Religion and Gender Flashcards
Wie hängen Religion und Geschlecht zusammen (Überblick)?
Hängt eng miteinander zusammen:
- religiöse Traditionen sind in Konzepten, Symbolen, Idealen, Rollenzuweisungen, Ordnungsvorstellungen und Praktiken geschlechtsspezifisch geprägt
- Geschlechterrollen, Ideale etc. einer bestimmten Kultur stehen in der ständigen Wechselwirkung mit dem jeweiligen religiös-philosophischen Erbe
- Religionen können die jeweiligen sozialen Konstrukte einer Gesellschaft reproduzieren, legitimieren, tradieren und verstetigen –> aber auch mitgestalten, modifizieren, in Frage stellen und transformieren
Um welche Themen erweitert sich die Frage nach dem religiösen Menschen, wenn die Kategorie „Geschlecht“ herangezogen wird?
- Mann, Frau
-Trans-sex/gender:
weiblicher Mann, männliche Frau
sowohl Mann als auch Frau
weder Mann noch Frau - Geschlechtervielfalt
- Homo religiosus: keine geschlechtsneutrale Kategorie
Was versteht man unter Androzentrismus (Definition nach Rita Gross)? Wie wirkt es sich auf die Religionsgeschichte/Religionswissenschaft aus? Nennen Sie 2 Beispiele aus der Religionswissenschaft.
Definition nach Rita Gross
- Männliche Norm = menschliche Norm
- Frauen sind im männlichen (= menschlichen) Geschlecht inkludiert
- Frauen werden als Objekte diskutiert („die Anderen“)
- Androzentrismus prägt nicht nur die Daten der Religionsgeschichte, sondern auch die Datensammlung, -darstellung und Theoriebildung von Religionswissenschaft
- Erkenntnisse über ‚die‘ Religion ‚des‘ Menschen können keine Allgemeingültigkeit beanspruchen
–> Androzentrische Verzerrung der Religionsgeschichte
Beispiel 1: Mircea Eliade - Religiöse Initiation
- Material über männliche Initiation bildet Basis für Aussagen über menschliche Initiation –> generalisierenden Aussagen über das Wesen des Menschen
Beispiel 2: Walter Burkert, Homo necans
- Jagd ist Männersache
- „Der Mensch wurde zum Menschen durch das Jägertum, durch den Akt des Tötens.“
Wie hat sich die Geschlechterperspektive in der Religionswissenschaft entwickelt (Forschungsgeschichte)?
1960er Jahre: Feministische Theoriebildung –> Schlüsselkonzepte: Androzentrismus, Sexismus, Patriarchat
Phase 1: 1970er Jahre
- religionswissenschaftliche Frauenforschung beginnt
- Schwerpunkt: jüdisch-christliche Traditionen
- 1980er Jahre: Ausweitung auf die Vielfalt religiöser Traditionen
Phase 2: 1990er Jahre
- Gender Studies in Religion
- Analyse der Gender-Ideologie
- Konstrukte von Weiblichkeit und Männlichkeit
- Beginn der „Men‘s Studies in Religion“
Phase 3: Ab den 2000er Jahren
- Differenzierung nimmt zu
- ‚die‘ Frau und ‚den‘ Mann gibt es nicht: falsche Universalisierungen
- Intersektionalität
- Diversität (Eurozentrismus, Kolonialismus, Imperialismus)
- Trennung sex und gender?
- Queer Studies hinterfragen die heterosexuelle Normativität in Religionen und Religionsforschung
- Ansätze der LGBTQIA+ Studies werden einbezogen
Welche Konsequenzen hat es, wenn die Kategorie „Geschlecht“ in das Forschungsparadigma der Religionswissenschaft aufgenommen wird?
- Keine Extrakapitelforschung: „Frau“/ „Frauen“
- Keine Ergänzung der herkömmlichen Forschung, die daneben weitergeführt werden kann
- Blickwechsel/Revision der Forschungsmethodologie für eine vollständigere Forschung
- Diversität: Kategorien Ethnizität, Klasse, Schicht, Alter, Geschlecht usw. müssen bei der Sammlung, Beschreibung und Interpretation der Daten berücksichtigt werden
Was lässt sich gegen die Postulate der Objektivität und Wertfreiheit von (Religions-)Forschung aus der Perspektive der Geschlechterforschung einwenden?
Dekonstruktion des Objektivitätsanspruchs von Wissenschaft:
- WS entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern in spezifischen sozialen und historischen Kontexten
- Prägung des einzelnen Wissenschaftlers/der einzelnen Wissenschaftlerin wirkt sich auf Ergebnisse aus (Biologische, Persönliche, Soziokulturelle & Wissenschaftliche Ebene)
- Eurozentrismus und Androzentrismus
- Daten oft Resultate partikularer männlicher Standpunkte
- Objektivitätsanspruch als Maske für bestimmte Interessen, Werte und Normen
- Normativität des Androzentrismus wird vielfach noch immer nicht wahrgenommen oder banalisiert
–> Wissenschaft als offener Prozess
Beispiel: Wer ist ein Mensch? Sowohl nicht-weißen Ethnien als auch Frauen wurde das Menschsein ganz oder teilweise abgestritten
Primatenforschung, Rassenforschung
Was versteht man unter Patriarchat und inwiefern sind die großen religiösen Traditionen der Gegenwart patriarchal geprägt?
Definition:
- bevorzugte Stellung des Mannes in Familie und Gesellschaft
- patrilokales und patriliniares Familiensystem
- männliche Dominanz in Institutionen
- System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird
- Kein universales Patriarchat!
Religionen und Patriarchat
- Patriarchat: beschreibt Sozialstruktur
- Fundament: polare Geschlechterrollen, heterosexuelle Gesellschaftsordnung, patrilineare Erbfolge
- große Religionen der Gegenwart sind innerhalb patriarchal organisierter Gesellschaften entstanden
- Religionen sind Ordnungssysteme: Legitimation der patriarchalen Sozialstruktur
- Unterschiede in Ausmaß und Formen
Männerreligionen
- Die großen Religionen der Gegenwart beanspruchen universale Gültigkeit und erklären sich für das Heil des Menschen zuständig
- legitimieren hierarchische Sozialbeziehungen und Geschlechterbeziehungen
- Unterordnung, Diskriminierung und Marginalisierung von Frauen, niedrig gestellten Männern, Sklaven, weiteren Geschlechtern, häufig auch Tieren
Welche wichtige Funktion haben Schöpfungsmythen und wie können sie sich auf Geschlechterbeziehungen auswirken?
- Instrumente der Weltordnung –> begründen und verfestigen die bestehende kosmische, rituelle oder soziale Ordnung
- spiegeln die patriarchalen Strukturen ihrer Entstehungszeit und legitimieren die Unterordnung von Frauen und bestimmten Klassen/Schichten
- Soziale Ordnung/Geschlechterordnung wird als Schöpfungsordnung sanktioniert und unantastbar
- Mythologem von der Zweiterschaffung Evas prägt das Judentum und noch stärker das Christentum
- Geschlechterhierarchie als Ergebnis der göttlichen Ordnung bzw. der weiblichen Natur in allen großen Religionen der Gegenwart
Welche Rollen sind im rabbinischen Judentum für die Geschlechter vorgesehen und wie verändern sie sich in der Moderne?
Rabbinisches JT:
- Dominant ist Priorität Adams, Hilfsrolle der Frau
- „Das Haus ist Frau“–> Hauswirtschafterin & Mutter (im Mittelalter auch Handel und Gewerbe)
- Religiöse Rollen des Mannes: Minjan/Gottesdienst
Verpflichtet zur Einhaltung aller religiösen Gebote (Mizwot)
Rabbinen: männliche Führungselite
- Religiös relevante Aufgaben der Frau: frauenspezifische Mizwot
Keine Rolle im öffentlichen Kult
Kein Tora-Studium
Nidda: Reinheitsgebote
Absondern einer Hebe vom Brotteig Anzünden der Lichter für Sabbat und Feiertage
Modernes JT:
- Aufklärung: großer Einfluss auf europäisches Judentum
- Emanzipationsbewegung unter jüdischen Frauen
- heftige Auseinandersetzungen um Bildung für Mädchen
- 20. Jh.: Veränderungen in allen Richtungen des Judentums, bes. hinsichtlich Frauenbildung
- Beispiel: Scheidungspraxis
- Beispiel: Frauenrabbinat
Welche Rollen sind für die Geschlechter im mittelalterlichen Christentum vorgesehen und wie verändern sie sich in der Moderne (Katholizismus und Protestantismus)
Mittelalter:
- Hilfsfunktion der Frau bei der Fortpflanzung
- Ehefrau und Mutter
- Jungfräulichkeitsideal
- Marienfrömmigkeit
- Mystikerinnen: spirituelle Frauenbewegung teilweise einflussreich aber große Spannungen mit Amtskirche
Moderne Katholizismus:
- Frauenorden
- Theologie-Studium: Zulassung von Frauen erst im 20. Jh.
- Konflikte um Frauenpriestertum (Argumente: Tradition, symbolische Repräsentanz Christi ist unmöglich)
- Feministische Theologie: Verschiedene Modelle für Geschlechterverhältnis:
Unterordnung in der Schöpfungsordnung: weitgehend überwunden
Polaritätsmodell: dominant
Gleichheitsmodell: weithin abgelehnt
Transformatives Modell: von feministischer Theologie bevorzugt
Moderne Protestantismus
- Um 1900 wird Frauenfrage deutlich wahrgenommen, aber festgehalten an Berufung zu Ehe und Mutterschaft
- Frauenordination erst im Lauf des 20. Jahrhunderts
- Zunächst keine Ordination nur Einsegnung: Sonderaufgaben Religionsunterricht und Seelsorge an Mädchen/Frauen
- Gleichstellung mit männlicher Ordination erst 1978, bis dahin Verpflichtung zur Ehelosigkeit
- In höheren kirchlichen Leitungsfunktionen sind bis heute wenige Frauen vertreten
- Im Rahmen der Feministischen Theologie werden Konfessionsgrenzen bedeutungslos
Welche Geschlechterrollen stehen einander im klassisch-brahmanischen Hinduismus gegenüber und wie wird das idealtypische Verhältnis zwischen Ehemann und Ehefrau beschrieben?
Männer: Schüler, Haushalter, Eremit, Wanderasket
Frauen: Tochter, Ehefrau, Ehefrau, Witwe
Ehefrau:
- Verhältnis Mann – Frau entspricht: Gottheit – Verehrer ◦ Herr – Diener ◦ Lehrer – Schüler
- „Ein Ehemann ist von einer treuen Frau immer wie ein Gott zu verehren, auch wenn er aller Tugenden bar, den Lüsten ergeben und ohne alle Vorzüge ist.“ (Manu 2, 145)
- Tugendhaftes (strīdharma-gemäßes) Verhalten als einziger Ausweg aus dem Geburtenkreislauf der weiblichen Existenz
- Zentral: unbedingter Gehorsam
- pativratā „die ihr Leben dem Ehemann weiht“, Pflichten der Ehefrau kreisen um das Glück und die Zufriedenheit des Ehemanns (Praxis der vratas, „Gelübde“)
- Bei Pflichtversäumnissen: körperliche Defekte der Kinder, Unfruchtbarkeit, Ehelosigkeit im nächsten Leben, Wiedergeburt in Tiergestalt
- Sita als wichtigstes Frauenleitbild
Welche Geschlechterrollen sind typisch für den frühen Buddhismus?
- Kīsā Gotamī: weiblicher Prototyp der Nachfolge
- Mönche/Nonnen
- fürsorgliche Ehefrau
- freigiebige Hausfrau
- de facto aber: Männliche Dominanz in den Organisationen/Institutionen
Vergleichen Sie die typischen Geschlechterrollen im Konfuzianismus und im Daoismus
Konfuzianismus
- Mann identifiziert mit yang/Himmel: aktiv, stark, geistig, schöpferisch, hell
- Frau identifiziert mit yin/Erde: rezeptiv, geduldig, beständig, passiv, schwach, biegsam, still, sinnlich, dunkel
- Komplementäre Geschlechterrollen
- Interdependenz von “Herrschen und Dienen”
- Keuschheit und Zurückhaltung der Frau (Lotusfüße)
- 4 weibliche Tugenden (Moralität, zurückhaltendes Sprechen, moderate Erscheinungsweise, Arbeitsamkeit)
Daoismus
- kein Körper-Geist-Dualismus
- Dao: Weg der Stille, der Selbstzurücknahme, des Nicht-Tuns
- weiblicher Körper als Symbol der Kreativität (Schwangerschaft als Modell für Erreichen der Unsterblichkeit), keine Unreinheit
- Männer müssen den weiblichen Körper imitieren und den weiblichen Charakter kultivieren
- Verwendung traditionell weiblicher Werte und Rollen, um sie dem aggressiven, destruktiven, männlichen Verhalten gegenüber-zustellen (Bilder: Wasser, Frau, Mutter, Kind, Stute, Tal, das Dunkle, leeres
Gefäß, Tor)
- Keine Abwertung, sondern Umwertung: Ziel ist Gleichgewicht von yin und yang, Einswerden mit dem Dao
- Trotzdem ist der ideale Weise männlich
Wie wird das Stereotyp von der Frau als Verführerin in den religiösen Traditionen begründet und welche konkreten Gefahren gehen von ihm aus? Führen Sie zwei Beispiele an.
- Frau = Körper/ Materie/ „Natur“
- Frau = Sexualität, Triebhaftigkeit
- Mann = Geist/ Spiritualität
Rabbinisches Judentum:
- Talmud: Lilith als Schreckensgespenst weiblicher Verführungskraft
- Später entsteht der Lilith-Mythos: erste, ungehorsame Frau Adams, steht in Verbindung mit magischen Praktiken; Kindermörderin
- Nähe von Frauen zu Hexerei
Christentum:
- Hexenhammer –> Handbuch zur Hexenjagd
- Zielrichtung zugespitzt auf Frauen, weil sie durch ihre physischen und psychischen Defekte für die Versuchung des Teufels anfällig seien
- Obsessive Bedeutung von Sexualität
Wie entsteht das Stereotyp von der unwissenden Frau und welche Konsequenzen hat ein männliches Monopol auf religiöses Wissen?
- Gleichsetzung von Frau und Materie/Körper/Sexualität führt in den großen religiösen Traditionen zu Beschränkungen oder Ausschluss von Frauen vom (religiösen) Wissen
- Frau: geringere Verstandesfähigkeit = Unwissenheit
- Kombination mit weiteren stereotypen weiblichen Defiziten: Unbeständigkeit, Geschwätzigkeit, Gier, Genusssucht
- Religiöses Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit spielen eine zentrale Rolle
–> Entscheidend für religiösen und sozialen Status
–> Ausschluss von Frauen vom religiösen Wissen
–> Geringer Bildungsstand führt in weiterer Folge zum Stereotyp von der unwissenden Frau, der ein geringer Status zukommt und die daher keine Rollen religiöser Autorität einnehmen können
Männliches Monopol auf religiöses Wissen führt zu:
- geringem religiösen Status von Frauen
- Marginalisierung, Sprachlosigkeit und Fremdbestimmung
- Frauen dürfen keine Interpretationskompetenz erwerben und können daher die religiöse Tradition nicht mitgestalten bzw. die normativen
Bedingungen ihres Lebens nicht mitdefinieren