, der gar nichts tut und sich deshalb nach § 323c strafbar macht. Ausnahme: wenn Hel-fer die Situation des Hilfsbedürftigen wesentlich verändert und sich daran die objektiv begründete Erwartung eines Folgeverhaltens knüpft

Bsp.: Autofahrer A nimmt Betrunkene B bei bitterer Kälte mit nach Hause, lässt sie dann aber im Auto liegen, so dass sie wegen Unterkühlung verstirbt � Garant (+), da nach dem Mitnehmen zu erwar-ten ist, dass er B nicht einfach im Auto lässt

• Problematisch ist v.a. bei § 263, ob sich bei einer Täuschung durch Unterlassen die Garantenstellung aus § 242 BGB (Treu und Glauben) ergeben kann – dies darf nur un-ter ganz engen Voraussetzungen bejaht werden (besonderes Vertrauensverhältnis)

102
Q

Garantenstellung aus Stellung als Amtsträger oder Organ juristischer Personen

A

• Bei Amtsträgern ist die Garantenstellung abhängig davon, ob der Schutz der betroffe-nen Interessen zu ihrem Aufgabenbereich gehört

Bsp.: (OLG Stuttgart): Es existiert eine Garantenstellung der Mitarbeiter kommunaler Jugendämter und Sozialdienste dafür, dass die von ihnen mitbetreuten Kinder nicht durch vorher-sehbare vorsätzliche Misshandlungen durch die Mütter körperlich verletzt werden).

• Durch die Übernahme einer Organstellung sind die Organe verpflichtet, Schäden von der jeweiligen juristischen Person fern zu halten (Bsp. Steueranspruch).

Bsp.: Umweltschutzbehörden sind Garanten für Umweltrechtsgüter, müssen also einschreiten, wenn Umweltrecht das von ihnen verlangt (str.)

Bsp.: Polizei ist Beschützergarant für Individualrechtsgüter jedenfalls bei drastischen Gefahren, bei Zu-ständigkeit des Beamten und nur i.R.d. Berufsausübung (str.)

103
Q

Garantenstellung aus Ingerenz (= pflichtwidriges, gefährdendes Vorverhalten)

A
  • Hintergrund: Folgeschäden aus selbst geschaffenen Gefahren sind abzuwenden
  • Vorverhalten muss nach h.M. pflichtwidrig sein (im Einzelnen str.) und die nahe Gefahr des tatbestandsmäßigen Schadenseintritts geschaffen haben; insb. (-), wenn nur ein vollverantwortliches Drittverhalten ermöglicht wird, das den Schaden herbeiführt.

Problem: Garantenstellung bei pflichtgemäßem gefährlichen Vorverhalten?

Ausgangspunkt:
ein Verhalten, das sich im Bereich des erlaubten Risikos bewegt, kann keine Garantenstellung aus Ingerenz begründen (überwiegende Meinung)

Bsp.: Verursachung eines Pkw-Unfalls ohne Sorgfaltsverstoß; zulässiger Alkoholausschank durch Wirt

a. A. die Verursachungstheorie, die generell die Verursachung einer Gefahr genügen lassen will, arg. auch bei anderen Garantenstellungen kommt es auf Rechtswidrigkeit nicht an)
dagegen: Kausalität allein schafft keine Verantwortung im Rechtssinn, die aber für Überwachergaranten erforder-lich ist; was erlaubt ist, darf nicht zu Bestrafung (abgesehen von § 323c) führen

Ebensowenig ist nach h.M. die Schuldhaftigkeit des Vorverhaltens erforderlich.

  1. Ansicht (wohl h. M.)

Eine Garantenstellung aus Ingerenz setzt ein rechtswidriges Vorverhalten voraus.

dafür: • bei der Notwehr: Angreifer kann den Verteidiger nicht in Garantenstellung zwingen (nachdem Verteidigungshandlung Gefahr für Angreifer geschaffen hat). Sonst stünde der Angreifer besser als ein ohne eigene Schuld Verunglückter (demgegenüber keine Garantenstellung bestünde)

• wer einen von der Rechtsordnung gebilligten Zustand herbeiführt, steht dem Opfer nicht näher als ein zufälliger Passant, der auch nur nach § 323 c haftet

  1. Differenzierende Ansicht

keine Garantenstellung bei rechtmäßigem Vorverhalten, das in die Rechtsgüter eines An-greifers eingreift (§ 32 StGB), wohl aber bei Vorgehen gegen Dritte (§ 228 BGB, § 34 StGB)

dafür: • bei § 34 wird in den Rechtskreis eines Unbeteiligten eingegriffen, der dann Hilfe erwar-ten kann und darf – wer sich auf Kosten eines anderen rettet, schuldet ihm zumindest dessen nachträgliche Rettung

• aus der Interessenabwägung beim Notstand folgt der Gedanke der größtmöglichen Opferschonung, der sich in der Garantenstellung fortsetzt – man überträgt den Rechts-gedanken des § 904 S. 2 BGB auf das Strafrecht (Hilfeleistung statt Entschädigung)

dagegen: • Gesetz sieht keine Rechtmäßigkeits-Abstufung vor; es gibt nur entweder rechtmäßiges oder rechtswidriges Vorverhalten. Für eine Differenzierung ist daher kein Raum.

• Es muss sich im Erfolg gerade die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens niedergeschla-gen haben (m.a.W.: Pflichtverletzung = Verstoß gegen Gebot, das gerade das gefährde-te Rechtsgut schützen soll)

Bsp.: (-), wenn O auf der Suche nach Einbrecher stürzt und sich den Fuß bricht, denn § 242 (pflichtwidri-ges Vorverhalten) soll nicht die körperliche Unversehrtheit des Eigentümers schützen.

• Eine Äußerung, welche objektiv die Voraussetzungen einer Anstiftung erfüllt (Hervor-rufen des Tatentschlusses), aber ohne Vorsatz erfolgt, ist ein pflichtwidriges Vorverhal-ten. Hindert derjenige, der die Äußerung getätigt hat, die Tat des dadurch zur Tat Be-wegten nicht, kommt eine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen in Betracht.

Bsp.: A und B überqueren eine Autobahnbrücke, auf der Eimer mit Bauschutt stehen. B fragt A, ob er ei-nen Eimer von der Brücke werfen solle. Völlig unüberlegt und nicht ernsthaft sagt A „Mach doch!“. B wirft daraufhin den Eimer, A hindert ihn nicht, obwohl er es könnte (BGH NStZ 2013, 286)

104
Q

Sonderproblem: Strafrechtliche Produkthaftung
Bsp.: Lederspray-Fall (BGHSt 37, 106): Gefährliche Ware wurde in Umlauf gebracht, was aber erst nach Inverkehrbringen erkennbar war – dann zunächst keine Warnung und kein Rückruf. §§ 229 (oder 223), 13?

A

Problem: Einordnung der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit

  1. BGH: Ingerenz (+)

dafür: • Bereits der Gefährdungserfolg wird rechtlich missbilligt.

dagegen: • Herstellung und Vertrieb sorgfaltsgemäß, also kein pflichtwidriges Vorverhalten
2. a.A.: gesteigert riskantes Vorverhalten genügt; (+) bei Produkten mit Schädigungspoten-tial
dagegen: • zu unbestimmt; zudem: warum soll Risiko bei Einhaltung aller Sicherheitsstandards gesteigert sein?
3. a.A.: Übernahme einer Schutzfunktion, weil in der modernen Warenwelt der Verbrau-cher sich (notgedrungen) darauf verlassen muss, dass der Hersteller ihn auch nachträglich über etwaige Risiken des Produkts informiert

105
Q

Garantenstellung aus Herrschaft über eine Gefahrenquelle

A

• Sachen als Gefahrenquellen

o Verkehrssicherungspflichten, z.B. für Häuser, Tiere, Autos

o Inhaberschaft gefahrenträchtiger Anlagen

o Wohnung, wenn sie nicht nur Tatort ist, sondern wegen ihrer Gestaltung oder sonstiger besonderer Umstände eine tatfördernde Rolle spielt

o Gaststätte (+), wenn neben bloßer Hausrechtsinnehabung besonderes Vertrauen ins Wohlergehen der Gäste geschaffen wird (Grenzen im Einzelnen str.)

• Personen als Gefahrenquellen bei Autoritäts- und Aufsichtsstellungen, z.B. der Eltern ggü. den Kindern, Lehrer ggü. Schülern, Arbeitgeber ggü. Arbeitnehmern bei betriebs-bezogenen Straftaten (str. im Hinblick auf das Prinzip der Eigenverantwortung)

106
Q

Garantenstellung durch Übernahme von Sicherungspflichten

A

Dies ist das Pendant zur Übernahme von Schutzpflichten, mit denen auch Überwachungspflichten einhergehen können (Babysitter bzgl. Verletzungen von Dritten durch das Kind); auch Verkehrssicherungspflichten können übernommen werden.

107
Q

Entsprechungsklausel (§ 13 I Hs. 2 StGB)

A
  • Sog. „Modalitätenäquivalenz“: Unterlassen muss denselben sozialen Sinn aufweisen wie das im Tatbestand beschriebene Tun.
  • Achtung: diese Gleichwertigkeit wird hinsichtlich des Erfolgsunrechts schon durch die Garantenstellung begründet. Relevant ist die Entsprechensklausel nur bei verhaltens-gebundenen Delikten, die ein besonderes Handlungsunrecht aufweisen (s. auch Einheit 19 – Großer Fall 4). Dies wird diskutiert bei:

o Betrug hinsichtlich der Täuschung (a.A. die Rspr.)

o Raub hinsichtlich des Merkmals Gewalt / Drohung

o einigen Mordmerkmalen, etwa hinsichtlich der Heimtücke (Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit begründet besonderes Handlugnsunrecht)

o Qualifikationsmerkmalen, die eine Begehungsmodalität kennzeichnen, z.B. den hinterlistigen Überfall bei § 224 Nr. 3 (bzgl. Nr. 1, 2 und 4 ebenfalls vertretbar)

• Nicht gesondert zu prüfen ist die Entsprechungsklausel bei „normalen“ Erfolgsdelikten.

108
Q

Gibt es den untauglichen Versuch beim Unterlassungsdelikt?

A
  1. e.A.: Nein

dafür: • Mangels objektiver Gefahr der Tatbestandsverwirklichung und einer auf eine Rechts-gutsverletzung abzielenden Handlung wäre dies bloßes Gesinnungsstrafrecht.

  1. h.M.: Ja

dafür: • Ein untauglicher Versuch ist ex ante genauso wenig (oder ebenso) gefährlich wie beim Begehungsdelikt. Er führt bei einem objektiven Beobachter, der die Beweggründe des Täters kennt, zu einer Erschütterungswirkung, es liegt also der Strafgrund des Versuchs vor.

  • Wertung des § 22: Vorstellung des Täters entscheidend.
  • Kein reines Gesinnungsstrafrecht, weil das Unterlassen eines Garanten eine Handlung im Sinne des Strafrechts ist, an das man somit eine Bestrafung anknüpfen kann.
109
Q

Unmittelbares Ansetzen beim Unterlassungsdelikt

A
  1. Theorie des erstmöglichen Eingriffs Mit Verstreichenlassen der aus Tätersicht ersten Rettungschance beginnt der Versuch.

dafür: • im Interesse des gefährdeten Rechtsguts muss möglichst früh gehandelt werden, zumal der Täter nicht wissen kann, ob sich noch weitere Rettungschancen bieten

dagegen: • zu weite Vorverlagerung der Strafbarkeit, Nähe zur Gesinnungsstrafe
2. Theorie des letztmöglichen Eingriffs Erst mit Verstreichenlassen der aus Tätersicht letzten Rettungschance beginnt der Versuch.

dafür: • wenn es mehrere rechtsguterhaltende Handlungsmöglichkeiten gibt, verlangt die Rechtsordnung nicht, dass gerade die erste wahrgenommen werden muss

dagegen: • nach dieser Ansicht gäbe es keinen Raum für einen strafaufhebenden Rücktritt

• die Garantenpflicht verlangt nicht nur letztendliche Erfolgsabwendung, sondern schon die Verhinderung erfolgsnaher Gefährdungen (s. auch die Argumentation bei der olic).

  1. h.M. (differenzierend)

Wenn aus Sicht des Täters das Rechtsgut unmittelbar gefährdet und der Eintritt des tatbe-standlichen Erfolges nahe gerückt ist (= konkrete Gefahr, die jederzeit in Schaden umschla-gen kann), beginnt Versuch mit Verstreichenlassen der ersten Rettungschance.

Bei entfernterer Gefahr und mangelnder Erfolgsnähe beginnt der Versuch, wenn der Täter die Möglichkeit des Einschreitens aus der Hand gibt und dem Geschehen freien Lauf lässt.

dafür: • Garantengebote sollen Rechtsgüter schützen. Deshalb muss der Garant erst, aber auch immer dann einschreiten, wenn er nach seiner Vorstellung bei späterem Eingreifen möglicherweise die Rechtsgutsverletzung nicht mehr abwenden kann.

110
Q

Setzt der Rücktritt vom Versuch des Unterlassungsdelikts immer Voll-endungsverhinderung voraus?

A

Bsp.: Mutter füttert mit Tötungsvorsatz ihr Kind nicht mehr – nach mehreren Tagen füttert sie es wieder normal und geht davon aus, das würde das Kind retten; tatsächlich reicht das aber nicht und das Kind stirbt

� Ist M strafbefreiend zurückgetreten?

� Nur wenn man auf ein Aufgeben der Tat abstellt, nicht, wenn Vollendungsverhinderung erforderlich wäre

  1. Rechtsprechung: Ja

Beim Unterlassungsdelikt kann nicht zwischen beendetem und unbeendetem Versuch diffe-renziert werden. Ein Rücktritt ist nur bei erfolgreicher Vollendungsverhinderung möglich.

dafür: • Ein Aufgeben der Tat (§ 24 I 1 Var. 1) kann bei Unterlassungsdelikten nur in einer akti-ven Handlung = Vollendungsverhinderung bestehen

• Gefahrenlage für das Opfer verschärft sich beim Unterlassungsdelikt kontinuierlich, so dass die Erfüllung der ursprünglichen Handlungspflicht typischerweise nicht genügt.

  1. Teil der Literatur: Nein

Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter glaubt, die ursprünglich geforderte Handlung genüge noch, um den Erfolg zu verhindern. Folge: Nimmt er diese Handlung vor, bleibt er straffrei, selbst wenn der Erfolg entgegen seiner Erwartung eintritt.

dafür: • Gesetzliche Regelung des § 24 erlaubt Rücktritt durch Aufgeben der Tat, dies muss dann aber gleichermaßen für Unterlassungsdelikte gelten.

• Verdienstlichkeits-/Strafzwecktheorie (näher Einheit 6): Täter zeigt durch Abkehr vom Unterlassen und Aufnahme der Rettungshandlung, dass er keiner Strafe bedarf.

111
Q

Einheitstheorie

A

Jede Tötung enthält als Durchgangsstadium eine Körperverletzung und jeder Tötungs- einen Körperverletzungsvorsatz. Die Körperverletzung tritt hinter das vollendete Tötungsdelikt als subsidiär zurück.

Klausurtipp:
Bei Zeitnot in der Klausur kann (ausnahmsweise) auf eine (aufwendige) Prüfung der Körperverletzungstatbestände verzichtet und gleich auf deren Subsidiarität abgestellt werden.

Bsp.: nach Ergebnis § 212 noch formulieren: „Die zugleich verwirklichte gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, Nr. 5 tritt hinter dem vollendeten Totschlag im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Subsidiarität) zurück“: