5/6 (Art. 2 II 1; Art. 2 II 2, Art. 104, 11; Justizgewährleistung; Zitiergebot; Schutzpflichten) Flashcards
Art. 2 II S. 1: Schutzbereich: Recht auf Leben
- Leben = körperliches Dasein (“biologisch-physische Existenz”)
- beginnt schon vor der Geburt und endet mit dem Tod (Embryo entwickelt sich nicht zum Mensch, sondern als Mensch)
- > ab Nidation (14. Tag) -> Schutz des Nasciturus
- BVerfG: Leben als Höchstwert in der verfassungsmäßigen Ordung (Spannung mit Art. 1 I hinsichtlich einer Hierarchie: wird oft zusammen geprüft: Nexus zwische Menschenwürde und Recht auf Leben - “Vitale Basis der Menschenwürde”)
Art. 2 II S. 1: Schutzbereich: P: Recht auf Leben als negatives Recht
- Recht auf den eignen Tod (auch Suizid?) - s. lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen
- eA: kein solches Recht
pro: anders als bei anderen GR erfüllt sich das Recht auf Leben im Falle der Selbsttötung eben nicht - aA: negatives Recht
pro: auch Art. 1 I betroffen: menschenwürdiges Sterben)
Art. 2 II S. 1: Eingriff: Recht auf Leben
- Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe
- polizeilicher Todesschuss
- Pflicht zum Einsatz von Leben und Gesundheit in bestimmten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen
- Auslieferung in ein Land, in dem Betroffenem die Todesstrafe droht
Art. 2 II S. 1: Schutzbereich: Recht auf körperliche Unversehrtheit
- Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn, aber auch im psychischen Bereich, auch Freiheit von Schmerz
- > nicht: soziales Wohlbefinden, Abwesenheit von Unlustgefühlen (Erheblichkeitsschwelle, vgl. § 223 StGB und § 823 I BGB)
- iSd der negativen Freiheit ist auch das Recht auf Krankheit (Ablehnen dringend gebotener Heilbehandlungen) umfasst
Art. 2 II S. 1: Eingriff: Recht auf körperliche Unversehrtheit
- nicht nur bei Zufügen und Empfinden von Schmerzen, sondern auch bei Schädigungen und Gefährdungen (!) der Gesundheit
- > auch dann, wenn Gesundheitsschädigung ernsthaft zu befürchten ist (BVerfG)
Art. 2 II S. 1: Rechtfertigung
- Gesetzesvorbehalt aus Art 2 II 3: aus der Intensität möglicher Eingriffe ergibt sich aus der Wesentlichkeitstheorie, dass Eingriffe in die Schutzbereiche durch Parlamentsgesetz geregelt sein müssen (lediglich unwesentliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit können sich auf materielle Gesetze stützen)
- Schranken-Schranken: spezielle Normen der Art 104 I 2 und Art 102
- > Art 104 I 2: keine körperliche oder seelische Misshandlung bei Festgehaltenen (weite Auslegung, da ansonsten Norm neben Art 1 I keinen Sinn hätte) – Bsp: Schlagstockeinsatz mag bei Polizeieinsatz gerechtfertigt sein, aber in keinem Fall bei Festgehaltenen
- > Art 102: Abschaffung der Todesstrafe
- -> Wiedereinführung selbst bei Verfassungsänderung problematisch: Art 1 I iVm Art 79 III (Täter bloßes Objekt staatlichen Handelns) – auch: bei Fehlurteilen bestehen irreparable Schäden
- -> Auslieferung von in ihrem Ursprungsland mit Todesstrafe Bedrohten gem. § 8 IRG (Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen) verboten
- Menschenwürdegehalt: Leben ist nicht zugleich sein Wesens- oder Menschenwürdegehalt; auch wenn der Entzug des Lebens als Eingriff nichts mehr vom Leben übrig lässt, so sind Eingriffe aufgrund eines Gesetzes explizit möglich: Art 19 II bezieht sich hier nicht auf das individuelle „Übrigbleiben“, sondern auf ein kollektives und generelles
- > aber aus der Menschenwürde anderer folgt als Schranken-Schranke, dass keine Abwägung von Leben gegen Leben erfolgt (Luftsicherheitsgesetz)
Art. 2 II S. 1: Rechtfertigung des Eingriffs ‘Todesschuss’
- Prüfungspunkt: materielle Verfassungsmäßigkeit der polizeirechtlichen EGL?
- > nach hM (+) wenn Regelung, dass keine andere Rettungsmöglichkeit für das akut bedrohte Leben einer Geisel besteht, darf die Polizei auch in einer Weise Schusswaffen gebrauchen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod des Täters führt
pro: Täter wird nicht zum Objekt gemacht, sondern ihm ggü werden die Konsequenzen für sein eigenverantwortliches Handeln der Gefährdung anderer auferlegt
Art. 2 II S. 1: Schutzpflichten aus Art. 2 II
- besonders bei Recht auf Leben, da GR-Verletzungen, die sich aus GR-Gefährdungen ergeben, stets irreparabel wären
- Erheblicher Spielraum bei der Erfüllung der Schutzpflicht
- > Strafrecht: Schutzpflicht kann hier keine strafrechtlichen Sanktionen gebieten, wenn diese dem Schutz des Lebens nicht förderlich sind (bspw. Strafandrohung bei Schwangerschaftsabbruch in den ersten Monaten: keine positive Wirkung ersichtlich)
- > Pflicht zur wirksamen Anwendung des Strafrechts
- > Opfer einer Straftat hat keinen GRlichen Anspruch auf Strafverfolgung, wohl aber auf Aufklärung des SV, Dokumentation des Ermittlungsverlaufes und Begründung des Einstellungsbescheides
Systematische Stellung der Freiheit der Person aus Art. 2 II S. 2 GG iVm Art. 104 GG
- Verdopplung der Gewährleistung: 104 ist jedoch mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt lex specialis zu Art 2 II 3
- > BVerfG: “Durch Art. 104 Abs. 1 GG wird die Beachtung der sich aus dem jeweiligen Gesetz ergeben- den freiheitsschützenden Formen zur Verfassungspflicht erhoben, deren Einhaltung durch den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde abgesichert wird”
- Systematische Trennung: Art 104 gehört aus historischen Gründen (Bezug zu habeas corpus) dem Abschnitt der Rechtsprechung an
- Art 5 EMRK: Art 5 I 1: Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit
(“Menschenrechtsfreundlichkeit des GG” (Vöneky) Art 1 II) - Art. 6 GR-Charta (-> bindet nur Unionsgewalt)
Art. 2 II S. 2 GG: Schutzbereich: Freiheit der Person
- körperliche Bewegungsfreiheit = Freiheit, jeden Ort oder Raum aufzusuchen oder zu verlassen
-> nach BVerfG: normgeprägter Schutzbereich: Ort oder Raum muss dem Betroffenen tatsächlich und rechtlich (!) zugänglich sein (zB kein Schutz der Fortbewegung unter Verletzung von Verkehrsregeln)
pro: Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte, der Parallelnorm des Art. 104 GG und dem Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG-> Habeas corpus (Rechtstaatliche Maßstäbe für Festnahmen und sonstige Freiheitsbeschränkungen)
con: Zirkelschlüssig: das GR soll ja gerade vor solchen Normen schützen und nicht anhand dieser als a priori bestehendes Recht beschränkt werden (Normenhierarchisch)
dagegen spricht aber, dass Art. 2 II 2 nicht vor jeglichem staatlichen Zwang schützen soll!
(+) Syst. Verhältnis zu Art. 2 I GG und Art. 104 GG - Die Freiheit zum Aufsuchen eines bestimmten Ortes wird dagegen nicht gewährt. Dafür sprechen sowohl die Entstehungsgeschichte des Art. 2 II 2 GG als auch dessen Parallelität zu Art. 104 GG.
eA: Schutz nur vor körperlichen Beeinträchtigungen der körperlichen Bewegungsfreiheit (unmittelbarer Zwang oder dessen Androhung)
(-) für diese Verengung des SB reichen die hist. Gründe nicht; der Zwang oder seine Androhung geben Verboten und Geboten keine besondere Qualität, sondern stehen hinter ihnen - P: Auch negative Bewegungsfreiheit (= Freiheit, einen bestimmten Ort nicht aufsuchen zu müssen oder zu verlassen)
eA: geschützt, das Gebot, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aufzuhalten, enthalte ein Bündel von Verboten, andere Orte aufzusuchen
(-) Das GR droht auszuufern, wenn Verhaltensweisen geschützt werden, die keinen Bezug zum Habeas Corpus Recht haben
(-) körperliche Bewegungsfreiheit ist nicht die Freiheit von jeglicher Pflicht zu körperlichen Bewegung-> Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit
hM: nur geschützt, wenn von unmittelbarem Zwang begleitet bzw. sich gegen die (körperliche) Bewegungsfreiheit als solche richtet (und nicht allgemein gegen die Entschließungsfreiheit)
(+) Entstehungsgeschichte des Grundrechts und die Parallelität von Art. 2 II 2 und Art. 104 GG
Art. 2 II S. 2 GG: Eingriff: Freiheit der Person
- wenn jemand durch Gebote oder Verbote daran gehindert oder für einen bestimmten Zeitpunkt dazu verpflichtet wird, einen Ort aufzusuchen oder sich an einem Ort aufzuhalten
- > Freiheitsentziehung: Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin – dh das Festhalten (Androhung oder Vollzug) an eng umgrenzten Ort (BVerfG: von mindestens halbstündiger Dauer)
- > Freiheitsbeschränkung: alle finalen (!)* Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, die nicht ganz geringfügig sind
- -> Bsp: Vorladung (+), Sistierung (Mitnahme zur Polizeistelle bei unmittelbarem Zwang) (+), Freiheitsstrafe: Urteil (+) und Vollzug (+)
*Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit
Art. 2 II S. 2 GG: Rechtfertigung: Freiheit der Person: Freiheitsbeschränkung
- Art. 104 I: qualifizierter Gesetzesvorbehalt - lex specialis
- Freiheitsbeschränkungen (Art 104 I, 2 II 3 GG): Voraussetzung des förmlichen Gesetzes (Gesetz im formellen Sinn)
-> das freiheitsbeschränkende Gesetz muss die materiellen Voraussetzungen hinreichend deutlich regeln,
um dem Gebot der Bestimmtheit zu genügen, wobei die Anforderungen an das ermächtigende Gesetz mit der Eingriffsintensität wachsen - Rechtfertigungsmöglichkeiten des Eingriffs in Art 2 II 2 nicht nur aus Art 2, sondern auch unter den Voraussetzungen des Art 104 (Diff. zwischen FRbeschränkung und -entziehung) - besonders gewichtige Gründe erforderlich (Form meint iS formeller Rechtmäßigkeit Form, Verfahren und Zuständigkeit von Freiheitsbeschränkungen)
Art. 2 II S. 2 GG: Rechtfertigung: Freiheit der Person: Freiheitsentziehung
- Art. 104 II-IV: qualifizierter Gesetzesvorbehalt - lex specialis
- Freiheitsentziehung (Art 104 II-IV): Richtervorbehalt (II 1); Ausnahmen (II 2,3 , III); Benachrichtigungspflicht (IV)
- > “unverzüglich”: jede Verzögerung sachlich zwingend geboten sein, was anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen ist
- > dem Richter “vorzuführen”: physische Präsenz und eigene Tatsachenfeststellung und -bewertung des Richters (keine einfache Bestätigung oder Plausibilitätsprüfung der polizeilichen Angaben)
- Schranken-Schranke: insb. Verhältnismäßigkeit
Art. 2 II S. 2 GG: Rechtfertigung: Schranken-Schranken: strenge Verhältnismäßigkeitsanforderungen
- Lebenslange Freiheitsstrafe
- > Verfahren und Voraussetzungen der vorzeitigen Aussetzung der Vollstreckung müssen gesetzlich geregelt sein – Hoffnung auf Begnadigung allein nicht ausreichend
- > Täter darf nicht zum bloßen Objekt der staatlichen Verbrechensbekämpfung werden
- Sicherungsverwahrung: Notwendigkeit einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung
- > Abstandsgebot zur Freiheitsstrafe
- > Überwiegende Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit
- > Maßnahmen zur Reduzierung der Gefährlichkeit
- Untersuchungshaft: Spannung zwischen rechtsstaatlicher Unschuldsvermutung und wirksamer Strafverfolgung
- > Verbot der Vorwegnahme der Strafe: Verdächtiger darf nicht wie Verurteilter behandelt werden
- > gerechtfertigt, wenn es bei den Haftgründen der Flucht- und Verdunklungsgefahr um die Abwehr schwerer Kriminalität geht
- > Beschleunigungsgebot
Prüfung: Art. 2 II S. 2 GG iVm Art. 104 GG
- SB des GR
a. persönlich: jedermann
b. Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit durch Hoheitsakt - Eingriff
- > insbesondere Qualifikation des Eingriffs: Freiheitsentziehung oder -beschränkung? - Rechtfertigung des Eingriffs
a. Ermächtigungsgrundlage
aa. Formell verfassungsgemäß: insbesondere: Kompetenz
bb. Materiell verfassungsgemäß:
- > besondere Anforderungen des Art. 104 II 1: Bestimmtheit
- > besonders strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
b. Anwendung der Ermächtigungsgrundlage
aa. Richtervorbehalt (Freiheitsentziehung)
bb. Beachtung der vorgeschriebenen Formalien
cc. Beachtung der besonders strikt anzuwendenden Verhältnismäßigkeit
Art. 11: Persönlicher Schutzbereich
- Deutschen-GR
- Unionsbürger werden geschützt, soweit das Unionsrecht dies fordert (Art. 20, 18 AEUV)
- JurP Art 11 (-), weder Aufenthaltsort noch Wohnort (vgl. Art 19 III) - aber hM: pro Recht auf Niederlassung