1 Kapitel Was ist Völkerrecht und welche Rolle spielt es in den internationalen Beziehungen Flashcards
Lotus-Fall (Frankreich v. Türkei)
Zwischenfall auf Hoher See bei dem Mitglieder der Türkischen Besatzung zweier französischer Dampfer ums leben kamen. Türkei eröffnete gegen den französischen Schiffsoffizier eine Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung.
Frankreich behauptat, dass dies Völkerrechtswidrig sei, da es keine Norm gibt, die einem Staat die strafrechtliche Zuständigkeit für Handlungen, die sich ausserhalb seines Hoheitsgebietes ereignen gibt.
Die Türkei ist der Ansicht, dass sie Jurisdiktion ausüben könne, solange dadurch keine völkerrechtlichen Schranken verletzt werden. Einer expliziten völkerrechtlichen Ermächtigung bedarf es nicht.
Überdehnungen und Brüche des Völkerrechts ab den 1990er Jahren.
Wurde die Völkerrechtsordnung ausgehölt?
a.) 1994 Völkermord in Ruanda von ca. 1 Mio. Tutsi
b.) Bei der Auflösung der SFRJ bombardierten NATO-Staaten 1999 Serbien mit der Begründung, dass ein Völkermord an Kosovaren unmittelbar bevorstehe und auch um eine vertragliche Ablösung Kosovo von Serbien zu erzwingen. Eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat war wegen des russichen Vetos nicht zu erlangen.
c.) 2003 führte die USA eine militärische Offensive gegen den Irak, der im Verdacht stand Nuklearwaffen zu produzieren. Eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates fehlte.
d.) 2014 verleibte sich Russland unter Einsatz von Waffengewalt die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim ein. (Ukraine seit 2018 offizieler NATO-Beitrittskandidat)
Gibt es das Völkerrecht auch im Cyberspace?
Das Völkerrecht gilt auch im Cyberspace. Dies wurde von China und Russland zunächst bezweifelt.
Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien muss u.a. die UN-Charta, die Grundsätze des humanitären Völkerrechts und die Staatensouveränität beachten.
Was heisst Völkerrecht?
Völkerrecht kommt vom römischen Ius gentium (im römischen Reich waren dies allerdings die Normen die für Personen galten, die keine römischen Bürger waren).
Im 17. Jahrhundert entstand in Europa eine neue juristische Disziplin, das Ius gentium et naturae, die sich mit dem zwischenstaatlichen Verkehr befasst.
Als Geburtsstunde des modernen Völkerrechts gilt der Westfällische Frieden von 1648, der den Dreissigjährigen Krieg in Europa beendete.
Er symbolisiert das sog. Westfällische System.
Das Westfällische System
Westfälisches System ist im engeren Sinn die politische Ordnung, die sich in Europa auf der Grundlage der Staatstheorie von Jean Bodin und der Naturrechtslehre von Hugo Grotius nach dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648 entwickelt hat. Nach diesem Konzept sind Staaten nicht nur die rechtlichen Monopolisten des Krieges, sondern auch die faktischen Monopolisten der Fähigkeit zur Kriegführung.
Im weiteren,politikwissenschaftlichen Sinn wird damit auch grundsätzlich ein System von nach innen und außen souveränen Nationalstaaten bezeichnet.
Völkerrechtssubjekt
Völkerrechtssubjekte sind jene Einheiten, die Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sein können. Dies sind vor allem die Staaten, teilweise auch internationale Organisationen (UN, WTO, WHO). Manchmal regelt das Völkerrecht auch Pflichten von Individuen bspw. dem IKRK (Internationales Kommitee vom Roten Kreuz)
Regelungsbereich des Völkerrechts
diplomatische Beziehungen (Gesandtschaftsrecht), Staatsgrenzen und der Staatsgebietserwerb sowie die Nutzung der Meere, Schutz der Menschenrechte, Frieenssicherung, Abrüstung, Umweltschutz, Terrorismusbekämpfung, Migration und Epidemiebekämpfung.
Auswirkungen des Völkerrechts auf den Nationalstaat
Zum einen müssen völkerrechtliche Verpflichtungen eines Staates durch nationales Recht dem Völkerrecht angepasst werden, d.h. staatliche Politik hat völkerrechtliche Angaben zu beachten. Völkerrecht bezieht sich nicht nur auf das Aussenverhältnis von Staaten, sondern kann ihnen auch im Innenverhältnis vorschreiben, welches Massnahmen sie ergreifen müssen (Sozialstandards, Umweltstandards, Sanktionsbeschlüsse es UN-Sicherheitsrates, Menschenrechtsschutz)
Auswirkungen des Völkerrechts auf den Nationalstaat (Beispiel)
Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen verpflichtet die Vertragsparteien zur Bekämpfung und Ahndung dieses Verbrechens.
Die Schweiz unterzeichnete den Vertrag 2011. Sie musste den neuen Straftatbestand “Verschwindenlassen (Art. 185bis StGB) einführen sowie ein nationales Netzwerkerschaffen, nach verschwundenen Personen unterstützen soll.
WHO
Die Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations 2005) der WHO verpflichtet die WHO-Mitgliedstaaten, eine Infrastruktur aufzubauen, mit der sie ansteckende Krankheiten erkennen und bewerten können. Sie müssen andere Mitgliedstaaten über den Ausbruch von Seuchen und neuartigen Gesundheitsrisiken rechtzeitig informieren. Es handelt sich hierbei um rechtlich verbindliche, generell-abstrakte Akte einer internationalen Organisation.
Rechtsquellen des Völkerrechts
Es gibt keine Gewalten- und Funktionsaufteilung in eine zentrale Legislative, Exekutive und Judikative.
Es gibt im Völkerrecht auch kein zentrales Rechtsetzungsorgan.
Völkerrecht wird dezentral von den Staaten selbst unter Mitwirkung anderer Völkerrechtssubjekte erzeugt.
Die Rechtsquellen des Völkerrecht sind vor allem völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und die Allgemeinen Rechtsgrundsätze (Aufzählung in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut)
Souveräne Gleichheit der Staaten
Die beteiligten Hauptrechtssubjekte, die Staaten, sind gleichrangig (Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta)
Konsensprinzip
Hauptentscheidungsmodus im Völkerrecht ist Einstimmigkeit (nicht Mehrheitsprinzip). Die Rechtserzeuger sind gleichzeitig die Rechtsunterworfenen. Rechtsbindung ist Selbstbindung.
Ein völkerrechtlicher Vertrag kommt zustande, wenn alle Vertragspartner zustimmen.
Ein völkergewohnheitsrechtliche Norm bindet nicht den Staat, der beharrlich dagegen protestiert (sog. Persistent Objector).
Offenheit völkerrechtlicher Normen
Problematik der inhaltlichen OFfenheit vieler völkerrechtlicher Normen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es politisch ausgehandelte Deals sind. Die verabschiedeten Texte sind oft Formelkompromisse, in denen jede Vertragspartei ihre Auffassung wiedererkennen kann.
Im Völkergewohnheitsrecht resultiert die Vagheit daraus, dass es sich um ungeschriebenes Recht handelt.
Prinzipiencharakter
Völkerrecht besteht über weite Strecken nicht aus präzisen Regeln, sondern aus allgemeinen Prinzipien. Prinzipien sind Optimierungsgebote
Bsp.: Einsatz der NATO 1999 im Kosovo. hier musste das Prinzip des Gewaltverbots gegen das Verbot des Genozids abgewogen werden (umstritten).
Meist dezentrale Anwendung des Völkerrechts (Beispiel)
In Art. 2 Abs. 1 lit. a Pariser Klimaabkommen verpflichten sich die Vertragsparteien den Anstieg der Erderwärumung auf unter 2 Grad zu halten. Gleichzeitig erlaubt Art. 2 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 es den Vertragsparteien, die unterschiedlichen nationalen Umstände sowie die Armutsbekämpfung zu berücksichtigen. Die genaue vertragliche Verpflichtung kann somit von Staat zu Staat unterschiedlich sein.
Meist dezentrale Anwendung des Völkerrechts
Mehrdeutigkeit der Texte (constructive ambiguity) führt dazu, dass die genaue Klärung des Norminhalts auf die Phase der Anwendung und Umsetzung der Völkerrechtsnorm verlagert wird.
Die Umsetzung obliegt (dezentral) den Staaten und internationalen Institutionen.
Besonderheiten auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung
Die konsensuale, horizontale Struktur setzt sich auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung fort.
Besonderheiten auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung:
a.) Keine obligatorische Gerichtsbarkeit
Es gibt im Völkerrecht keine zwingende (obligatorische) Gerichtsbarkeit. D.h. es besteht keine Garantie, dass ein Gericht über einen Rechtsstreit entscheidet.
Das Hauptrechtsprechungsorgan der UN ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag.
Der Internationale Seegerichtshof hat seinen Sitz in Hamburg.
1998 wurde der ICC (international Criminal Court) oder IStGH gegründet, er hat seinen Sitz ebenfalls in Den Haag.