1. Einführung und Grundlagen Flashcards
Wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt
Theorien
- System von Wenn – Dann Sätzen (bzw. Modell aus dem sich solche Vorhersagen ergeben)
- Empirischer Gehalt = wie viel verbietet die Theorie? (Popper, 1934) Hängt ab von ihrer:
- Allgemeinheit = Theorie in vielen Situationen anwendbar (WENN Komponente oft erfüllt)
- Bestimmtheit = konkrete Vorhersagen (DANN Komponente umfasst zahlreiche, konkrete Aussagen)
- wissenschaftliche Prüfung einer Theorie nur möglich, wenn
- realisierbare Aspekte des Verhaltens verboten werden = wenn sie also überhaupt irgendeinen empirischen Gehalt hat
- außerdem: ableitbare Sätze dürfen nicht tautologisch (“dann” Komponente hat dieselben Inhalte wie die “wenn” Komponente) oder widersprüchlich sein
Befunde
- beobachtetes Verhalten in (üblicherweise kontrollierten) Situationen
- Zielsetzung: Testung gegen Theorien (versuchen sie zu falsifizieren) bzw. vergleichende Theorietestung
Wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt = Weiterentwicklung von Theorien
- dabei spielen Kontroversen eine wichtige Rolle, dass man also verschiedene Theorien gegeneinander diskutiert
- Theorien beschreiben Teile der Realität
- Sie sind Abstraktionen der Wirklichkeit und deshalb meist (mind. teilweise) falsch
- Suche nach besseren Theorien komplexer Prozess
Kognition - vier Forschungsansätze
Wie funktioniert Kognition und wie kann sie erforscht werden?
- Ein Reiz aus der Umwelt trifft auf das Nervensystem einer Person und führt dann zu einem gewissen Erleben und/oder Verhalten.
- Es gibt vier Forschungsansätze:
1. Experimentelle Kognitive Psychologie (im klassischen Sinne)
- Aufzeichnung von Verhalten bei der Bewältigung kognitiver Aufgaben —> Rückschlüsse auf Kognition
- z.B.: man zeigt der VP Bilder sehr kurz —> nimmt sie sie noch wahr? Oder man zeigt ihr viele Bilder —> an welche kann sie sich erinnern?
2. Kognitive Neuropsychologie
- Untersuchung von Patienten mit Schädigung des Gehirns, (auch) um Kognition bei Personen ohne diese Schädigung zu verstehen
3. Kognitive Neurowissenschaft
- Aufzeichnung der Aktivitäten des Gehirns bei der Bewältigung kognitiver Aufgaben
4. Komputationale Kognitionswissenschaft
- Entwicklung mathematisch spezifizierter Modelle, um Kognition besser beschreiben und vorhersagen zu können
Zielführendes Modell um Erkenntnisgewinn zu erreichen: konvergierender Methodeneinsatz (converging operations) = man setzt gleichzeitig Methoden aus verschiedenen Forschungsansätzen ein
1 - Experimentelle Kognitive Psychologie
Lange Tradition:
- Wilhelm Wundt: erstes psychologisches Experimentallabor (1879). Erforschte Wahrnehmung, z.B. optische Täuschungen
- Hermann Ebbinghaus: Pionier der Gedächtnisforschung. Entwickelte Lernkurve und Vergessenkurve
Generelle Vorgehensweise: Experiment zur Theorietestung
- Messung der AV kognitive Leistung (z.B. Akkuratheit beim Gedächtnisabruf von Informationen, Geschwindigkeit bei der Wahrnehmung, Blickverhalten) unter kontrollierter Variation der UVs
1 - Experimentelle Kognitive Psychologie - zwei Informationsverarbeitungsansätze
Klassischer Informationsverarbeitungsansatz (70er Jahre)
- Computer-Metapher: Informationsverarbeitung ähnlich wie in Computer-Programm
- Annahmen:
- schrittweise, serielle Verarbeitung (ein Prozess abgeschlossen bevor der nächste beginnt)
- Informationsverarbeitung ist reizgesteuert (Bottom-up)
- Reiz —> Aufmerksamkeit —> Wahrnehmung —> Gedächtnisabruf + Integration —> Entscheidung / Urteil / Handlung
- Der Reiz wird objektiv so wahrgenommen wie er ist. Der Gedächtnisabruf ist wie das Herausziehen eines Buches aus dem Bücherregal. Der objektive wahrgenommene Reiz wird mit dem separat abgerufenen Gedächtnisinhalt “verrechnet” und integriert
vs
Neuere Informationsverarbeitungsansätze
- Netzwerk-Metapher: Informationsverarbeitung durch einfache Einheiten in Netzwerken
- Zentrale Eigenschaften:
- schnelle, parallele Verarbeitung
- automatische Aktivationsausbreitung: wenn Sie an Feuerwehr denken, dann ist automatisch “rot”, “Auto” und “Hitze” aktiviert. Wenn ich Sie dann nach Ihrer Lieblingsfarbe frage, sagen Sie mit größerer Wahrscheinlichkeit “rot” —> Information ist verknüpft. Sie können nicht einfach eine Informationseinheit aus dem Regal ziehen, sondern wenn Sie über eine Informationseinheit nachdenken, wird andere Information automatisch aktiviert
- Vorwissen und Erwartungen beeinflussen die Wahrnehmung (Top-down)
- z.B. Paris in the the spring —> hier übersieht man häufig ein “the”
- z.B. alle möglichen optischen Täuschungen —> man nimmt zwei gleich lange Linien verschieden lang wahr je nach Kontext
—> Interaktive Aktivation: Aufmerksamkeit + Wahrnehmung und Gedächtnisabruf + Integration stehen in Wechselwirkung zueinander. Wahrnehmung ist immer sowohl bottom-up als auch top-down
1 - Experimentelle Kognitive Psychologie - Stärken & Schwächen
Stärken
- war der erste systematische Ansatz zur Erforschung menschlicher Kognition
- durch sie entwickelte man zentrale Theorien und Untersuchungsparadigmen zu Wahrnehmung und Gedächtnis
Schwächen
- die verwendeten Aufgaben haben eine geringe ökologische / externe Validität
- artifizielle, einfache Aufgaben wie sie in der Realität nicht auftreten
- VP kann den Ablauf nicht beeinflussen (“unerbittlicher Experimentator”) —> vielleicht haben die Menschen in der Realität die Möglichkeit verschiedene Probleme zu umgehen, indem sie etwas anders oder in anderer Reihenfolge machen
- selbst innerhalb eines Labors sind die gefundenen Ergebnisse teilweise aufgabenspezifisch und können nicht auf ähnliche Aufgaben generalisiert werden
- Verwendung indirekter Maße (Reaktionszeit, Akkuratheit) zur Erschließung zugrundeliegender Prozesse
- teilweise unpräzise, verbale Theorien, nicht mathematisch exakt beschrieben
- es gibt kein anerkanntes übergreifendes Modell der Kognition als Ganzes
2 - Kognitive Neuropsychologie
- Untersuchung der kogn. Leistung von Patienten mit Hirnschädigungen
- Bsp: 1848 wurde Phineas Gage in einem Arbeitsunfall eine Eisenstange durch den präfrontalen Kortex gerammt. Danach waren Wahrnehmung, Gedächtnis, Intelligenz und Sprachfähigkeit unverändert, aber seine Persönlichkeit veränderte sich (er verhielt sich kindisch, impulsiv und unzuverlässig) —> Hypothese: Wahrnehmung & Gedächtnis sind unabhängig von sozialen Funktionen
- Direkte Aussagen zur Verbindung zwischen Gehirn und Kognition
- Ziel: etwas über Gesetzmäßigkeiten der Kognition zu lernen, nicht (nur) über den materiellen Aufbau des Gehirns
2 - Kognitive Neuropsychologie - Grundannahmen
- funktionale Modularität = unabhängige Verarbeitungseinheiten (= Module) zeigen domänen-spezifische Reaktionen (d.h. reagieren nur auf eine Klasse von Stimuli). Es gibt also im Gehirn gewisse Bereiche/Funktionen, die unabhängig voneinander arbeiten (z.B: gewisse Verarbeitungseinheiten nehmen nur die Farbe wahr, andere die Form, wieder andere die Bewegung)
- anatomische Modularität = jedes Modul befindet sich in einer spezifischen Gehirnregion
- Einheitlichkeit / Ähnlichkeit der funktionalen Architektur über Personen. Ermöglicht es, Befunde über Personen hinweg und auf menschliche Kognition im Allgemeinen zu übertragen
- Subtraktivität = Schädigungen des Gehirns führen zu spezifischen Ausfällen von Modulen. Menschen können Ausfälle nicht durch andere Module kompensieren. Anders gesagt: eine bestimmte Funktion kann immer nur von einem bestimmten Modul ausgeführt werden.
Zentrale Frage: ist theoriebasierte Abgrenzung kognitiver Funktionen möglich? —> Welche Funktionen im Gehirn sind voneinander abhängig / unabhängig?
2 - Kognitive Neuropsychologie - Methoden
- einfache Dissoziation:
- Patienten mit Hirnschädigung in spezifischem Bereich - ist die geschädigte Hirnregion für eine bestimmte Aufgabe (z.B. KZG / LZG) relevant / notwendig? —> Vergleich der Leistung mit Kontrollgruppe
- Ergebnis: z.B. Patienten bewältigen Aufgabe 1 schlechter als Kontrollgruppe, Aufgabe 2 gleich gut
- Problem: kein Schluss möglich, dass die Hirnregion für Aufgabe 2 nicht relevant ist. Denn vielleicht braucht man für beide Aufgaben dieselbe Hirnregion, aber Aufgabe 1 ist lediglich schwerer. Für Aufgabe 2 hat es also noch gereicht, aber bei Aufgabe 1 nicht mehr.
- Doppel-Dissoziation:
- Vergleich von zwei Patientengruppen, z.B. eine mit vermindertem KZG, die andere mit vermindertem LZG. Die einen sind in also in Aufgabe 1 schlechter und die anderen in Aufgabe 2 —> Überzeugende Evidenz für Abgrenzung von Funktionen und relevanten Gehirnregionen
- Assoziationen:
- Symptome und Leistungseinschränkungen in Aufgaben X und Y treten bei Patientengruppen verstärkt gemeinsam auf —> Annahme einer gemeinsamen Ursache (Syndrom)
2 - Kognitive Neuropsychologie - Stärken & Schwächen
Stärken
- Doppel-Dissoziationen liefert starke Evidenz für die Modularität von kognitiven Funktionen. D.h. Dinge funktionieren unabhängig voneinander und laufen auch in gewissen Hirnregionen ab
- Nachweis kausaler Verbindung zwischen Hirnschädigung und kognitiver Leistung
- Die kognitive Neuropsychologie ist besonders wichtig in Forschung zu Gedächtnis und Sprache
- verbindet Experimentelle Kognitive Psychologie und Kognitive Neurowissenschaft
Schwächen
- Die Modularitätsannahmen sind prinzipiell etwas zu stark. Zwar werden abgrenzbare Module entdeckt, aber vollständige Modularität herrscht nicht
- Subtraktivitätsannahme nicht 100% haltbar, denn: Patienten entwickeln Kompensationsstrategien um auf Hirnschädigungen zu reagieren
- es gibt eine gewisse neuronale Plastizität (Veränderung von Hirnfunktionen nach Schädigung)
- Hirnschädigungen sind oft nicht spezifisch genug, sondern betreffen mehrere Module
- Verbindungen zwischen kognitiven Prozessen wurden oft zu wenig berücksichtigt. Kognitive Prozesse sind voneinander abhängig und können nicht komplett separat betrachtet werden. Wir mittlerweile aber stärker berücksichtigt.
- es gibt Interindividuelle Unterschiede. ABER: Lösung relativ einfach. Statt Einzelfall-Studien macht man Fall-Serien Studien, also man betrachtet mehrere Patienten mit ähnlicher Hirnschädigung und nicht nur eine
3 - Kognitive Neurowissenschaften
Intensive Untersuchung des Gehirns: 100 Mrd Neuronen - komplex vernetzt
3 - Kognitive Neurowissenschaften - Vernetzung des Gehirns
- Prinzip der Kosten-Kontrolle = möglichst wenige Verbindungen, kurze Distanzen
- Prinzip der Effizienz = Fähigkeit, Informationen schnell über das Gehirn hinweg zu integrieren
—> Theorie der komplexen Topologie / Vernetzung nach Bullmore & Sporns, 2012
- Module = kleine Areale, intern eng vernetzt
- Hubs = stark vernetzte Verteilzentren (z.B. der Anterior Cingulate Cortex ACC in den BA24, 32, 33; zuständig für höhere Kognition und Bewusstsein)
- die Theorie der komplexen Topologie entspricht der Vorgehensweise einer Airline beim Befördern ihrer Fluggäste. Große internationale Flughäfen fungieren als Hubs / Sammelzentren
3 - Kognitive Neurowissenschaften - Methoden: Einzelzell-Ableitung
- Mikroelektrode wird ins Gehirn implantiert, um zu messen wie eine gewisse Gehirnzelle geladen ist bzw wie oft sie sich entlädt
- so kann man detailliert für einzelne Zellen / Zellgruppen untersuchen, auf welche Arten von Stimuli sie wie reagieren (einflussreiche Arbeit: Hubel und Wiesel untersuchten so 1962 den primären visuellen Kortex bei Katzen und Affen)
- Vorteile:
- liefert sehr gute zeitliche und räumliche Auflösung
- Nachteile:
- invasiv – Operation erforderlich —> kann auch zur Zerstörung von Hirnzellen führen —> vielleicht kommt das Versuchsergebnis nur dadurch zustande, dass andere Hirnzellen bei der Implantation beschädigt wurden?
- ethisch fraglich, ob man mit Tieren so eine invasive Methode anwenden möchte
- eher ungeeignet für höhere Kognition, da diese Neuronen in unterschiedlichen Regionen betrifft
3 - Kognitive Neurowissenschaften - Methoden:
Ereigniskorrelierte Potenziale (event related potentials - ERPs)
- Aufzeichnung elektrischer Gehirnaktivität durch Elektroden auf Kopfhaut (sieht aus wie eine Badekappe mit ganz vielen Verbindungen)
- wiederholte Darbietung von Reizen/Ereignissen —> in welchem Bereich des Gehirns findet eine besonders starke Aktivation statt? —> man mittels die elektrische Aktivation jeder Gehirnregion auf einen gewissen Stimulus und fasst sie zur Wellenform zusammen
- hervorragende zeitliche Auflösung (wenige msec) aber geringe räumliche Auflösung (wie soll man auch mittels Elektroden auf der Kopfhaut herausfinden, wo genau die Aktivation stattgefunden hat)
- weitere Nachteile:
- aufwendige Experimente: viele Wiederholungen notwendig. VP verbringen bis zu 2 Stunden mit der Kappe auf dem Kopf damit, wiederholt die gleichen Reize dargeboten zu bekommen
- Subkortikale Aktivitäten nur schwer messbar - also von Arealen, die unterhalb der Gehirnrinde weiter im Inneren liegen
3 - Kognitive Neurowissenschaften - Methoden: Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
- man injiziert der Person eine schwach radioaktive Substanz und zeichnet auf, wie sich diese radioaktive Substanz im Gehirn bewegt. Deren Bewegung wird anscheinend durch die Aktivation des Gehirns beeinflusst.
- gute räumliche Auflösung (5-10 mm) aber niedrige zeitliche (30 – 60 sec) Auflösung
- weitere Nachteile:
- invasiv
3 - Kognitive Neurowissenschaften - Methoden: Funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRI)
- auch Kernspintomographie genannt
- Messung von Gehirnaktivierung über Sauerstoffgehalt des Blutes (wieviel Sauerstoff ist an Hämoglobin gebunden)
- Die Idee ist relativ simpel, aber das Verfahren ist komplex: Durch ein starkes Magnetfeld werden Moleküle dazu gebracht sich anders auszurichten und wenn das Magnetfeld dann nachlässt drehen sie sich in ihre ursprüngliche Lage zurück. Dieses Drehverhalten erzeugt unterschiedliche Signale abhängig davon, wieviel Sauerstoff an Hämoglobin gebunden ist —> Die Auswertung der Signale liefert den sog. Blood oxygen level-dependent (BOLD) Kontrast
- Vergleich mit Kontrollbedingung - Signifikanztests
- sehr gute räumliche (1 mm) und mittlere zeitliche (2-3 sec) Auflösung
- Weitere Nachteile:
- laut und unbequem
- eingeschränkte Möglichkeiten zur Präsentation von Stimuli & für Antwortverhalten