Besonderer Teil Flashcards
Strafrechtssetzungskompetenz der EU - Ausganspunkt
Ausganspunkt ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 I 1, II 1 AEUV, d.h. keine Kompetenz-Kompetenz supranationaler Organisationen. Diese sind vielmehr an die Kompetenzen gebunden, welche ihnen durch die Mitgliedsstaaten ausdrücklich, vertraglich übertragen wurden.
Strafrechtssetzung der EU - Kompetenzgrundlagen
1) Art. 82 I AEUV
2) Art. 82 II AEUV
3) Art. 83 I AEUV
4) Art. 83 II AEUV
5) Art. 85 AEUV (str.)
6) Art. 86 AEUV (str.)
7) Art. 33 AEUV
8) Art. 79 II lit. c und d AEUV
9) Art. 325 IV AEUV
Betrügereien i.S.d. Art. 325 IV AEUV
Erforderlich ist eine europarechtskonformes Begriffsverständnis, nicht die deutsche Definition des Betruges ist maßgeblich. Demnach sind Betrügereien sämtliche Verhaltensweisen, welche einen gewissen Täuschungskern aufweisen, z.B. auch Urkundendelikte.
Möglichkeiten der Strafrechtsharmonisierung
1) Unionsrecht als Obergrenze für nationales Strafrecht, d.h. gem. Art. 4 III EUV ist es Verboten, dass MS unionsrechtswidrige Straftatbestände erlassen oder aufrecht erhalten. D.h. das europäische Primärrecht legt die Obergrenze für strafbares Verhalten und strafbare Sanktionen fest, auf der Grundlage supranationaler Grundprinzipien.
2) Unionsrecht als Untergrenze für nationales Strafrecht, d.h. gem. Art. 4 III EUV ist die EU dazu ermächtigt im Sinne einer Angleichungskompetenz entsprechende Minimalanforderungen an alle RO der MS zu stellen. Diese müssen nach den Vorgaben des EuGH die Mindesttrias erfüllen (wirksam, verhältnismäßig und abschreckend) oder zumindest den innerstaatlichen Sanktionen entsprechen, sofern diese eine vergleichbare Schärfe aufweisen.
Ausdrückliche Harmonisierungskompetenzen
1) Art. 83 I AEUV = Angleichungskompetenz zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität.
2) Art. 83 II AEUV = Annexkompetenz in Bereichen in welchen bereits eine Harmonisierung stattgefunden hat.
3) Art. 79 II lit. c und d sowie Art. 325 IV AEUV ermöglichen neben dem Erlass von Verordnungen auch jenen von Richtlinien, sodass hierein ebenfalls Harmonisierungskompetenzen zu sehen sind.
Notbremsenregelung des Art. 83 III AEUV
Als Schranke für den ausufernden Gebrauch der Harmonisierungskompetenzen, sodass einzelne Staaten im Lichte ihrer Gestaltungsfreiheit und Souveränität dazu ermächtigt sind dem Beschluss einer RL zu widersprechen und das Gesetzgebungsverfahren hierdurch zu unterbrechen, sofern grundlegende Aspekte der nationalen Strafrechtsordnung betroffen sind (insb. Grundprinzipien, wie z.B. Schuldprinzip, Gesetzlichkeitsprinzip).
Analoge Anwendung auf Art. 325 IV AEUV?
e. A. Ja, denn vergleichbares Verfahren, zum Schutze der Grundprinzipien erforderlich
a. A. Nein, denn Eigeninteresse der EU, sodass diese auf Mitwirkung der MS angewiesen ist, ferner keine Gefahr der Ausuferung wegen Bereichsspezifität.
Unmittelbar anwendbares EU-Recht auf nationaler Ebene
Verordnungen i.S.d. Art. 288 AEUV, supranationales Primärrecht bezüglich der Grundfreiheiten, sowie Richtlinien, sofern diese den dafür entwickelten Anforderungen des EuGH entsprechen.
Anforderungen des EuGH an die unmittelbare Anwendbarkeit einer EU-Richtlinie auf nationaler Ebene
1) Inhaltliche Unbedingtheit, d.h. es dürfen keine weiteren Maßnahmen für die Anwendbarkeit erforderlich sein, weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene und auch sonst keine weiteren Bedingungen bzw. Vorbehalte bestehen.
2) Hinreichende Genauigkeit, d.h. die RL muss rechtlich vollkommen sein, um aus sich heraus direkt im innerstaatliche Bereich Anwendung zu finden (=Bestimmtheit)
3) Die Umsetzungsfrist muss fruchtlos abgelaufen sein,, d.h. die unmittelbare Anwendbarkeit dient als Quasi-Sanktion für die ausgebliebene Umsetzung seitens der MS (venire contra Factum prorpium = widersprüchliches Verhalten)
4) RL muss einen Einzelnen begünstigen, d.h. keine Sanktionsregelungen, weswegen eine unmittelbare Anwendbarkeit im Rahmen des Art. 83 I, II AEUV ausscheidet.
Neutralisierungswirkung
Sofern einem deutschen Straftatbestand eine unmittelbar anwendbare EU-Vorschrift entgegensteht, handelt es sich um eine sog. echte Kollision, welche stets zugunsten der EU-Norm zu lösen ist, indem der nationale Tatbestand neutralisiert wird, d.h. es liegt bereits keine Tatbestandsmäßigkeit vor, der nat. TB darf nicht angewendet werden.
1) auf TB-Seite: bestimmtes Verhalten wird durch nationales Recht ausdrücklich verboten, durch Unionsrecht jedoch ausdrücklich erlaubt.
2) auf RF-Seite: Normwiderspruch zwischen Unionsrecht und Straffolge des nationale Rechts, z.B. durch Überschreiten einer unionsrechtlichen Obergrenze (Diskriminierungsverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
Unionsrechtskonforme Auslegung
Berücksichtigung des gesamt (auch des nicht unmittelbar anwendbaren) Unionsrechts bei der Auslegung der nationalen Vorschriften.
1) bei unmittelbar anwendbarem EU-Recht: Kollisionsvermeidung i.S.e. Neutralisierungsvermeidung.
2) bei sonstigem EU-Recht zum Zwecke der Harmonisierung des nationalen Rechts mit den Zeilen der Union, gem. Art. 4 III EUV i.S.e. Ergreifens aller Maßnahmen zur Erfüllung der supranationalen Ziele.
Grenzen: äußerste nationale Wortlautgrenze sowie der nationale gesetzgeberische Zweck, d.h. eine Norm darf in ihrem Sinn nicht verändert werden.
Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
Rechtshilfe im Rahmen eines einheitlichen Rechtsraumes gem. Art. 67 I AEUV. Ausgangspunkt ist die gegenseitige Anerkennung in anderen Bereichen, z.B. Art. 36 AEUV. Dies soll auch auf justizieller Ebene ermöglicht werden zur Etablierung einer freien Zirkulation gerichtlicher Entscheidungen, ohne dabei eine kaum zu bewältigende Harmonisierung vorzuschalten, d.h. Anerkennung auch bei innerstaatlich ggf. anderer Entscheidung.
Erste positivrechtliche Normierung der gegenseitigen Anerkennung im strafprozessualen Bereich
Art. 82 I AEUV
!!! nicht gleichzusetzen mit einer Harmonisierungskompetenz (II), denn es handelt sich dabei lediglich um eine Anerkennungsregelung zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Würdigung justizieller Entscheidungen und nicht um eine Kompetenz zur Angleichung der Rechtsordnungen.
Gefahren: Unterminierung von zentralen Verteidigungsrechten und Rechtsunsicherheit angesichts der Verschiedenartigkeit der Rechtsordnungen –> zu lösen über Vorbehalte und Ablehnungsgründe in den jeweiligen Rechtsakten, sowie dem Prinzip der ordre public, d.h. der Möglichkeit ausnahmsweise Nicht-Anerkennung, für den Fall der Widersprüchlichkeit mit wesentlichen Grundsätzen des national Rechts.
Anerkennung im Bereich der Beweismittel
Früher: RB über Vollstreckung und Sicherstellung i.S.e. Möglichkeit zum Einfrieren von Beweismitteln, sowie RB europäischer Beweisanordnung als ergänzende Zugriffsmöglichkeit auf diese Beweismittel nach den jeweils nationalen Sicherstellungsvorschriften.
Problematisch: beschränkt auf bereits erhobene Beweismittel und von DE nicht umgesetzt. Mittlerweile aufgehoben.
Heute: RL über europäische Ermittlungsanordnung als einheitlicher Rechtsrahmen für Erhebung und Transfer von Beweismitteln. Umfassender als frühere Lösung, insb. auch Erstreckung auf noch nicht erhobene, aber leicht beschaffbare, sowie bereits vorhandene aber nicht unmittelbar erhebbare Beweismittel.
Problematisch: Gefahr der Unterminierung fundamentaler nationaler Beschuldigteninteressen in Relation zur Effektivität der Strafverfolgung.
–> Deutlich umfangreichere Ausgestaltung der heutigen RL, insb. Berücksichtigung von Ablehnungsgründen, explizit auch für GG-Verletzungen, Prüfung von Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit seitens des Anordnungsstaates, sowie forum regit actum, d.h. Vollstreckungsstaat bestimmt zwar grds. das Wie der Vollstreckung, jedoch kann der Anordnungsstaat gewisse Formvorschriften und gewisse Verfahren vorgeben, welche der VS zu befolgen hat, es sei denn es sprechen zentrale Grundsätze seiner nationalen RO dagegen.
Anerkennung im Bereich der Vollstreckungshilfe
Insb. Reduzierung der früheren Hürden zur Rechtshilfe. Insb. beiderseitige Strafbarkeit für viele Bereiche aufgehoben (ggf. unter Vorbehalt, dass MS diese dennoch fordern können), unter Berücksichtigung etwaiger Ablehnungsgründe.
z.B. RB über freiheitsentziehende Sanktionen, RB zu Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen, RB über Geldstrafen und Geldbußen, etc.
Europäischer Haftbefehl
Früher: schwerfälliges, klassisches, insb. zeitaufwändiges und komplexes Rechtshilfeverfahren im Bereich der Auslieferungen: 1) Zulässigkeit = Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit, 2) rein politische Bewilligungsentscheidung i.S.e. Ermessensentscheidung meist aufgrund Zweckmäßigkeitserwägungen –> zahlreiche Vss. und Hürden, auch nicht-rechtlicher und insofern willkürlicher Art.
–> RBEuBh: Verzicht auf politische Bewilligungsentscheidung, sondern Verrechtlichung dieser in eine justizielle Entscheidung; Abschaffung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit für einen umfassenden Katalog, sodass Vollstreckung ggf. auch möglich, wenn in vollstreckendem MS selbst nicht strafbar, beachte aber ggf. Ablehnungsgründe nach Art. 3, 4 des RB.