Staatsorganisationsrecht - Probleme, Streitstände, Dogmatik Flashcards
P: Rechtsstaatsprinzip: Inwieweit sind rückwirkende Gesetze verfassungsrechtlich zulässig?
Dogmatische Verankerung: Vertrauensschutz aus Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III) oder aus GR direkt (Prüfung neben der Verhältnismäßigkeit in der verfassungsRlichen RechtsF)
- Echte Rückwirkung (Gesetz greift nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende TB ein, deren Rechtsfolgen vor Verkündung des Gesetzes eingetreten sind)
a) Grds. unzulässig
pro: Grundsatz des Vertrauensschutzes (Bürger hat sich damals auf die Herrschaft des früheren Rechts verlassen dürfen)
b) Ausn. zulässig: besondere Gründe
pro: musste mit Neuregelung rechnen
pro: bisherige Rechtslage unklar
pro: bisherige Regelung verfassungswidrig
pro: resultierende Belastung bagatellhaft
pro: Zwingende Gründe des öffentlichen Wohls - Unechte Rückwirkung (Gesetz wirkt nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein)
a) Grds. zulässig
pro: Regelungsinteresse des Gesetzgebers überwiegt, die Rechtsordnung für die Zukunft neu gestalten zu können, auch wenn dabei auf gegenwärtige, begonnene SV eingewirkt wird
b) Ausn. unzulässig (kumulativ):
I. Eingriff konnte von Betroffenen gar nicht berücksichtigt werden (dispositionsirrelevant)
II. Vertrauen im Einzelfall schutzwürdiger als Gesetzesanliegen (bspw. wenn unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich oder wenn Bestandsinteressen des Betroffenen Änderungsabsichten des Gesetzgebers klar überwiegen)
P: Demokratieprinzip: Welche Anforderungen stellt das Demokratieprinzip an die Legitimation funktionaler Selbstverwaltungstätigkeit?
Dogmatik: Art. 20 I (Strukturentscheidung: Demokratischer Staat); Art. 20 II 1 (Staatsgewalt vom Volk); Art. 20 2 Hs. 1 (In Wahlen und Abstimmungen) -> Legitimationsmodell des BVerfG:
a) organisatorisch-personelle Legitimation (ununterbrochene Legitimationskette von Volksgewalt auf jew. Amtswalter)
b) sachlich-inhaltliche Legitimation (Inhalt wird vom Volkswillen abgeleitet: 1) durch parl. Gesetzgebungsrecht 2) durch Kontrollrechte der Amtswalter)
c) Außerhalb dieses Modells (bspw): funktionale Selbstverwaltung: bestimmte Aufgaben wird aus unmittelbarer Staatsverwaltung ausgegliedert und zu eigenverantwortlichen Erledigung einem eigenständigen ÖRlichen Rechtssubjekt übertragen (nur bedingt weisungsgebunden)
- Theorie des Legitimationsdefizits: Legitimationserfordernisse gelten auch dann, wenn Wahrnehmung der Aufgaben durch fSVerw die Allgemeinheit betreffen
pro: Verf gibt keinen Anhaltspunkt, fSVerw anders zu behandeln als Ministerialverwaltung. Art 87 GG erlaubt zwar Selbstverwaltung, diese soll aber ihrem Wesen nach nur die Angehörigen der Selbstverwaltungseinheit betreffen. Sofern die Allgemeinheit betroffen ist, gelten die allgemeinen Legitimationskriterien
pro: Bestellung der Verw ist körperschaftsintern (personell-organisatorisches LegDefizit)
pro: körperschaftsinterne Wahl genügt nicht Wahl iSd Art 20 II 2 Hs 1, da es ein bloßes “Körperschaftsvolk” ist - Theorie der pluralistischen Legitimationsansätze: Modifikation der LegErfordernisse möglich bzw. ein LegStrang kann den anderen kompensieren
pro: Staatsvolk als ganzes muss nicht für jede Legitimation Voraussetzung sein: Landesvolk ausreichend - jedoch ist Identität von Herrschaftsbefugnissen und Herrschaftsunterworfenen nötig (con 1. Theorie)
pro: Demokratieprinzip wurzelt in Vorstellung der individuellen Selbstbestimmung: wenn Betroffene Amtswalter wählen bzw. die Bestimmungsgremien derselben, braucht keine umfassende Legitimationskette an das Gesamtvolk bestehen
pro: Personelle Legitimation kann durch Gesetz hergestellt werden (durch Regelung der Berufung von Amtsverwaltern)
P: Gilt im Bereich der Leistungsverwaltung der Gesetzesvorbehalt?
Dogmatik: Gesetzesvorbehalt (hoheitliche Tätigkeit bedarf einer formell-gesetzlichen Grundlage - Parlamentsvorbehalt meist gleichbedeutend, außer wenn Parlament zur Regelung durch Beschluss handelt) aus Rechtsstaats- oder/und Demokratieprinzip / GR abgeleitet
- Theorie des Totalvorbehalts: GVB besteht (nur mit Ausnahme von Notfällen) auch bei Leistungsverwaltung; bloße Einstellung der Mittel im Haushaltsplan (Gesetz) genügt nicht
pro: Aus der Stellung des Parlaments als primus inter pares der Gewalten in einer parlDemo (entgegen einer parl./konst. Monarchie) erfolgt die umfassende Notwendigkeit parl. Ermächtigung für exekutives Handeln
pro: im modernen Sozialstaat können Vorenthaltungen von Leistungen Bürger härter treffen als Eingriffe
pro: Haushaltsgesetz lässt Modalitäten der Leistung völlig offen und genügt insofern nicht dem GVB
pro: Leistungshandeln trifft (bspw. bei Subventionen) mittelbar auch Konkurrenten des Empfängers (deren GR oder Interessen)
pro: Gleichbehandlung von gleichen Fällen durch parlRegelung besser gewährleistet als durch bloße Verwaltungsvorschriften
pro: Ausnahmefälle (Soforthilfen nach Naturkatastrophen etc) sind derart selten, dass sie eine Aufweichung des GVB nicht rechtfertigen können - Ablehnende Theorie: GVB besteht nicht (Bereitstellung im Haushaltsplan genügt), es sei denn, Leistungsgewährung stellt für Dritten einen GREingriff dar
pro: Flexibilität der Verwaltung, auf Bedarfssituationen zu reagieren, wird gemindert
pro: Übernormierung / Überlastung des Parlaments
pro: Argument der Gegenseite des modernen Sozialstaats überzeugt nicht, da Parlament ohne GBV auch zur Regelung der Leistungseingriffe befugt ist; aber durch Totalvorbehalt wird es auch dazu verpflichtet, was den Bürger Leistungsgewährung eher erschwert (Gesetzgeber muss tätig werden und tut dies jedoch nicht, unbewusst oder bewusst)
pro: nur bei Betroffenheit Dritter folgt Erfordernis des GVB aus Rechtsstaatsprinzip bzw. GR
pro: Art 110 GG als GVB-Regelung auffassbar: Haushaltsimplementierung als bedeutende Entscheidung des Parlaments
pro: Exekutive ist durchaus auch demokratisch zu Handlungen legitimiert und nicht umfassend vom Parlament abhängig
Gilt für die Informations- und Warntätigkeit der Regierung, mit denen GREingriffe verbunden sind, der GVB?
Dogmatik: Liegt überhaupt ein GR-Eingriff vor, der dann dem GVB-basierten verfassungsrechtlichen Rechtfertigungserfordernis unterliegt
I. Theorie der Informations- und Warnbefugnis: verfassungsunmittelbare Warnbefugnis der BReg ohne einfach-ges. Ermächtigungsgrundlage
pro: nicht explizit normierte, aber sich aus der Gesamtschau der Art 62 ff. ergebende Aufgabe der BReg, staatsleitend tätig zu werden und die Öffentlichkeit über aktuelle politische Fragen zu informieren: das Tätigsein beschränkt sich nicht auf Art 83 oÄ
pro: auch dann befugt, wenn mittelbare GRBeeinträchtigung - typische GBV-Lage (Rechtsklarheit und sicherheit) bei mittelbarer GRB nicht gegeben - gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu Informationshandeln müsste so allgemein sein, dass sie keine zusätzliche Information für Bürger hätte, was Rechtsklarheit etc anbelangt
II. Theorie des umfassenden Erfordernisses des Gesetzesvorbehalt
pro: BReg als Teil der vollziehenden Gewalt an GVB gebunden, wie jeder andere Teil der Exekutive auch: Verbot des Schlusses von der Aufgabe (Art. 62 ff.) auf die Befugnis im Verwaltungsrecht (besonders Polizei- und Ordnungsrecht)
pro: Unnormierbarkeit einer Befugnisnorm als Argument verfängt nicht: auch im PolizeiR existieren solche umfassenden Generalklauseln, die zumindest ein Mindestmaß an Rechtssicherheit bieten
pro: Öffentlichkeitsarbeit ist mit Warnung der Öffentlichkeit nicht gleichzusetzen (Warnung sind staatliche Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit ist Information über staatliche Aktionen)
pro: auch eine eventuelle Schutzpflicht gibt keine ausreichende Ermächtigung, sondern könnte nur als Rechtfertigung bei dem Erlass eines entsprechenden Gesetzes angeführt werden
pro: GGText ist abstrakt gefasst und kann die vom GVB bezweckte Bestimmung und Berechenbarkeit staatlichen Handelns aufgrund Gesetzes bzw. eng umgrenzten EingriffsTB nicht ersetzen, schon gar nicht, wenn diese aus einer systematischen Gesamtschau der Art. folgen, die die BReg betreffen
pro: Ausnahme der außergewöhnlichen Not- und Gefahrenlage dennoch möglich
Ist die Sperrklausel in § 6 VI 1 Alt. 1 BWahlG verfassungsgemäß?
Dogmatik: Erfolgswertgleichheit, Art. 38 I 1 (jede abgegebene gültige Stimme hat gleiches Gewicht für die Zusammensetzung des BT)
- Verfassungsmäßigkeit (+)
pro: Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung -> Zersplitterung nach Kleingruppen und Verhinderung von Mehrheitsbildung
pro: Charakter der Wahl als Integrationsvorgang: große Parteien stellen sicher, dass breites Wahlprogramm mit Berücksichtigung unterschiedlicher Interessensgruppen im BT vertreten sind, und nicht nur kleiner Splittergruppen, die lediglich Lobbyarbeit betreiben
pro: Lehren aus Weimar: Erschwernis der Regierungsbildung
pro: (gegen con-Argument der bereits bestehenden hinreichenden Stabilität) Stabilität des parlamentarischen Systems gerade Ausdruck des jahrzehntelangen Bestehens des Wahlrechts mit Sperrklausel
pro: Etablierung und Aufstieg der Grünen und AfD zeigt, dass 5%-Sperrklausel einer Veränderung der Parteienlandschaft nicht entgegensteht - Verfassungsmäßigkeit (-)
pro: Braucht es wirklich noch eine 5%-Hürde, um das an sich legitime (und verfassungsrechtlich verankerte) Ziel der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu erreichen?
pro: demokratische Kosten: kann zu Frustration führen, sich neu parteipolitisch zu engagieren: Gefahr der Verkrustung
pro: Sperrklausel derart gravierender Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit, dass er nicht einfachgesetzlich, sondern zumindest in seinen Grundzügen in der Verfassung explizit verankert sein müsste
pro: con Argument, das Splitterparteien per se Gemeinwohlorientierung ab- und bloßen Lobbyismus zuspricht - schlichtweg nicht notwendigerweise so
pro: Selbst in Weimarer Zeit waren Splitterparteien mitunter koalitions- und regierungswilliger - Lehren aus Weimar insofern nicht eindeutig auf Absperrung kleiner Parteien zu richten
Ist die Grundmandatsklausel in § 6 VI 1 Alt. 2 BWahlG verfassungsgemäß?
- Verfassungsmäßigkeit (+)
pro: Zweck der effektiven Integration des Staatsvolkes - Gesetzgeber kann besondere politische Kraft der Partei auch aus der besonderen Bedeutung anhand ihrer Erststimmen ableiten (besonderes Wählervertrauen bei Direktwahl)
pro: Grundmandatsklausel als Ausnahme von der Sperrklausel, und somit Ausnahme von der Ausnahme: damit ist der verfassungsrechtlich bedenkliche Zustand der Erfolgswertungleichheit wieder aufgehoben - Verfassungsmäßigkeit (-)
pro: Schluss von der Menge der Direktmandate auf parteipolitische Bedeutung der anderen Meinung unzulässig, da Erststimme der Person zugerechnet wird, Zweitstimme der Partei, und somit Personen- und Verhältniswahl vermischt werden
pro: Integrationsbestrebung der anderen Meinung verfangen nicht, da Partei iSe politischen Strömung nicht der Erfolg “ihrer” Direktkandidaten zugerechnet werden kann - GMK daher ein ungerechtfertigter Eingriff in die Chancengleichheit der “Unter-5%-Parteien”
pro: Integrationskonzept nicht verträglich mit Demokratieprinzip, da manchen Parteien so eine Parlamentswürdigkeit verliehen wird, die andere nicht haben
pro: Zusammenhang zwischen Mindestens-3-DM und größere politischer Integrationskraft bloße Behauptung
pro: Unvereinbarkeit der GMK mit Sperrklausel-Argumenten: evtl. sogar geringeren Zweitstimmenanteil als solche Parteien, die zwar nicht ausreichend viele DM haben, aber immer noch unter 5%
pro: nur Zirkelschlüsse für die schlichte Wertung von bestimmten Parteien als “parlamentswürdig”
pro: Möglichkeit institutionellen Missbrauchs: größere Partei kann in drei Wahlkreisen auf eigene Kandidaten verzichten zugunsten einer (verbundenen) kleineren Partei, die dann mit ihren Zweitstimmen einziehen kann (Huckepackverfahren)
Ist ein einzelner Bundesminister berechtigt, allgemeine Verwaltungsvorschriften gem. Art 84 II, 85 II 1 GG zu erlassen?
Dogmatik: Bundesregierung im Sinne dieser Artikel als Kollegium gemeint?
I. Ermächtigungstheorie: einzelner BM kann aVV erlassen, wenn er durch Bundesgesetz mit Zustimmung des BRates dazu ermächtigt ist
pro: Art. treffen Schutz zur Eigenständigkeit der Länderverwaltung; insofern aber erfüllen sie ihre Funktion und zielen auf kein Verbot ab, einzelne BM durch Gesetz zu ermächtigen
pro: BRat kann sich einfacher einzelnem BM widersetzen als einem Kabinettsbeschluss: so wird der föderative Schutzzweck sogar “leichter” erfüllt
pro: Exekutive als Kollegium der BReg hätte mehr Vertrauen als Legislative, die ja Gesetz über Einzelermächtigung an BM beschlossen hat
pro: Art 80 I ermöglicht die Ermächtigung einzelner BM zum Erlass von RVOen - Übertragung auf aVV
pro: Art 86 S. 1: Ermächtigung der BReg zu aVV bei der bundeseigenen Verwaltung meint wohl nicht Kollegium, da dies dem Ressortprinzip der einzelnen BM zuwiderlaufen würde (Art 65 S. 2) -> Übertragung auf Art 84, 85
II. Theorie des Verbots der Ermächtigung
pro: Art. 30 / 83: Grundsatz der Länderzuständigkeit, daher alle anderen Normen strikt auszulegen (im Zweifel ist daher gem. Art 62 das Kollegium gemeint)
pro: Einfachgesetzliche Regelung nicht ausreichend, wenn ansonsten zur Abweichung von den Grundsätzen in Art 30/83 Regelungen von Verfassungsrang nötig wären (Normenhierarchie)
pro: Blankettermächtigung des Bundesrates, da die Länder nach Zustimmung zur Ermächtigungsgrundlage überhaupt keine weiteren Einflussmöglichkeiten mehr besäßen
pro: e contrario: Sonderermächtigung (bspw. an Bundesoberbehörden, Art. 87 b II 2, 120 a I) ist explizit normiert; wo nicht festgelegt, somit strikt auszulegen
pro: aus RVO-Erlassmöglichkeit ergibt sich kein Schluss auf Art 84 II, 85 II, da sich RVO und aVV grundsätzlich in ihrer Vorzeichnung im Gesetz unterscheiden (RVO: nach Inhalt, Zweck und Ausmaß; aVV: beliebig aktualisierbar)
Wird ein Land, das im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 III vom Bund eine inhaltlich fehlerhafte (materiell-rechtlich im Widerspruch zum einfachen Recht) Weisung erhält, dadurch in seinen Rechten verletzt?
I. Rechtsverletzungstheorie
pro: Art. 30 : Art Schutzbereich für Kompetent der Länder; Eingriff durch Bund bedarf der verfassungsRlichen Rechtfertigung (wegen GRähnlicher Auslegung kann sich Art 85 III 1 als Rechtfertigungsgrundlage nur auf rechtmäßige Weisungen beziehen)
pro: eigener Handlungsspielraum der Länder findet nur in der Rechtsordnung selbst seine Grenze; dieser Handlungsspielraum wäre weitgehend entwertet, wenn Länder rechtswidrige Weisungen des Bundes entgegennehmen müssten
pro: Weisungsgewalt des Bundes muss nicht zwingend Land zu einer bloßen Wahrnehmungskompetenz degradieren - Etablierung einer Weisungsgewalt schließt subjektive Rechte des Angwiesenen nicht aus (Frage des 85 III 1 ist ja gerade, ob der Bund auch für rechtswidirge Weisungen “sachkompetent” ist) - rechtsstaatliches Argument: keine Kompetenz zu rechtswidrigem Verhalten
pro: Existenz des Art. 85 III 2, wonach sich der Bund mit Weisungen nicht direkt an die zuständigen unteren Landesbehörden wenden kann (oberste Landesbehörden als “Kontroll”instanz?)
II. Theorie der Sachkompetenz des Bundes
pro: Art 85 III umfassend - indem Bund Weisungskompetenz hat, hat er die Sachkompetenz (grds. beim Land) an sich gezogen
pro: Art. 30 wird von Art 84, 85 konkretisiert; prinzipielle Länderkompetent wird ferner durch die Weisungsbefugnis des Bundes überlagert
pro: Art 85 III 1 zielt auf zügige Gesetzesausführung
pro: Rechtsverletzung kann nur in Betracht kommen, wenn die anweisende oberste Bundesbehörde unter grober Missachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, das im Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender RGer schlechterdings nicht verantwortet werden kann
P: Inwieweit kann eine einheitliche Stimmabgabe der BRatsMitglieder eines Bundeslandes noch hergestellt werden - etwa auch infolge Nachfragens durch den BRatsPräsi - wenn zunächst eine uneinheitliche Stimmabgabe erfolgt ist?
Dogmatik: Art 51 III 2 (Stimmen eines Landes bei BRatsabstimmung können nur einheitlich abgegeben werden) -> betont die Vertreterposition der Mitglieder (stehen für Land - sollen nicht individuell abstimmen)
I. Theorie der endgültigen Stimmungültigkeit (außer bei offensichtlichem Versehen oder Missverständnis)
pro: nach uneinheitlicher Abgabe der Stimmen wirkt Nachfrage wie unzulässiger Eingriff in den eigenen Verantwortungsbereich des Landes (Präsi möchte “wahren Landeswillen” ermitteln)
pro: einzelnes BRMitglied hat keine Weisungs- oder Selbsteintrittsrechte, und selbst wenn diese in LandesVerf normiert wären, hätten sie wegen des GG als das Außenverhältnis zwischen Bund und Ländern regelnde System keine Anwendungsrelevanz
pro: Gefahr der Rechtsunsicherheit / endloser Abstimmungen
II. Theorie der Korrekturmöglichkeit
pro: Uneinheitlichkeit der Stimmabgabe bedeutet nach Wortlaut des Art. 52 III 2 keine wirksame Stimmabgabe - weitere Nachfragen sind keine Korrekturen etc, da es noch gar keine Stimmabgabe im Rechtssinne gegeben hat
pro: § 32 S. 1 GOBR: Beschlüsse werden erst mit Ende der Sitzung wirksam; § 32 S. 2 GOBR: Wiederholung von Abstimmung in bestimmten Fällen ausgeschlossen, e contrario also erlaubt (con hiergegen: GOBR ist nicht Verfassung, normenhierarchisch problematisch)
pro: bloße Nachfrage bei Unklarheiten ist noch keine unzulässige Lenkung
P: Ist die Änderung eines uspr. zustimmungsbedürftigen Gesetzes in seinen für sich gesehen nicht zustimmungsbedürftigen Teilen zustimmungsbedürftig?
Dogmatik:
- ÄnderungsG ist zustimmungsbedürftig, wenn es diejenigen Elemente ändert, die ursprünglich die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst haben
- ÄnderungsG ferner zustimmungsbedürfig, wenn es zusätzliche Elemente enthält, die schon für sich die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen würden
- Problem ergibt sich bei Fallfrage jedoch nur, wenn der Lehre von der gesetzestechnisches Einheit gefolgt wird (hM und hL; Gesetz als kodifiaktorisches Gesamtwert: Art 78, durch Gesetzesbeschluss des BT wird Gesetz zu einer Einheit zusammengefasst)
I. Theorie der Zustimmungsbedürftigkeit
pro: BRat hat für ganzes Gesetz Mitverantwortung übernommen (Mitverantwortungsthese) -> BRat würde unzulässig aus der Verantwortung gedrängt
pro: actus contrarius
pro: Änderung ohne Zustimmung übergeht Entscheidung des BRates, der urspr. zugestimmt hat - dies ist aber nur in dem explizit geregelten Fall des Art. 77 IV bei Überstimmung des Einspruchs möglich
pro: Wenn das urspr. schon im Gesetz gestanden hätte, hätte BRat auch zustimmen müssen, was vom Gesetzgeber nicht durch ein Regeln in Etappen umgangen werden können soll
pro: “Einswerdung” (Neue Regelung in altem Gesetz) erfordert Zustimmungsbedürftigkeit, da urspr. Gesetz, solange es besteht (und ggf. durch Änderung aktualisiert wird), zustimmungsbedürftig bleibt
II. Theorie der Zustimmungsfreiheit
pro: auch ÄnderungsG ist eine gesetzestechnische Einheit und muss in seinen Voraussetzungen geprüft werden; enthält es keine zustimmungsbedürftigen Elemente, so ist es eben nicht zustimmungsbedürftig
pro: Gesetzgeber ist frei, SV in unterschiedlichen Gesetzeseinheiten zu regeln; wenn man materielle und Verfahrensvorschriften in zwei Gesetze auftrennen würde, wäre die Änderung des ersten nicht zustimmungsbedürftig; in einer Einheit wären sie jedoch zustimmungsbedürftig; beide Fälle unterschiedlich zu behandeln wäre jedoch widersinnig
- > BVerfG grds. Anhänger von II, Ausnahme: wenn Gesetze früher erlassenen Vorschriften über Organisation und Verfahren der Landesbehörden (Art. 84 I) eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen und so zu einer Systemverschiebung führen oder wenn ein befristetes zustimmungsbedürftiges Gesetz verlängert wird
Was sind gegenzeichnungsbedürftige “Anordnungen und Verfügungen” des Bundespräsidenten iSv Art. 58 S. 1 GG?
Dogmatik: Telos der Gegenzeichnung von Anordnung und Verfügungen des BP durch den BK: einheitliche Regierungspolitik
I. Rechtsakttheorie: alle auf rechtliche Verbindlichkeit angelegten Akte des BP
pro: Wortlaut gegen extensive Auslegung
pro: Rechtsfolge der Gültigkeit passt nur zu rechtsverbindlichen Akten
pro: extensive Auslegung würde auf Totalüberwachung des BP hinauslaufen
pro: BP hat eigenständige, übertagespolitische Integrationsaufgabe (regierungsunabhängig)
pro: praktisch unmöglich für alle Amtshandlungen gegenzuzeichnen
pro: BT kann sich mit Äußerungen des BP befassen, auch wenn sie nicht solche iSd Art 58 S. 1 sind
II. Theorie des weiten Anordnungs- und Verfügungsbegriffs: alle präsidialen Amtshandlungen, auch Realakte, soweit sie im Zusammenhang mit dem Amt erfolgen und politische Wirkung entfalten
pro: umfassende Bindung an die Politik des BK als telos zur Vermeidung einer Doppelexekutive
pro: will durch Gegenzeichnungspflicht politische Verantwortung vom BP nehmen
pro: auch durch nicht-rechtsförmige/verbindliche Akte kann der BP politisch wirken, was als eigenständige Politik durch Art. 58 verhindert werden soll
pro: erst durch Verantwortungsübernahme durch BRegMitglieder wird die Möglichkeit eröffnet, dass sich der BT mit den Handlungen und Äußerungen des BP umfassend befasst
Unter welchen Voraussetzungen ist der BK nach Art 68 I 1 berechtigt, eine Vertrauensfrage mit dem Ziel zu stellen, eine Auflösung des BT zu erreichen?
I. Theorie des umfassenden Rechts zur Vertrauensfrage: sowohl echte (auf Ausspruch gerichtet) als auch unechte (auf Auflösung gerichtet) Vertrauensfrage
pro: Wortlaut knüpft an keine zusätzlichen Voraussetzungen, insbesondere Motive
pro: wenn Recht zur unechten Vertrauensfrage verweigert wird, dann bleibt im Vorfeld nur Motivforschung
pro: selbst bei Bejahung der Motivforschung ist fraglich, was ein “missbräuchliches” Motiv sei
pro: Telos von 68: Appell an Schaffung einer klaren Mehrheitslage für oder gegen des BK - nicht ersichtlich, warum dies an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft sein soll
pro: gegen Theorie der materiellen Auflösungslage: BK müsste sich auf einen Kurs festlegen (lassen), denn er aufgrund seiner RLK stets ändern kann
II. Theorie des Verbots der unechten Vertrauensfrage
pro: Wortlaut: Antrag des BK, ihm as Vertrauen auszusprechen -> somit nur Vertrauen suchen und finden zulässig
III. Theorie des Minderheitenkanzlers: lediglich ein MinderheitenK, bei dem also erkennbar ist, dass er keine politische Mehrheit mehr im BT besitzt, ist berechtigt, eine unechte Vertrauensfrage zu stellen
pro: Mehrheit des BT und BK könnten per Absprache zur Selbstauflösung des BT führen
pro: MehrheitsK könnte so für seine Partei günstigen Neuwahltermin herbeiführen
pro: Gefährdung der Handlungsfähigkeit der Regierung, wenn MehrheitsK ohne Not Neuwahlen herbeiführen will
pro: BP soll in GG rel zu WRV schwächeren Stellung mit explizit normierten Befugnissen (63 IV, 68, 81) haben - Anwendungsbereich des Art 68 auch auf unechte Vertrauensfrage des Mehrheitskanzlers würde erheblich erweitert und dem BP eine Schiedsrichterfunktion zugemessen, die ihm nicht zukommen sollte
pro: unechte Vertrauensfrage durch MehrheitsK liefe Systematik/Telos mit Art 67 entgegen: der Zielsetzung des Art. 67 von klaren Regierungsverhältnissen steht es entgegen, wenn ein Mehrheitskanzler “abdankt” und nicht ebenso stabile Verhältnisse hinterlässt wie durch das bevorzugenswerte, da klarer auf Stabilität und Kontinuität gerichtet Misstrauensvotum
IV. Theorie der materiellen Auflösungslage: wenn es an einer stetigen parlamentarischen Unterstützung des BK fehlt (BK steht Einschätzungsprärogative zu)
pro: Telos ist Gewährleistung der Stabilität der Regierung, Historisch wurde Art 54 WRV (destabilisierendes Parlamentsauflösungsrecht) durch ein reines Krisenregulativ ersetzt
pro: Art 68 zielt auf Wiederherstellung der Entscheidungsfähigkeit des BT; die Ermangelung derselben kann aber nicht an einfachen Abstimmungsniederlagen festgemacht werden (diverse andere Gründe denkbar; con Theorie des Minderheitenkanzlers)
pro: con Theorie des Verbots der negativen Vertrauensfrage: Wortlaut (“findet Antrag nicht Zustimmung”) setzt Zweck nicht allein in Aussprache des Vertrauens
pro: Einschätzungsprärogative ergibt sich aus politischer Leitmöglichkeit des BK
Steht dem BP ein materielles Prüfungsrecht vor der Gesetzesausfertigung zu?
Dogmatik: unstr. sind formelles Prüfungsrecht (Wortlaut Art 82 I 1 “nach den Vorschriften dieses GG zustande gekommen”; Systematik: Art 82 im VII Abschnitt und chronologisch als abschließender Regelungsgehalt des Gesetzgebungsverfahrens); kein politisches PrüfungsR (unzulässiger Eingriff in Staatsleitung durch Parlament und BReg)
I. Theorie des umfassenden Prüfungsrechts
pro: Art 82 I schränkt das Prüfungsrecht nicht ein; es umfasst auch die materiellen Normen des GG
pro: Art 82 I knüpft an Art 70 WRV an, der ReichsP ein umfassendes PrüfungsR zugestand (jedoch historisch war die verfassungsgerichtliche Kontrolle hier de facto noch nicht vorhanden)
pro: Amtseid des BP: Art 56 S. 1: “GG wahren und verteidigen” (-> deutet auf umfassendes PrüfungsR hin)
pro: BP gehört bei Ausfertigung funktionell zur Legislative und ist als solche wie als Staatsgewalt umfassend an die verfassungsmäßige Ordnung gem. Art 20 III und an die GR gebunden gem. Art 1 III
pro: verfassungsgewohnheitsrechtlich gefestigt (con: Problem, ob es überhaupt Verfassungsgewohnheitsrechts gibt)
pro: Dass es das BVerfG gibt, macht materiellrechtliche Prüfung des BP nicht entbehrlich: BVerfG muss angerufen werden; zudem Verfahren langwierig, bis durch BVerfG Verfassungsmäßigkeit festgestellt wäre; schließlich würde auch die Letztentscheiderungskompetenz des BVerfG angetastet (wohl aber, wenn das Gesetz gar nicht wirksam werden würde, dann könnte das BVerfG nämlich nicht die Verfassungsmäßigkeit feststellen, da BP und BVerfG nicht parallel tätig sein können)
pro: Auflösung der Grenze von formellem und materiellem Prüfungsrecht: da jedes materiell verfassungswidrige Gesetz ein die Verfassung änderndes Gesetz sei, verstößt es aber gegen Art 79 I 1 (“Wortlaut des GG ausdrücklich ändert oder ergänzt”), was formelle Verfassungswidrigkeit bedeutet -> nicht sinnvoll zu trennen
pro: es kann doch wohl nicht sein … dass ein Verfassungsorgan eine Maßnahme oder Entscheidung trifft, ohne vollumfänglich die Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (was ist das für 1 Argument vong Empörung her!!1!!)
II. Theorie des formellen Prüfungsrechts
pro: Umfangreiches Prüfungsrechts des ReichsP folgte nicht aus Art 70, sondern aus seiner insgesamt starken Stellung (außerdem: BP-Stellung in bewusstem Gegensatz zu der des RP entwickelt)
pro: Wortlaut des Amtseides nimmt Bezug auf BP zustehende Rechte und Pflichten, sagt aber nichts Materielles über sie aus (ansonsten Zirkelschluss, da es ja gerade darum geht, ob mPR Recht des BP ist)
pro: Wortlaut des 82 I uneindeutig; ein derart starker Eingriff in das Verfahren hätte jedoch explizit geregelt werden müssen und ist als non liquet somit zu verneinen
pro: kein Bedürfnis, da BVerfG lückenlose Überprüfungsmöglichkeit
pro: Art 79 I 1 geht an der Praxis vorbei, da eben keine Verfassungsänderung intendiert ist, sondern eine Gesetzesentwicklung in verfassungskonformer Weise
pro: Wieder “Es kann doch nicht sein, das ein Mann sich gegen den demokratisch legitimierten BT und den föderativ begründeten BR stellt”
III. Theorie der Evidenzkontrolle: nur bei evidenten (materiellen) Verfassungsverletzungen
pro: Gewaltenteilungsprinzip spricht dafür, dass bei Widerspruch der Einschätzungen von BP und BT (als demleg Gesetzgeber) der Einschätzung der Legislative gefolgt werden sollte (Verantwortlich für Inhalt) - BP hat außer bei evidenten Verletzungen also sich der Einschätzungsprärogative hinsichtlich der materiellen Auffassung des BT/BR Folge zu unterwerfen
pro: Hätte sonst identischen Auftrag (in dieser Hinsicht) wie BVerfG und könnte bei falschen Einschätzungen Schaden nehmen
pro: BP zuzumuten, auf die Einschätzung des BVerfG hinsichtlich der materiellen Verfassungsrechtslage zu warten
Was ist das “Volk” iSd Art 20 II?
- Wortlaut:
a) Volk als die Betroffenen von Herrschaftsgewalt (Volkssouveränität: Selbstunterwerfung)
b) Einheit von substanziell gleichartigen Menschen, die sich in einer Schicksalsgemeinschaft einander zugehörig fühlen - Systematik:
a) Art 38 II: nur Ausschluss aufgrund des Alters; e contrario: keine anderen Ausschlussgründe (spricht für Wortlaut a)
b) Art 3: alle sind vor dem Gesetz gleich und dürfen nicht aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt werden (jedoch con: Herkunft iSd Art 3 meint soziale Herkunft, nicht nationale; kann durch andere Art, wie 33 II, überlagert werden)
c) Art 1 I: Staatsgewalt soll prinzipiell von allen dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen legitimiert sein (con: Ausländern ist nicht dauerhaft Mitbestimmung über die Herrschaftsgewalt, der sie unterworfen sind, versagt, solange es adäquate Einbürgerungsmöglichkeiten gibt)
d) GG: herausgehobene Stellung für Deutsche iSd des GG (Art. 116) - > Präambel
- > DeutschenGR, insbes. Zugang zu öffentlichen Ämtern Art 33 II
- > Art 25 II: spricht von “Bewohnern des Bundesgebiets”
- Historie:
a) Denken in nationalen Kategorien in den 40er Jahren, selbst nach dem Krieg
b) klassische Verfassungstheorie: Staat im Anschluss an Georg Jellinek neben den Elementen Staatsgebiet und Staatsgewalt durch das Staatsvolk charakterisiert, das als „Schicksalsgemeinschaft“ verstanden wurde
c) Jedoch: Verfassung als “living instrument” vs. “Originalism” - Telos:
a) als Mitgliedschaftsrecht: im Hinblick auf den Organisationsakt ist zu beachten, dass der Staat als juristische Person ähnlich einem Verein im Privatrecht klare formale Strukturen benötigt
b) Praxis (Staatsgewalt wird von Staatsangehörigen abgeleitet) als fundamental: Könnte ein derart grundlegender Inhalt der Verfassung durch einen „Verfassungswandel“ im Wege der Interpretation geändert werden, würde die normative Kraft der Verfassung vernachlässigt
Was ist die sog. “Homogeneitätsklausel”?
Art. 28 Abs. 1 GG setzt der grundsätzlich bestehenden Autonomie der Länder Grenzen: Ihre Verfassungsordnung muss mit der des Grundgesetzes zwar nicht vollkommen übereinstimmen (Uniformität), wohl aber in den wesentlichen Grundzügen (Homogenität).